Die Institution des antiken griechischen Symposions wird in der bisherigen Forschung wie folgt charakterisiert: Es handle sich dabei um eine aristokratische Einrichtung, die ausschließlich Männern vorbehalten war. Doch erlaubt dieses dominierende Deutungsmodell tatsächlich, dem griechischen Trinkgelage epochenübergreifend gerecht zu werden? Um dies zu überprüfen, bot es sich an, von den ersten Zeugnissen zum Symposion auszugehen. Gegenstand des Buches sind daher Text- und Bildzeugnisse des 8.-6. Jahrhunderts v.Chr. Dreh- und Angelpunkt war dabei der sogenannte "Nestorbecher" von der Insel Ischia, ein Trinkgefäß, dessen dreizeilige, poetisch geformte Inschrift als erstes Testimonium für das spezifisch griechische Trinkgelage anzusehen ist. Ausgehend von diesem im ersten Kapitel behandelten Objekt und seinem kulturellen Kontext werden dann in den übrigen drei Kapiteln, gerade auch in Bezug auf das Verhältnis zwischen Schriftgebrauch und Symposion, drei Problembereiche analysiert, mit dem Ergebnis, dass das frühgriechische Trinkgelage von vielerlei Mischungen bestimmt wird, die im Zeichen der Gottheiten Dionysos und Aphrodite stehen und Männer wie freizügige Frauen betreffen, ohne dass diese Institution auf Aristokraten beschränkt war.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Melanie Möller wird rasch klar, dass das Buch der Religionswissenschaftlerin Renate Schlesier eine Provokation ist. Mit der Vorstellung vom Gelage als rein männlichem Spaß räumt die Autorin gründlich auf, staunt Möller. Unter Verweis auf zahlreiche Bild- und Textdarstellungen gelingt der Autorin laut Rezensentin ein anderer Blick auf das frühgriechische Symposion und eine Widerlegung puritanischer Thesen. Frauen waren poly-und homoerotisch unterwegs, Hetären gleichberechtigte Teilnehmerinnen von Gelagen und Sappho eine "große Entertainerin" ohne brave Mädchenschule!
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2024Eros, aber richtig!
Renate Schlesier rückt den Blick auf antike Gelage zurecht
Nimmt man das neue Buch der renommierten Berliner Religionswissenschaftlerin Renate Schlesier zur Hand, sollte man sich vom Eindruck einer gewissen Harmlosigkeit nicht täuschen lassen: Diese "Reflexionen des frühgriechischen Symposions" sind eine pikante Provokation, viele vermeintliche Gewissheiten werden in ihnen erschüttert.
Das bezieht sich vor allem auf die Teilnehmer dieser Gelage: Die verbreitete Annahme, es handelte sich um vorwiegend männliche Aristokraten, stellt Schlesier unter Verweis auf zahlreiche Bild- und Textquellen, die auf eine stärkere soziale Durchmischung schließen lassen, infrage. Als zentral erachtet Schlesier den Begriff Hetairos beziehungsweise Hetaira (Gefährte, Gefährtin), den sie weiter und entspannter fasst als sonst üblich.
Zur Ergründung des Phänomens widmet sich Schlesier dem Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Schnell wird klar, dass sie von der üblichen Passivitätszuschreibung an Frauen in solchen Kontexten wenig hält. Derlei Befunde beruhten oftmals auf fragwürdigen, weil veralteten und verallgemeinernden Thesen zur "Urform" des Männerbundes. Frauen erscheinen in dieser Konstruktion gerne als zu vernachlässigende Größen: Ehefrauen waren tatsächlich nicht zugelassen; und überhaupt hätten Frauen, außer als Dienerinnen, allenfalls als finanziell unabhängige, gebildete Kurtisanen ihren Randplatz auf einem intellektuell-erotisch aufgeladenen Symposion gefunden. An gewöhnliche Prostituierte, die ihr Geschäft womöglich sogar lustvoll verrichteten, dachte man nicht, und die Rolle der Entertainer sei ausschließlich Männern vorbehalten gewesen.
