Wagners Werk ist voll von tragischen Liebenden: Tristan und Isolde, Kundry und Parsifal, Venus und Tannhäuser - Spiegel des Lebens eines Mannes, dessen erotische Affären bis heute in aller Munde sind: Mathilde Wesendonck, Cosima von Bülow ... Der Komponist hat aber auch über 26 Jahre eine "bürgerliche Ehe" geführt, die erstaunlich lange allen Stürmen und Seitensprüngen trotzte, schließlich aber doch zerbrach. Wer war jene Minna Planer, die das ruhelose Leben ihres Mannes zwischen Musik, Revolution und Schweizer Exil teilte? Ein armes Hascherl? Weit gefehlt! Eva Rieger überrascht den Leser: Sie entwirft ein facettenreiches Porträt einer höchst eigenständigen und selbstbewussten Frau. Gestützt auf eingehende Recherchen in Bayreuth und Archiven der Schweiz führt sie dem Leser zugleich Wagners entscheidende Lebens- und Schaffensjahre vor Augen. So entsteht die plastische und aufregende Biografie einer Frau, die in den Stationen der Liebe zu ihrem genialen Mann alle Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz durchlebt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.07.2003Das Genie schuftet und ist Schuft
Es gilt, Minna Wagner zu rehabilitieren: Eva Rieger versucht es
Richard Wagner und die Frauen: Mathilde Wesendonck und Cosima von Bülow sind rasch zur Hand. Doch Minna Planer, die Ehefrau für dreißig Jahre? Zu ihrer Abwertung, ja Verdrängung hat Wagner selbst beigetragen: "Wotan heiratete Minna" - der göttliche Künstler verband sich mit einer Fricka ähnlichen, kleingeistigen Nörglerin, die das Genie an ihrer Seite verkannte. So sah es Wagner, weltfremd Kunst mit Leben verwechselnd.
Dabei hatte die Verbindung der ungleichen Partner, die sich 1834 kennenlernten, recht hoffnungsvoll begonnen. Die Musikwissenschaftlerin Eva Rieger, emeritierte Bremer Professorin für Sozialgeschichte der Musik, verfolgt anhand von Briefen, zeitgenössischen Berichten und geschichtlichen Hintergründen gewissenhaft, kritisch und psychologisch einfühlsam den Lebensweg einer kleinbürgerlichen Musikertochter, die ihren Schauspielerberuf Wagner zuliebe aufgab, sein künstlerisches und finanzielles Abenteuern zunächst pragmatisch stützte, seit dem Dresdner Maiaufstand von 1849 aber immer mißtrauischer auf Wagners Zumutungen reagierte. 1858, kurz vor der Trennung, fragte sich Minna: "Hat ein genialer Mann das Recht, auch ein Schuft zu sein?"
Eva Rieger hat sich nichts Geringeres vorgenommen als die Rehabilitierung einer Verkannten, wobei sie bekennt, "sich leichter in Minnas als in Richards Situation hineinversetzen zu können". Doch die Zeugnisse sprechen für sich. Verräterisch sind die unterschiedlichen Sichtweisen. Wagner, von Minna neurotisch abhängig, färbt seine Eheerlebnisse je nach Laune und Umständen mit dichterischer Freiheit. Minna dagegen, auf bürgerliche Wohlanständigkeit bedacht, urteilt nüchtern, doch im Verlauf der Ehetragödie immer ungerechter. Möglichst objektiv versucht Eva Rieger, Wahrheitskerne und psychische Motivationen abzuwägen.
Diese erste umfassende Biographie über Wagners erste Frau kann als Versuch einer Bürgerin des neunzehnten Jahrhunderts gelesen werden, sich innerhalb des patriarchalischen Rollenverständnisses ihrer Zeit eigenständig zu behaupten und damit das Verlangen ihres Mannes nach einer bedingungslos sich aufopfernden Partnerin zu durchkreuzen. Das spannende Buch kann aber auch verstanden werden als Einblick in den komplizierten Alltag eines exzentrischen, Normen sprengenden Komponisten, der seine Kunstprodukte selbstherrlich zum Maßstab der Wirklichkeit erhob; als Psychoprozeß einer Entfremdung bis zum elenden Tod der Gattin (1866), der eine längst zerrüttete Ehe nach jahrelanger Trennung endlich auch formal auflöste; schließlich als vertrackte Entstehungsgeschichte der Wagner-Opern von den "Feen" (1833) bis zu "Lohengrin" (1850), die Minna mit ihrer Theatererfahrung offenbar sachverständig begleitete. Erst bei "Tristan und Isolde" verweigerte sie, tief verletzt durch Wagners Wesendonck-Affäre, die Gefolgschaft. "Ein Paar in der vollsten Glut der Sünde", wie Wagner sein Liebespfand an Minnas Nebenbuhlerin umschrieb, war ganz und gar nicht nach dem Geschmack der am 24. November 1836 Angetrauten.
