Der Band versammelt die für die akademische Gedenkfeier für Michael Stolleis (1941-2021) am 24. Juni 2022 verfassten Vorträge. Sie würdigen die vielfältigen Facetten des Juristen und Historikers, des Wissenschaftlers wie des Hochschullehrers. Einige Aufsätze beleuchten im Anschluss an sein Werk die Wissenschaftsgeschichte des "deutschen Völkerrechts" oder die Geschichte des Kolonialrechts; andere stellen seine große Bedeutung für europäische Kolleginnen und Kollegen heraus. Doch alle Beiträge durchzieht ein Grundgedanke: dass Rechtsgeschichte und Rechtsgeschichten untrennbar zusammengehören, wie es Stolleis in seinem letzten Buch unter dem Titel "recht erzählen" (2021) meisterhaft vorführte. So halten persönliche Erinnerungen von Freunden und Wegbegleiter das Andenken an den einzigartigen Erzähler vom Recht fest. Auch Michael Stolleis selbst kommt noch einmal in einem wieder abgedruckten Gespräch über Väter, Bildungswege und Zeitgenossenschaft zu Wort.This volume presents the lectures written for the academic memorial service for Michael Stolleis (1941-2021) on June 24, 2022. They pay tribute to the many facets of the jurist and historian, the scientist as well as the university teacher. Tying in with his work, some essays shed light on the academic history of "German international law" or the history of colonial law; others highlight his great importance for European colleagues. Yet through all the contributions runs one basic idea: that legal history and legal histories inseparably belong together, as Stolleis masterfully demonstrated in his last book bearing the title "recht erzählen" (2021). Thus, personal recollections of friends and academic companions sustain the memory of an unique narrator of law. Michael Stolleis himself also has his say once again in a reprinted conversation about fathers, educational paths and contemporaneity.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Daniel Damler schätzt an diesem von Marietta Auer, Thomas Duve und Stefan Vogenauer herausgegebenen Band mit Beiträgen zur Gedenkfeier für den Rechtshistoriker Michael Stolleis aus dem vergangenen Jahr, dass Beiträger wie Milos Vec oder Pascale Cancik sich nicht unkritisch hinter ihren Lehrer stellen, sondern auch die blinden Flecken in seinem Werk sichtbar machen. Dass Stolleis die Völkerrechtswissenschaft und das Kolonialrecht zu Unrecht vernachlässigte, ahnt Damler nach der Lektüre jedenfalls. Insofern ist das Buch für ihn ein "kluges Manifest" des Erinnerns.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2023Der viele Wege wies
Zum Gedenken an Michael Stolleis
Michael Stolleis war kein guter Schüler. Der weit über die Grenzen des Faches hinaus geachtete Rechtshistoriker machte seinen Lehrern das Leben schwer. Auch rebellierte er damals nach eigenen Angaben gegen Vater Erich, ehedem NSDAP-Oberbürgermeister von Ludwigshafen und Parteimitglied seit 1929. Nachzulesen ist das Bekenntnis des 2021 Verstorbenen in einem Interview aus dem Jahr 2013, wieder abgedruckt im Anhang zu einem schmalen Band, der die für die akademische Gedenkfeier 2022 verfassten Vorträge versammelt.
Der Umgang mit der Verantwortung der Tätergeneration, mit der "Erblast", blieb ein Lebensthema von Michael Stolleis. Doch bald änderten sich Ton, Haltung und Methode. Statt Rebellion wählte er den Weg der entschiedenen, aber behutsamen Emanzipation. Einerseits konnte er, wie er zugab, mit dem "Furor der Achtundsechziger-Linken" nichts anfangen. Andererseits lautete das Thema seiner Habilitation in München 1973 "Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht", zu einer Zeit, als die dortige juristische Fakultät noch unter dem Einfluss profilierter NS-Juristen stand, die ein solches zeithistorisches Engagement nicht goutierten. Diese doppelte Distanzierung bestätigt Michael Kunze im Schlusswort zu dem Gedenkband. Als Angehöriger des gleichen Münchener "Mansardenseminars" habe er erlebt, wie Stolleis sich von der moralischen Überheblichkeit, der "zu leichten Pflichtübung" der 68er-Rebellen abgrenzte und ein Habilitationsthema bearbeitete, das zumindest an der Isar keine großen Karriereoptionen eröffnete.
