Als die Polizei vor ihrer Tür steht, bricht für Nas eine Welt zusammen: ihre Schwester Nushin ist tot. Autounfall, sagen die Beamten. Suizid, ist Nas überzeugt. Gemeinsam haben sie alles überstanden: die Migration nach Deutschland, den Verlust ihres Vaters, die emotionale Abwesenheit ihrer Mutter, Nushins ungeplante Mutterschaft. Obwohl ein Kind nicht in ihr Leben passt, nimmt Nas ihre Nichte auf. Selbst als sie entdeckt, dass Nushin Geheimnisse hatte, schluckt Nas den Verrat herunter, gibt alles dafür, die Geschichte ihrer Schwester zu rekonstruieren - und erkennt, dass Nushin sie niemals im Stich gelassen hätte. »Ministerium der Träume« ist ein Roman über Wahl- und Zwangsfamilie, ein Debüt über den bedingungslosen Zusammenhalt unter Geschwistern, das auch in die dunklen Ecken deutscher Gegenwart vordringt.
»Hengameh Yaghoobifarah packt den Kopf so voll mit Bildern und das Herz mit Gefühlen, dass man es kaum aushält. Ein oft genutzter Vergleich, aber hier ist er wirklich treffend: Diese Geschichte ist so aufregend, angsteinflößend, lustig und aufrüttelnd wie eine Achterbahnfahrt.« Alice Hasters
»Hengameh Yaghoobifaras 'Ministerium der Träume' ist ein Hurrikan, der um ein Angstauge kreist, eine Traumafabrik, die mitten in Deutschland steht.« Karen Köhler
»Auch in 'Ministerium der Träume' sind Yaghoobifarahs Worte eine sanfte Waffe, fein und brutal. Eine Geschichte zum Schreien und Weinen, voll von eindrücklichen Bildern und poetischer Schönheit.« Giulia Becker
»Dieser Text ist wie die heiß ersehnte köstliche Süßigkeit, nur besser. Viel besser. Er ist völlig anders als alles bisher Dagewesene, und Sie müssen ihn unbedingt kennenlernen.« Olga Grjasnowa
»Hengameh Yaghoobifarah packt den Kopf so voll mit Bildern und das Herz mit Gefühlen, dass man es kaum aushält. Ein oft genutzter Vergleich, aber hier ist er wirklich treffend: Diese Geschichte ist so aufregend, angsteinflößend, lustig und aufrüttelnd wie eine Achterbahnfahrt.« Alice Hasters
»Hengameh Yaghoobifaras 'Ministerium der Träume' ist ein Hurrikan, der um ein Angstauge kreist, eine Traumafabrik, die mitten in Deutschland steht.« Karen Köhler
»Auch in 'Ministerium der Träume' sind Yaghoobifarahs Worte eine sanfte Waffe, fein und brutal. Eine Geschichte zum Schreien und Weinen, voll von eindrücklichen Bildern und poetischer Schönheit.« Giulia Becker
»Dieser Text ist wie die heiß ersehnte köstliche Süßigkeit, nur besser. Viel besser. Er ist völlig anders als alles bisher Dagewesene, und Sie müssen ihn unbedingt kennenlernen.« Olga Grjasnowa
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2021Ihren bunten Albtraum nennt sie Deutschland
Wilder Trip durch Familie und Rassismus: Hengameh Yaghoobifarahs Roman "Ministerium der Träume"
Nasrin Behzadi, genannt Nas, ist die Ausgeburt Berliner Techno-Träume. Eine einundvierzigjährige queere, lesbische, mehrgewichtige Türsteherin mit Depressionen, Hang zu Unpünktlichkeit und einer Vorliebe für Gras und Kippen. Die Hauptfigur in Hengameh Yaghoobifarahs Roman "Ministerium der Träume" stammt aus Teheran, lebt mit ihrer Familie in Berlin-Neukölln und ist plötzlich zuständig für ihre Nichte Parvin. Denn Nasrins geliebte Schwester Nushin ist verschwunden. Ist sie tot? Unfall oder Mord?
Nasrin begibt sich auf die Suche nach der Wahrheit und taucht ein in die eigene Vergangenheit. Es geht um Freundschaft und Konflikte in Zwangs- und Wahlfamilien. Die Jagd nach schmerzhafter Gewissheit verwebt Nasrins Träume untrennbar mit Panikattacken und der Realität. Die zwischen Vergangenheit und Gegenwart abwechselnden Kapitel laufen gegeneinander und sorgen für einen packenden Leseeindruck fast bis ultimo.
