Michel Foucault (1926-1984) ist schwer zu fassen. Er sah sich weder als Philosoph noch als traditionellen Historiker, sondern als »Archäologen«, »Genealogen« oder »Ethnologen« der abendländischen Kultur, gar als »Feuerwerker«, der wie ein Geologe das Gelände inspiziert, um es anschließend zu »sprengen«. Seit posthum nicht nur die verstreuten Schriften, Interviews und Vorträge erschienen sind, sondern auch Foucaults Vorlesungen am Collège de France ediert werden, tritt das Bild vom Visionär einer posthumanen Welt der Biopolitik und der neoliberalen Machtform hervor. Foucaults Schreiben folgte nie einem systematischen Anspruch, sondern antwortete auf die Notwendigkeiten der Gegenwart. Deshalb stellt Philipp Sarasin das früh abgebrochene Werk Foucaults in seiner historischen Entwicklung dar.
Rezension:
»Ein Risiko birgt die Reihe 'zur Einführung' des Hauses Junius, und dieser Band zur Einführung ins Werk von Michel Foucault besonders, nämlich die Lektüre des Werks durch die der ausgezeichneten Einführung zu ersetzen. 'Weil alle Welt Foucault zu kennen glaubt, möchte ich dazu einladen, ihn zu lesen', schreibt der Zürcher Historiker Philipp Sarasin, der Autor des handlichen, klassisch weißen Bandes.Wer diesen außerordentlich hilfreichen Leitfaden durch ein unsystematisches, unabgeschlossenes Werk kennt, kann es mit Foucault aufnehmen.« DIE ZEIT
»Diese Einführung führt vor, wie souverän ein Überblick gelingen kann.« neue zürcher zeitung
Rezension:
»Ein Risiko birgt die Reihe 'zur Einführung' des Hauses Junius, und dieser Band zur Einführung ins Werk von Michel Foucault besonders, nämlich die Lektüre des Werks durch die der ausgezeichneten Einführung zu ersetzen. 'Weil alle Welt Foucault zu kennen glaubt, möchte ich dazu einladen, ihn zu lesen', schreibt der Zürcher Historiker Philipp Sarasin, der Autor des handlichen, klassisch weißen Bandes.Wer diesen außerordentlich hilfreichen Leitfaden durch ein unsystematisches, unabgeschlossenes Werk kennt, kann es mit Foucault aufnehmen.« DIE ZEIT
»Diese Einführung führt vor, wie souverän ein Überblick gelingen kann.« neue zürcher zeitung
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2006Jenseits von Gesetz und Wahn
Das letzte Wort hat Sigmund Freud: Philipp Sarasins bestechend originelle Einführung in das Denken Michel Foucaults
Man kennt den Foucault-Sound und die einschlägige Foucault-Physiognomie: kahlgeschorener Schädel bei asketisch-maskulinem Habitus. Beides kultivieren mittlerweile schon heterosexuelle Lehrstuhlinhaber mit Pensionsanspruch. Darunter hat namentlich die Foucault-Dissidenz gelitten. Deren antiakademische Stilisierungen haben mehr als zwanzig Jahre nach dem Tod von Michel Foucault ernstlich an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Der anarchische Furor, der in Universitäten und Opernhäusern, eigentlich in allen Institutionen, nur noch Gefängnisse erkannte, ist weitgehend verflogen. Es hat sich herumgesprochen, dass die bête noire der Humanwissenschaften einen Lehrstuhl im Pariser Olymp inne- hatte, dass der Autor von „Überwachen und Strafen” Professor am Collège de France gewesen war. Tunix ist passé, West-Berlin verschwunden und Foucaults Provokationen sind ins universitäre Curriculum eingewandert.
Von solchen Ernüchterungen zeugt auch Philipp Sarasins Einführung in das Werk des französischen Psychologen, Philosophen und Machtanalytikers. Den Foucault-Pop lässt der Band beiseite und empfiehlt sich als verständlich abgefasste, klar konzipierte Werkbiografie.
