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Erich Auerbach (1892-1957) war bis 1935 Professor für Romanische Philologie an der Universität Marburg. Nach seiner Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten emigrierte er über Istanbul in die USA. Im Exil entstand auch sein Hauptwerk Mimesis, das seit seiner Erstveröffentlichung 1946 längst zu einem Klassiker moderner Literaturwissenschaft geworden ist. Anhand einer Folge von Textanalysen, die sich von Homer und der Bibel bis zu den Brüdern Goncourt und Virginia Woolf spannt, beschreibt Erich Auerbach die Geschichte der Mimesis als Geschichte der je unterschiedlichen Gestalten, die das…mehr

Produktbeschreibung
Erich Auerbach (1892-1957) war bis 1935 Professor für Romanische Philologie an der Universität Marburg. Nach seiner Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten emigrierte er über Istanbul in die USA. Im Exil entstand auch sein Hauptwerk Mimesis, das seit seiner Erstveröffentlichung 1946 längst zu einem Klassiker moderner Literaturwissenschaft geworden ist. Anhand einer Folge von Textanalysen, die sich von Homer und der Bibel bis zu den Brüdern Goncourt und Virginia Woolf spannt, beschreibt Erich Auerbach die Geschichte der Mimesis als Geschichte der je unterschiedlichen Gestalten, die das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit durch die Jahrhunderte hinweg annahm. Er zeichnet aber auf diese Weise auch die Entwicklung des Realismus in der europäischen und insbesondere der französischen Literatur nach.
Autorenporträt
Erich Auerbach, 1892 - 1957, war Romanist und vergleichender Literaturwissenschaftler. Seine im Istanbuler Exil geschriebene Literaturgeschichte (1946) machte ihn weltweit berühmt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.1996

Dichter des Irdischen
Schule des Lesens: Erich Auerbachs "Mimesis" wird fünfzig

1946 erschien bei Francke in Bern zum ersten Mal Erich Auerbachs "Mimesis", das mit dem Untertitel "Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur" sogleich darauf aufmerksam machte, daß es über die Grenzen der Nationalliteratur hinausgriff. Das Buch hat, mit einer schon damals seltenen Verbindung von sachkundigem Ernst und weltläufigem Schreibstil, nicht nur in den literaturwissenschaftlichen Seminaren vieler Länder Epoche gemacht, sondern ist auch für "einfache" Leser zum Schlüsselerlebnis geworden. Bis heute gibt es nichts, das geeigneter wäre, in die Literatur, ja ins Lesen schlechthin einzuführen.

Erich Auerbach (1892 bis 1957) hat "Mimesis" im Istanbuler Exil verfaßt, ohne "Sekundärliteratur", was sich hinterher - wie er selbst im Nachwort betont - als Vorteil erwies. Denn er hätte das Buch vermutlich nie geschrieben, wenn ihm eine der großen Bibliotheken zur Verfügung gestanden hätte, in denen das angesammelte Wissen der Spezialisten nicht immer nur hilfreich ist, sondern zuweilen auch das eigene Denken verhindert. Auch hat erst die Perspektive von außen den Verfasser in die Lage versetzt, die abendländische Literatur, von Homer bis Virginia Woolf, als Einheit zu sehen, in der unterschiedliche Konzeptionen von Realismus eine bestimmende Rolle spielen. Dabei interessierte ihn vor allem, in welcher Stillage - hoch, niedrig; tragisch, komisch - Alltagserfahrungen zum Gegenstand des Schreibens werden. Außerdem hat die Exilperspektive den Auerbachschen Schriften seit "Mimesis" einen politischen Hintersinn verschafft, der zwar unaufdringlich bleibt und der auch nichts mit Partei-oder Interessenvertretung zu tun hat, wohl aber mit der Sorge, der Kulturexorzismus der Nazis könne erst der Beginn eines allgemeinen Rückfalls in die Barbarei gewesen sein, "in der die führenden Schichten der Gesellschaft keine Bildung besitzen, auch keine Bücher, ja nicht einmal eine Sprache, in der sich eine ihnen angemessene Bildung hätte ausdrücken können".

Dieser Satz aus einem späteren Buch bezieht sich zwar aufs Mittelalter, ist aber so formuliert, daß man ihn auch auf die Gegenwart anwenden kann, ja muß. Schon in "Mimesis" ist er die unausgesprochene Voraussetzung, unter welcher der Rückblick auf die Tradition der abendländischen Literatur steht, die in jedem Kapitel durch die Präsentation einer besonders schönen und sinnreichen Passage fast schon nostalgisch beschworen wird. Von dieser Passage weitet sich der Blick dann auf weitere Texte, ja auf die Epoche als Ganzes.

Ursprünglich hatte "Mimesis" neunzehn Kapitel, die sich mit der griechischen, lateinischen, französischen, italienischen, englisch-amerikanischen und deutschen Literatur beschäftigten. Von den großen romanischen Literaturen fehlte die iberische; sicher nicht zufällig, denn Auerbach hatte im Unterschied zu den anderen Marburger Romanisten, seinem Vorgänger Leo Spitzer (wie Auerbach als Jude vertrieben) und seinem Nachfolger Werner Krauss (als Widerstandskämpfer verfolgt), keine ausgeprägten hispanistischen Interessen. So ist die Lücke durch die Hereinnahme eines Kapitels über den "Don Quijote" erst ab der zweiten Auflage von 1949 geschlossen worden. Dabei war der Roman des Cervantes für Auerbach schon deshalb unentbehrlich, weil dort das Problem des Realismus und die Verwendung verschiedener Stillagen in der Fiktion selbst behandelt werden. Ständig wird die hochfliegende Phantastik der Ritterromane mit der Alltagswirklichkeit aus der Zeit zwischen 1605 und 1615 konfrontiert, ja erst durch diese Konfrontation wird am Ritterroman das Chimärische und an der spanischen Alltagswelt das Reale sichtbar, nirgends ist dieser Kontrast konkreter in Szene gesetzt als an der von Auerbach ausgezogenen Stelle über die Verzauberung Dulcineas durch Sancho Pansa.