Der Roman illustriert die Verzweiflung und drängenden Gefühle von Heranwachsenden so bunt und gleichzeitig doch grau, wie man es aus der Pubertätswahrnehmung kennt. Als Vormund ihrer Nichte schildert Nasrin genüsslich die Erwachsenenwelt aus der Sicht einer Person, die sich nie um die Spießigkeit, die Elternschaft zwangsläufig mit sich bringt, beworben hat. Yaghoobifarahs Persiflage auf "die deutsche Kultur", was auch immer das sein soll, ist köstlich: Da sind die streberhaften Biodeutschen, die beim Elternabend ungeduldig mit ihrem Stift klickern und an den Lippen der Lehrerin Frau Möller-Hagebeck hängen. Unterdessen packt die arabischsprechende Elterngruppe Thermoskannen mit Tee und eine Schachtel Datteln vor sich auf dem Tisch aus, unterhält sich angeregt und lädt die Neue in dieser Versammlung an ihren Tisch ein.
Snacks und herzliches Gastgebertum als Distinktionsmerkmal für Menschen mit Migrationsgeschichte - das sind Konstanten, die sich durch den Roman ziehen. Die Polizei, die Annika-Cliquen dieser Welt, die weißen Nachbarn: Sie alle scheinen überfordert von simplen Nüssen und Tee. Überhaupt, die "Annikas" sind die wohl prägnanteste, weil nervigste Beobachtung Yaghoobifarahs aus dem echten Leben. Gemeint sind damit weiße Frauen, die Rassismus reproduzieren und ihre Privilegien ignorieren. Sie behaupten, offen für alle Menschen unabhängig von Hautfarbe, Hintergrund, Sexualität, Aussehen oder Artikulation zu sein, haben aber Angst, dass ihre Kinder homosexuell würden oder Ähnliches. Von "Also ich gehe gerne auf den Christopher Street Day" bis zu "Berlin bleibt bunt" ist der Annika-Clique oder einer "homofeindlichen Bibel-Club-Mutti" auf dem Elternabend in "Ministerium der Träume" keine Plattitüde zu peinlich, um ihre vermeintliche Integrität zu beweisen. Yaghoobifarah, 1991 in Kiel geboren, zeigte sich bereits in Kolumnen für die tageszeitung und mit der Anthologie "Eure Heimat ist unser Albtraum" als genaue Beobachtende des Zeitgeschehens.
Musik ist ein wichtiger Anker für Nasrin. Yaghoobifarah hat einzelne Abschnitte des Romans mit englischen Songtexten aus der jeweiligen Zeit untermalt. Gelesen kitzeln sie dieses bestimmte Hirnareal, das die dazugehörige Melodie vor Ohren hat, dem sie aber partout nicht einfallen will. Es empfiehlt sich, den Musikstreamingdienst des Vertrauens oder den Plattenspieler ergänzend zur Lektüre laufen zu lassen. Gemixt wird der Romantext mit Anglizismen, Slang und persischen Namen.
Nachdem die Handlung anfangs viel Zeit gewährt, um sich in dem Wirrwarr der Namen und Beziehungen zurechtzufinden, nimmt sie nach dem ersten Drittel deutlich Fahrt auf. Dabei ist die Sprache nie anbiedernd, sondern authentisch. "Schelle", "Almans", "Bullen", "cringe" und "ghosten" klingen aus Nasrins Mund passend. Dieser Slang erzählt vom Alltag mit Eltern, die für jedes noch so simple Spielzeug hart arbeiten müssen. Erzählt vom Alltagsrassismus, wenn eine Lehrerin mit jungen Schülerinnen, die im Sommer durchs Fernsehen Deutsch gelernt haben, überlaut und langsam spricht. Erzählt von Nasrins harmlosem Jahrmarktbesuch mit Freunden, der in einer knappen Flucht vor drei Nazi-Schlägern mündet. Erzählt vom Alltag, in dem jedes Klingeln der Polizei an der Wohnungstür Angst in der jungen Frau auslöst - Angst, dass die Polizisten sie töten könnten, ohne dass jemand aus ihrem Umfeld das merkt. Illegale Polizeigewalt als Inbegriff der Bedrohung migrantischer Kultur, dieses Motiv ist von Yaghoobifarah bekannt. Traurig, aber real. Solche Geschichten liest man selten, und solche Figuren trifft man viel zu selten.
