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Fast jeder kennt dieses Gefühl in der Mitte des Lebens, diese »verwirrende Mischung aus Nostalgie, Bedauern, Klaustrophobie, Leere und Angst.« Die quälende Frage, selbst auf dem Höhepunkt einer Karriere: Habe ich das Beste versäumt?
Der Begriff der Midlife-Crisis entstand um die Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Was zunächst als eine Erfindung amerikanischer Psychoanalytiker galt, hat sich als eine existentielle Herausforderung erwiesen, mit der man rechnen muss. In diesem autobiographischen Sachbuch geht der am MIT in Massachusetts lehrende Moralphilosoph Kieran Setiya dem…mehr

Produktbeschreibung
Fast jeder kennt dieses Gefühl in der Mitte des Lebens, diese »verwirrende Mischung aus Nostalgie, Bedauern, Klaustrophobie, Leere und Angst.« Die quälende Frage, selbst auf dem Höhepunkt einer Karriere: Habe ich das Beste versäumt?

Der Begriff der Midlife-Crisis entstand um die Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Was zunächst als eine Erfindung amerikanischer Psychoanalytiker galt, hat sich als eine existentielle Herausforderung erwiesen, mit der man rechnen muss. In diesem autobiographischen Sachbuch geht der am MIT in Massachusetts lehrende Moralphilosoph Kieran Setiya dem Phänomen der Midlife-Crisis auf den Grund. Mit Philosophen wie Aristoteles, Epikur und Schopenhauer und Autoren wie Virginia Woolf und Richard Ford analysiert er die Symptome und den Umgang mit der Midlife Crisis. Er gibt praktische Tipps, wie der Sinnsuche in der Mitte des Lebens zu begegnen ist. Eine unangestrengt und witzig geschriebene Gebrauchsanweisung, ein Wissensbuch ebenso wie eine Lebenslehre für alle, ob mit oder ohne Midlife Crisis.
Autorenporträt
Kieran Setiya, geboren 1976, ist Philosophieprofessor am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er ist verheiratet, hat einen Sohn und ist Autor philosophischer Bücher (u. a. Practical Knowledge, Reasons without Rationalism, Knowing Right from Wrong). Trotz privaten Glücks und akademischer Karriere geriet er mit 35 Jahren in eine Midlife-Crisis. Der Krise begegnete er mit Philosophie und Literatur und schrieb über seine Erfahrungen ein Buch.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.2019

Der Weg muss dann halt das Ziel sein
Alles ganz auf Achtsamkeit: Der Philosoph Kieran Setiya rückt als Selfmade-Therapeut der Midlife Crisis zu Leibe

"Wenn man schwitzt in die Händ', auch wenn's gar nicht so heiß is / Wenn das kein Beweis is für die Midlife Crisis / Ich hab's goar net bemerkt, aber danke, jetzt weiß ich's". Sie mögen noch so unken, die Rainhard Fendrichs unserer mittig durchhängenden Welt: Es gibt diesen Moment, in dem wir in den Spiegel blicken - und Balu der Bär blickt zurück. Aber nicht nur die Figur erschlafft. Wir müssen erkennen, dass uns nicht mehr alle Karrieren oder Familienträume offenstehen, dass maximal noch einmal so viele Jahre zu erwarten sind, wie wir schon verjuxt haben. Eine große empirische Studie hat vor elf Jahren herausgefunden, dass die Lebenszufriedenheit von Frauen wie Männern in allen Teilen der Welt die Form einer U-Kurve hat. Im Schnitt erreicht sie im Alter von sechsundvierzig Jahren ihren Tiefpunkt.

Was man da nun gar nicht gebrauchen kann, ist, in der Straßenbahn mit einem Buch gesehen zu werden, auf dessen Titel in gewaltigen Lettern die Worte "Midlife Crisis" prangen. Wer zum Original greift, entkommt immerhin der Krise: "Midlife" ist der englische Titel dieser "Gebrauchsanweisung" zur Selbsttherapie des am Massachusetts Institute of Technology (MIT) lehrenden Philosophieprofessors Kieran Setiya.

Dass die Midlife Crisis mehr ist als eine Medienlegende, gilt Setiya aber schon aus dem erkenntnistheoretisch eher schlichten Grund als ausgemacht, dass er selbst eine solche durchlebte. Wie er sich mit Hilfe seiner Disziplin am eigenen Schopfe aus dem Morast zog, dünkt ihn derart vorbildlich, dass er seinen Denkweg zum heilsamen Nach-Denken niederschrieb. Damit, vermutet der Autor unbescheiden, "könnte dieses Buch Ihr Leben ändern". Dass es indes zunächst einmal auf eine Veränderung im philosophischen Selbstverständnis verweist, sei nur angedeutet: Praktische oder Moralphilosophie war immer ein wichtiger Teilbereich der geisteswissenschaftlichen Königsdisziplin, aber da ging es um begriffliche, nicht um Lebenshilfe. Setiya hingegen zielt wie viele seiner heute etwa auf Philosophiefestivals herumgereichten Kollegen auf unmittelbare Anwendung und fachsprachenfreie Massenkompatibilität: "Versuchen Sie mal, Kant oder Aristoteles zu lesen."

