Die 'Flüchtlingskrise' ist nicht die erste 'Krise' in Sachen Migration, Flucht und Integration in Deutschland und Europa. Klaus J. Bade, Begründer der modernen Historischen Migrationsforschung in Deutschland und streitbarer Vertreter der Kritischen Politikbegleitung, blickt zurück. Der Grenzgänger zwischen Migrationsforschung und Migrationspolitik präsentiert eine autobiografische Sicht auf sein kritisches Engagement und eine Auswahl seiner Medientexte und öffentlichen Vorträge - von der 'Gastarbeiterfrage' damals bis zu 'Flüchtlingskrise' und Terrorangst heute. Das Buch bietet Erinnerungen, Bestandsaufnahmen, Kritik und Denkanstöße: Wo stehen wir heute in Sachen Migration - Flucht - Integration? Worauf müssen wir uns für die Zukunft einrichten? Woran können wir uns orientieren?
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.09.2017Im Hamsterrad
der Migrationsgeschichte
Klaus J. Bade zieht Bilanz – sein Buch ist seine Waffe
Vor zwanzig Jahren, am Rande einer Tagung über Integration, kam es zu einem Disput zwischen dem Migrationsforscher Klaus Bade und einem älteren Herrn. Der ältere Herr war ein ehemals leitender Beamter aus dem Bundesministerium des Inneren, der sich mit den Worten vorstellte: „Ich habe Anfang der Achtzigerjahre alles verhindert, was Sie damals gefordert haben.“ Er meinte die Forderung Bades an die Politik, endlich zu begreifen, dass Deutschland auf dem Weg zum Einwanderungsland sei und deshalb Konzepte für eine Einwanderungs- und Integrationspolitik entwickelt werden müssten.
Der ältere Herr stellte – so erinnert sich Bade – mit anhaltender Genugtuung fest, dass er da ganz anderer Ansicht gewesen sei und man deshalb im Ministerium auch keine Konzepte entwickelt habe, um den Irrweg nicht auch noch zu pflastern. Bade erwiderte darauf, dass dieser ja mit seiner Verhinderungspolitik sehr erfolgreich gewesen sei. Der Ex-Beamte nahm das vergiftete Lob wohlwollend zur Kenntnis. Als Bade ihn nun fragte, wer denn nun, rückblickend betrachtet, mit seinen Einschätzungen wirklich recht gehabt habe, das Ministerium oder die Migrationsforschung, reagierte der Ex-Beamte einlenkend und entrüstet zugleich: „Sie, Herr Bade, hatten wohl recht – aber das konnten Sie doch damals gar nicht wissen!“
Klaus Bade selbst weiß nicht so recht, ob er über diese Szene lachen oder weinen soll. „Deutschland ist kein Einwanderungsland“: Er hat ja gegen diese Lebenslüge der deutschen Politik angeschrieben wie kaum ein anderer damals. Damals – das war die Zeit, die er als „verlorenes Jahrzehnt“ bezeichnet, es war die Zeit, in der die Regierungspolitik von Helmut Kohl und das Bundesinnenministerium meinten, es sei die Einwanderung nicht existent, wenn man sie einfach nicht zur Kenntnis nehme. Damals, unter der Ägide des Bundesinnenministers Friedrich Zimmermann (CSU), schrieb wohl der ältere Herr an einem Gesetzentwurf mit, der davon ausging, dass deutsche Interessen nur gegen Einwanderer durchgesetzt werden können. Deutschland war ein Einwanderungsland ohne Einwanderungspolitik, aber mit viel aggressiver Gehässigkeit – die bis heute immer wieder hochkocht. Der genannte Gesetzentwurf vom 1. Februar 1988 formulierte Sätze, mit denen man heute das Programm einer Rechtsaußen-Partei schreiben könnte. „Die Zuwanderung von Ausländern“, hieß es da, sei der „Verzicht auf die Homogenität der Gesellschaft … die gemeinsame deutsche Geschichte, Tradition, Sprache und Kultur verlören ihre einigende und prägende Kraft.“