Wissenschaft, die mehr sein will als Denkmalpflege, kommt heute wie damals nicht an einer kritischen Evaluation des Überkommenen vorbei. Dass die gegenwärtige Generation von Hochschullehrern ihre Prägung moralisch und wissenschaftlich integren Persönlichkeiten wie zum Beispiel Michael Stolleis verdankt, macht die Sache nicht unbedingt leichter. Zwei, wie es im Hochschuljargon heißt, "Schüler" von Michael Stolleis, die inzwischen schon seit vielen Jahren selbst als Lehrer an Universitäten wirken, Pascale Cancik und Milos Vec, führen vor, wie es gelingen kann, die wohl prägendste Figur im Leben eines Wissenschaftlers vornehmlich in der Eigenschaft als "Wegweiser" zu ehren, als jemanden, der, wie es Vec ausdrückt, viele Wege weist, aber längst nicht alle selbst beschreitet. Ihre Beiträge in dem Band handeln nämlich gerade nicht von den verwaltungs- und staatsrechtlichen Kernbereichen, deren Entwicklung Stolleis in seiner vierbändigen "Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland" mit so viel Verve nachgezeichnet hat. Sie erinnern an die Leerstellen und blinden Flecken, die selbst ein so ausgreifendes, monumentales OEuvre aufweist.
Milos Vec stellt mehrfach die Frage, ob die geringe Beachtung, die Stolleis der Völkerrechtswissenschaft insbesondere im ersten und zweiten Band seines Werkes schenkt, wirklich angemessen ist, und er führt überzeugende Gründe an, warum es einer Neubewertung dieser nicht zuletzt in ihrer deutschen Spielart so ungemein vielseitigen und innovativen (Teil-)Disziplin bedarf. Pascale Cancik weist darauf hin, dass weder Kolonialrecht noch Kolonialrechtswissenschaft in der Stolleis'schen "Geschichte des öffentlichen Rechts" den Platz gefunden haben, der ihrer tatsächlichen Wirkung auf die dieser Rechtsmaterie Unterworfenen entspricht, ganz zu schweigen von den denkbaren Rückwirkungen auf das Recht des "Mutterlandes". Und auch der Staatsrechtler und Schriftsteller Bernhard Schlink - ein Freund, kein Schüler - widersteht in seinem Beitrag der Versuchung, den Hochgeehrten mit undifferenzierten Zuschreibungen und Etiketten zu bedenken: Wenn Stolleis die Geschichten von Johann Peter Hebel kommentiere, dann dringe er nicht in die Geschichte ein, "um aus deren Tiefe philosophische Einsichten zutage zu fördern" und sich in die Tradition der Law-and-Literature-Bewegung zu stellen. Er umspiele Hebels Geschichten lediglich und erfreue sich an ihrer Frische.
Kein Buch über Michael Stolleis also, vielmehr ein kluges Manifest des rechten Erinnerns, das über ihn hinausweist. Kein Buch von und für Epigonen und Rebellen, denn sie sind niemals gute Schüler. DANIEL DAMLER
"Michael Stolleis zum Gedenken".
Hrsg. von Marietta Auer, Thomas Duve,
Stefan Vogenauer.
Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2023. 90 S., br., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zum Gedenken an Michael Stolleis
Michael Stolleis war kein guter Schüler. Der weit über die Grenzen des Faches hinaus geachtete Rechtshistoriker machte seinen Lehrern das Leben schwer. Auch rebellierte er damals nach eigenen Angaben gegen Vater Erich, ehedem NSDAP-Oberbürgermeister von Ludwigshafen und Parteimitglied seit 1929. Nachzulesen ist das Bekenntnis des 2021 Verstorbenen in einem Interview aus dem Jahr 2013, wieder abgedruckt im Anhang zu einem schmalen Band, der die für die akademische Gedenkfeier 2022 verfassten Vorträge versammelt.
