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Kunst ist schlimmer als Heimweh - sagt Thomas Kapielski in Mischwald, seinem neuen großen Prosaband, einer reich illustrierten Welt- und Werkschau, angelegt als Logbuch eines gemischten Jahres, zu dessen Auftakt man ihn irrtümlich für tot erklärt und an dessen Ende er verfügt: Meinen Grabstein soll die Zeile schmücken: "Macht bloß so weiter!"Was das Leben ihm dazwischen alles zuträgt, spottet jedem Vorschautext: Paradoxe Rauschzustände angesichts eines TV-Konzerts von André Rieu, heikle Fragen der Koran-Archäologie oder eine Einladung zur "Blattkritik" beim Stern haben genauso ihren Ort wie…mehr

Produktbeschreibung
Kunst ist schlimmer als Heimweh - sagt Thomas Kapielski in Mischwald, seinem neuen großen Prosaband, einer reich illustrierten Welt- und Werkschau, angelegt als Logbuch eines gemischten Jahres, zu dessen Auftakt man ihn irrtümlich für tot erklärt und an dessen Ende er verfügt: Meinen Grabstein soll die Zeile schmücken: "Macht bloß so weiter!"Was das Leben ihm dazwischen alles zuträgt, spottet jedem Vorschautext: Paradoxe Rauschzustände angesichts eines TV-Konzerts von André Rieu, heikle Fragen der Koran-Archäologie oder eine Einladung zur "Blattkritik" beim Stern haben genauso ihren Ort wie die angeschwipsten Bekenntnisse eines Künstlersozialkassenmitglieds, liebevoll gemeißelte Porträts verstorbener Weggefährten wie Emmett Williams, Thomas Schmid oder Ludwig Gosewitz, sowie - last but not least - der schlichte Wunsch nach Erdbestattung.
Autorenporträt
Thomas Kapielski, geboren 1951 in Berlin, ist ein deutscher Schriftsteller, Musiker und bildender Künstler. 2010 erhielt er den Preis der Literaturhäuser, 2011 wurde er mit dem Kasseler Preis für grotesken Humor ausgezeichnet. In der edition suhrkamp erschien zuletzt Kotmörtel. Roman eine Schwadronörs (es 2759).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2009

Onkelchens Schaum
Zapfhahn im Korb: Zwei Prostbücher Thomas Kapielskis

Einer der großartigsten Schelmen unserer Zeit ist Thomas Kapielski, der sich das listige Format lustiger Onkel zugelegt hat. Seit Jahren führt er den Beweis der Relativität von Nüchternheit, was nicht nur auf der Klangverwandtschaft von Trinker und Denker beruht, sondern vor allem auf dem Umstand, dass ein von so etwas wie free&easy-Rubbelkarten bestimmter Alltag besoffener macht als Alkohol. Letzteren gilt es zu nutzen, um auf Augenhöhe mit Ersterem zu gelangen: die Kneipe als sozialhermeneutische Hebebühne.

Wie ein Bier nur in Ausnahmefällen voll oder leer ist, geht es hier generell um Mittelzustände. Da kann man in der Hotelbar durchaus einmal gierig den eigentlich verachteten "Kostümärschen aus der Wirtschaft nachglotzen und dumpf finnisch Bohemebier schütten". Die Miniaturensammlung "Mischwald", zugleich eine Werkschau des bildenden Künstlers Kapielski, wird als "Logbuch eines gemischten Jahres" angepriesen. Ein Blog ist es damit aber noch lange nicht. Dessen Kennzeichen ist schließlich die Minimierung der Knautschzone zwischen Ereignis und Kommentar. Zwar wirkt auch an Kapielskis Werken alles akut, wie hingewuppt. Doch es wirkt eben bloß so. Es ist also keine Klage und kein Abfall, der uns da aus Berlin erreicht, sondern ein kunstvoll arrangiertes Hurra-wir-sinken aus der Kajüte des Freigeists. In diesem Fall wird im Jahr Zweitausendsechs gesunken.

Der zu Beginn dieses Jahres von der Braunschweiger Kunsthochschule für tot erklärte Ex-Professor ist solches aber nicht einmal im universitären Sinne. Immerhin war es Kapielski, der auf dem von "Gender-Uschis" ("Sehr auffällig!") heimgesuchten Soziologenkongress im folgenden Herbst die überfällige Frage stellte: "Darf man noch Heterotopie sagen?" Nein, legte er fest, wenigstens fünf Jahre lang dürfe man das nicht mehr. Man ahnt schnell, dass ihm an der Gegenort-Ideologie weniger der Dummschwatz aufstößt als das romantisch verbrämte Kneifen vor der Wirklichkeit.

Mit der Beobachtungshingabe eines Kempowski, der Entlarvungsbrillanz eines Lichtenberg und dem Sprachwitz eines Morgenstern fällt der Autor mit Vorliebe über sein eigenes Metier her, den Kunstbetrieb mit seinem unausrottbaren Geniekult: "Die Fetischkacke um Kunst ist mir seit je verächtlich!" Seine eigenen Bücher, Bilder, Skulpturen, aber auch die Auftritte mit dem Nasenflötenorchester, sind allesamt trojanische Zwergpferde, deren Ulk - ein Porträt der Mutter zeigt eine Schraubenmutter, die Installation "Die Rolle der Frau" einen gehäkelten Klorollenschoner für die Heckablage, die "Hochstaffelei" eine mit Latten verlängerte Staffelei - verbirgt, welche Aggressivität eigentlich in ihnen steckt. Jedes Opus aber hat die Aura im Visier, genauer: das Herunterspülen derselben im Kneipenklo. Nur was trotzdem besteht, darf auch bestehen.

So verwundert es keineswegs, dass Kapielski mit Peter Fischli und David Weiss befreundet ist, den Schweizer Neodadaisten. Doch auch hier bleibt er seiner Rolle als Beobachter der Beobachter treu. Mit Erstaunen registriert Kapielski die Atelier-Disziplin der Humorartisten: "Sie fahren da richtig so zur Arbeit hin, täglich." Und was geschieht dort? "Da hocken über die Woche Angestellte, die schnitzen aus diesem Hartschaum Wischeimer, Autoreifen und Lappen, und in der nächsten Abteilung bemalt einer das akribisch, damit es täuschend echt nach Eimer und Lappen aussieht." David Weiss, der Probleme mit dem familiären Lauf der Dinge hat, benötigt Kapielskis Trost, taucht aber nach einer gemeinsamen Bockwurst wieder "in sein beruflich erfolgreiches Simulakrum" ab. Kapielski säuft sich derweil in der Flughafenkneipe "einen geschnitzten und naturgetreu bemalten Kummer" an: Muss man mehr sagen? Kann man es freundlicher sagen?

Kapielski versucht uns mit Gemütlichkeit. Während sich der Rest des Landes beim japanischen Gehirn-Jogging abhetzt, streift der Hirnflaneur durchs intellektuelle Unterholz. Er liest etwa Günter Lülings verschmähte koranarchäologische Schriften oder die Erinnerungen einer ehemaligen Lottofee, in denen er auf eine fulminante Stellungnahme zur Gegenwartskunst stößt. Die privat malende Dame nämlich räumt ein, dass sie den "Mangel an sicherem Strich ersetzte ,durch die Flucht ins Undefinierbare. Farbig natürlich, im Aufwärtstrend des Farbfernsehens.'" Großer Applaus Kapielskis: So ehrlich und vollendet gehört das gesagt, auch von den vermeintlichen Granden der Branche.

