Produktdetails
- Verlag: Allison & Busby
- Seitenzahl: 306
- Englisch
- Abmessung: 198mm
- Gewicht: 290g
- ISBN-13: 9780749005023
- ISBN-10: 0749005025
- Artikelnr.: 10519975
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.2003Die große Steuerfrau
Anchee Mins Roman über Madame Mao und die Kulturrevolution
Sie hat es niemandem leicht gemacht. Am wenigsten sich selbst. Unzählige Schichten historischer Urteile, die mehr über den Betrachter als über den Gegenstand seiner Betrachtung sagen, haben sich über ihre Person in Geschichtsbüchern und Biographien abgelagert. Macht ist immer faszinierend und verstörend zugleich - besonders in den Händen einer Frau. Dann wird gern besonders tief in die Requisitenkiste der handfesten Vorurteile und misogynen Reflexe gegriffen.
In ihrem Roman "Madame Mao" hat die sino-amerikanische Autorin Anchee Min das historische Material erneut gesichtet und eine Perspektive gewählt, der mentalitätsgeschichtliche und psychoanalytische Überlegungen zugrunde liegen. Herausgekommen ist ein kenntnisreiches und staunenswertes Porträt einer der fraglos faszinierendsten Frauen des zwanzigsten Jahrhunderts: Das Portrait Jiang Qings, der letzten und langjährigen Ehefrau des chinesischen Revolutionsführers Mao Zedong.
Gewissermaßen anstelle der Tochter, die sich der Rolle der Biographin verweigert, zeichnet die Autorin das Leben der Frau an Maos Seite nach - so der Prolog. Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Autorin im Shanghaier Filmstudio Jiang Qings zur Schauspielerin ausgebildet wurde und in einer ihrer Modellopern vor der Kamera stand. Im Mittelpunkt des biographischen Romans steht die Lebens- und Liebesgeschichte Jiang Qings, die entlang der historischen Eruptionen des zwanzigsten Jahrhunderts erzählt wird: vom Ende der letzten chinesischen Dynastie über den Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Kommunisten, der Ausrufung der Volksrepublik und den darauf folgenden Massenkampagnen, deren Kulmination in der Kulturrevolution bis hin zur Verhaftung der sogenannten "Viererbande". Biographischer Ausgangspunkt und Vehikel des Erzählens ist der unstillbare Schmerz, die noch immer klaffende Wunde: der Schmerz einer grausamen Kindheit. Später wird er als Schmerz der Nation wiederkehren, revolutionärer Rache und der erbarmungslosen Auslöschung der "Feinde" Auftrieb geben. Ähnliche Folgen haben die tiefen Verletzungen und entwürdigenden Schikanen, die die junge Shanghaier Schauspielerin in den dreißiger Jahren erfährt. Drei Jahrzehnte später, im Zenit ihrer politischen Macht, wird gnadenlos Rache an Unschuldigen genommen: Tausende werden ausgeschaltet, ins Gefängnis geworfen, zum Selbstmord gezwungen oder umgebracht.
In "Madame Mao" erscheint die "Große Proletarische Kulturrevolution" nicht länger als kühnes (wenngleich schiefgelaufenes) Meisterwerk ideologischer Visionäre, sondern als Racheakt einer unerwiderten Liebe, als Ränkespiel wechselnder Allianzen, als perfekte Inszenierung einer nationalen Katharsis. Der Roman zeigt ein menschelndes Historiendrama, in dem der "Große Steuermann" Regie führt und Genossin Jiang Qing auf Weisung der Partei zunächst in eine unbedeutende Nebenrolle gedrängt wird. Als die Dinge aus dem Ruder zu laufen drohen, wittert die Geschaßte ihre Chance, übernimmt die Dramaturgie im Hintergrund und avanciert schließlich zur Hauptdarstellerin im Schauspiel Kulturrevolution. Der Regisseur Mao Zedong stirbt gerade rechtzeitig: So ist er zwar verantwortlich für das Desaster und kann doch als Mythos weiterleben.