Der Umgang mit der Verantwortung der Tätergeneration, mit der "Erblast", blieb ein Lebensthema von Michael Stolleis. Doch bald änderten sich Ton, Haltung und Methode. Statt Rebellion wählte er den Weg der entschiedenen, aber behutsamen Emanzipation. Einerseits konnte er, wie er zugab, mit dem "Furor der Achtundsechziger-Linken" nichts anfangen. Andererseits lautete das Thema seiner Habilitation in München 1973 "Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht", zu einer Zeit, als die dortige juristische Fakultät noch unter dem Einfluss profilierter NS-Juristen stand, die ein solches zeithistorisches Engagement nicht goutierten. Diese doppelte Distanzierung bestätigt Michael Kunze im Schlusswort zu dem Gedenkband. Als Angehöriger des gleichen Münchener "Mansardenseminars" habe er erlebt, wie Stolleis sich von der moralischen Überheblichkeit, der "zu leichten Pflichtübung" der 68er-Rebellen abgrenzte und ein Habilitationsthema bearbeitete, das zumindest an der Isar keine großen Karriereoptionen eröffnete.
Wissenschaft, die mehr sein will als Denkmalpflege, kommt heute wie damals nicht an einer kritischen Evaluation des Überkommenen vorbei. Dass die gegenwärtige Generation von Hochschullehrern ihre Prägung moralisch und wissenschaftlich integren Persönlichkeiten wie zum Beispiel Michael Stolleis verdankt, macht die Sache nicht unbedingt leichter. Zwei, wie es im Hochschuljargon heißt, "Schüler" von Michael Stolleis, die inzwischen schon seit vielen Jahren selbst als Lehrer an Universitäten wirken, Pascale Cancik und Milos Vec, führen vor, wie es gelingen kann, die wohl prägendste Figur im Leben eines Wissenschaftlers vornehmlich in der Eigenschaft als "Wegweiser" zu ehren, als jemanden, der, wie es Vec ausdrückt, viele Wege weist, aber längst nicht alle selbst beschreitet. Ihre Beiträge in dem Band handeln nämlich gerade nicht von den verwaltungs- und staatsrechtlichen Kernbereichen, deren Entwicklung Stolleis in seiner vierbändigen "Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland" mit so viel Verve nachgezeichnet hat. Sie erinnern an die Leerstellen und blinden Flecken, die selbst ein so ausgreifendes, monumentales OEuvre aufweist.
Milos Vec stellt mehrfach die Frage, ob die geringe Beachtung, die Stolleis der Völkerrechtswissenschaft insbesondere im ersten und zweiten Band seines Werkes schenkt, wirklich angemessen ist, und er führt überzeugende Gründe an, warum es einer Neubewertung dieser nicht zuletzt in ihrer deutschen Spielart so ungemein vielseitigen und innovativen (Teil-)Disziplin bedarf. Pascale Cancik weist darauf hin, dass weder Kolonialrecht noch Kolonialrechtswissenschaft in der Stolleis'schen "Geschichte des öffentlichen Rechts" den Platz gefunden haben, der ihrer tatsächlichen Wirkung auf die dieser Rechtsmaterie Unterworfenen entspricht, ganz zu schweigen von den denkbaren Rückwirkungen auf das Recht des "Mutterlandes". Und auch der Staatsrechtler und Schriftsteller Bernhard Schlink - ein Freund, kein Schüler - widersteht in seinem Beitrag der Versuchung, den Hochgeehrten mit undifferenzierten Zuschreibungen und Etiketten zu bedenken: Wenn Stolleis die Geschichten von Johann Peter Hebel kommentiere, dann dringe er nicht in die Geschichte ein, "um aus deren Tiefe philosophische Einsichten zutage zu fördern" und sich in die Tradition der Law-and-Literature-Bewegung zu stellen. Er umspiele Hebels Geschichten lediglich und erfreue sich an ihrer Frische.
Kein Buch über Michael Stolleis also, vielmehr ein kluges Manifest des rechten Erinnerns, das über ihn hinausweist. Kein Buch von und für Epigonen und Rebellen, denn sie sind niemals gute Schüler. DANIEL DAMLER
"Michael Stolleis zum Gedenken".
Hrsg. von Marietta Auer, Thomas Duve,
Stefan Vogenauer.
Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2023. 90 S., br., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main