Aber woher kommen dann die Frauen auf den bildlichen Darstellungen, die weit mehr als Ausnahmeerscheinungen gewesen sein müssen? Schlesier schaut genauer hin und verweist zur Untermauerung ihres Verdachts auf Darstellungen aus der Frühzeit, die entweder zwei Männer oder eine Frau und einen Mann zeigen. Bisweilen sind auch mehrere Paare abgebildet wie auf einem korinthischen Krater aus Etrurien aus dem sechsten Jahrhundert, der "ohne Einschränkung eine kommunikative Gleichartigkeit zwischen Gefährten und Gefährtinnen zur Schau" stelle. Schlesier denkt das "Ungeheuerliche" weiter zu weiblicher Poly- und Homoerotik, welche es nach Ansicht der traditionsprägenden Gelehrten unter Prostituierten vor dem zwanzigsten Jahrhundert nicht gegeben haben soll. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf?
Solche puritanischen Thesen finden sich wiederum nicht selten durch Verweise auf Platon oder Xenophon erhärtet, die laut Schlesier viel zu doktrinär verallgemeinert würden. Auch die gängigen Zuschreibungen an die große Lyrikerin Sappho zweifelt Schlesier in diesem Kontext an. So habe Sappho zwar für alles Mögliche - oft fälschlich - Pate gestanden; ihr Einfluss auf Geschichte und Deutung des frühgriechischen Symposions werde jedoch bis heute geleugnet. Schlesier weist diesen Einfluss nach und legt überzeugend dar, wie auch hier männlich-traditionalistische Sicht die Blicke getrübt hat: Ihre Sappho war eine große Entertainerin, von braver Mädchenschule zur Hochzeitsvorbereitung keine Spur.
Schlesiers Fazit lautet, dass alles aus dem erotischen Repertoire des griechischen Symposions, das sich nicht den im Nachhinein als gängig erachteten Normen, mithin "für eine starre Identitätszuschreibung", vereinnahmen lasse, wegerklärt worden sei. Dagegen hält sie die zumindest künstlerisch-imaginative Darstellung von Hetären als gleichberechtigten Teilnehmerinnen der Gelage. Auf die Vorstellungskraft - der alten Griechen und unsere - kommt es dabei an, und für die muss man kein normatives Muster zum Maßstab nehmen und erst recht keine philosophischen Absolutheitsansprüche. In Schlesiers Deutung erweist sich das Symposion als ein "Laboratorium", das hinreichend Raum für das Spiel mit mehr oder weniger bewährten Geschlechterrollen bot. Vor allem war die Subjekt-Objekt-Mischung weitaus kreativer angelegt als gedacht, und das Phänomen des Begehrens erfasste alle gleichermaßen in dieser phantastischen Welt der "Mischungen". MELANIE MÖLLER
Renate Schlesier: "Mischungen beim antiken Gelage". Reflexionen des frühgriechischen Symposions.
De Gruyter Verlag, Berlin 2024. 157 S.,
Abb., geb., 69,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Renate Schlesier rückt den Blick auf antike Gelage zurecht
Nimmt man das neue Buch der renommierten Berliner Religionswissenschaftlerin Renate Schlesier zur Hand, sollte man sich vom Eindruck einer gewissen Harmlosigkeit nicht täuschen lassen: Diese "Reflexionen des frühgriechischen Symposions" sind eine pikante Provokation, viele vermeintliche Gewissheiten werden in ihnen erschüttert.
Das bezieht sich vor allem auf die Teilnehmer dieser Gelage: Die verbreitete Annahme, es handelte sich um vorwiegend männliche Aristokraten, stellt Schlesier unter Verweis auf zahlreiche Bild- und Textquellen, die auf eine stärkere soziale Durchmischung schließen lassen, infrage. Als zentral erachtet Schlesier den Begriff Hetairos beziehungsweise Hetaira (Gefährte, Gefährtin), den sie weiter und entspannter fasst als sonst üblich.