ELLEN KOHLHAAS
Eva Rieger: "Minna und Richard Wagner". Stationen einer Liebe. Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 2003. 444 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es gilt, Minna Wagner zu rehabilitieren: Eva Rieger versucht es
Richard Wagner und die Frauen: Mathilde Wesendonck und Cosima von Bülow sind rasch zur Hand. Doch Minna Planer, die Ehefrau für dreißig Jahre? Zu ihrer Abwertung, ja Verdrängung hat Wagner selbst beigetragen: "Wotan heiratete Minna" - der göttliche Künstler verband sich mit einer Fricka ähnlichen, kleingeistigen Nörglerin, die das Genie an ihrer Seite verkannte. So sah es Wagner, weltfremd Kunst mit Leben verwechselnd.
Dabei hatte die Verbindung der ungleichen Partner, die sich 1834 kennenlernten, recht hoffnungsvoll begonnen. Die Musikwissenschaftlerin Eva Rieger, emeritierte Bremer Professorin für Sozialgeschichte der Musik, verfolgt anhand von Briefen, zeitgenössischen Berichten und geschichtlichen Hintergründen gewissenhaft, kritisch und psychologisch einfühlsam den Lebensweg einer kleinbürgerlichen Musikertochter, die ihren Schauspielerberuf Wagner zuliebe aufgab, sein künstlerisches und finanzielles Abenteuern zunächst pragmatisch stützte, seit dem Dresdner Maiaufstand von 1849 aber immer mißtrauischer auf Wagners Zumutungen reagierte. 1858, kurz vor der Trennung, fragte sich Minna: "Hat ein genialer Mann das Recht, auch ein Schuft zu sein?"
Eva Rieger hat sich nichts Geringeres vorgenommen als die Rehabilitierung einer Verkannten, wobei sie bekennt, "sich leichter in Minnas als in Richards Situation hineinversetzen zu können". Doch die Zeugnisse sprechen für sich. Verräterisch sind die unterschiedlichen Sichtweisen. Wagner, von Minna neurotisch abhängig, färbt seine Eheerlebnisse je nach Laune und Umständen mit dichterischer Freiheit. Minna dagegen, auf bürgerliche Wohlanständigkeit bedacht, urteilt nüchtern, doch im Verlauf der Ehetragödie immer ungerechter. Möglichst objektiv versucht Eva Rieger, Wahrheitskerne und psychische Motivationen abzuwägen.
Diese erste umfassende Biographie über Wagners erste Frau kann als Versuch einer Bürgerin des neunzehnten Jahrhunderts gelesen werden, sich innerhalb des patriarchalischen Rollenverständnisses ihrer Zeit eigenständig zu behaupten und damit das Verlangen ihres Mannes nach einer bedingungslos sich aufopfernden Partnerin zu durchkreuzen. Das spannende Buch kann aber auch verstanden werden als Einblick in den komplizierten Alltag eines exzentrischen, Normen sprengenden Komponisten, der seine Kunstprodukte selbstherrlich zum Maßstab der Wirklichkeit erhob; als Psychoprozeß einer Entfremdung bis zum elenden Tod der Gattin (1866), der eine längst zerrüttete Ehe nach jahrelanger Trennung endlich auch formal auflöste; schließlich als vertrackte Entstehungsgeschichte der Wagner-Opern von den "Feen" (1833) bis zu "Lohengrin" (1850), die Minna mit ihrer Theatererfahrung offenbar sachverständig begleitete. Erst bei "Tristan und Isolde" verweigerte sie, tief verletzt durch Wagners Wesendonck-Affäre, die Gefolgschaft. "Ein Paar in der vollsten Glut der Sünde", wie Wagner sein Liebespfand an Minnas Nebenbuhlerin umschrieb, war ganz und gar nicht nach dem Geschmack der am 24. November 1836 Angetrauten.
ELLEN KOHLHAAS
Eva Rieger: "Minna und Richard Wagner". Stationen einer Liebe. Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 2003. 444 S., Abb., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
In einer Doppelrezension vergleicht Melanie Unseld zwei Biografien über Wagners Frauen, Marthas Schads "Meine erste und einzige Liebe - Richard Wagner und Mathilde Wesendonck" (siehe dort) und das vorliegende Buch über Wagner und seine erste Frau Minna, das wesentlich besser abschneidet. Ganz anders als Schad, der Unseld eine verschmockte Musen-Metaphorik vorhält, schaffe es Rieger, eine Würdigung Minnas vorzulegen, die die Tücken des Genres "Die Frau an seiner Seite" mit Bravour umschiffe. Die schnörkel-, dabei aber nicht teilnahmslose Sprache der Autorin dürfte nicht unwesentlich dazu beitragen, merkt Unseld an, noch wichtiger aber ist wohl ein reflektierter und kluger Umgang mit den Quellen. So erstehen vor dem Auge des Lesers die "Stationen einer Ehe", und Unseld merkt dankbar an, dass Rieger ihre Distanz zum Gegenstand selbst dort wahrt, wo "moralisierende Statements" über Wagners tatsächlich unrühmliches Verhalten gegenüber Minna sich aufdrängten.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH