Als Adressatin der 'Briefe an Milena' von Franz Kafka ist Milena Jesenská in die europäische Literaturgeschichte eingegangen. Erst durch das Anfang der sechziger Jahre erschienene passionierte Porträt ihrer Ravensburger Lagergefährtin Margarete Buber-Neumann erfuhr man endlich auch etwas über das Leben dieser politisch engagierten tschechischen Journalistin. Geboren 1896 als Tochter einer renommierten Prager Familie, war sie Schülerin des ersten Mädchengymnasiums der K. u. K.-Monarchie, gehörte zum Kreis der jungen Boheme, bis sie sich mit Artikeln, Feuilletons und politischen Reportagen in den zwanziger und dreißiger Jahren einen Namen machte. 1939 von der Gestapo verhaftet, wurde sie ins Frauenlager Ravensbrück deportiert, wo sie am 17.5.1944 starb.»Alena Wagnerovás Buch basiert auf langen sorgfältigen Recherchen und Gesprächen mit letzten Überlebenden, die Milena noch persönlich gekannt haben, und erhält dadurch einen hohen Grad an Authentizität. Sie bemüht sich mit Erfolg darum, ihre Heldin nicht zu verklären und nicht zu heroisieren, sondern vielmehr die Aura ihrer Ausstrahlung begreiflich zu machen.«Neue Zürcher Zeitung
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2015Weinen kann ich nicht mehr
Milena Jesenskás Briefe aus der Gefangenschaft
Die Sprache seiner Freundin Milena Jesenská verglich Franz Kafka mit dem einer Klassikerin der tschechischen Literatur: "Ich kenne im Tschechischen nur eine Sprachmusik, die der Bozena Nemcová, hier ist eine andere Musik, aber jener verwandt an Entschlossenheit, Leidenschaft, Lieblichkeit und vor allem einer hellsichtigen Klugheit." Jesenskás Briefe an Kafka sind verlorengegangen, doch die an Max Brod, Willy Haas und andere Bekannte aus dem Prager Kreis überliefert, dazu journalistische Texte, die ihren besonderen Ton zum Klingen bringen und den Wandel der 1869 geborenen Prager Professorentochter von der Modejournalistin zur politisch Engagierten zeigen. Jesenská wurde zur Kommunistin und Widerstandskämpferin gegen die nationalsozialistischen Besatzer. Das brachte sie im November 1939 in Gestapo-Haft; 1944 starb sie im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück.
Durch Zufall hat nun die polnische Bohemistin Anna Militz im Zuge ihrer Abschlussarbeit unbekannte Briefe von Milena Jesenská in der Staatssicherheitsmappe des geschiedenen Ehemannes entdeckt. Sie stammen aus der Zeit, in der die Journalistin in den Gefängnissen in Dresden, Prag und in Ravensbrück inhaftiert war. Aus den vierzehn von der Jesenská-Biographin Alena Wagnerová edierten Briefen an den Vater und die Tochter Jana, genannt Honza, spricht oft Entschlossenheit, nicht selten Zuversicht: "Ich glaube, wenn ich einmal wieder frei sein werde, ertrage ich das Glück gar nicht." Aus ihnen spricht sogar die Bereitschaft, vorurteilsfrei auf am nationalsozialistischen Terror Beteiligte zu blicken: "Mein Gott, wie werde ich den Hass los? Und doch bin ich in diesem Deutschland wunderbaren und freundlichen Menschen begegnet, mein Ermittlungsrichter war ein wunderbarer Mensch und die Aufseherin werde ich mein ganzes Leben wie meine Schwester lieben", schreibt sie 1940.
