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Miguel de Cervantes zählt neben Homer, Dante, Shakespeare und Goethe zu den fünf Großen der europäischen Literatur. Mit seinem Don Quijote hat er den modernen Roman erfunden und eine der herrlichsten Figuren der Weltliteratur geschaffen. Uwe Neumahrs neue Biografie blättert den Kosmos von Cervantes' Werk auf und erzählt das abenteuerliche Leben des Dichters, das selbst einem Roman gleicht. Mit 22 Jahren musste Cervantes (1547-1616) nach einem Duell aus Spanien fliehen. In der Seeschlacht von Lepanto zeichnete er sich durch Tapferkeit aus, doch seine linke Hand wurde zerschmettert. Er geriet in…mehr

Produktbeschreibung
Miguel de Cervantes zählt neben Homer, Dante, Shakespeare und Goethe zu den fünf Großen der europäischen Literatur. Mit seinem Don Quijote hat er den modernen Roman erfunden und eine der herrlichsten Figuren der Weltliteratur geschaffen. Uwe Neumahrs neue Biografie blättert den Kosmos von Cervantes' Werk auf und erzählt das abenteuerliche Leben des Dichters, das selbst einem Roman gleicht.
Mit 22 Jahren musste Cervantes (1547-1616) nach einem Duell aus Spanien fliehen. In der Seeschlacht von Lepanto zeichnete er sich durch Tapferkeit aus, doch seine linke Hand wurde zerschmettert. Er geriet in die Fänge von algerischen Piraten, versuchte viermal zu fliehen und wurde erst nach fünf Jahren Gefangenschaft losgekauft. Zurück in Spanien war er als Nachrichtenagent für König Philipp II. tätig, wurde des Mordes bezichtigt, kam erneut ins Gefängnis und wurde zweimal von der Kirche exkommuniziert. Den Don Quijote begann er im Gefängnis von Sevilla. Neben seinem weltberühmten Roman hat er mit seinen Novellen dieser Gattung zu ihrem Platz in der hohen Literatur verholfen. Uwe Neumahrs exzellente Biografie erschließt Leben und Werk von Cervantes in ihren historischen und literarischen Kontexten. Zugleich zeigt sie, wie Cervantes' Werke durch ihre überzeitlichen Themen bis heute lebendig sind.
Autorenporträt
Uwe Neumahr ist promovierter Romanist und Germanist und hat vor allem zur Kulturgeschichte der spanischen und italienischen Renaissance geforscht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2015

Gewalt ist die Schule der Wirklichkeit

Staunen, Rührung, Wahn: Uwe Neumahr erzählt so anschaulich das Leben von Miguel de Cervantes, dass der Abenteurergeist durch die Epochen weht.

Von Paul Ingendaay

Hier will einer etwas beweisen, denkt man, wenn Uwe Neumahr seine Cervantes-Biographie mit den Auslassungen und mutmaßlich blinden Flecken der Cervantes-Forschung einsetzen lässt. Und so erzählt er uns gleich von Cervantes' Großvater Juan, über den endlich die ganze Wahrheit ans Licht solle, nämlich zu seiner Tätigkeit als Anwalt und Finanzbeamter der Inquisition. "Dass er selbst oft skrupellos war", schreibt Neumahr, "beweist sein aktenkundiges Fehlverhalten in zahlreichen Fällen. Juan de Cervantes' Sündenregister in späteren Jahren reicht von Amtsmissbrauch, Unterschlagung, illegalen Festnahmen bis hin zu Folterungen. Zwar ist durchaus möglich, dass manche Anschuldigungen keine reale Grundlage hatten, da die Gerichtsbarkeit auf lokaler Ebene oft korrupt war und Diffamierungen täglich vorkamen. Doch die schiere Quantität der Vorwürfe lässt vermuten, dass sich Juan de Cervantes in seinen verschiedenen Ämtern tatsächlich fragwürdig verhielt."

Was einem zunächst wie die fällige Korrektur allzu frommer spanischer Biographien vorkommen mag, wird unversehens zum Exempel der Haltung des Biographen: der Wahrheit über den Schöpfer des "Don Quijote" so nahe wie möglich zu kommen, ohne die Unzuverlässigkeit der Überlieferung aus den Augen zu verlieren. Daher wird der Autor vorsichtiger, je mehr Material er vor dem Leser aufblättert. Der Großvater des Schriftstellers mag gefoltert oder Folterungen angeordnet haben - mehr als "fragwürdig" will Neumahr sein Verhalten nicht nennen, weil er es nicht genauer weiß und nicht mit moralischer Empörung beeindrucken will. Die Episode ist schnell abgearbeitet, und Juan de Cervantes taucht im Lauf des Buches nie wieder auf. Aber einem Biographen, der so formuliert, darf man trauen.

