Der lange erwartete neuen Roman der Bestsellerautorin von "Fugitive Pieces" (Dt. Fluchtstücke).
Ann Michaels verknüpft historische Ereignisse, die Versetzung des Tempels von Abu Simbel 1964, mit dem Schicksal zweier Menschen: Avery und seiner Frau Jean.
Die Geschichte des Paares, das versucht den Weg zurück zueinander zu finden, auf getrennten Wegen durch die ganze Welt, auf der Suche nach einen Platz, den sie ihr zu Hause nennen können. Eine atemberaubender und berührender Roman über die Kraft der Liebe.
Ann Michaels verknüpft historische Ereignisse, die Versetzung des Tempels von Abu Simbel 1964, mit dem Schicksal zweier Menschen: Avery und seiner Frau Jean.
Die Geschichte des Paares, das versucht den Weg zurück zueinander zu finden, auf getrennten Wegen durch die ganze Welt, auf der Suche nach einen Platz, den sie ihr zu Hause nennen können. Eine atemberaubender und berührender Roman über die Kraft der Liebe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.2010Geteiltes Leid
Erbaulich ist das nicht: Ein Roman von Anne Michaels
Anne Michaels' Erstling "Fluchtstücke" von 1997 wurde von der Kritik gelobt und von einem Massenpublikum verschlungen. In "Wintergewölbe", ihrem zweiten Roman, greift die kanadische Autorin nun in jeder Hinsicht in die Vollen und bürdet jeder Figur, jeder Handlung, jedem Wortwechsel eine höhere Bedeutung auf: Am Ufer des kanadischen St. Lawrence Rivers trifft Avery, als Architekt verantwortlich für die geplante Flutung des gesamten Gebietes, auf die junge Jean, eine in sich gekehrte Schönheit, die versucht, die letzten Überbleibsel einheimischen Lebens, seltene Pflanzen und Tiere, vor der Flut zu retten. Eine Geschlechterkonstellation, die offenbar an tiefe Weisheiten aus dem Alten Testaments anknüpfen soll: Das Weib bringt Leben, der Mann die Verwüstung. Er flutet, sie pflanzt. In Liebe und Ehe vereint, gehen Mann und Weib bei Michaels wenig später nach Ägypten, wo Avery den Tempel von Abu Simbel versetzen soll, damit dieser nicht wie Hunderte nubischer Dörfer im gewaltigen Nasser-Stausee verschwindet. Jean leidet unter der Hitze und bösen Vorahnungen, wird aber trotzdem schwanger. Als sie ihr ungeborenes Kind verliert, löst sich die glückliche Symbiose des Paares auf. Erst Jahre später, nach Toronto zurückgekehrt, findet Jean Trost in der Liebe zu dem Künstler Lucjan, einem Überlebenden des Warschauer Gettos.
Der Gedanke, den Anne Michaels hier illustrieren will, dürfte Leserinnen ihrer "Fluchtstücke" bekannt vorkommen: Erinnern und Vergessen ändern sich nicht in ihrer Struktur. Ob im Warschauer Getto, während der Stauung des St. Lawrence Rivers oder der Flutung Nubiens, die Menschen leiden immer gleich. Und auch Vergessen, Verzeihen, Heilung verlaufen über die Zeiten hinweg nach gleichen Mustern. An sich ist das ein ernstzunehmendes Ergebnis intensiver Beschäftigung mit einschneidenden historischen Ereignissen. Auch der Versuch, diese Erkenntnis in eine sentimentale Romanhandlung zu überführen, ist nicht ehrenrührig. Überdies schlägt sich Michaels Recherche-Leistung in unzähligen Details zu den jeweiligen historischen Begebenheiten nieder.
Umso enttäuschender daher, dass die Autorin nicht zu bemerken scheint, wie sehr ihre Dreiecksgeschichte mit klassisch verteilten Geschlechterrollen unter der ihr aufgebürdeten Beweislast ächzt. Einer Liebesgeschichte ist es nicht zuträglich, wenn sie das Leiden ganzer Generationen oder gleich der gesamten Menschheit schultern soll. Hinzu kommt ein Pathos, das den Ruch esoterisch angehauchter Erbauungsliteratur verströmt: "Leid ist Begehren in seiner reinsten Form. Mit dem ersten Grab - dem ersten Mal, dass ein Name in die Erde gesät wurde - mit der Erfindung der Erinnerung. Kein Wort vergisst diesen Ursprung. Die Zukunft wirft ihren Schatten auf die Vergangenheit." Deutlich wird hier vor allem, wie die Vergangenheit der Autorin einen Schatten auf ihre Sprache wirft. Anne Michaels begann als Lyrikerin. In diesem Roman ist die Neigung zu poetischem Überschwang mit ihr durchgegangen.
