Am 5. Januar 2024 ist Helena Adler gestorben, mit vierzig Jahren, viel zu früh. Für drei Bücher hat die Zeit gereicht, und mit diesen Büchern, vor allem aber mit »Die Infantin trägt den Scheitel links« ist es ihr gelungen, sich in die Geschichte der neueren deutschsprachigen Literatur einzuschreiben. Mit überschäumender Sprachlust, mit unbändigem Wortwitz, auf Leben und Tod und mit Hohn und Spott und Zähnen und Klauen hat sie sich ihrer Herkunft gestellt und der Alptraumidylle der österreichischen Provinz auf der Wetterseite einen frischen Anstrich verpasst. Sie hat auf Biegen und Brechen alle Register gezogen, denn ihre Literatur war nicht nur ein sehr großer Spaß, sondern immer auch eine sehr ernste Angelegenheit. Das zeigt sich auch an den drei noch zu Lebzeiten abgeschlossenen Texten, die dieser Band versammelt. Sie wüten und sie poltern wie eine Liebeserklärung an das Leben, die das letzte Wort behalten will - und behält!
Helena Adler schreibt Prosa, die sich durchs Fleisch bohrt, um für immer in den Knochen zu bleiben. Das ist wild-wuchernde Sprachkunst, die einzigartig ist in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Katja Gasser, ORF
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensent Samuel Hamen findet die Wut und die Sprache in diesem Nachlasstext von Helena Adler bemerkenswert. Der Band beinhaltet laut Hamen drei Texte aus der Zeit zwischen November 2022 und April 2023 der im Januar verstorbenen Autorin. Die Texte sind unerbittlich in ihrer Darstellung der österreichischen Provinz und ihrer Opfer, so Hamen. Adlers lustvolle Sprache, die das Heile wie das Kranke einkreist, dicht und dunkel, ist auf diesen 72 Seiten zu erleben, erklärt der Rezensent tief beeindruckt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.2024Blitzbeton, Jauchegrube
Zwei nachgelassene Texte von Helena Adler
Wie schon in ihren beiden Romanen "Die Infantin trägt den Scheitel links" und "Fretten" pflegt Helena Adler in ihrer Erzählung "Ein guter Lapp in Unterjoch" die schöne Kunst der Österreich-Beschimpfung. Wie man aus den Werken von Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek oder Josef Winkler weiß, ist Österreich ein Land voller primitiver, gemeiner, brutaler und dummer Menschen, ein Land, in dem Nazis und Vergewaltiger einander Gute Nacht sagen. Ausnahmen bestätigen die Regel, und eine Ausnahme ist in Adlers Erzählung jener gute Lapp namens Josef, der in dem österreichischen Gebirgsort mit dem so sprechenden Namen Unterjoch als Maurer und Mann für alles seine Dienste tut.
Hier wird zwar inzwischen das Schnitzel vom Biorind serviert, aber ansonsten ist alles beim Alten: Der Bürgermeister, dem die speckigen Backen beim Zerteilen des Fleisches glänzen, kostet auch die Bräute vor der Hochzeit vor und beschäftigt sich ansonsten damit, den "Korruptionsschweinebraten unter den Fraktionssäuen" zu verteilen. Wie schon in ihrem ersten Roman endet auch "Ein guter Lapp in Unterjoch" mit einer Vernichtungsphantasie. Anders als dort wird hier kein Hof abgefackelt, sondern das Wirtshaus mit Blitzbeton ausgegossen, sodass alle Unterjocher darin steckenbleiben und an den Faulgasen, die aus der Jauchegrube unter dem Wirtshaus emporsteigen, ersticken. So weit, so albern.
Weniger folkloristisch nimmt sich die zweite längere Erzählung in dem schmalen Band aus, der jetzt aus dem Nachlass der 2023 mit erst vierzig Jahren verstorbenen Autorin herausgegeben wurde. "Miserere Melancholia" heißt der Text. Die als gestaltwandlerischer Gnom auftretende Melancholie oder Schwermut aber hat kein Erbarmen mit der Erzählerin, im Gegenteil, dieser aus einem Wurmloch kriechende Wolpertinger mit Stumpen statt Händen und einem vernarbten Schrumpfkopf denkt überhaupt nicht daran, Gnade walten zu lassen. Er labt sich am Anblick jener, die in der Salzach Suizid begehen, und "wo auch immer er hinkam, hakte etwas, hinkte jemand". Der Erzählerin heftet er sich an wie ein schlechter Geruch, den man niemals los wird.
