Martin Gayford, enger Freund von Lucian Freud, David Hockney und Francis Bacon, weiß aus eigener Anschauung, wie Künstler leben: wie sie arbeiten, denken, kämpfen, lieben, hassen, ihren täglichen Geschäften nachgehen. Über die Jahre hat er das Werk zahlreicher zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt kommentiert und ihre Entwicklung begleitet.Es ist deshalb besonders interessant, Gayford einmal in ein früheres Jahrhundert zu folgen. Sein neues Buch ist Michelangelo Buonarroti (1475-1564) gewidmet, dem Maler, Bildhauer, Baumeister und Dichter, der tausend Kontakte in alle Richtungen der italienischen Renaissance-Welt pflegte. Anschaulich schildert Gayford ein streckenweise haarsträubend abenteuerliches Leben, und als Leser gewinnen wir Einblick in die häufig vertrackte Entstehung seines so mächtigen OEuvres. Kunst ist Kunst, gleich ob sie aus der Gegenwart oder Vergangenheit stammt. Immer ist der Versuch interessant, verstehen zu wollen, unter welchen Bedingungensie entsteht. Der schmerzhaft zerrissene, hochtalentierte, zu schwarzer Melancholie neigende Michelangelo gehörte zu den Allergrößten seines Faches.Martin Gayford wird ihm auf ergreifende, spannende Weise gerecht. Sein neues Buch ist eine Gesamtschau, die trotz ihrer Länge von über sechshundert Seiten und der Berücksichtigung neuester Forschungsliteratur mitreißend zu lesen ist: Gayford ist ein begnadeter Erzähler. Das beweisen all seine bisherigen Bücher, von denen auf Deutsch die meisten in diesem Verlag erschienen sind.»Nur der begabteste Biograf konnte dem Talent eines Michelangelo Buonarroti gewachsen sein!« THE TIMES»Ein fesselndes Buch. Wunderbar erzählt. Souverän nutzt der Autor dabei sein profundes Wissen.« THE MAIL ON SUNDAY»Die Großartigkeit dieses Künstlers, aber auch Gayfords Geschick, uns dies vorzuführen, zeigt sich daran, dass man dieses Buch mit dem Wunsch beendet, Michelangelo hätte noch länger gelebt, noch mehr Werke hinterlassen.« FINANCIAL TIMES»Einer unsererbesten Autoren, wenn es darum geht, uns sehen zu lassen, wie moderne Maler denken und arbeiten. Aber Martin Gayford kann mehr. Er schafft es, den Dschungel generationenlanger Forschungen zum David, zur Sixtinischen Kapelle, zum Petersdom und all den anderen Meisterwerken Michelangelos zu lichten, und wir können nun nicht nur das Offensichtliche, sondern auch das bislang Unbemerkte erkennen - und sehen.« THE SUNDAY TELEGRAPH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.2019Spannend ist das Künstlerleben
Nur nicht bei den Kunstwerken hängenbleiben: Martin Gayford schreibt sich durch das Leben Michelangelos
Der britische Kunstkritiker Martin Gayford ist nicht der Erste, der Michelangelo als Thema entdeckt hat. Der Online-Katalog der römischen Bibliotheca Hertziana, eine der besten Sammlungen zum Thema, umfasst fast 1500 monographische Titel, also Bücher über Michelangelo. Rechnet man die Aufsätze hinzu, kommt man auf 4622 Einträge, Stand 20. Mai 2019. Läse man jeden Tag ein Buch oder einen Aufsatz (auch sonntags), wäre man in 12,6 Jahren fertig.
Man kann also nicht sagen, dass der (wissenschaftliche) Markt nach einem neuen Michelangelo-Buch gelechzt hätte. Erst 2010, also drei Jahre vor Gayfords englischer Originalausgabe, erschien die profunde Biographie von William Wallace, dem vielleicht besten lebenden Kenner der Materie. Auch Michael Hirsts Biografie war bereits in Teilen erschienen. Was also mag Gayford, der bisher eher im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert unterwegs war und sich als "Autor über Jazz und Kunst" bezeichnet, bewegt haben, ausgerechnet über Michelangelo zu schreiben? Vielleicht die Tatsache, dass er es kann: Ja, er kann gut schreiben, und faul ist er auch nicht. Alle verfügbaren Quellen hat er gründlich studiert, vor allem jene, die zum Aufbau eines spannungsreichen Drehbuchs beitragen.
So ist seine Michelangelo-Geschichte vor allem eins: spannend. Ein spannendes Leben, eingebettet in eine super-spannende europäische Weltgeschichte, und so erzählt, als sei der Autor dabei gewesen. Hier kommt Gayfords Begabung zum Tragen, Lebensgeschichte als persönlich erlebte Zeitgeschichte zu erzählen. Bei David Hockney oder Lucian Freud ist ihm das gelungen.
Das Problem ist, dass diese Methode bei Michelangelo nicht funktioniert. Auch wenn es so scheint: Gayford kann ihn unmöglich persönlich getroffen haben, und in seinem spannenden sechzehnten Jahrhundert ist er erkennbar nicht zu Hause. Ihm fehlen die Maßstäbe, etwa wenn er Nebensächlichkeiten ausbreitet, sich über Selbstverständlichkeiten wundert und gleichzeitig Besonderheiten übergeht. An Tatsachen findet sich wenig, was er nicht schon bei Henry Thode (gestorben 1920) hätte nachlesen können.