Der Historiker aus Zürich, unlängst noch mit einer schmalen, wiewohl zeitdiagnostisch aufschlussreichen Studie zum „Bioterror als Phantasma” hervorgetreten, hat sich in Foucaults Werkstatt begeben. Dort rückt er mit Detailkenntnis und Sinn fürs Ganze die hinterlassenen „Halbfertigprodukte” ins Licht. Will man Foucault nicht als Gralshüter einer surrealistischen Avantgarde lesen, sondern mit und nach ihm Geschichte treiben, ist Sarasins Buch die denkbar beste Einladung. Es historisiert Foucault, stellt seine Arbeiten in die Chronologie ihres Entstehens wie die zeitgeschichtlichen Kontexte zurück, markiert die Brüche, beleuchtet Kontinuitäten und verschweigt die Widersprüche nicht. Sarasin begründet überzeugend, dass Foucaults Schriften ein einziges großes Thema variieren: Auch wenn Foucault durch seine Abwendung von der Bewußtseinsphilosophie, der Phänomenologie und der Psychoanalyse zu einem Autor geworden ist, der mit eigener Stimme spricht, wollte er insgesamt „ein Subjekt jenseits des Gesetzes, jenseits der Macht, aber auch jenseits des Wahnsinns” denken.
Noch origineller, sicherlich auch umstrittener, dürfte der Versuch sein, den späten Foucault gewissermaßen als geläuterten Liberalen zu begreifen. Mit schlagenden Evidenzen zeigt Sarasin, dass Foucaults Vorlesungen zur Geburt der Biopolitik die liberale „Gouvernmentalität” als eine Regierungskunst eigener Art entziffern. In ihr finden sich nicht nur „die Notwendigkeiten der Steuerung komplexer Gesellschaften” anerkannt, vielmehr konturiert sich das Bild einer Macht, „die sich in der Form liberaler Staatlichkeit mit der Freiheit des Individuums eine inhärente Grenze setzt”.
Dass sich die Macht selbst begrenzt, ist ein Faktum, das nietzscheanisch gestimmten Machtkritikern nicht schmeckt. So wird es ihnen wohl auch nicht gefallen, wenn Sarasin den „Vitalismus” Foucaults als „die falsche Antwort” auf die Frage kritisiert, worauf sich politischer Widerstand am Ende berufen kann. Es sind eben nicht „die Körper und die Lüste”, wie Foucault noch in seiner Geschichte der Sexualität behauptet hatte. Tatsächlich wird er diese These zurücknehmen und den „Selbstbezug des Subjekts”, „die Sorge um sich”, als den entscheidenden Widerpart der Macht entdecken.
Dass diese Sorge unbegriffen bleibt, solange ihr Bezug zur Instanz des Gesetzes geleugnet wird, ist Sarasins Einwand gegen Foucaults Genealogie der Subjektivierungen. Ihn formuliert eine bestechende Analyse des Ödipusmythos, mit der Sarasin daran erinnert, dass es unter den sprechenden Tieren nicht nur den Krieg gegeben hat, sondern immer auch die symbolische Ordnung. Das Unbehagen an der Kultur hat, anders gesagt, mehr als bloß somatische Gründe. Es spricht für die Kühnheit von Sarasins Deutung, dass er ausgerechnet Freud das letzte Wort in seiner Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften Foucaults erteilt. Jetzt würde man zu gerne Foucaults Replik lesen.
MARTIN BAUER
PHILIPP SARASIN: Michel Foucault zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 2005. 221 Seiten, 13,90 Euro.
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Das letzte Wort hat Sigmund Freud: Philipp Sarasins bestechend originelle Einführung in das Denken Michel Foucaults
Man kennt den Foucault-Sound und die einschlägige Foucault-Physiognomie: kahlgeschorener Schädel bei asketisch-maskulinem Habitus. Beides kultivieren mittlerweile schon heterosexuelle Lehrstuhlinhaber mit Pensionsanspruch. Darunter hat namentlich die Foucault-Dissidenz gelitten. Deren antiakademische Stilisierungen haben mehr als zwanzig Jahre nach dem Tod von Michel Foucault ernstlich an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Der anarchische Furor, der in Universitäten und Opernhäusern, eigentlich in allen Institutionen, nur noch Gefängnisse erkannte, ist weitgehend verflogen. Es hat sich herumgesprochen, dass die bête noire der Humanwissenschaften einen Lehrstuhl im Pariser Olymp inne- hatte, dass der Autor von „Überwachen und Strafen” Professor am Collège de France gewesen war. Tunix ist passé, West-Berlin verschwunden und Foucaults Provokationen sind ins universitäre Curriculum eingewandert.
