Brasilien zählt heute zu den größten Milchproduzenten der Welt und auch der Konsum von Milchprodukten ähnelt dem Verbrauchsniveau vieler Milchländer des Nordens. Der Aufstieg der Milch zu einem Massennahrungsmittel folgte hier jedoch einer gänzlich anderen Chronologie. Denn bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts blieben Konsum und Versorgung aufgrund qualitativer Mängel ein hygienisches Problem und die neuralgische Milchfrage mithin ungelöst. Sören Brinkmann untersucht die Geschichte der Milch in Brasilien aus gesundheitspolitischer Perspektive und legt den Fokus dabei auf den Staat als maßgeblichen Akteur. "Milchpolitik" im Sinne von regulatorischen Eingriffen der öffentlichen Hand materialisierte sich einerseits als Antwort auf die hygienischen Risiken des Milchkonsums sowie andererseits als Reaktion auf das ernährungswissenschaftliche Gebot eines täglichen Milchkonsums für jedermann. Anhand der beiden Großstädte Rio de Janeiro und São Paulo rekonstruiert Brinkmann die milchpolitische Intervention des Staates vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre und beleuchtet dabei nicht nur die strukturellen Besonderheiten von Produktion, Handel und Konsum sondern auch den langen Kampf von Medizinern und Ernährungsexperten um eine sichere Milchversorgung.
"Sören Brinkmanns neue Monographie, die auf seiner Habilitationsschrift basiert, ist eine willkommene Ergänzung der deutschsprachigen Lateinamerikaforschung. [...] Trotz einer prekären Quellenlage arbeitet das Buch diese Geschichte minutiös heraus und bietet wichtige Einblicke in die Entstehung des brasilianischen Interventionsstaats." Frederik Schulz Historische Zeitschrift 315,3 (2022) 20221201