Am Ende wird Nasrin selbst zu einer aus der Elternwelt und erschrickt über die eigenen Anflüge von Spießigkeit. Doch die Entwicklung tut ihr gut. Warmherzig erzieht sie, die selbst noch nicht erwachsen sein will, die Nichte und vermittelt ihr die persönlichen Werte. Als Parvin beim Versuch, sich selbst die Haare zu schneiden, verzweifelt, fragt Nasrin sie, warum sie nicht einfach zum Friseurladen gehe. "Weil Frisöre behindert sind." "Ey, was hab ich dir zu diesem Begriff gesagt?" Parvin rollt die Augen. "Weil Frisöre . . . scheiße sind?"
Wie ein Sog zieht "Ministerium der Träume" in die laute und zugleich auch stumme Welt der Protagonistin. Wer den etwas lahmen Beginn übersteht, wird vom spannenden Fortgang belohnt. Wenngleich ein schnelleres und vor allem weniger rührseliges und konstruiertes Ende dem Roman besser getan hätten.
VIKTORIA WILLENBORG
Hengameh Yaghoobifarah: "Ministerium der Träume". Roman.
Blumenbar Verlag, Berlin 2021. 381 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wilder Trip durch Familie und Rassismus: Hengameh Yaghoobifarahs Roman "Ministerium der Träume"
Nasrin Behzadi, genannt Nas, ist die Ausgeburt Berliner Techno-Träume. Eine einundvierzigjährige queere, lesbische, mehrgewichtige Türsteherin mit Depressionen, Hang zu Unpünktlichkeit und einer Vorliebe für Gras und Kippen. Die Hauptfigur in Hengameh Yaghoobifarahs Roman "Ministerium der Träume" stammt aus Teheran, lebt mit ihrer Familie in Berlin-Neukölln und ist plötzlich zuständig für ihre Nichte Parvin. Denn Nasrins geliebte Schwester Nushin ist verschwunden. Ist sie tot? Unfall oder Mord?
Nasrin begibt sich auf die Suche nach der Wahrheit und taucht ein in die eigene Vergangenheit. Es geht um Freundschaft und Konflikte in Zwangs- und Wahlfamilien. Die Jagd nach schmerzhafter Gewissheit verwebt Nasrins Träume untrennbar mit Panikattacken und der Realität. Die zwischen Vergangenheit und Gegenwart abwechselnden Kapitel laufen gegeneinander und sorgen für einen packenden Leseeindruck fast bis ultimo.
Der Roman illustriert die Verzweiflung und drängenden Gefühle von Heranwachsenden so bunt und gleichzeitig doch grau, wie man es aus der Pubertätswahrnehmung kennt. Als Vormund ihrer Nichte schildert Nasrin genüsslich die Erwachsenenwelt aus der Sicht einer Person, die sich nie um die Spießigkeit, die Elternschaft zwangsläufig mit sich bringt, beworben hat. Yaghoobifarahs Persiflage auf "die deutsche Kultur", was auch immer das sein soll, ist köstlich: Da sind die streberhaften Biodeutschen, die beim Elternabend ungeduldig mit ihrem Stift klickern und an den Lippen der Lehrerin Frau Möller-Hagebeck hängen. Unterdessen packt die arabischsprechende Elterngruppe Thermoskannen mit Tee und eine Schachtel Datteln vor sich auf dem Tisch aus, unterhält sich angeregt und lädt die Neue in dieser Versammlung an ihren Tisch ein.
Snacks und herzliches Gastgebertum als Distinktionsmerkmal für Menschen mit Migrationsgeschichte - das sind Konstanten, die sich durch den Roman ziehen. Die Polizei, die Annika-Cliquen dieser Welt, die weißen Nachbarn: Sie alle scheinen überfordert von simplen Nüssen und Tee. Überhaupt, die "Annikas" sind die wohl prägnanteste, weil nervigste Beobachtung Yaghoobifarahs aus dem echten Leben. Gemeint sind damit weiße Frauen, die Rassismus reproduzieren und ihre Privilegien ignorieren. Sie behaupten, offen für alle Menschen unabhängig von Hautfarbe, Hintergrund, Sexualität, Aussehen oder Artikulation zu sein, haben aber Angst, dass ihre Kinder homosexuell würden oder Ähnliches. Von "Also ich gehe gerne auf den Christopher Street Day" bis zu "Berlin bleibt bunt" ist der Annika-Clique oder einer "homofeindlichen Bibel-Club-Mutti" auf dem Elternabend in "Ministerium der Träume" keine Plattitüde zu peinlich, um ihre vermeintliche Integrität zu beweisen. Yaghoobifarah, 1991 in Kiel geboren, zeigte sich bereits in Kolumnen für die tageszeitung und mit der Anthologie "Eure Heimat ist unser Albtraum" als genaue Beobachtende des Zeitgeschehens.