Nur langsam löste sich die Politik von so nationalstaatlichen Tönen – so langsam, dass Klaus Bade noch in den Nullerjahren seine Vorträge mit der spitzen Bemerkung beginnen konnte, dass er einen ruhigen Job habe – es ändere sich nämlich seit Jahrzehnten nichts, er könne immer die gleichen Vorträge halten. Aber nach solchem sarkastischen Aperitif lieferte er natürlich doch seine Ideen, seine Vorschläge, seine Konzepte für eine gute Aufnahme-und Integrationspolitik, um nicht irgendwann später konstatieren zu müssen: „Bei uns kommt alles in Sachen Migrations- und Integrationspolitik 25 Jahre zu spät“ – so, wie er es im Jahr 2005 konstatieren musste, in dem Jahr also, in dem das erste Zuwanderungs- und Integrationsgesetz in Kraft trat, das nicht ausdrücklich „Einwanderungsgesetz“ heißen durfte. Manchmal muss man gar feststellen, dass Deutschland nicht 25 Jahre, sondern 50 Jahre zu spät dran ist – die Anwerbung der Gastarbeiter begann ja schon 1955, die Integrationskurse begannen erstmals 2005. Aydan Özoğuz, Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, macht diese Bemerkung in einer Fußnote ihres Geleitworts zum Werk von Klaus Bade.
Dieses Werk ist jetzt in umfassender Form erschienen – furios, fulminant und facetten- und umfangreich. Klaus Bade hat seine Beiträge, seine Vorstöße, seine Interventionen, auch seine Hamsterrädereien, zusammengetragen und zusammengestellt – es ergibt sich auf gut sechshundert Seiten ein packendes Kompendium deutscher Politik von der „Gastarbeiterfrage“ bis zur „Flüchtlingskrise“, wie er im Untertitel seines Buches schreibt. Sein Buch birgt die Fülle der migrationspolitischen Erkenntnis. Es ist ein Standardwerk, ein Nachschlagewerk, es ist ein Erinnerungsbad und eine Inspirationsquelle für jeden, der sich mit Migration, Flucht und Integration beschäftigt.
Man sitzt mit Respekt vor dem Lebenswerk eines Mannes, der – so oft als Einzel-und Vorkämpfer – dazu beigetragen hat, dass sich in Deutschland ein öffentliches Bewusstsein für die Notwendigkeit von Integration entwickelt hat. Entwickelt hat sich aber auch eine neue Giftigkeit, die in Teilen der AfD zu Hause ist. „Es ist kein gutes Gefühl“, so hat Bade vor ein paar Jahren gestanden, „sich im Zielfernrohr gewaltbereiter Agitatoren zu bewegen und bei öffentlichen Auftritten polizeilichen Saalschutz oder gelegentlich sogar Personenschutz aufgedrückt zu bekommen.“ Die Schmähungen haben auch einen so aufrechten und selbstsicheren Mann wie Bade getroffen. Er hat einiges an Anfeindungen, Attacken und Bedrohungen durchstehen müssen.
Sein Buch ist seine Waffe. Er kämpft damit nicht nur die Kämpfe der Vergangenheit. Bade attackiert die Verträge, die neuerdings von Deutschland und Europa mit brutalen Diktaturen in Afrika geschlossen werden. Es handele sich dabei, schreibt Bade, um die dunkle Kehrseite von Merkels „Wir schaffen das“-Medaille. Auf dieser Kehrseite steht: Wir schaffen es, die Flüchtlinge fernzuhalten – mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche.
„Der Menschenhändler Gaddafi lässt grüßen“, klagt Bade angesichts dessen; und er fährt fort: „Wir treten mit den europäisch-afrikanischen Migrationspartnerschaften scheinbar ein Stück weit sein schändliches Erbe an.“ Klaus Bade ist jetzt 73. Altersmilde wird er nicht.