Miguel de Cervantes Saavedra, geboren 1547 in Alcalá de Henares, gestorben 1616 in Madrid, war ein "spanischer Soldat, Romanschriftsteller, Dichter und Bühnenautor", wie die spanische Wikipedia so charmant formuliert, und seine Karriere könnte man tatsächlich das "wilde Leben" nennen, das der Untertitel der Biographie verspricht. Ein großer Teil seiner Existenz war improvisiert, voller Missgeschicke und Verzweiflungstaten, und über die meisten Lebensjahre hinweg ist kaum erkennbar, dass man es mit einem genialen Schriftsteller zu tun hat. Dazu gehören natürlich auch seine Zeit als Soldat des Königreichs Spanien und seine Teilnahme an der Seeschlacht von Lepanto, bei der eine türkische Kugel dem Vierundzwanzigjährigen die linke Hand zerschmetterte; und erst recht seine langjährige Haft bei Berberkorsaren in Algier und die vier vereitelten Fluchtversuche, die weniger zähe Männer gebrochen hätten.

Man weiß nicht, wo und in welcher Funktion Cervantes bei der Schlacht bei Lepanto im Golf von Patras gekämpft hat; das Ganze war ein Gemetzel apokalyptischen Ausmaßes, das insgesamt mehr als 40 000 Tote hinterließ. Aber dass er tapfer, ehrenhaft und verantwortungsbewusst war, daran lassen die Quellen keinen Zweifel. Auch in der späteren Haftzeit, die er in Schauspielen wie "Sklave in Algier" verarbeitete, muss er sich durchweg nobel verhalten haben. Schwieriger wird es, die Ehe zu seiner Frau Catalina einzuschätzen, weil über das Zusammenleben der beiden kaum Dokumente vorliegen. Sicher ist, dass sie nicht allzu viel Zeit miteinander verbrachten. Uwe Neumahr erzählt das nicht herunter, sondern malt das Bild einer Epoche, streift Alltags- und Militärgeschichte, Urbanistik, Soziologie. Angetippt werden auch die neuesten Trends der Cervantes-Biographik: War der Mann ein Stotterer? War er möglicherweise schwul?

Unbestritten ist: Cervantes' Mutter hat sich ins Zeug gelegt und vor den Behörden eifrig gelogen, um ihren Sohn mit Geld aus der nordafrikanischen Haft freizukaufen. Seine Schwestern - mit Ausnahme von einer - angelten sich derweil vielversprechende Liebhaber, von welchen sie dann mit unschöner Regelmäßigkeit sitzengelassen wurden, zu schweigen von ausbleibenden Geldzahlungen, die im sechzehnten Jahrhundert zur schmerzlosen Abwicklung vorehelicher Liebesaffären zwischen unterschiedlichen sozialen Klassen gehörten. Geld fehlte bei der Familie Cervantes also immer. Auch die späteren Hoffnungen des Schriftstellers auf reiche Gönner, die er in seinen Widmungstexten hochleben ließ, erfüllten sich nicht. Lope der Vega mit seinen unzähligen Dramen beherrschte die Theaterbühne - Cervantes dagegen war ein kleines Licht und für Buchhändler keine lukrative Investition.

Es gibt keine verlässlichen Bildporträts von Cervantes, so wenig wie von Shakespeare, kaum verwunderlich in einer Epoche, in der die Unberühmten kaum Spuren hinterließen. Dafür haben wir einige Schilderungen aus seiner Feder, die viel über ihn sagen. "Der Mann, den ihr hier seht", schreibt er etwa in der berühmten Vorrede zu den "Exemplarischen Novellen", "mit dem langen, schmalen Gesicht, dem kastanienbraunen Haar, der glatten, hohen Stirn, den munteren Augen und der wenn auch krummen, so doch wohlproportionierten Nase, den silberweißen Barthaaren, die vor kaum zwanzig Jahren noch golden waren, dem Knebelbart, dem kleinen Mund, den nicht zu großen und nicht zu kleinen Zähnen - er hat deren nur noch sechs in argem Zustand und noch schlechterer Anordnung, stehen sie doch zueinander in keinerlei Beziehung -, dieser Mann mittleren Wuchses, weder zu groß noch zu klein, mit einer frischen, eher hellen als dunklen Hautfarbe, mit dem leicht gekrümmten Rücken und nicht sonderlich gut zu Fuß: Dies also, sage ich, sind die körperlichen Merkmale des Verfassers der Galatea und des Don Quijote de la Mancha . . . Er war viele Jahre Soldat und fünfeinhalb Jahre Häftling, wodurch er lernte, in Anfechtungen Geduld zu üben."

Natürlich bezaubert uns daran die Beschreibung der Zähne, die sanfte Selbstironie, die sich wie ein freundlicher Schimmer über das allgemeine Selbstbewusstsein eines Mannes legt, dem niemand etwas vormachen konnte. Es ist derselbe Geist, aus dem auch die fürchterliche Dresche geschildert wird, die Don Quijote und Sancho bei ihren Zusammenstößen mit der Realität beziehen. Gewalt ist die Schule der Wirklichkeit: Das ist der überwältigende Eindruck, den die Karriere dieses nie aufsteckenden Überlebenden vermittelt, und einen entsprechenden Charakter gab er auch seinem alten Ritter auf dem klapperigen Gaul Rocinante mit. Deswegen ist der "Don Quijote", erschienen in zwei Teilen 1605 und 1615, nur als literarische Summe eines alten Mannes denkbar.