Musik ist ein wichtiger Anker für Nasrin. Yaghoobifarah hat einzelne Abschnitte des Romans mit englischen Songtexten aus der jeweiligen Zeit untermalt. Gelesen kitzeln sie dieses bestimmte Hirnareal, das die dazugehörige Melodie vor Ohren hat, dem sie aber partout nicht einfallen will. Es empfiehlt sich, den Musikstreamingdienst des Vertrauens oder den Plattenspieler ergänzend zur Lektüre laufen zu lassen. Gemixt wird der Romantext mit Anglizismen, Slang und persischen Namen.
Nachdem die Handlung anfangs viel Zeit gewährt, um sich in dem Wirrwarr der Namen und Beziehungen zurechtzufinden, nimmt sie nach dem ersten Drittel deutlich Fahrt auf. Dabei ist die Sprache nie anbiedernd, sondern authentisch. "Schelle", "Almans", "Bullen", "cringe" und "ghosten" klingen aus Nasrins Mund passend. Dieser Slang erzählt vom Alltag mit Eltern, die für jedes noch so simple Spielzeug hart arbeiten müssen. Erzählt vom Alltagsrassismus, wenn eine Lehrerin mit jungen Schülerinnen, die im Sommer durchs Fernsehen Deutsch gelernt haben, überlaut und langsam spricht. Erzählt von Nasrins harmlosem Jahrmarktbesuch mit Freunden, der in einer knappen Flucht vor drei Nazi-Schlägern mündet. Erzählt vom Alltag, in dem jedes Klingeln der Polizei an der Wohnungstür Angst in der jungen Frau auslöst - Angst, dass die Polizisten sie töten könnten, ohne dass jemand aus ihrem Umfeld das merkt. Illegale Polizeigewalt als Inbegriff der Bedrohung migrantischer Kultur, dieses Motiv ist von Yaghoobifarah bekannt. Traurig, aber real. Solche Geschichten liest man selten, und solche Figuren trifft man viel zu selten.
Am Ende wird Nasrin selbst zu einer aus der Elternwelt und erschrickt über die eigenen Anflüge von Spießigkeit. Doch die Entwicklung tut ihr gut. Warmherzig erzieht sie, die selbst noch nicht erwachsen sein will, die Nichte und vermittelt ihr die persönlichen Werte. Als Parvin beim Versuch, sich selbst die Haare zu schneiden, verzweifelt, fragt Nasrin sie, warum sie nicht einfach zum Friseurladen gehe. "Weil Frisöre behindert sind." "Ey, was hab ich dir zu diesem Begriff gesagt?" Parvin rollt die Augen. "Weil Frisöre . . . scheiße sind?"
Wie ein Sog zieht "Ministerium der Träume" in die laute und zugleich auch stumme Welt der Protagonistin. Wer den etwas lahmen Beginn übersteht, wird vom spannenden Fortgang belohnt. Wenngleich ein schnelleres und vor allem weniger rührseliges und konstruiertes Ende dem Roman besser getan hätten.
VIKTORIA WILLENBORG
Hengameh Yaghoobifarah: "Ministerium der Träume". Roman.
Blumenbar Verlag, Berlin 2021. 381 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.02.2021Pöbeln auf Leben und Tod
Hengameh Yaghoobifarahs Romandebüt „Das Ministerium der Träume“ will
den gesellschaftlichen Fortschritt. Der Kampf dafür darf auch brutal sein
VON JULIANE LIEBERT
Das Ministerium der Träume“ ist ein sehr deutscher Buchtitel. Was wäre deutscher als ein Ministerium, von dem man zwar einen Stempel braucht, das es aber bei näherer Betrachtung gar nicht gibt? Es kommt nämlich im ganzen Buch kein Ministerium vor. Nicht mal ein ganz kleines. Es gibt aber eine Traumfabrik, die durch ein zusätzliches A zur Traumafabrik wird – es kommen allerdings auch keine Traumata vor, zumindest nicht serienmäßig. Die beschriebenen Traumata sind alle sehr eigen, also eher Spezialanfertigungen.