Fast möchte man glauben, Jesenská habe hier die Zensoren mit im Blick gehabt, aber die Zeilen stammen aus einem Kassiber, das auch die heftige Verzweiflung der Schreiberin artikuliert. Im nur in Teilen erhaltenen, vielleicht erschütterndsten Schriftstück der Edition heißt es zuvor: "Meine Seele ist stumpfsinnig geworden weinen kann ich nicht mehr. Irgendwie ist das Maß des Leidens erschöpft mein Herz ist gequält. Genug davon." Über Jesenskás letzte Stunden gibt ein der Edition beigegebener Brief von Margarete Buber-Neumann Auskunft, den die Freundin zwölf Tage nach Milenas Tod an den Vater schickte und der nun Bubers zuerst 1963 erschienenem Bericht "Milena. Kafkas Freundin" aus der gemeinsamen Zeit im Lager Ravensbrück eine frühere Erinnerung voranstellt.
btro.
"Briefe von Milena Jesenská aus der Gefangenschaft". Hrsg. Alena Wagnerová. Neue Rundschau. Fischer Verlag, Frankfurt, 2015. 192 S., br., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Milena Jesenskás Briefe aus der Gefangenschaft
Die Sprache seiner Freundin Milena Jesenská verglich Franz Kafka mit dem einer Klassikerin der tschechischen Literatur: "Ich kenne im Tschechischen nur eine Sprachmusik, die der Bozena Nemcová, hier ist eine andere Musik, aber jener verwandt an Entschlossenheit, Leidenschaft, Lieblichkeit und vor allem einer hellsichtigen Klugheit." Jesenskás Briefe an Kafka sind verlorengegangen, doch die an Max Brod, Willy Haas und andere Bekannte aus dem Prager Kreis überliefert, dazu journalistische Texte, die ihren besonderen Ton zum Klingen bringen und den Wandel der 1869 geborenen Prager Professorentochter von der Modejournalistin zur politisch Engagierten zeigen. Jesenská wurde zur Kommunistin und Widerstandskämpferin gegen die nationalsozialistischen Besatzer. Das brachte sie im November 1939 in Gestapo-Haft; 1944 starb sie im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück.
Durch Zufall hat nun die polnische Bohemistin Anna Militz im Zuge ihrer Abschlussarbeit unbekannte Briefe von Milena Jesenská in der Staatssicherheitsmappe des geschiedenen Ehemannes entdeckt. Sie stammen aus der Zeit, in der die Journalistin in den Gefängnissen in Dresden, Prag und in Ravensbrück inhaftiert war. Aus den vierzehn von der Jesenská-Biographin Alena Wagnerová edierten Briefen an den Vater und die Tochter Jana, genannt Honza, spricht oft Entschlossenheit, nicht selten Zuversicht: "Ich glaube, wenn ich einmal wieder frei sein werde, ertrage ich das Glück gar nicht." Aus ihnen spricht sogar die Bereitschaft, vorurteilsfrei auf am nationalsozialistischen Terror Beteiligte zu blicken: "Mein Gott, wie werde ich den Hass los? Und doch bin ich in diesem Deutschland wunderbaren und freundlichen Menschen begegnet, mein Ermittlungsrichter war ein wunderbarer Mensch und die Aufseherin werde ich mein ganzes Leben wie meine Schwester lieben", schreibt sie 1940.
Fast möchte man glauben, Jesenská habe hier die Zensoren mit im Blick gehabt, aber die Zeilen stammen aus einem Kassiber, das auch die heftige Verzweiflung der Schreiberin artikuliert. Im nur in Teilen erhaltenen, vielleicht erschütterndsten Schriftstück der Edition heißt es zuvor: "Meine Seele ist stumpfsinnig geworden weinen kann ich nicht mehr. Irgendwie ist das Maß des Leidens erschöpft mein Herz ist gequält. Genug davon." Über Jesenskás letzte Stunden gibt ein der Edition beigegebener Brief von Margarete Buber-Neumann Auskunft, den die Freundin zwölf Tage nach Milenas Tod an den Vater schickte und der nun Bubers zuerst 1963 erschienenem Bericht "Milena. Kafkas Freundin" aus der gemeinsamen Zeit im Lager Ravensbrück eine frühere Erinnerung voranstellt.
btro.
"Briefe von Milena Jesenská aus der Gefangenschaft". Hrsg. Alena Wagnerová. Neue Rundschau. Fischer Verlag, Frankfurt, 2015. 192 S., br., 15,- [Euro].
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