Mit der Lakonie endet es bei Kapielski nicht. Allem unterliegt die melancholische Frage: Wo sind wir hingekommen? Was ist beispielsweise aus dem Pferd geworden? "Früher haben die noch was erlebt": Stolz nämlich standen sie da vor Kneipen herum. Und heute? "Auf der Autobahn sieht man ihre Ärsche ab und zu bei Überholmanövern ziemlich trostlos aus solchen komischen Anhängern rausgucken", kurz: "Sozialhilfefälle". Wieder ein Bild für den einst so stolzen Intellekt. Sein Apologet weiß, wie gefährdet die eigene Spezies ist: "Vom Auto, einem Opel gar, angefahren zu werden - eine schmachvolle Vorstellung. Ich habe mir für das Radfahren strikte Konzentration, ein Damenrad und geschmeidiges Ausweichen verordnet." Das ist durchaus poetologisch zu verstehen.

Die geschmeidig konzentrierte Jahreskür auf dem Damenrad fordert einen hohen Preis, wie abschließend zu erfahren ist: "Gemütsvermatschtheit", das untrügliche Wissen nämlich, "dass man hienieden nie noch einmal in der Lage sein wird, ein weiteres Werkstück in die Welt zu setzen". Das ist freilich nur die letzte Volte Kapielskis, denn nahezu gleichzeitig ist sein nächstes Büchlein bereits erschienen. "Ortskunde" heißt es, was im Untertitel als "Geosophie" präzisiert wird. Der Geist der Orte selbst soll darin zum Sprechen gebracht werden. Und welcher Orte!

Ein großer Umritt ist es durch Deutschlands phonetisch-geographische Niederungen von Beilngries über Twülpstedt, Rubhorst, Humptrup, Gangloffsömmern und Dutzende weiterer Witzprovinzen bis nach Hamburg und Berlin. Auffällig hält sich Kapielski dabei zurück, und so ist ein immer noch lustiges, doch weit böseres Kompendium der ubiquitären Glücks- und Lebensfeindlichkeit entstanden. Wie in Jabel Böller an den Weichteilen und in den Wunden eines Jungbullen zünden, bis der sich endlich in den Tod flüchtet, wie in Pfungen-Neftenbach asoziale Alte übereinander herfallen: "Hauen wir ihr mal aufs Maul!", wie in

Orscholz selbstgefällige Stumpfheit herrscht, in Wörnitz die Bratwurst und in Berlin der Schwachsinn, das demontiert sich selbst, ohne weiteren Kommentar. Ist der lustige Onkel nun doch noch zum Misanthropen geworden? Wollen wir doch nicht hoffen.

OLIVER JUNGEN

Thomas Kapielski: "Mischwald". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 352 S., br., 14,- [Euro].

Thomas Kapielski: "Ortskunde". Eine kleine Geosophie. Urs Engeler Editor, Basel/Weil am Rhein 2009. 130 S., geb., 17,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Viel Freude, sowohl sinnlich als auch intellektuell, hat dem Rezensenten Wilhelm Trapp diese "tage- und sudelbuchhafte Mischung" aus "Alltäglichem, Tiefem und Quatsch" bereitet. Man sehe darin Fotos und Bilder, erfahre "von des Autors Gunst und Abscheu, Familienglück und Künstlernot". Ab und zu ergreift den Rezensenten beim Amüsieren auch Ungeduld und er fragt: Was will der Kapielski denn? Aber dann versteht er es doch und freut sich sehr an diesem "Realismus des eigenen Lebens", mit dem hier das große Ganze, also die Welt beschrieben wird und der als Reaktion auf das Schwererträgliche Trapps Eindruck zufolge "eine Kunst des fröhlichen Verschwindens", des "nur Skizzierten, nie Ausgeführten" zelebriert - ein Verfahren das der Rezensent hoch schätzt, wie man liest.

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»Mit der Beobachtungshingabe eines Kempowski, der Entlarvungsbrillanz eines Lichtenberg und dem Sprachwitz eines Morgenstern fällt der Autor mit Vorliebe über sein eigenes Metier her.« Oliver Jungen Frankfurter Allgemeine Zeitung 20090629