Träume dagegen gibt es. Träumen tut sie Nasrin, eine Türsteherin, die sich selbst eine „migrantische Lesbe“ nennt. Sie ist als Kind mit Mutter und Schwester aus Teheran nach Deutschland immigriert, der Vater blieb zurück und wurde hingerichtet. Mit zwölf wird sie von einem Rechtsradikalen in einem Bauwagen vergewaltigt. In ihrer Pubertät in Lübeck trauen sie und ihre Freunde sich wegen rechter Mordanschläge nicht im Dunkeln vor die Tür. Inzwischen lebt sie in Berlin. Mittlerweile in ihren Vierzigern, ist sie tief in der queeren Szene verwurzelt, in der sie sich zum ersten Mal wirklich angenommen fühlt.
Als ihre Schwester Nushin bei einem Autounfall stirbt, übernimmt Nasrin die Fürsorge für deren Tochter Parvin. Die wiederum hat nicht die geringste Lust, befürsorgt zu werden. Dann kommen Zweifel auf, dass Nushin wirklich bei einem Unfall starb – war es doch Selbstmord? Oder sogar Mord? So wie „Das Ministerium der Träume“ ein Buch über Deutschland und seine Abgründe ist, ist es auch eines über Frauen und ihre Stärke. Männer kommen nicht besonders viel vor (erst recht keine alten weißen), es sei denn in entfernten Nebenrollen oder als Aggressoren. Die vier Hauptcharaktere sind eine „Lesbe“, eine Witwe, eine alleinerziehende Mutter, eine Tochter, die diese Mutter verliert. Sie sitzen scheinbar im selben Boot, aber jede ringt mit ihren eigenen Ängsten. Sie belügen und entführen sich, Nasrins Mutter ist gewalttätig und homophob, auch die Ziehtochter Parvin beschimpft ihre Tante einmal als „abnormal“.
Den Bechdel-Test würde der Roman mit Bravour bestehen: Er handelt von Frauen, die mit anderen Frauen reden, füreinander da sind, sich abfucken und unterstützen, lieben und aneinander reiben (psychisch und physisch). Die Liebe siegt nicht notwendigerweise, aber sie verbindet wie ein unzerstörbarer Kaugummi. Ein Kaugummi, der sogar den Tod überdauert.
Die Autor*in des Buches, Hegameh Yaghoobifarah, definiert sich als nonbinär. Seit einer Kolumne in der taz, in der Polizisten satirisch mit Müll in Verbindung gebracht wurden, ist Yaghoobifarah ein Politikum. Die Debatte um die Kolumne erreichte höchste Kreise, zog bergeweise Anzeigen nach sich. Sogar der Bundesinnenminister Horst Seehofer drohte eine an. Nicht nur musste Yaghoobifarah wegen Morddrohungen umziehen – nein, es reicht, so hört man, aus, mit Yaghoobifarah zusammenzuarbeiten, um Morddrohungen zu erhalten. In der Kolumne „Habibitus“ kommen deutsche Stereotype vor, die „Kartoffeln“ und „Annikas“, Yaghoobifarah kultiviert den drastischen Diss der Mehrheitsgesellschaft als politische Performance.
Auch die Protagonistin des Romans ist innerlich meist im Pöbelmodus (während sie selbst trotteligen Polizisten gegenüber persische Gastfreundschaft zeigt), aber es ist von Anfang an klar, dass ihre Aggressionen eine Überlebenstechnik sind. Yaghoobifarah kultiviert dabei eine Vorliebe für, sagen wir, experimentelle Sprachbilder. Das ist manchmal sehr lustig, etwa wenn gefragt wird, „Wer hätte gedacht, dass Erdnusssoße so sturmresistent ist?“. Manchmal kommen dabei aber auch Sätze heraus wie „Bilder schießen mir ins Gesicht. Nicht wie Ohrfeigen, sondern wie ein Lastwagen, der mit 250 km/h auf mich zubrettert.“ Bilder schießen ihr ... ins Gesicht? Wie ein Lastwagen? Ist dem Lektorat da kein Lastwagen ins Gesicht geschossen? Solche etwas schiefen Vergleiche beschränken sich allerdings hauptsächlich auf die ersten paar Kapitel.
In den stärksten Passagen ist Yaghoobifarah in der Lage, aus all den Kleinigkeiten, die einen Alltag ausmachen, ein literarisches Zimmer zu erschaffen, in dem man zusammen verweilt – ohne dass es trivial oder langweilig wird. Das ermöglicht einem den Einblick in die Welt der Überlebenden – jener, für die Hanau nicht nur ein Stadtname ist, sondern für eine reale Bedrohung steht.