Man kann Nichtleser fürs Nichtlesen schlecht an den Ohren ziehen, aber genau das tut Uwe Neumahr am Ende seiner klugen, maßvollen Biographie. Und er hat ja recht, es gibt bis heute keine vernünftige deutsche Cervantes-Gesamtausgabe, nur Susanne Langes wunderbare neue Übersetzung des "Don Quijote". Man sollte auch die herrlichen "Exemplarischen Novellen" wiederlesen, die unbekannter sind, als sie es verdienen. Und warum schließlich Theatermacher sich mit Cervantes' dramatischer Produktion so gar nicht befassen und damit das Verdammungsurteil fortschreiben, das der unaufgeführte Autor schon zu Lebzeiten erlitt, wo doch jede Art von Bearbeitung, Adaption oder Verhunzung auf deutschen Bühnen nicht nur erlaubt, sondern sogar willkommen wäre, ist in der Tat ein Rätsel. Aber es bleibt dabei, der "Don Quijote" überstrahlt sämtliche Nebenwerke und wirft sein gleißendes Licht durch die Jahrhunderte, als gäbe es keine Geschichte. Alles, wirklich alles aus Spaniens Goldenem Zeitalter ist von kulturhistorischen Details angestaubt, also erklärungsbedürftig - nur dieser Roman nicht.

Im 74. Kapitel des zweiten Teils fühlt der Ritter von der edlen Gestalt das Ende nahen und ruft nach einem Schlummer aus: ",Beglückwünscht mich, brave Herren, denn ich bin nicht mehr Don Quijote von der Mancha, sondern Alonso Quijano, der sich durch seine Wesensart den Beinamen ,der Gute' erwarb.'" Nun, da die Verstandestrübung durch Ritterbücher allem Augenschein nach vorbei ist, verharren aber die anderen in der liebgewordenen Verrücktheit und wollen die Welt der Fiktionen, die der sonderbare Alte für sie geschaffen hat, nicht verlassen. Den "Inbegriff des Literaturromans" hat Werner Krauss das Werk genannt: "Die Macht der Literatur ist das Grundphänomen, auf das der ganze Roman gegründet ist." Es wirkt tatsächlich ansteckend. Einer verwandelt sein Leben durch die Kraft der Phantasie in etwas anderes und verändert damit die Welt für immer: weil er die Möglichkeiten ihrer Deutung auf den Kopf stellt.

Das "Andere" dieses spanischen Romans, über das Bibliotheken geschrieben wurden, ist voller Schrulligkeiten, voller Staunen, Blödsinn, Rührung und Wahn. Eine der bezauberndsten Illustrationen von Gustave Doré zeigt den Ritter und seinen Knappen auf einem großen Holzpferd, das auf der Höhe der Gestirne durch die Luft stürmt: Auch das sind wir, heißt die Radierung. Nicht immer. Viel zu selten. Aber manchmal eben doch.

Uwe Neumahr: "Miguel de Cervantes". Ein wildes Leben". Biographie.

Verlag C. H. Beck, München 2015. 394 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Eberhard Geisler geht in seiner gelehrten Besprechung hart mit der äußerst ambitionierten und pünktlich zum 400. Todestag erschienenen Biografie des großen Cervantes ins Gericht. Zwar würdigt der Kritiker durchaus das Verdienst des Romanisten, neu entdeckte Dokumente über das Leben des Dichters, sogar bisher unbekannte Texte einzuarbeiten. Geisler lobt auch Neumahrs lebendigen Erzählton und die Entstehungsgeschichte der Werke. Dem Umgang des Autors mit den relevanten Interpretationen der Werke kann der Kritiker aber nur wenig abgewinnen: Schlegels Verdienst um Cervantes scheint Neumahr gänzlich zu entfallen und den Roman "Die Mühen von Persiles und Sigismunda" missinterpretiert er leider vollkommen, klagt der Rezensent, der den Mehrwert dieses Buches mit Blick auf die Deutungen als sehr gering einschätzt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Meisterhafte Biografie."
Wolfgang Schneider, Literarische WELT, 16. Januar 2016

"Eine lesenswerte, gut lesbare, informierte und ausgreifend informative Lebensbeschreibung."
Alexander Kluy, Buchkultur, Dezember 2015

"Ein ebenso unterhaltsames wie aufschlussreiches Werk."
Michael Fischer, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 25. Oktober 2015

"Uwe Neumahr malt das Bild einer Epoche [...] Eine kluge, maßvolle Biographie."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Oktober 2015

"Neumahr erzählt so anschaulich das Leben von Miguel de Cervantes, dass der Abenteurergeist durch die Epochen weht."
Paul Ingendaay, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Oktober 2015