Erneut erzählt Kaminer mit Witz und Charme von den Tücken des Alltags und von haarsträubenden Abenteuern im Russland der Gorbatschow-Zeit. Und nach der Lektüre dieses autobiographischen Romans bleibt eigentlich nur eine Frage offen: wieso die Sowjetunion nicht schon viel früher zerbrochen ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001Werft die Gläser an die Wand!
Wladimir Kaminer grüßt Moskau / Von Niklas Maak
Vielleicht muß man, um dieses Buch zu verstehen, erstmal ein Mißverständnis klären: Auf dem Titel steht Roman, doch ist es kein Roman, sondern eher eine Autobiographie, die sich liest wie ein Kurzgeschichtenband - und darin liegt auch ihre größte Qualität: daß Kaminer sich nicht abmüht mit allzu anspruchsvollen Überhöhungen, sondern sein Leben erzählt, und mit ihm eine Geschichte der Sowjetunion, wie man sie bisher noch nirgendwo lesen konnte.
Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren, und im Gegensatz zu einer deutschen Literatengeneration, die eigentlich nichts erlebt hat und deswegen den Kulturfundus des europäischen Abendlandes in ihre kläglichen Weltbetrachtungen pumpt und dann stolz ist, daß das Ergebnis mehr sei als "Popliteratur" - im Gegensatz zu diesem angestrengten Prosa-Geschraube hat Kaminer einiges erlebt, was seine Leser noch nicht kennen: die Jugend in Rußland, den Militärdienst, den Weg nach Westen, den Kaminer 1990 antrat. Damals kam er am 11. Juni nach Berlin, an dem Tag, als Deutschland Fußballweltmeister wurde. Mittlerweile ist Kaminer Berlins prominentester Russe, was sicherlich auch an der von ihm organisierten Russendisko im Café Burger und seinem gleichnamigen Erzählband liegt.
Bevor er nach Berlin kam, absolvierte Kaminer seinen Militärdienst in einer Raketenstellung vor Moskau. Dort sollte er zwölf Stunden täglich auf einen Radarschirm starren, auf dem sich nichts regte. Wenn er allein war, bastelte er Wasserkocher für seine Kameraden, aber den grauen Fleck auf dem Bildschirm sah er. Der Fleck sah aus wie ein Auto. Hören Sie, sagte Kaminer zu seinem Kommandanten am Telefon, es sieht aus, als sei ein Auto über uns hinweg geflogen; "Ja, ja", sagte der Kommandant. Der Schatten - das Flugzeug von Mathias Rust. "Ich habe versagt, ich hätte ihn abschießen müssen", sagte Kaminer in einem Interview, "für die Raketenabteilung war das eine große Tragödie. Es gab zahlreiche Offiziere, die sich deshalb umgebracht haben."
Es sind diese Dramen, von denen Kaminer erzählt, von den Java-Zigaretten und den obszönen Liebesgedichten seines Vaters, vom Majakowksi-Theater und den Problemen mit betrunkenen Schauspielern: "Einmal war das fliegende Wunderpferd - ein begabter junger Mann - auf der Bühne eingeschlafen. Dadurch geriet der König in eine blöde Situation: Er steckte in der Schatzhöhle fest ohne jede Fluchtmöglichkeit. Seine Feinde mußten nun improvisieren. Sie schlossen kurzfristig Frieden und zerrten mit dem König zusammen das Wunderpferd von der Bühne." So geht es 192 Seiten lang.
Ob er nicht die finsteren Seiten des Kommunismus verharmlose, wurde Kaminer vor kurzem von ein paar Journalisten in Berlin gefragt, wo - kurz vor Gysis drohendem Wahltriumph - sich jeder verdächtig macht, der sozialistischen Zuständen lustige Seiten abgewinnt. "Über dieselbe Geschichte", sagte Kaminer daraufhin, könne man "nicht zweimal weinen" und erzählte vom Schicksal seines Onkels, der von seiner eifersüchtigen Gattin beim KGB als Spion denunziert wurde. Der Onkel wurde zwanzig Jahre nach Kasachstan verbannt und mußte in einem Erdloch wohnen; später behauptete er, er habe dennoch eine schöne Zeit gehabt.
"Klar", sagt Kaminer, "war das eine schöne Zeit: Er hatte ja keine andere."
Wladimir Kaminer: "Militärmusik". Goldmann Verlag, München 2001. 191 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wladimir Kaminer grüßt Moskau / Von Niklas Maak
Vielleicht muß man, um dieses Buch zu verstehen, erstmal ein Mißverständnis klären: Auf dem Titel steht Roman, doch ist es kein Roman, sondern eher eine Autobiographie, die sich liest wie ein Kurzgeschichtenband - und darin liegt auch ihre größte Qualität: daß Kaminer sich nicht abmüht mit allzu anspruchsvollen Überhöhungen, sondern sein Leben erzählt, und mit ihm eine Geschichte der Sowjetunion, wie man sie bisher noch nirgendwo lesen konnte.
Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren, und im Gegensatz zu einer deutschen Literatengeneration, die eigentlich nichts erlebt hat und deswegen den Kulturfundus des europäischen Abendlandes in ihre kläglichen Weltbetrachtungen pumpt und dann stolz ist, daß das Ergebnis mehr sei als "Popliteratur" - im Gegensatz zu diesem angestrengten Prosa-Geschraube hat Kaminer einiges erlebt, was seine Leser noch nicht kennen: die Jugend in Rußland, den Militärdienst, den Weg nach Westen, den Kaminer 1990 antrat. Damals kam er am 11. Juni nach Berlin, an dem Tag, als Deutschland Fußballweltmeister wurde. Mittlerweile ist Kaminer Berlins prominentester Russe, was sicherlich auch an der von ihm organisierten Russendisko im Café Burger und seinem gleichnamigen Erzählband liegt.
Bevor er nach Berlin kam, absolvierte Kaminer seinen Militärdienst in einer Raketenstellung vor Moskau. Dort sollte er zwölf Stunden täglich auf einen Radarschirm starren, auf dem sich nichts regte. Wenn er allein war, bastelte er Wasserkocher für seine Kameraden, aber den grauen Fleck auf dem Bildschirm sah er. Der Fleck sah aus wie ein Auto. Hören Sie, sagte Kaminer zu seinem Kommandanten am Telefon, es sieht aus, als sei ein Auto über uns hinweg geflogen; "Ja, ja", sagte der Kommandant. Der Schatten - das Flugzeug von Mathias Rust. "Ich habe versagt, ich hätte ihn abschießen müssen", sagte Kaminer in einem Interview, "für die Raketenabteilung war das eine große Tragödie. Es gab zahlreiche Offiziere, die sich deshalb umgebracht haben."
Es sind diese Dramen, von denen Kaminer erzählt, von den Java-Zigaretten und den obszönen Liebesgedichten seines Vaters, vom Majakowksi-Theater und den Problemen mit betrunkenen Schauspielern: "Einmal war das fliegende Wunderpferd - ein begabter junger Mann - auf der Bühne eingeschlafen. Dadurch geriet der König in eine blöde Situation: Er steckte in der Schatzhöhle fest ohne jede Fluchtmöglichkeit. Seine Feinde mußten nun improvisieren. Sie schlossen kurzfristig Frieden und zerrten mit dem König zusammen das Wunderpferd von der Bühne." So geht es 192 Seiten lang.
Ob er nicht die finsteren Seiten des Kommunismus verharmlose, wurde Kaminer vor kurzem von ein paar Journalisten in Berlin gefragt, wo - kurz vor Gysis drohendem Wahltriumph - sich jeder verdächtig macht, der sozialistischen Zuständen lustige Seiten abgewinnt. "Über dieselbe Geschichte", sagte Kaminer daraufhin, könne man "nicht zweimal weinen" und erzählte vom Schicksal seines Onkels, der von seiner eifersüchtigen Gattin beim KGB als Spion denunziert wurde. Der Onkel wurde zwanzig Jahre nach Kasachstan verbannt und mußte in einem Erdloch wohnen; später behauptete er, er habe dennoch eine schöne Zeit gehabt.
"Klar", sagt Kaminer, "war das eine schöne Zeit: Er hatte ja keine andere."
Wladimir Kaminer: "Militärmusik". Goldmann Verlag, München 2001. 191 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Rezensent Niklas Maak zeigt sich ausgesprochen angetan von Wladimir Kaminers neuem Buch. Der Rezensent selbst führt das darauf zurück, dass dies gar kein Roman, sondern "eher eine Autobiografie" sei, die sich lese "wie ein Kurzgeschichtenband". Kaminer mühe sich nicht mit Überhöhungen ab, freut sich Maak, sondern erzähle sein Leben - "und mit ihm eine Geschichte der Sowjetunion, wie man sie bisher noch nirgendwo lesen konnte". Der Rezensent nutzt seine Begeisterung für Kaminers Buch, um das "angestrengte Prosageschraube" der so genannten Pop-Literatur abzuwatschen. Denn im Gegensatz zu einer "deutschen Literatengeneration, die eigentlich nichts" erlebt habe, habe Kaminer eben einiges erlebt. Und davon berichtet uns Maak nun, dankbar, von all diesen unerhörten Dingen wenigstens lesen zu dürfen: kleine Dramen aus dem sowjetischen Alltag, der endete, als Kaminer 1990 nach Berlin kam, just an jenem Tag, "als Deutschland Fußballweltmeister wurde".
© Perlentaucher Medien GmbH"
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"Wladimir Kaminer ist ein großes Erzähltalent." (Der Spiegel)
"Wladimir Kaminer ist ein Romancier, der fähig ist, auf wenigen Seiten Ereignisse zu verdichten und zu verfremden, bis sie ihre eigene Sprache sprechen." (Süddeutsche Zeitung)
"Den Namen Kaminer wird man sich merken müssen. In einigen Jahren wird er ein berühmter Schriftsteller sein." (Neues Deutschland)
"Wladimir Kaminer ist ein Romancier, der fähig ist, auf wenigen Seiten Ereignisse zu verdichten und zu verfremden, bis sie ihre eigene Sprache sprechen." (Süddeutsche Zeitung)
"Den Namen Kaminer wird man sich merken müssen. In einigen Jahren wird er ein berühmter Schriftsteller sein." (Neues Deutschland)
"Falls es noch eines Beweises bedarf, dass wahres Leben besser unterhält als alle Fantasie, Wladimir Kaminer ist sein jüngster Erbringer." Die Welt
"... 150 Minuten Freude am Hören..."