SARAH ELSING
Anne Michaels: "Wintergewölbe". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Gerhard Falkner. Berlin Verlag, Berlin 2009. 350 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erbaulich ist das nicht: Ein Roman von Anne Michaels
Anne Michaels' Erstling "Fluchtstücke" von 1997 wurde von der Kritik gelobt und von einem Massenpublikum verschlungen. In "Wintergewölbe", ihrem zweiten Roman, greift die kanadische Autorin nun in jeder Hinsicht in die Vollen und bürdet jeder Figur, jeder Handlung, jedem Wortwechsel eine höhere Bedeutung auf: Am Ufer des kanadischen St. Lawrence Rivers trifft Avery, als Architekt verantwortlich für die geplante Flutung des gesamten Gebietes, auf die junge Jean, eine in sich gekehrte Schönheit, die versucht, die letzten Überbleibsel einheimischen Lebens, seltene Pflanzen und Tiere, vor der Flut zu retten. Eine Geschlechterkonstellation, die offenbar an tiefe Weisheiten aus dem Alten Testaments anknüpfen soll: Das Weib bringt Leben, der Mann die Verwüstung. Er flutet, sie pflanzt. In Liebe und Ehe vereint, gehen Mann und Weib bei Michaels wenig später nach Ägypten, wo Avery den Tempel von Abu Simbel versetzen soll, damit dieser nicht wie Hunderte nubischer Dörfer im gewaltigen Nasser-Stausee verschwindet. Jean leidet unter der Hitze und bösen Vorahnungen, wird aber trotzdem schwanger. Als sie ihr ungeborenes Kind verliert, löst sich die glückliche Symbiose des Paares auf. Erst Jahre später, nach Toronto zurückgekehrt, findet Jean Trost in der Liebe zu dem Künstler Lucjan, einem Überlebenden des Warschauer Gettos.
Der Gedanke, den Anne Michaels hier illustrieren will, dürfte Leserinnen ihrer "Fluchtstücke" bekannt vorkommen: Erinnern und Vergessen ändern sich nicht in ihrer Struktur. Ob im Warschauer Getto, während der Stauung des St. Lawrence Rivers oder der Flutung Nubiens, die Menschen leiden immer gleich. Und auch Vergessen, Verzeihen, Heilung verlaufen über die Zeiten hinweg nach gleichen Mustern. An sich ist das ein ernstzunehmendes Ergebnis intensiver Beschäftigung mit einschneidenden historischen Ereignissen. Auch der Versuch, diese Erkenntnis in eine sentimentale Romanhandlung zu überführen, ist nicht ehrenrührig. Überdies schlägt sich Michaels Recherche-Leistung in unzähligen Details zu den jeweiligen historischen Begebenheiten nieder.
Umso enttäuschender daher, dass die Autorin nicht zu bemerken scheint, wie sehr ihre Dreiecksgeschichte mit klassisch verteilten Geschlechterrollen unter der ihr aufgebürdeten Beweislast ächzt. Einer Liebesgeschichte ist es nicht zuträglich, wenn sie das Leiden ganzer Generationen oder gleich der gesamten Menschheit schultern soll. Hinzu kommt ein Pathos, das den Ruch esoterisch angehauchter Erbauungsliteratur verströmt: "Leid ist Begehren in seiner reinsten Form. Mit dem ersten Grab - dem ersten Mal, dass ein Name in die Erde gesät wurde - mit der Erfindung der Erinnerung. Kein Wort vergisst diesen Ursprung. Die Zukunft wirft ihren Schatten auf die Vergangenheit." Deutlich wird hier vor allem, wie die Vergangenheit der Autorin einen Schatten auf ihre Sprache wirft. Anne Michaels begann als Lyrikerin. In diesem Roman ist die Neigung zu poetischem Überschwang mit ihr durchgegangen.
SARAH ELSING
Anne Michaels: "Wintergewölbe". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Gerhard Falkner. Berlin Verlag, Berlin 2009. 350 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
'Has the same quality of crystalline exactness that reviewers of Fugitive Pieces fell over themselves to call "poetic", a miracle of layering or patterning ... A remarkable book' New Statesman