Von solchen Ernüchterungen zeugt auch Philipp Sarasins Einführung in das Werk des französischen Psychologen, Philosophen und Machtanalytikers. Den Foucault-Pop lässt der Band beiseite und empfiehlt sich als verständlich abgefasste, klar konzipierte Werkbiografie.
Der Historiker aus Zürich, unlängst noch mit einer schmalen, wiewohl zeitdiagnostisch aufschlussreichen Studie zum „Bioterror als Phantasma” hervorgetreten, hat sich in Foucaults Werkstatt begeben. Dort rückt er mit Detailkenntnis und Sinn fürs Ganze die hinterlassenen „Halbfertigprodukte” ins Licht. Will man Foucault nicht als Gralshüter einer surrealistischen Avantgarde lesen, sondern mit und nach ihm Geschichte treiben, ist Sarasins Buch die denkbar beste Einladung. Es historisiert Foucault, stellt seine Arbeiten in die Chronologie ihres Entstehens wie die zeitgeschichtlichen Kontexte zurück, markiert die Brüche, beleuchtet Kontinuitäten und verschweigt die Widersprüche nicht. Sarasin begründet überzeugend, dass Foucaults Schriften ein einziges großes Thema variieren: Auch wenn Foucault durch seine Abwendung von der Bewußtseinsphilosophie, der Phänomenologie und der Psychoanalyse zu einem Autor geworden ist, der mit eigener Stimme spricht, wollte er insgesamt „ein Subjekt jenseits des Gesetzes, jenseits der Macht, aber auch jenseits des Wahnsinns” denken.
Noch origineller, sicherlich auch umstrittener, dürfte der Versuch sein, den späten Foucault gewissermaßen als geläuterten Liberalen zu begreifen. Mit schlagenden Evidenzen zeigt Sarasin, dass Foucaults Vorlesungen zur Geburt der Biopolitik die liberale „Gouvernmentalität” als eine Regierungskunst eigener Art entziffern. In ihr finden sich nicht nur „die Notwendigkeiten der Steuerung komplexer Gesellschaften” anerkannt, vielmehr konturiert sich das Bild einer Macht, „die sich in der Form liberaler Staatlichkeit mit der Freiheit des Individuums eine inhärente Grenze setzt”.
Dass sich die Macht selbst begrenzt, ist ein Faktum, das nietzscheanisch gestimmten Machtkritikern nicht schmeckt. So wird es ihnen wohl auch nicht gefallen, wenn Sarasin den „Vitalismus” Foucaults als „die falsche Antwort” auf die Frage kritisiert, worauf sich politischer Widerstand am Ende berufen kann. Es sind eben nicht „die Körper und die Lüste”, wie Foucault noch in seiner Geschichte der Sexualität behauptet hatte. Tatsächlich wird er diese These zurücknehmen und den „Selbstbezug des Subjekts”, „die Sorge um sich”, als den entscheidenden Widerpart der Macht entdecken.
Dass diese Sorge unbegriffen bleibt, solange ihr Bezug zur Instanz des Gesetzes geleugnet wird, ist Sarasins Einwand gegen Foucaults Genealogie der Subjektivierungen. Ihn formuliert eine bestechende Analyse des Ödipusmythos, mit der Sarasin daran erinnert, dass es unter den sprechenden Tieren nicht nur den Krieg gegeben hat, sondern immer auch die symbolische Ordnung. Das Unbehagen an der Kultur hat, anders gesagt, mehr als bloß somatische Gründe. Es spricht für die Kühnheit von Sarasins Deutung, dass er ausgerechnet Freud das letzte Wort in seiner Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften Foucaults erteilt. Jetzt würde man zu gerne Foucaults Replik lesen.
MARTIN BAUER
PHILIPP SARASIN: Michel Foucault zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 2005. 221 Seiten, 13,90 Euro.
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