Nun rächt sich auch Jiang Qings Begehren, im Rampenlicht stehen zu wollen. Der Vorhang fällt, und niemand und nichts erinnert mehr an die Heldin auf der Bühne der Revolution. Was in den Köpfen zurückbleibt, ist die machtgeile weißknöchrige Teufelin, die ihr Publikum verführt und die Revolution verraten hat. Ende der Vorstellung. Jiang Qing sitzt als Rädelsführerin der "Viererbande" vierzehn Jahre in der Todeszelle, bevor sie 1991 im Alter von siebenundsiebzig Jahren ihr Leben beendet: "Es ist Zeit, die Bühne freizumachen."
Doch ist es nicht allein der Theatralik der Revolution an sich geschuldet, daß dieser historische Stoff in der Metaphorik des Theaters aufgearbeitet wird. Die Autorin weiß aus eigener Erfahrung, wovon sie schreibt, und führt den Leser gleich in doppeltem Sinne hinter die Kulissen. So wird ein Einblick in die fragilen, narzißtischen und größenwahnsinnigen Seelen der Handelnden möglich, und zugleich erfährt man, wer im China des zwanzigsten Jahrhunderts wann welche Fäden im Hintergrund gezogen haben könnte. Durch die Verschränkung von frühkindlicher Erfahrung und politischem Handeln, von individueller Disposition und persönlicher Entwicklung zeigt sie Maos Witwe so, wie sie gewesen sein könnte. Damit setzt sich die Autorin überzeugend von jener eindimensionalen Sicht ab, die die Frau an Maos Seite wahlweise zur sexbesessenen, machtgierigen Kaiserin oder zum Opfer einer Revolution, die ihre eigenen Kinder frißt, stilisiert. Mins Roman ist keine Enthüllungsgeschichte, sondern beläßt der Hauptfigur ihr Geheimnis. Madame Mao wird weiterhin als ungelöstes Rätsel Faszination und Abscheu erregen.
IRMY SCHWEIGER
Anchee Min: "Madame Mao". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Heller. Scherz Verlag, Bern 2002. 348 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Anchee Mins Roman über Madame Mao und die Kulturrevolution
Sie hat es niemandem leicht gemacht. Am wenigsten sich selbst. Unzählige Schichten historischer Urteile, die mehr über den Betrachter als über den Gegenstand seiner Betrachtung sagen, haben sich über ihre Person in Geschichtsbüchern und Biographien abgelagert. Macht ist immer faszinierend und verstörend zugleich - besonders in den Händen einer Frau. Dann wird gern besonders tief in die Requisitenkiste der handfesten Vorurteile und misogynen Reflexe gegriffen.
In ihrem Roman "Madame Mao" hat die sino-amerikanische Autorin Anchee Min das historische Material erneut gesichtet und eine Perspektive gewählt, der mentalitätsgeschichtliche und psychoanalytische Überlegungen zugrunde liegen. Herausgekommen ist ein kenntnisreiches und staunenswertes Porträt einer der fraglos faszinierendsten Frauen des zwanzigsten Jahrhunderts: Das Portrait Jiang Qings, der letzten und langjährigen Ehefrau des chinesischen Revolutionsführers Mao Zedong.
