Alles beginnt mit einem Traum. Jede Nacht, hunderttausendmal muß Simon ihn träumen, um aus dem Kreislauf der Wiedergeburt herauszutreten. Und so erzählt Simon die Geschichte, mit der er auf magische Weise verbunden ist, die Geschichte von Svastika und Milarepa, von unerschöpflichem Haß und von der Möglichkeit der Läuterung. Ebenso elegant wie tiefsinnig berichtet uns Eric-Emmanuel Schmitt von der Legende des tibetischen Mönchs Milarepa, der sich vom Rächer zum Erleuchteten wandelt. In dieser Erzählung, die den Abschluß der Tetralogie über die Weltreligionen bildet, berührt Schmitt mit unerschrockener Eindringlichkeit die ersten und die letzten Fragen unserer Existenz.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.10.2006Rauchspiralen und Arschgesichter
Eric-Emmanuel Schmitt als buddhistischer Märchenonkel
Simon, wohnhaft „unter dem Himmel von Paris”, träumt nächtens, „brodelnd” vor Hass, er wolle einen Mann umbringen. Wer dieser Mann ist, verrät der Traum nicht. Doch in Pariser Cafés gibt es Existenzialistinnen, deren Spezialität blauer Dunst ist. Das fügt sich. Simon begegnet der unvermeidlichen „Frau, ungreifbar wie der Rauch ihrer Zigarette; sie saß hinten in dem Café, in dem ich frühstückte, allein an einem Tisch, den Blick verloren in den Rauchspiralen, die sie einhüllten”.
Worauf verweisen Spiralen? Blitzmerker, auf den Kreislauf der Reinkarnation. Die Existenzialistin ist zum Buddhismus fortgeschritten, und so hält es Simon nicht länger in Montmartre. Eric-Emmanuel Schmitt, der Erzähler, jagt ihn „aufs Dach der Welt”. Simon, so klärt sich auf, war in früheren Leben nicht nur „Ameise” und „Nagetier”, was wenig zu erzählen hergibt, sondern, eher ergiebig für eine erbauliche Geschichte, der Onkel des Hirtenjungen Milarepa. Der eine behandelte den anderen schlecht, und der andere den einen.
Der Atem des Nichts
Ein „arschgesichtiges Stück Scheiße”, nennt der Neffe der Onkel, unartig genug, „eine Scheiße, auf die ich scheiße”. Damit Poesie nicht ganz abhanden komme, tut er solches eher metaphorisch als wörtlich; mit Mitteln der Magie haut er dem Onkel Besitz und Familienleben zusammen. Statt seiner Pferde findet dieser Kaulquappen im Stall vor, um nur ein harmloseres Detail zu erwähnen; dergleichen verzeiht sich nicht leicht.
Indes, der Neffe bessert sich. Er geht beim Dalai Lama in die Lehre; nach mühsamer Einkehr und steter Buße ist von „Scheiße” keine Rede mehr. Nur fromme Sprüchlein kommen ihm noch über die Lippen: „meine Familie, das ist jetzt die Menschheit”. Da „der Atem des Nichts” ihn anwehte, hat er „die niedere Welt” hinter sich, unter sich gelassen, und zieht als weiser Alter durch die Welt. Und weil Simon, der Pariser, dies auf seinem Tibettrip erfuhr, steht seiner Versöhnung, mithin auch dem Ausstieg aus dem Rad der Reinkarnationen, nichts mehr im Wege.
„Ist heute etwa mein Tag? Es heißt, ich werde es erst wissen, wenn es endgültig dunkelt”, raunt’s auf der vorletzten Seite des Buches. Und auf dass diese Ahnung das Geahnte als Instantartikel konsumieren könne, folgt auf der nächsten, der letzten Seite des Buches: „DUNKEL”.
„Unerschrockene Eindringlichkeit” rühmt der Klappentext Eric-Emmanuel Schmitt nach. Die Vorsilbe „Ein-” wahlweise durch „Zu-” oder „Auf-” ersetzend, kommt man der Wahrheit ziemlich nahe.ANDREAS DORSCHEL
ERIC-EMMANUEL SCHMITT: Milarepa. Erzählung. Aus dem Französischen von Inés Koebel. Ammann Verlag, Zürich 2006. 91 Seiten, 12,90 Euro.
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Eric-Emmanuel Schmitt als buddhistischer Märchenonkel
Simon, wohnhaft „unter dem Himmel von Paris”, träumt nächtens, „brodelnd” vor Hass, er wolle einen Mann umbringen. Wer dieser Mann ist, verrät der Traum nicht. Doch in Pariser Cafés gibt es Existenzialistinnen, deren Spezialität blauer Dunst ist. Das fügt sich. Simon begegnet der unvermeidlichen „Frau, ungreifbar wie der Rauch ihrer Zigarette; sie saß hinten in dem Café, in dem ich frühstückte, allein an einem Tisch, den Blick verloren in den Rauchspiralen, die sie einhüllten”.
Worauf verweisen Spiralen? Blitzmerker, auf den Kreislauf der Reinkarnation. Die Existenzialistin ist zum Buddhismus fortgeschritten, und so hält es Simon nicht länger in Montmartre. Eric-Emmanuel Schmitt, der Erzähler, jagt ihn „aufs Dach der Welt”. Simon, so klärt sich auf, war in früheren Leben nicht nur „Ameise” und „Nagetier”, was wenig zu erzählen hergibt, sondern, eher ergiebig für eine erbauliche Geschichte, der Onkel des Hirtenjungen Milarepa. Der eine behandelte den anderen schlecht, und der andere den einen.
Der Atem des Nichts
Ein „arschgesichtiges Stück Scheiße”, nennt der Neffe der Onkel, unartig genug, „eine Scheiße, auf die ich scheiße”. Damit Poesie nicht ganz abhanden komme, tut er solches eher metaphorisch als wörtlich; mit Mitteln der Magie haut er dem Onkel Besitz und Familienleben zusammen. Statt seiner Pferde findet dieser Kaulquappen im Stall vor, um nur ein harmloseres Detail zu erwähnen; dergleichen verzeiht sich nicht leicht.
Indes, der Neffe bessert sich. Er geht beim Dalai Lama in die Lehre; nach mühsamer Einkehr und steter Buße ist von „Scheiße” keine Rede mehr. Nur fromme Sprüchlein kommen ihm noch über die Lippen: „meine Familie, das ist jetzt die Menschheit”. Da „der Atem des Nichts” ihn anwehte, hat er „die niedere Welt” hinter sich, unter sich gelassen, und zieht als weiser Alter durch die Welt. Und weil Simon, der Pariser, dies auf seinem Tibettrip erfuhr, steht seiner Versöhnung, mithin auch dem Ausstieg aus dem Rad der Reinkarnationen, nichts mehr im Wege.
„Ist heute etwa mein Tag? Es heißt, ich werde es erst wissen, wenn es endgültig dunkelt”, raunt’s auf der vorletzten Seite des Buches. Und auf dass diese Ahnung das Geahnte als Instantartikel konsumieren könne, folgt auf der nächsten, der letzten Seite des Buches: „DUNKEL”.
„Unerschrockene Eindringlichkeit” rühmt der Klappentext Eric-Emmanuel Schmitt nach. Die Vorsilbe „Ein-” wahlweise durch „Zu-” oder „Auf-” ersetzend, kommt man der Wahrheit ziemlich nahe.ANDREAS DORSCHEL
ERIC-EMMANUEL SCHMITT: Milarepa. Erzählung. Aus dem Französischen von Inés Koebel. Ammann Verlag, Zürich 2006. 91 Seiten, 12,90 Euro.
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