Zur Ergründung des Phänomens widmet sich Schlesier dem Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Schnell wird klar, dass sie von der üblichen Passivitätszuschreibung an Frauen in solchen Kontexten wenig hält. Derlei Befunde beruhten oftmals auf fragwürdigen, weil veralteten und verallgemeinernden Thesen zur "Urform" des Männerbundes. Frauen erscheinen in dieser Konstruktion gerne als zu vernachlässigende Größen: Ehefrauen waren tatsächlich nicht zugelassen; und überhaupt hätten Frauen, außer als Dienerinnen, allenfalls als finanziell unabhängige, gebildete Kurtisanen ihren Randplatz auf einem intellektuell-erotisch aufgeladenen Symposion gefunden. An gewöhnliche Prostituierte, die ihr Geschäft womöglich sogar lustvoll verrichteten, dachte man nicht, und die Rolle der Entertainer sei ausschließlich Männern vorbehalten gewesen.
Aber woher kommen dann die Frauen auf den bildlichen Darstellungen, die weit mehr als Ausnahmeerscheinungen gewesen sein müssen? Schlesier schaut genauer hin und verweist zur Untermauerung ihres Verdachts auf Darstellungen aus der Frühzeit, die entweder zwei Männer oder eine Frau und einen Mann zeigen. Bisweilen sind auch mehrere Paare abgebildet wie auf einem korinthischen Krater aus Etrurien aus dem sechsten Jahrhundert, der "ohne Einschränkung eine kommunikative Gleichartigkeit zwischen Gefährten und Gefährtinnen zur Schau" stelle. Schlesier denkt das "Ungeheuerliche" weiter zu weiblicher Poly- und Homoerotik, welche es nach Ansicht der traditionsprägenden Gelehrten unter Prostituierten vor dem zwanzigsten Jahrhundert nicht gegeben haben soll. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf?
Solche puritanischen Thesen finden sich wiederum nicht selten durch Verweise auf Platon oder Xenophon erhärtet, die laut Schlesier viel zu doktrinär verallgemeinert würden. Auch die gängigen Zuschreibungen an die große Lyrikerin Sappho zweifelt Schlesier in diesem Kontext an. So habe Sappho zwar für alles Mögliche - oft fälschlich - Pate gestanden; ihr Einfluss auf Geschichte und Deutung des frühgriechischen Symposions werde jedoch bis heute geleugnet. Schlesier weist diesen Einfluss nach und legt überzeugend dar, wie auch hier männlich-traditionalistische Sicht die Blicke getrübt hat: Ihre Sappho war eine große Entertainerin, von braver Mädchenschule zur Hochzeitsvorbereitung keine Spur.
Schlesiers Fazit lautet, dass alles aus dem erotischen Repertoire des griechischen Symposions, das sich nicht den im Nachhinein als gängig erachteten Normen, mithin "für eine starre Identitätszuschreibung", vereinnahmen lasse, wegerklärt worden sei. Dagegen hält sie die zumindest künstlerisch-imaginative Darstellung von Hetären als gleichberechtigten Teilnehmerinnen der Gelage. Auf die Vorstellungskraft - der alten Griechen und unsere - kommt es dabei an, und für die muss man kein normatives Muster zum Maßstab nehmen und erst recht keine philosophischen Absolutheitsansprüche. In Schlesiers Deutung erweist sich das Symposion als ein "Laboratorium", das hinreichend Raum für das Spiel mit mehr oder weniger bewährten Geschlechterrollen bot. Vor allem war die Subjekt-Objekt-Mischung weitaus kreativer angelegt als gedacht, und das Phänomen des Begehrens erfasste alle gleichermaßen in dieser phantastischen Welt der "Mischungen". MELANIE MÖLLER
Renate Schlesier: "Mischungen beim antiken Gelage". Reflexionen des frühgriechischen Symposions.
De Gruyter Verlag, Berlin 2024. 157 S.,
Abb., geb., 69,95 Euro.
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