Wehrmacht in der NS-Diktatur Andreas Toppe geht in seiner aus dem Wehrmachtsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte hervorgegangenen Studie der Frage nach, auf welche völkerrechtlichen Grundlagen sich die deutsche Kriegführung im Zweiten Weltkrieg stützte. Er verfolgt den damaligen völkerrechtlichen Diskurs in Deutschland und seine Rezeption durch die deutschen Militärs, indem er sich besonders mit dem Rechtsstatus des Kombattanten sowie dem Besatzungsrecht auseinandersetzt. Schließlich diskutiert er anhand von Befehlen, Rechtsgutachten und Gerichtsurteilen die Umsetzung deutscher Rechtsanschauung exemplarisch am Krieg gegen Polen. Kernelemente der deutschen Kriegführung und damit Parallelen zu nachfolgenden Feldzügen sind nicht zu übersehen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2009Militärjustiz mit Panzergefühl
Völkerrecht und ideologisierte Kriegführung in den Jahren 1899 bis 1940
Innerhalb der Erforschung des Zweiten Weltkrieges haben in den vergangenen Jahrzehnten die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes und ihre Ahndung durch die Rechtsprechung der Siegermächte einen breiten Raum eingenommen. Dabei standen zunächst die deutsche Militärjustiz und ihre Spruchpraxis gegenüber den Angehörigen der Wehrmacht im Mittelpunkt der Erörterung. Unter dem plakativen Etikett "Verbrechen der Wehrmacht" wurden die rasseideologisch ausgerichtete Vernichtungspolitik auf dem östlichen Kriegsschauplatz und auf dem Balkan, die Behandlung von Kriegsgefangenen, die Gewaltaktionen gegenüber zu Partisanen erklärten Landeseinwohnern, die Ausbeutung der besetzten Gebiete sowie die Versklavung von Millionen Menschen und der Völkermord intensiv untersucht. Für die nachzeitige Beurteilung verbrecherischer Befehle und ihrer Ausführung galt stets der Maßstab humanitärer Gesittung, dessen Abwesenheit die Barbarisierung der Kriegführung maßgeblich bestimmte. Die Abscheu über Greueltaten, deren Rechtswidrigkeit so offenkundig war, ließ jedoch die Frage nach dem Kenntnisstand der Akteure über die einschlägigen Bestimmungen des Völkerrechts in den Hintergrund treten. Diesem Mangel hilft die Studie von Andreas Toppe - entstanden im Rahmen des Projekts "Wehrmacht in der nationalsozialistischen Diktatur" am Institut für Zeitgeschichte in München - ab.
Ausgehend von der Erkenntnis, dass aktuellem Handeln auch immer ein Prozess der Vergegenwärtigung von Erinnerung vorangeht, analysiert Toppe die Entwicklung von Völkerrecht und Kriegspraxis seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts. Die vermittelten Erfahrungen des jeweils vorangegangenen Konflikts bestimmten nicht nur das Verhalten des Militärs, sondern im Zeichen einer totale Züge annehmenden Kriegführung auch die Erwartungshaltungen und Wirklichkeitsdeutungen breiter Bevölkerungskreise. Somit antwortete die Kodifizierung völkerrechtlicher Normen auf die qualitative Veränderung des Krieges vom Kabinetts- zum Volkskrieg. Am Beispiel zentraler Handlungsfelder, die für die Beurteilung von Kriegsverbrechen der Wehrmacht Bedeutung erlangten, wie etwa das Besatzungsrecht, das Institut der Geiselnahme, der Status von Partisanen und die rechtliche Situation von Kriegsgefangenen wird der durch Kriegsbrauch und Staatsnotstand gekennzeichnete Primat des Militärischen in beiden Weltkriegen überzeugend dargelegt.
Waren die Maßnahmen der deutschen militärischen Führung bereits während des Ersten Weltkrieges durch eine rechtswidrige Interpretation der Haager Landkriegsordnung geprägt, so verschärften die von den Alliierten erzwungenen Kriegsverbrecherprozesse und der dem Mythos vom "Dolchstoß" immanente Vorwurf des Versagens der deutschen Militärjustiz die Überzeugung von der Nachrangigkeit des Völkerrechts gegenüber dem nationalen Recht. Der auf den permanenten Ausnahmezustand gegründete nationalsozialistische Maßnahmenstaat entwickelte mit der Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO) und der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) die Instrumente eines verschärften Kriegsstrafrechts. Sie schufen neue Straftatbestände wie "Wehrkraftzersetzung" und dehnten den Geltungsbereich deutschen Rechts völkerrechtswidrig auf die Bewohner der besetzten Gebiete aus.