Gewissermaßen anstelle der Tochter, die sich der Rolle der Biographin verweigert, zeichnet die Autorin das Leben der Frau an Maos Seite nach - so der Prolog. Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Autorin im Shanghaier Filmstudio Jiang Qings zur Schauspielerin ausgebildet wurde und in einer ihrer Modellopern vor der Kamera stand. Im Mittelpunkt des biographischen Romans steht die Lebens- und Liebesgeschichte Jiang Qings, die entlang der historischen Eruptionen des zwanzigsten Jahrhunderts erzählt wird: vom Ende der letzten chinesischen Dynastie über den Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Kommunisten, der Ausrufung der Volksrepublik und den darauf folgenden Massenkampagnen, deren Kulmination in der Kulturrevolution bis hin zur Verhaftung der sogenannten "Viererbande". Biographischer Ausgangspunkt und Vehikel des Erzählens ist der unstillbare Schmerz, die noch immer klaffende Wunde: der Schmerz einer grausamen Kindheit. Später wird er als Schmerz der Nation wiederkehren, revolutionärer Rache und der erbarmungslosen Auslöschung der "Feinde" Auftrieb geben. Ähnliche Folgen haben die tiefen Verletzungen und entwürdigenden Schikanen, die die junge Shanghaier Schauspielerin in den dreißiger Jahren erfährt. Drei Jahrzehnte später, im Zenit ihrer politischen Macht, wird gnadenlos Rache an Unschuldigen genommen: Tausende werden ausgeschaltet, ins Gefängnis geworfen, zum Selbstmord gezwungen oder umgebracht.
In "Madame Mao" erscheint die "Große Proletarische Kulturrevolution" nicht länger als kühnes (wenngleich schiefgelaufenes) Meisterwerk ideologischer Visionäre, sondern als Racheakt einer unerwiderten Liebe, als Ränkespiel wechselnder Allianzen, als perfekte Inszenierung einer nationalen Katharsis. Der Roman zeigt ein menschelndes Historiendrama, in dem der "Große Steuermann" Regie führt und Genossin Jiang Qing auf Weisung der Partei zunächst in eine unbedeutende Nebenrolle gedrängt wird. Als die Dinge aus dem Ruder zu laufen drohen, wittert die Geschaßte ihre Chance, übernimmt die Dramaturgie im Hintergrund und avanciert schließlich zur Hauptdarstellerin im Schauspiel Kulturrevolution. Der Regisseur Mao Zedong stirbt gerade rechtzeitig: So ist er zwar verantwortlich für das Desaster und kann doch als Mythos weiterleben.
Nun rächt sich auch Jiang Qings Begehren, im Rampenlicht stehen zu wollen. Der Vorhang fällt, und niemand und nichts erinnert mehr an die Heldin auf der Bühne der Revolution. Was in den Köpfen zurückbleibt, ist die machtgeile weißknöchrige Teufelin, die ihr Publikum verführt und die Revolution verraten hat. Ende der Vorstellung. Jiang Qing sitzt als Rädelsführerin der "Viererbande" vierzehn Jahre in der Todeszelle, bevor sie 1991 im Alter von siebenundsiebzig Jahren ihr Leben beendet: "Es ist Zeit, die Bühne freizumachen."
Doch ist es nicht allein der Theatralik der Revolution an sich geschuldet, daß dieser historische Stoff in der Metaphorik des Theaters aufgearbeitet wird. Die Autorin weiß aus eigener Erfahrung, wovon sie schreibt, und führt den Leser gleich in doppeltem Sinne hinter die Kulissen. So wird ein Einblick in die fragilen, narzißtischen und größenwahnsinnigen Seelen der Handelnden möglich, und zugleich erfährt man, wer im China des zwanzigsten Jahrhunderts wann welche Fäden im Hintergrund gezogen haben könnte. Durch die Verschränkung von frühkindlicher Erfahrung und politischem Handeln, von individueller Disposition und persönlicher Entwicklung zeigt sie Maos Witwe so, wie sie gewesen sein könnte. Damit setzt sich die Autorin überzeugend von jener eindimensionalen Sicht ab, die die Frau an Maos Seite wahlweise zur sexbesessenen, machtgierigen Kaiserin oder zum Opfer einer Revolution, die ihre eigenen Kinder frißt, stilisiert. Mins Roman ist keine Enthüllungsgeschichte, sondern beläßt der Hauptfigur ihr Geheimnis. Madame Mao wird weiterhin als ungelöstes Rätsel Faszination und Abscheu erregen.
IRMY SCHWEIGER
Anchee Min: "Madame Mao". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Heller. Scherz Verlag, Bern 2002. 348 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main