Die vielen Kunstwerke, die in dieser Zeit und speziell bei Michelangelo nun einmal vorkommen, scheinen den Autor beim Story Telling manchmal zu stören. Sie werden dann rasch und etwas lustlos abgearbeitet. Urteile verbleiben im Redensartlichen, etwa wenn es dem Entwurf der Fassade von San Lorenzo seiner Meinung nach "an Spannung" fehle. Gut, das Buch heißt ja auch "Sein langes, abenteuerliches Leben". Doch ohne die Kunst würde kein Hahn nach diesem Leben krähen, und wäre es noch so lang und abenteuerlich gewesen. Nun hat Gayford "seinen Michelangelo" eher für das sogenannte Publikum geschrieben - und nicht für die Wissenschaft. Vielleicht wäre Letztere gut beraten, solche Aufgaben in Zukunft selbst zu übernehmen.
GOLO MAURER
Martin Gayford: "Michelangelo". Sein langes abenteuerliches Leben.
Aus dem Englischen von Klaus Binder, Bernd Leineweber und Britta Schröder. Piet Meyer Verlag, Wien 2019. 664 S., Abb., geb., 38,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nur nicht bei den Kunstwerken hängenbleiben: Martin Gayford schreibt sich durch das Leben Michelangelos
Der britische Kunstkritiker Martin Gayford ist nicht der Erste, der Michelangelo als Thema entdeckt hat. Der Online-Katalog der römischen Bibliotheca Hertziana, eine der besten Sammlungen zum Thema, umfasst fast 1500 monographische Titel, also Bücher über Michelangelo. Rechnet man die Aufsätze hinzu, kommt man auf 4622 Einträge, Stand 20. Mai 2019. Läse man jeden Tag ein Buch oder einen Aufsatz (auch sonntags), wäre man in 12,6 Jahren fertig.
Man kann also nicht sagen, dass der (wissenschaftliche) Markt nach einem neuen Michelangelo-Buch gelechzt hätte. Erst 2010, also drei Jahre vor Gayfords englischer Originalausgabe, erschien die profunde Biographie von William Wallace, dem vielleicht besten lebenden Kenner der Materie. Auch Michael Hirsts Biografie war bereits in Teilen erschienen. Was also mag Gayford, der bisher eher im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert unterwegs war und sich als "Autor über Jazz und Kunst" bezeichnet, bewegt haben, ausgerechnet über Michelangelo zu schreiben? Vielleicht die Tatsache, dass er es kann: Ja, er kann gut schreiben, und faul ist er auch nicht. Alle verfügbaren Quellen hat er gründlich studiert, vor allem jene, die zum Aufbau eines spannungsreichen Drehbuchs beitragen.
So ist seine Michelangelo-Geschichte vor allem eins: spannend. Ein spannendes Leben, eingebettet in eine super-spannende europäische Weltgeschichte, und so erzählt, als sei der Autor dabei gewesen. Hier kommt Gayfords Begabung zum Tragen, Lebensgeschichte als persönlich erlebte Zeitgeschichte zu erzählen. Bei David Hockney oder Lucian Freud ist ihm das gelungen.
Das Problem ist, dass diese Methode bei Michelangelo nicht funktioniert. Auch wenn es so scheint: Gayford kann ihn unmöglich persönlich getroffen haben, und in seinem spannenden sechzehnten Jahrhundert ist er erkennbar nicht zu Hause. Ihm fehlen die Maßstäbe, etwa wenn er Nebensächlichkeiten ausbreitet, sich über Selbstverständlichkeiten wundert und gleichzeitig Besonderheiten übergeht. An Tatsachen findet sich wenig, was er nicht schon bei Henry Thode (gestorben 1920) hätte nachlesen können.
Die vielen Kunstwerke, die in dieser Zeit und speziell bei Michelangelo nun einmal vorkommen, scheinen den Autor beim Story Telling manchmal zu stören. Sie werden dann rasch und etwas lustlos abgearbeitet. Urteile verbleiben im Redensartlichen, etwa wenn es dem Entwurf der Fassade von San Lorenzo seiner Meinung nach "an Spannung" fehle. Gut, das Buch heißt ja auch "Sein langes, abenteuerliches Leben". Doch ohne die Kunst würde kein Hahn nach diesem Leben krähen, und wäre es noch so lang und abenteuerlich gewesen. Nun hat Gayford "seinen Michelangelo" eher für das sogenannte Publikum geschrieben - und nicht für die Wissenschaft. Vielleicht wäre Letztere gut beraten, solche Aufgaben in Zukunft selbst zu übernehmen.
GOLO MAURER
Martin Gayford: "Michelangelo". Sein langes abenteuerliches Leben.
Aus dem Englischen von Klaus Binder, Bernd Leineweber und Britta Schröder. Piet Meyer Verlag, Wien 2019. 664 S., Abb., geb., 38,- [Euro].
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