HERIBERT PRANTL
Das Werk ist furios,
fulminant und facetten-
und umfangreich
Klaus J. Bade:
Migration – Flucht – Integration. Kritische Politikbegleitung von der „Gastarbeiterfrage“ bis zur „Flüchtlingskrise“. Erinnerungen und Beiträge, von Loeper Literaturverlag Karlsruhe 2017, 624 Seiten, 32 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
der Migrationsgeschichte
Klaus J. Bade zieht Bilanz – sein Buch ist seine Waffe
Vor zwanzig Jahren, am Rande einer Tagung über Integration, kam es zu einem Disput zwischen dem Migrationsforscher Klaus Bade und einem älteren Herrn. Der ältere Herr war ein ehemals leitender Beamter aus dem Bundesministerium des Inneren, der sich mit den Worten vorstellte: „Ich habe Anfang der Achtzigerjahre alles verhindert, was Sie damals gefordert haben.“ Er meinte die Forderung Bades an die Politik, endlich zu begreifen, dass Deutschland auf dem Weg zum Einwanderungsland sei und deshalb Konzepte für eine Einwanderungs- und Integrationspolitik entwickelt werden müssten.
Der ältere Herr stellte – so erinnert sich Bade – mit anhaltender Genugtuung fest, dass er da ganz anderer Ansicht gewesen sei und man deshalb im Ministerium auch keine Konzepte entwickelt habe, um den Irrweg nicht auch noch zu pflastern. Bade erwiderte darauf, dass dieser ja mit seiner Verhinderungspolitik sehr erfolgreich gewesen sei. Der Ex-Beamte nahm das vergiftete Lob wohlwollend zur Kenntnis. Als Bade ihn nun fragte, wer denn nun, rückblickend betrachtet, mit seinen Einschätzungen wirklich recht gehabt habe, das Ministerium oder die Migrationsforschung, reagierte der Ex-Beamte einlenkend und entrüstet zugleich: „Sie, Herr Bade, hatten wohl recht – aber das konnten Sie doch damals gar nicht wissen!“
Klaus Bade selbst weiß nicht so recht, ob er über diese Szene lachen oder weinen soll. „Deutschland ist kein Einwanderungsland“: Er hat ja gegen diese Lebenslüge der deutschen Politik angeschrieben wie kaum ein anderer damals. Damals – das war die Zeit, die er als „verlorenes Jahrzehnt“ bezeichnet, es war die Zeit, in der die Regierungspolitik von Helmut Kohl und das Bundesinnenministerium meinten, es sei die Einwanderung nicht existent, wenn man sie einfach nicht zur Kenntnis nehme. Damals, unter der Ägide des Bundesinnenministers Friedrich Zimmermann (CSU), schrieb wohl der ältere Herr an einem Gesetzentwurf mit, der davon ausging, dass deutsche Interessen nur gegen Einwanderer durchgesetzt werden können. Deutschland war ein Einwanderungsland ohne Einwanderungspolitik, aber mit viel aggressiver Gehässigkeit – die bis heute immer wieder hochkocht. Der genannte Gesetzentwurf vom 1. Februar 1988 formulierte Sätze, mit denen man heute das Programm einer Rechtsaußen-Partei schreiben könnte. „Die Zuwanderung von Ausländern“, hieß es da, sei der „Verzicht auf die Homogenität der Gesellschaft … die gemeinsame deutsche Geschichte, Tradition, Sprache und Kultur verlören ihre einigende und prägende Kraft.“
Nur langsam löste sich die Politik von so nationalstaatlichen Tönen – so langsam, dass Klaus Bade noch in den Nullerjahren seine Vorträge mit der spitzen Bemerkung beginnen konnte, dass er einen ruhigen Job habe – es ändere sich nämlich seit Jahrzehnten nichts, er könne immer die gleichen Vorträge halten. Aber nach solchem sarkastischen Aperitif lieferte er natürlich doch seine Ideen, seine Vorschläge, seine Konzepte für eine gute Aufnahme-und Integrationspolitik, um nicht irgendwann später konstatieren zu müssen: „Bei uns kommt alles in Sachen Migrations- und Integrationspolitik 25 Jahre zu spät“ – so, wie er es im Jahr 2005 konstatieren musste, in dem Jahr also, in dem das erste Zuwanderungs- und Integrationsgesetz in Kraft trat, das nicht ausdrücklich „Einwanderungsgesetz“ heißen durfte. Manchmal muss man gar feststellen, dass Deutschland nicht 25 Jahre, sondern 50 Jahre zu spät dran ist – die Anwerbung der Gastarbeiter begann ja schon 1955, die Integrationskurse begannen erstmals 2005. Aydan Özoğuz, Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, macht diese Bemerkung in einer Fußnote ihres Geleitworts zum Werk von Klaus Bade.