Die Erzählung setzt aber auch ein bestimmtes migrantisches Selbstverständnis voraus, ein Denken in Gruppen und Gegengruppen. Und damit steckt man mittendrin in den erbitterten Debatten, in denen sich Yaghoobifarah auch mit den Kolumnen bewegt. Worum geht es dabei eigentlich? Abgesehen von der Frage, ob Mülldeponien und Polizisten irgendwas miteinander zu tun haben. Wütend gestritten wird heute nicht nur zwischen Reaktionären und Progressiven. Es stehen sich auch zwei Modelle von Fortschritt als sozialer Praxis gegenüber.
Die einen wünschen sich gesellschaftlichen Fortschritt als „gutes Gespräch“: Man kommt als Gleichberechtigte zusammen, ist sich einig über die Methoden, mit denen eine gemeinsame Wirklichkeit als Diskussionsgrundlage überhaupt erst hergestellt werden kann. Auf dieser Basis redet man unter Wahrung der Fairnessregeln miteinander und trifft Entscheidungen, die Schritt für Schritt mehr Freiheit und Gerechtigkeit für alle bringen. Für Yaghoobifarah und die Autorin Fatma Aydemir, die gemeinsam den programmatischen Sammelband „Eure Heimat ist unser Albtraum“ herausgegeben hat, sind hingegen die Karten des Sprachspiels gezinkt. Schon die Regeln sind nur scheingerecht, schließen tatsächlich viele Menschen und ihre Erfahrungen aus. Sie leiten daraus nicht nur ein Recht, sondern geradezu die Pflicht zur diskursiven Militanz ab. Fortschritt bedeutet für sie revolutionären Kampf. Die herrschende Ordnung muss zerlegt und zu etwas Neuem zusammengesetzt werden. Kollateralschäden sind dabei in Kauf zu nehmen. Das Leben in einer Kultur, die Kolonialismus und Kapitalismus hervorgebracht hat, ist eben kein Ponyhof, es zu verbessern kann dementsprechend auch keine Kuschelparty sein.
Klingt brutal, aber es gibt durchaus Gründe für diese Weltsicht. Man muss sich nur daran erinnern, wie sehr einen Ungerechtigkeiten verfolgen, die man im Laufe seines Lebens, als Kind und Jugendliche vor allem, erlitten hat. Wer als „markierter“ Mensch durchs Leben geht, aus Mehrheitsperspektive anders aussieht (im Habibitus-Sprech: Kanake ist), anders liebt, sich selbst anders versteht, erfährt solche Ungerechtigkeiten als Alltag. Von diesen erzählt auch der Roman offensiv. Trotzdem liest er sich wesentlich weniger krawallig als die Habibitus-Kolumnen. Was nicht daran liegt, dass da ein poetischer Feinsinn und eine nüchterne Beschreibungskunst am Werk wären, die gegen Anwandlungen von Agitprop immun sind. Die Protagonistin redet ungehemmt schlecht über Deutsche, aber das ist eher amüsant als provokativ. Sie redet ja auch schlecht über sich selbst.
Der drastische Diss der
Mehrheitsgesellschaft ist hier
eine politische Performance
Das Leben in dieser Kultur ist
keine Kuschelparty. Und es gibt
Gründe für so eine Weltsicht
Hengameh
Yaghoobifarah:
Das Ministerium der
Träume. Roman.
Blumenbar, Berlin 2021. 384 Seiten, 22 Euro.
Hengameh Yaghoobifarah, 1991 in Kiel geboren.
Foto: Tarek Mohamed Mawad
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Hengameh Yaghoobifarahs Romandebüt „Das Ministerium der Träume“ will
den gesellschaftlichen Fortschritt. Der Kampf dafür darf auch brutal sein
VON JULIANE LIEBERT
Das Ministerium der Träume“ ist ein sehr deutscher Buchtitel. Was wäre deutscher als ein Ministerium, von dem man zwar einen Stempel braucht, das es aber bei näherer Betrachtung gar nicht gibt? Es kommt nämlich im ganzen Buch kein Ministerium vor. Nicht mal ein ganz kleines. Es gibt aber eine Traumfabrik, die durch ein zusätzliches A zur Traumafabrik wird – es kommen allerdings auch keine Traumata vor, zumindest nicht serienmäßig. Die beschriebenen Traumata sind alle sehr eigen, also eher Spezialanfertigungen.