Im zweiten Hauptkapitel beleuchtet Toppe im Detail die Organisationsstruktur und die Aufgabenbereiche der mit Völkerrechtsfragen befassten militärischen und zivilen Dienststellen und wissenschaftlichen Einrichtungen, wobei er auch Werdegang und Haltung ihrer bedeutsamsten Angehörigen nachzeichnet. So wohltuend die abgewogene Interpretation ausfällt, so verliert der Autor doch stellenweise die spezifische Radikalität der deutschen Militärjustiz aus dem Blick, die für sich in Anspruch nahm, "die Panzertruppe der Rechtspflege" im nationalsozialistischen Staat zu bilden.
Schließlich widmet sich das Buch am Beispiel des Feldzuges gegen Polen und der Besatzungszeit im Winter 1939/40 der Praxis des Kriegsrechts in der deutschen Wehrmacht. Zu Recht akzentuiert der Verfasser, dass die militärische Führung bereits in ihrer Befehlsgebung bewusst gegen nationales und internationales Recht verstieß. Bei der Bewertung der zum Teil völkerrechtswidrigen, zum Teil maßlos überzogenen deutschen Reaktionen auf gewaltsamen Widerstand durch polnische Zivilisten kommt in der Studie jedoch nicht ausreichend differenziert zum Ausdruck, dass rasse-ideologisch geprägte Gewaltaktionen in der Regel nicht durch Wehrmachtverbände verübt wurden. Den von Wehrmachtsangehörigen begangenen Ausschreitungen lagen vielmehr die mit den Erfahrungen der Zwischenkriegszeit zusätzlich aufgeladenen nationalen Negativstereotypen einer rigiden Polenfeindschaft zugrunde. Insofern verwundert es nicht, dass das Instrumentarium einer völkerrechtswidrigen Rechtspraxis bei Kriegsbeginn zwar vorhanden, im Feldzug gegen Polen zur Anwendung kam, beim Kampf im Westen - von Ausnahmen abgesehen - zunächst nicht praktiziert wurde. Die Studie von Toppe liefert einen wichtigen Beitrag über das Spannungsverhältnis von Völkerrecht, Staatsräson und ideologisierter Kriegführung im 20. Jahrhundert.
BERNHARD R. KROENER
Andreas Toppe: Militär und Kriegsvölkerrecht. Rechtsnorm, Fachdiskurs und Kriegspraxis in Deutschland 1899-1940. Oldenbourg Verlag, München 2008. 467 S., 89,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Völkerrecht und ideologisierte Kriegführung in den Jahren 1899 bis 1940
Innerhalb der Erforschung des Zweiten Weltkrieges haben in den vergangenen Jahrzehnten die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes und ihre Ahndung durch die Rechtsprechung der Siegermächte einen breiten Raum eingenommen. Dabei standen zunächst die deutsche Militärjustiz und ihre Spruchpraxis gegenüber den Angehörigen der Wehrmacht im Mittelpunkt der Erörterung. Unter dem plakativen Etikett "Verbrechen der Wehrmacht" wurden die rasseideologisch ausgerichtete Vernichtungspolitik auf dem östlichen Kriegsschauplatz und auf dem Balkan, die Behandlung von Kriegsgefangenen, die Gewaltaktionen gegenüber zu Partisanen erklärten Landeseinwohnern, die Ausbeutung der besetzten Gebiete sowie die Versklavung von Millionen Menschen und der Völkermord intensiv untersucht. Für die nachzeitige Beurteilung verbrecherischer Befehle und ihrer Ausführung galt stets der Maßstab humanitärer Gesittung, dessen Abwesenheit die Barbarisierung der Kriegführung maßgeblich bestimmte. Die Abscheu über Greueltaten, deren Rechtswidrigkeit so offenkundig war, ließ jedoch die Frage nach dem Kenntnisstand der Akteure über die einschlägigen Bestimmungen des Völkerrechts in den Hintergrund treten. Diesem Mangel hilft die Studie von Andreas Toppe - entstanden im Rahmen des Projekts "Wehrmacht in der nationalsozialistischen Diktatur" am Institut für Zeitgeschichte in München - ab.
Ausgehend von der Erkenntnis, dass aktuellem Handeln auch immer ein Prozess der Vergegenwärtigung von Erinnerung vorangeht, analysiert Toppe die Entwicklung von Völkerrecht und Kriegspraxis seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts. Die vermittelten Erfahrungen des jeweils vorangegangenen Konflikts bestimmten nicht nur das Verhalten des Militärs, sondern im Zeichen einer totale Züge annehmenden Kriegführung auch die Erwartungshaltungen und Wirklichkeitsdeutungen breiter Bevölkerungskreise. Somit antwortete die Kodifizierung völkerrechtlicher Normen auf die qualitative Veränderung des Krieges vom Kabinetts- zum Volkskrieg. Am Beispiel zentraler Handlungsfelder, die für die Beurteilung von Kriegsverbrechen der Wehrmacht Bedeutung erlangten, wie etwa das Besatzungsrecht, das Institut der Geiselnahme, der Status von Partisanen und die rechtliche Situation von Kriegsgefangenen wird der durch Kriegsbrauch und Staatsnotstand gekennzeichnete Primat des Militärischen in beiden Weltkriegen überzeugend dargelegt.