Das hat Drive, das flutscht, nur leider lässt sich die Autorin von ihrer sprachlichen Virtuosität hinreißen und gegen Ende hin zu sprachwitzelnden Pointen verführen. Da beschimpft die Erzählerin den Gnom als "Lebensbehinderer", um von diesem im Zwiegespräch sogleich als "Lebensbehinderte" tituliert zu werden. Da wird aus dem Tölpel der Teufel, und auch vom Sarkasmus zum Sadismus sind es nur ein paar Wörter.
Auch hier spielt Helena Adler mit althergebrachten literarischen Motiven. Von der Darstellung der Acedia, der Trägheit, wie sie Matthias Grünewald auf dem Isenheimer Altar in all ihrer grotesken Grausamkeit in Szene setzt (ein Ausschnitt dient "Miserere" als Coverbild), ist Adlers Text allerdings weit entfernt. TOBIAS LEHMKUHL
Helena Adler: "Miserere".
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2024. 80 S., geb., 16,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Zwei nachgelassene Texte von Helena Adler
Wie schon in ihren beiden Romanen "Die Infantin trägt den Scheitel links" und "Fretten" pflegt Helena Adler in ihrer Erzählung "Ein guter Lapp in Unterjoch" die schöne Kunst der Österreich-Beschimpfung. Wie man aus den Werken von Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek oder Josef Winkler weiß, ist Österreich ein Land voller primitiver, gemeiner, brutaler und dummer Menschen, ein Land, in dem Nazis und Vergewaltiger einander Gute Nacht sagen. Ausnahmen bestätigen die Regel, und eine Ausnahme ist in Adlers Erzählung jener gute Lapp namens Josef, der in dem österreichischen Gebirgsort mit dem so sprechenden Namen Unterjoch als Maurer und Mann für alles seine Dienste tut.
Hier wird zwar inzwischen das Schnitzel vom Biorind serviert, aber ansonsten ist alles beim Alten: Der Bürgermeister, dem die speckigen Backen beim Zerteilen des Fleisches glänzen, kostet auch die Bräute vor der Hochzeit vor und beschäftigt sich ansonsten damit, den "Korruptionsschweinebraten unter den Fraktionssäuen" zu verteilen. Wie schon in ihrem ersten Roman endet auch "Ein guter Lapp in Unterjoch" mit einer Vernichtungsphantasie. Anders als dort wird hier kein Hof abgefackelt, sondern das Wirtshaus mit Blitzbeton ausgegossen, sodass alle Unterjocher darin steckenbleiben und an den Faulgasen, die aus der Jauchegrube unter dem Wirtshaus emporsteigen, ersticken. So weit, so albern.
Weniger folkloristisch nimmt sich die zweite längere Erzählung in dem schmalen Band aus, der jetzt aus dem Nachlass der 2023 mit erst vierzig Jahren verstorbenen Autorin herausgegeben wurde. "Miserere Melancholia" heißt der Text. Die als gestaltwandlerischer Gnom auftretende Melancholie oder Schwermut aber hat kein Erbarmen mit der Erzählerin, im Gegenteil, dieser aus einem Wurmloch kriechende Wolpertinger mit Stumpen statt Händen und einem vernarbten Schrumpfkopf denkt überhaupt nicht daran, Gnade walten zu lassen. Er labt sich am Anblick jener, die in der Salzach Suizid begehen, und "wo auch immer er hinkam, hakte etwas, hinkte jemand". Der Erzählerin heftet er sich an wie ein schlechter Geruch, den man niemals los wird.
Das hat Drive, das flutscht, nur leider lässt sich die Autorin von ihrer sprachlichen Virtuosität hinreißen und gegen Ende hin zu sprachwitzelnden Pointen verführen. Da beschimpft die Erzählerin den Gnom als "Lebensbehinderer", um von diesem im Zwiegespräch sogleich als "Lebensbehinderte" tituliert zu werden. Da wird aus dem Tölpel der Teufel, und auch vom Sarkasmus zum Sadismus sind es nur ein paar Wörter.
Auch hier spielt Helena Adler mit althergebrachten literarischen Motiven. Von der Darstellung der Acedia, der Trägheit, wie sie Matthias Grünewald auf dem Isenheimer Altar in all ihrer grotesken Grausamkeit in Szene setzt (ein Ausschnitt dient "Miserere" als Coverbild), ist Adlers Text allerdings weit entfernt. TOBIAS LEHMKUHL
Helena Adler: "Miserere".
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2024. 80 S., geb., 16,- Euro.
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