Träume dagegen gibt es. Träumen tut sie Nasrin, eine Türsteherin, die sich selbst eine „migrantische Lesbe“ nennt. Sie ist als Kind mit Mutter und Schwester aus Teheran nach Deutschland immigriert, der Vater blieb zurück und wurde hingerichtet. Mit zwölf wird sie von einem Rechtsradikalen in einem Bauwagen vergewaltigt. In ihrer Pubertät in Lübeck trauen sie und ihre Freunde sich wegen rechter Mordanschläge nicht im Dunkeln vor die Tür. Inzwischen lebt sie in Berlin. Mittlerweile in ihren Vierzigern, ist sie tief in der queeren Szene verwurzelt, in der sie sich zum ersten Mal wirklich angenommen fühlt.
Als ihre Schwester Nushin bei einem Autounfall stirbt, übernimmt Nasrin die Fürsorge für deren Tochter Parvin. Die wiederum hat nicht die geringste Lust, befürsorgt zu werden. Dann kommen Zweifel auf, dass Nushin wirklich bei einem Unfall starb – war es doch Selbstmord? Oder sogar Mord? So wie „Das Ministerium der Träume“ ein Buch über Deutschland und seine Abgründe ist, ist es auch eines über Frauen und ihre Stärke. Männer kommen nicht besonders viel vor (erst recht keine alten weißen), es sei denn in entfernten Nebenrollen oder als Aggressoren. Die vier Hauptcharaktere sind eine „Lesbe“, eine Witwe, eine alleinerziehende Mutter, eine Tochter, die diese Mutter verliert. Sie sitzen scheinbar im selben Boot, aber jede ringt mit ihren eigenen Ängsten. Sie belügen und entführen sich, Nasrins Mutter ist gewalttätig und homophob, auch die Ziehtochter Parvin beschimpft ihre Tante einmal als „abnormal“.
Den Bechdel-Test würde der Roman mit Bravour bestehen: Er handelt von Frauen, die mit anderen Frauen reden, füreinander da sind, sich abfucken und unterstützen, lieben und aneinander reiben (psychisch und physisch). Die Liebe siegt nicht notwendigerweise, aber sie verbindet wie ein unzerstörbarer Kaugummi. Ein Kaugummi, der sogar den Tod überdauert.
Die Autor*in des Buches, Hegameh Yaghoobifarah, definiert sich als nonbinär. Seit einer Kolumne in der taz, in der Polizisten satirisch mit Müll in Verbindung gebracht wurden, ist Yaghoobifarah ein Politikum. Die Debatte um die Kolumne erreichte höchste Kreise, zog bergeweise Anzeigen nach sich. Sogar der Bundesinnenminister Horst Seehofer drohte eine an. Nicht nur musste Yaghoobifarah wegen Morddrohungen umziehen – nein, es reicht, so hört man, aus, mit Yaghoobifarah zusammenzuarbeiten, um Morddrohungen zu erhalten. In der Kolumne „Habibitus“ kommen deutsche Stereotype vor, die „Kartoffeln“ und „Annikas“, Yaghoobifarah kultiviert den drastischen Diss der Mehrheitsgesellschaft als politische Performance.
Auch die Protagonistin des Romans ist innerlich meist im Pöbelmodus (während sie selbst trotteligen Polizisten gegenüber persische Gastfreundschaft zeigt), aber es ist von Anfang an klar, dass ihre Aggressionen eine Überlebenstechnik sind. Yaghoobifarah kultiviert dabei eine Vorliebe für, sagen wir, experimentelle Sprachbilder. Das ist manchmal sehr lustig, etwa wenn gefragt wird, „Wer hätte gedacht, dass Erdnusssoße so sturmresistent ist?“. Manchmal kommen dabei aber auch Sätze heraus wie „Bilder schießen mir ins Gesicht. Nicht wie Ohrfeigen, sondern wie ein Lastwagen, der mit 250 km/h auf mich zubrettert.“ Bilder schießen ihr ... ins Gesicht? Wie ein Lastwagen? Ist dem Lektorat da kein Lastwagen ins Gesicht geschossen? Solche etwas schiefen Vergleiche beschränken sich allerdings hauptsächlich auf die ersten paar Kapitel.
In den stärksten Passagen ist Yaghoobifarah in der Lage, aus all den Kleinigkeiten, die einen Alltag ausmachen, ein literarisches Zimmer zu erschaffen, in dem man zusammen verweilt – ohne dass es trivial oder langweilig wird. Das ermöglicht einem den Einblick in die Welt der Überlebenden – jener, für die Hanau nicht nur ein Stadtname ist, sondern für eine reale Bedrohung steht.