Leider tut der Autor dann nicht viel mehr, als bekannte philosophische Theoreme mit belletristischen Beispielen zu illustrieren und küchenpsychologisch abzuschmecken. Wer also Wissenschaftlicheres erhofft als eine Kalenderweisheit, auf die das Buch tatsächlich zuläuft: "Ich muss den Sinn nicht im Ergebnis meiner Arbeit suchen, sondern in der Arbeit selbst", der ist hier falsch. Interessanter als dieses unter der Modevokabel "Achtsamkeit" vermarktete Ergebnis sind jedoch einige der Digressionen auf dem Weg.

Los geht es etwa mit John Stuart Mill, dem Utilitaristen, Nationalökonomen und Sozialreformer, der seine eigene - wie es sich für Genies gehört: sehr frühe - Lebenskrise dadurch überwand, dass er nicht zweckgerichtete Tätigkeiten wie das Lesen von Gedichten entdeckte. Statt Dauerverbesserung der Gesellschaft also Kontemplation. Lernen lasse sich daraus, so der Autor, dass die Aufnahme von "Tätigkeiten von existentiellem Wert" der Krisenprävention dient.

Die nächsten, schwächeren Kapitel widmen sich dem Gefühl, etwas verpasst zu haben. Einigermaßen umständlich gelangt der Autor über Jeremy Benthams naive Idee, alle Lust sei kommensurabel und damit aufrechenbar, zu den Ratschlägen, unvermeidliche Verluste (wir können nicht alles haben) als Preis für ein Leben in einer Fülle erstrebenswerter Dinge zu akzeptieren und bereits getroffene Entscheidungen als Identitätsgewinn zu verbuchen. Wer glaubt, eine falsche Abzweigung genommen (etwa: auf Kinder verzichtet) zu haben, dem stehen mehrere Argumentationen zur Verfügung, nicht in Panik zu geraten. So soll man sich sagen, dass das ungelebte Leben nicht so ideal hätte verlaufen müssen, wie es rückblickend scheint, oder dass das gewählte Leben wegen positiver Nebeneffekte doch zu bejahen ist.

Das anregendste Kapitel befasst sich mit dem Verzweifeln an der Endlichkeit. Setiya versammelt hier die Trostversuche der Philosophie aus zweieinhalb Jahrtausenden, behauptet aber, dass die meisten von ihnen eher Sophistereien seien. Das gelte sowohl für Epikurs fröhliche Abwendung (Wo wir sind, ist der Tod nicht, und umgekehrt) als auch für Lukrez' Symmetrieargument (die Zeit nach unserem Tod sollte uns so wenig belasten wie die vor unserer Geburt). Schon mehr lasse sich anfangen mit dem Versuch etwa Martha Nussbaums, sich die Unsterblichkeit als Last vorzustellen, doch auch dies könne uns nicht ganz davor bewahren, uns an das Leben, diesen Wert an sich, zu klammern. Es sei allenfalls möglich, "sich das Beste für jemanden zu wünschen und ihn trotzdem loszulassen".

Von hier ist es nur ein kleiner Schritt bis zum großen Finale. Wie in jeder zweiten Philosophie-für-Manager-Broschüre tritt darin Schopenhauer auf. Obwohl der Autor seinem Gewährsmann einmal mehr nicht ganz folgen will, glaubt er ebenfalls, dass abschließbare ("telische") Zielsetzungen bei ihrer Erfüllung eine Leere hinterlassen, die sich nur vorübergehend mit neuen telischen Zielen (Affäre, Sportwagen) füllen lässt. Die Lösung jenseits von Schopenhauers Pessimismus ist selbstverständlich die Hochschätzung des Atelischen (Philosophieren, Spazieren). So weit wie der Buddhismus, der das Nicht-Selbst zu erkennen lehrt (wenn das Ich gar nicht eigenständig existiert, ist der Tod kein Ende), müsse man zwar nicht gehen, aber Meditation helfe durchaus dabei, "durch das Üben von Achtsamkeit Ihren Geist zu fokussieren", also unter Beachtung der vielen kleinen guten Dinge "im Hier und Jetzt zu leben und sich von der Tyrannei des Leistungsdenkens zu befreien".

Dass das nach weichgespülter Silicon-Valley-Spiritualität à la Eckhart Tolle oder Jon Kabat-Zinn klingt, bemerkt Setiya sogar selbst, ohne dabei aber schwitzige Hände zu bekommen. Kurz und gut: Wer sich statt Brettspiel und Spazierstock in der Lebensmitte nun immer noch lieber einen Sportwagen plus Affäre zulegt, dem ist MIT-philosophisch nicht mehr zu helfen. Hatten wir noch gar nicht bemerkt, aber danke, jetzt wissen wir's.

OLIVER JUNGEN

Kieran Setiya:

"Midlife Crisis". Eine philosophische Gebrauchsanweisung.

Aus dem Englischen von Volker Oldenburg. Insel Verlag, Berlin 2019. 211 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Midlife Crisis ist ein kluges, lustiges Buch des US-Philosophieprofessors Kieran Setiya.« SZ-Magazin 20190802