Dieses Werk ist jetzt in umfassender Form erschienen – furios, fulminant und facetten- und umfangreich. Klaus Bade hat seine Beiträge, seine Vorstöße, seine Interventionen, auch seine Hamsterrädereien, zusammengetragen und zusammengestellt – es ergibt sich auf gut sechshundert Seiten ein packendes Kompendium deutscher Politik von der „Gastarbeiterfrage“ bis zur „Flüchtlingskrise“, wie er im Untertitel seines Buches schreibt. Sein Buch birgt die Fülle der migrationspolitischen Erkenntnis. Es ist ein Standardwerk, ein Nachschlagewerk, es ist ein Erinnerungsbad und eine Inspirationsquelle für jeden, der sich mit Migration, Flucht und Integration beschäftigt.
Man sitzt mit Respekt vor dem Lebenswerk eines Mannes, der – so oft als Einzel-und Vorkämpfer – dazu beigetragen hat, dass sich in Deutschland ein öffentliches Bewusstsein für die Notwendigkeit von Integration entwickelt hat. Entwickelt hat sich aber auch eine neue Giftigkeit, die in Teilen der AfD zu Hause ist. „Es ist kein gutes Gefühl“, so hat Bade vor ein paar Jahren gestanden, „sich im Zielfernrohr gewaltbereiter Agitatoren zu bewegen und bei öffentlichen Auftritten polizeilichen Saalschutz oder gelegentlich sogar Personenschutz aufgedrückt zu bekommen.“ Die Schmähungen haben auch einen so aufrechten und selbstsicheren Mann wie Bade getroffen. Er hat einiges an Anfeindungen, Attacken und Bedrohungen durchstehen müssen.
Sein Buch ist seine Waffe. Er kämpft damit nicht nur die Kämpfe der Vergangenheit. Bade attackiert die Verträge, die neuerdings von Deutschland und Europa mit brutalen Diktaturen in Afrika geschlossen werden. Es handele sich dabei, schreibt Bade, um die dunkle Kehrseite von Merkels „Wir schaffen das“-Medaille. Auf dieser Kehrseite steht: Wir schaffen es, die Flüchtlinge fernzuhalten – mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche.
„Der Menschenhändler Gaddafi lässt grüßen“, klagt Bade angesichts dessen; und er fährt fort: „Wir treten mit den europäisch-afrikanischen Migrationspartnerschaften scheinbar ein Stück weit sein schändliches Erbe an.“ Klaus Bade ist jetzt 73. Altersmilde wird er nicht.
HERIBERT PRANTL
Das Werk ist furios,
fulminant und facetten-
und umfangreich
Klaus J. Bade:
Migration – Flucht – Integration. Kritische Politikbegleitung von der „Gastarbeiterfrage“ bis zur „Flüchtlingskrise“. Erinnerungen und Beiträge, von Loeper Literaturverlag Karlsruhe 2017, 624 Seiten, 32 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de