Die Erzählung setzt aber auch ein bestimmtes migrantisches Selbstverständnis voraus, ein Denken in Gruppen und Gegengruppen. Und damit steckt man mittendrin in den erbitterten Debatten, in denen sich Yaghoobifarah auch mit den Kolumnen bewegt. Worum geht es dabei eigentlich? Abgesehen von der Frage, ob Mülldeponien und Polizisten irgendwas miteinander zu tun haben. Wütend gestritten wird heute nicht nur zwischen Reaktionären und Progressiven. Es stehen sich auch zwei Modelle von Fortschritt als sozialer Praxis gegenüber.
Die einen wünschen sich gesellschaftlichen Fortschritt als „gutes Gespräch“: Man kommt als Gleichberechtigte zusammen, ist sich einig über die Methoden, mit denen eine gemeinsame Wirklichkeit als Diskussionsgrundlage überhaupt erst hergestellt werden kann. Auf dieser Basis redet man unter Wahrung der Fairnessregeln miteinander und trifft Entscheidungen, die Schritt für Schritt mehr Freiheit und Gerechtigkeit für alle bringen. Für Yaghoobifarah und die Autorin Fatma Aydemir, die gemeinsam den programmatischen Sammelband „Eure Heimat ist unser Albtraum“ herausgegeben hat, sind hingegen die Karten des Sprachspiels gezinkt. Schon die Regeln sind nur scheingerecht, schließen tatsächlich viele Menschen und ihre Erfahrungen aus. Sie leiten daraus nicht nur ein Recht, sondern geradezu die Pflicht zur diskursiven Militanz ab. Fortschritt bedeutet für sie revolutionären Kampf. Die herrschende Ordnung muss zerlegt und zu etwas Neuem zusammengesetzt werden. Kollateralschäden sind dabei in Kauf zu nehmen. Das Leben in einer Kultur, die Kolonialismus und Kapitalismus hervorgebracht hat, ist eben kein Ponyhof, es zu verbessern kann dementsprechend auch keine Kuschelparty sein.
Klingt brutal, aber es gibt durchaus Gründe für diese Weltsicht. Man muss sich nur daran erinnern, wie sehr einen Ungerechtigkeiten verfolgen, die man im Laufe seines Lebens, als Kind und Jugendliche vor allem, erlitten hat. Wer als „markierter“ Mensch durchs Leben geht, aus Mehrheitsperspektive anders aussieht (im Habibitus-Sprech: Kanake ist), anders liebt, sich selbst anders versteht, erfährt solche Ungerechtigkeiten als Alltag. Von diesen erzählt auch der Roman offensiv. Trotzdem liest er sich wesentlich weniger krawallig als die Habibitus-Kolumnen. Was nicht daran liegt, dass da ein poetischer Feinsinn und eine nüchterne Beschreibungskunst am Werk wären, die gegen Anwandlungen von Agitprop immun sind. Die Protagonistin redet ungehemmt schlecht über Deutsche, aber das ist eher amüsant als provokativ. Sie redet ja auch schlecht über sich selbst.
Der drastische Diss der
Mehrheitsgesellschaft ist hier
eine politische Performance
Das Leben in dieser Kultur ist
keine Kuschelparty. Und es gibt
Gründe für so eine Weltsicht
Hengameh
Yaghoobifarah:
Das Ministerium der
Träume. Roman.
Blumenbar, Berlin 2021. 384 Seiten, 22 Euro.
Hengameh Yaghoobifarah, 1991 in Kiel geboren.
Foto: Tarek Mohamed Mawad
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Viktoria Willenborg begegnet selten Geschichten und Figuren wie in Hengameh Yaghoobifarahs Roman um eine aus Teheran stammende laute, queere Berliner Türsteherin auf der Suche nach ihrer Schwester. Rassen- und Klassenkonflikte waren noch nie so schön ins Wort gewickelt wie in diesem Buch, findet die Rezensentin, die sich besonders an Yaghoobifarahs persiflierten Einblicken in die Kultur der privilegierten Almans und Biodeutschen ergötzt. Slang und Songtexte mixt die Autorin laut Rezensentin ebenso gekonnt in den Text. Dass sich das Buch um die tristen Erfahrungen von Migranten in diesem Land dreht, könnte Willenborg fast vergessen. Schade bloß, dass der Roman etwas mühsam losgeht und etwas rührselig endet, findet sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Der drastische Diss der Mehrheitsgesellschaft ist hier eine politische Performance. Das Leben in dieser Kultur ist keine Kuschelparty. Und es gibt Gründe für so eine Weltsicht.« Süddeutsche Zeitung 20210212