Wenn man es darauf anlegt, kann man gegen Auerbachs Konzeption natürlich auch einiges einwenden. Den Achtundsechzigern war er zu formalistisch und zu wenig gesellschaftskritisch; den Formalisten hingegen, für die nur das Ästhetische zählt, war er zu politisch, weil er sich stets auch für das interessierte, was Croce die Allotria nannte, das heißt die historischen Umstände, aus denen ein Text erwuchs. Und heute würde man ihm vorwerfen, daß er zu einseitig auf den Abbildcharakter der Literatur fixiert war und zu wenig Sinn hatte für das Experimentelle, das Spielerische, das Selbstbezügliche und Zeichenhafte.

Auerbach wäre der letzte gewesen, der solche Einschränkungen nicht zugegeben hätte. In den "Epilegomena" zu "Mimesis", in denen er mit selbstbewußter Bescheidenheit auf seine Kritiker antwortet, hat er das unter Beweis gestellt. Das hängt mit dem erkenntniskritischen Skeptizismus zusammen, den er bei Vico kennengelernt hatte, als er dessen "Scienza nuova" ins Deutsche übertrug. Daraus entwickelte Auerbach eine wissenschaftliche Haltung, die vorbildlich ist, weil sie nicht dem Irrglauben verfällt, es gäbe einen metahistorischen, gottähnlichen Standpunkt, von dem aus alles objektiv zu bewerten ist. Vielmehr bleibt sie "auf dem Teppich" und vergißt nicht, daß im menschlichen Leben alles relativ und bedingt ist, auch die Wissenschaft und vor allem die Wissenschaftler selbst. Weil ihm die Partialität seiner Erkenntnis immer bewußt blieb, ist auch sein Mitteilungsstil human geblieben: unprätentiös und unpedantisch, mit einem Minimum an akademischem Jargon auskommend.

Auerbachs letztes, 1958 erst nach seinem Tod erschienenes Buch war "Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spätantike und im Mittelalter", das er selbst als Nachtrag zu "Mimesis" bezeichnete. Es beginnt mit einer lesenswerten Einleitung in seine Methode. Darauf folgt ein Kapitel mit der schlichten Überschrift "Sermo humilis", in dem ein Aufsatz von 1941 wieder aufgenommen und überarbeitet wird. Das Kapitel hat zwei Aspekte. Zunächst einen fachlichen: Auerbach betrachtet dort, ausgehend von einer Bedeutungsgeschichte des Wortes "humilis" in der Tradition der antiken Schulrhetorik, die Bibelexegese des Augustinus unter - wie wir heute sagen würden - kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten. Augustinus hebe an der Bibel die Niedrigkeit des Stils hervor, weil erst die einfache Sprache die Möglichkeit schaffe, daß auch noch der Geringste von ihr ergriffen werde. Zugleich betone er aber auch die Notwendigkeit, daß derjenige, der die Lehre der Bibel vermittle, sich durch die Demütigkeit des Vortrags ihrem Geist und der Aufnahmefähigkeit der Zuhörer anpasse. Deshalb verbiete es sich, den in der Heiligen Schrift enthaltenen Sinn durch hochmütige Gelehrsamkeit zu verdunkeln, so daß "es den einfachen Hörer einschüchtert und abschreckt".

Spätestens hier wird sichtbar, daß "Sermo humilis" auch eine persönliche Bedeutung hat. Daß Auerbach sich gegen Ende seines Lebens erneut gerade mit ihm beschäftigte, kommt sicher nicht von ungefähr, denn er hat ihn, spätestens seit "Mimesis", selbst praktiziert. Der sermo humilis ist seine eigentliche schriftstellerische Haltung geworden. Deshalb spricht er, wenn er über ihn schreibt, im Grunde auch von sich selbst und von seiner eigenen Bildungsgeschichte. Auch von der Emanzipation aus dem professoralen Stil, den er noch in der Habilitationsschrift über "Dante als Dichter der irdischen Welt" (1929) nicht ganz abgelegt hatte.

Und der sermo humilis als Haltung - als Haltung der hingebenden Sachbezogenheit und der dienenden Vermittlung - ist zugleich das, was wir aus Auerbachs Vermächtnis am dringendsten zu retten hätten. Hat die Philologie ihren liebenden Charakter doch weitgehend eingebüßt und ist stellenweise zu einer Geheimwissenschaft entartet, deren selbst für Eingeweihte schwer verständliche "Diskurse" Außenstehende tatsächlich eher einschüchtern und abschrecken. Aber vielleicht ist ja noch nicht aller Tage Abend: Daß mit Victor Klemperers Tagebüchern unlängst ein Beispiel philologischer Wachsamkeit im Modus des sermo humilis Aufmerksamkeit geweckt, ja Furore gemacht hat, läßt hoffen. Vielleicht wirkt solches Reden am Ende doch noch schulbildend. Bedarf ist jedenfalls vorhanden. HANS-JÖRG NEUSCHÄFER Der Verfasser lehrt Romanistik an der Universität des Saarlandes.

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"Eine Glanzleistung vergleichender Textinterpretation." (ekz-informationsdienst)
- "Bis heute gibt es nichts, was geeigneter wäre, in die Literatur, ja, ins Lesen schlechthin einzuführen." (FAZ)