Waren die Maßnahmen der deutschen militärischen Führung bereits während des Ersten Weltkrieges durch eine rechtswidrige Interpretation der Haager Landkriegsordnung geprägt, so verschärften die von den Alliierten erzwungenen Kriegsverbrecherprozesse und der dem Mythos vom "Dolchstoß" immanente Vorwurf des Versagens der deutschen Militärjustiz die Überzeugung von der Nachrangigkeit des Völkerrechts gegenüber dem nationalen Recht. Der auf den permanenten Ausnahmezustand gegründete nationalsozialistische Maßnahmenstaat entwickelte mit der Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO) und der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) die Instrumente eines verschärften Kriegsstrafrechts. Sie schufen neue Straftatbestände wie "Wehrkraftzersetzung" und dehnten den Geltungsbereich deutschen Rechts völkerrechtswidrig auf die Bewohner der besetzten Gebiete aus.
Im zweiten Hauptkapitel beleuchtet Toppe im Detail die Organisationsstruktur und die Aufgabenbereiche der mit Völkerrechtsfragen befassten militärischen und zivilen Dienststellen und wissenschaftlichen Einrichtungen, wobei er auch Werdegang und Haltung ihrer bedeutsamsten Angehörigen nachzeichnet. So wohltuend die abgewogene Interpretation ausfällt, so verliert der Autor doch stellenweise die spezifische Radikalität der deutschen Militärjustiz aus dem Blick, die für sich in Anspruch nahm, "die Panzertruppe der Rechtspflege" im nationalsozialistischen Staat zu bilden.
Schließlich widmet sich das Buch am Beispiel des Feldzuges gegen Polen und der Besatzungszeit im Winter 1939/40 der Praxis des Kriegsrechts in der deutschen Wehrmacht. Zu Recht akzentuiert der Verfasser, dass die militärische Führung bereits in ihrer Befehlsgebung bewusst gegen nationales und internationales Recht verstieß. Bei der Bewertung der zum Teil völkerrechtswidrigen, zum Teil maßlos überzogenen deutschen Reaktionen auf gewaltsamen Widerstand durch polnische Zivilisten kommt in der Studie jedoch nicht ausreichend differenziert zum Ausdruck, dass rasse-ideologisch geprägte Gewaltaktionen in der Regel nicht durch Wehrmachtverbände verübt wurden. Den von Wehrmachtsangehörigen begangenen Ausschreitungen lagen vielmehr die mit den Erfahrungen der Zwischenkriegszeit zusätzlich aufgeladenen nationalen Negativstereotypen einer rigiden Polenfeindschaft zugrunde. Insofern verwundert es nicht, dass das Instrumentarium einer völkerrechtswidrigen Rechtspraxis bei Kriegsbeginn zwar vorhanden, im Feldzug gegen Polen zur Anwendung kam, beim Kampf im Westen - von Ausnahmen abgesehen - zunächst nicht praktiziert wurde. Die Studie von Toppe liefert einen wichtigen Beitrag über das Spannungsverhältnis von Völkerrecht, Staatsräson und ideologisierter Kriegführung im 20. Jahrhundert.
BERNHARD R. KROENER
Andreas Toppe: Militär und Kriegsvölkerrecht. Rechtsnorm, Fachdiskurs und Kriegspraxis in Deutschland 1899-1940. Oldenbourg Verlag, München 2008. 467 S., 89,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als "wichtigen Beitrag" zum spannungsgeladenen Verhältnis zwischen Völkerrecht, Staatsräson und ideologisierter Kriegführung im 20. Jahrhundert würdigt Bernhard R. Kroener diese Studie von Andreas Toppe. Im Mittelpunkt sieht er die Analyse der Entwicklung von Völkerrecht und Kriegspraxis seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts. Er attestiert dem Autor, das Primat des Militärischen in beiden Weltkriegen am Beispiel zentraler Handlungsfeldern "überzeugend" darzulegen. Instruktiv findet Kroener auch die Ausführungen über die militärischen und zivilen Dienststellen und wissenschaftlichen Einrichtungen, die sich mit Völkerrechtsfragen befassten. Lobt er einerseits die "abgewogene Interpretation" des Autors, moniert andererseits, dass dieser hier stellenweise die "spezifische Radikalität der deutschen Militärjustiz" aus dem Blick verliere.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Explizit zu loben ist die breite Quellenkenntnis:" Martin Moll, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, 126. Bd. 2009