Sie sind wieder da, die skurrilen britischen Gestalten des Alan Bennett! Diesmalweiß der Meister der bitterbösen Satire zu berichten von einer geldgierigenAntiquitätenhändlerin, die sich einen echten Michelangelo durch die Lappengehen lässt, einem Parkwächter mit dunkler Vergangenheit, einer Dame mittlerenAlters, die in der Fußmassage ihre Erfüllung findet und dabei einen Fetischistenglücklich macht, einem zwielichtigen Schlachter, der nur zum Scheinmit dem Wachhund Gassi geht, von Nächten in spanischen Gärten, von denenMrs. Horrocks nicht träumen mag, und einer alten Dame, die auf das Glückwunschtelegrammder Queen zu ihrem Hundertsten wartet - und sich dabei andie Feldpost aus dem Krieg erinnert.Einmal mehr demonstriert Bennett seine Klasse: In wenigen Strichen entwirfter auf engstem Raum ganze Lebensläufe - wie etwa das Leben und Sterbender Peggy Schofield, einer unbedeutenden Bürokraft, Bennetts allererstem"talking head", deren Geschichte die Form seiner Prosamonologe begründet hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2011Die sprechenden Köpfe Englands
Sieben Monodramen: In "Miss Fozzard findet ihre Füße" ist Alan Bennett, Großbritanniens Meister der kleinen Form, wieder groß in Fahrt.
Von Tobias Döring
Eine Sachbearbeiterin, die ihre Büro-Routine liebt und jeden Mittag Punkt halb eins mit der Kollegin aus Zimmer 402 in der Kantine den immer gleichen Tisch hinter dem Bambusgitter wählt; eine alternde Angestellte der Auslegewareabteilung im Kaufhaus, die sich aufopferungsvoll um den von einem Schlaganfall gezeichneten Bruder kümmert und sich als einzige Freude im Leben ihren wöchentlichen Besuch beim Fußpfleger gönnt; ein Gartenbauamtsmitarbeiter und Parkwächter, der jungen Müttern auf dem Spielplatz gerne mal die Aufsicht über ihre kleinen Mädchen abnimmt; oder eine ganz auf Reinlichkeit bedachte Hausfrau, deren Gatte im lokalen Schlachthof arbeitet, viel mit dem Lieferwagen unterwegs ist und sich einen aggressiven Hund hält, der nicht nur die Nachbarschaft verstört: das sind so die Figuren, die Alan Bennett uns hier vorführt, Allerweltsgestalten aus der Normalitätszone einer Vorstadtgesellschaft, denen man eigentlich keinerlei Aufmerksamkeit widmen würde.
Bei Bennett aber lohnt genaueres Hinsehen, denn auf den zweiten Blick zeigen sich bei diesen Zeitgenossen tiefe Risse in der schmucken Front kleinbürgerlicher Lebensweisen, und hinter der Fassade von Gewöhnlichkeit und Anstand tut sich unerwartet ein schwarzer Abgrund auf. Die Sachbearbeiterin ist sterbenskrank und muss erst im Krankenhaus erkennen, auf was für brüchigem Boden ihre Lebenssicherheit gegründet war; die Kaufhausangestellte kommt mit ihrem neuen Fußpfleger, einem Stiefelfetischisten, zu einem bizarren Arrangement wechselseitiger Dienstleistungen; der Parkreiniger fällt unversehens wieder in die alte pädophile Kriminalität; und die Schlächtersgattin muss sich eher widerwillig eingestehen, dass sie einen Serienkiller deckt.
Die kleine Serie der sogenannten "Talking Heads", die Bennett ursprünglich fürs Fernsehen schrieb, war in den neunziger Jahren eine Kultsendung der BBC, realisiert mit prominenten Schauspielern, mehrfach ausgezeichnet und anschließend auch fürs Radio und die Bühne bearbeitet. Auch die literarische Version dieser zweiten Staffel von 1998 wirkt jetzt beim Lesen, zumal in Ingo Herzkes frischer Übertragung, ebenso nachhaltig wie vergnüglich. Dabei bietet sie wirklich nur das Skript, mit ein paar sparsamen Regieanweisungen versehen und ansonsten nichts weiter als einer einzigen Sprechrollenfigur, die sich jeweils monologisch mitteilt. Doch der unwiderstehliche Reiz dieser sieben Mini- oder Monodramen liegt vor allem darin, dass die Reden der Figuren immer gleichermaßen viel verdrängen und verbergen, wie sie selbst aussprechen, so dass wir stets herausgefordert sind, uns einen eigenen Reim darauf zu machen. Auch wenn die stärksten Szenen sich zu richtigen Enthüllungsakten steigern, die im Puppenheim die Lebenslüge aufdecken, ist der Tonfall nie moralisierend, sondern hält uns Leser auf Distanz: mehr Loriot als Ibsen. Wieder einmal erweist sich dieser britische Autor als ein Könner auch der eleganten kleinen Form, mit der er weniger Skurrilitäten kultiviert, als vielmehr die absurden Rituale freilegt, mit denen wir unserem Leben Sinn verschaffen wollen.
Alan Bennett: "Miss Fozzard findet ihre Füße".
Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Wagenbach Verlag, Berlin 2011. 144 S., geb., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sieben Monodramen: In "Miss Fozzard findet ihre Füße" ist Alan Bennett, Großbritanniens Meister der kleinen Form, wieder groß in Fahrt.
Von Tobias Döring
Eine Sachbearbeiterin, die ihre Büro-Routine liebt und jeden Mittag Punkt halb eins mit der Kollegin aus Zimmer 402 in der Kantine den immer gleichen Tisch hinter dem Bambusgitter wählt; eine alternde Angestellte der Auslegewareabteilung im Kaufhaus, die sich aufopferungsvoll um den von einem Schlaganfall gezeichneten Bruder kümmert und sich als einzige Freude im Leben ihren wöchentlichen Besuch beim Fußpfleger gönnt; ein Gartenbauamtsmitarbeiter und Parkwächter, der jungen Müttern auf dem Spielplatz gerne mal die Aufsicht über ihre kleinen Mädchen abnimmt; oder eine ganz auf Reinlichkeit bedachte Hausfrau, deren Gatte im lokalen Schlachthof arbeitet, viel mit dem Lieferwagen unterwegs ist und sich einen aggressiven Hund hält, der nicht nur die Nachbarschaft verstört: das sind so die Figuren, die Alan Bennett uns hier vorführt, Allerweltsgestalten aus der Normalitätszone einer Vorstadtgesellschaft, denen man eigentlich keinerlei Aufmerksamkeit widmen würde.
Bei Bennett aber lohnt genaueres Hinsehen, denn auf den zweiten Blick zeigen sich bei diesen Zeitgenossen tiefe Risse in der schmucken Front kleinbürgerlicher Lebensweisen, und hinter der Fassade von Gewöhnlichkeit und Anstand tut sich unerwartet ein schwarzer Abgrund auf. Die Sachbearbeiterin ist sterbenskrank und muss erst im Krankenhaus erkennen, auf was für brüchigem Boden ihre Lebenssicherheit gegründet war; die Kaufhausangestellte kommt mit ihrem neuen Fußpfleger, einem Stiefelfetischisten, zu einem bizarren Arrangement wechselseitiger Dienstleistungen; der Parkreiniger fällt unversehens wieder in die alte pädophile Kriminalität; und die Schlächtersgattin muss sich eher widerwillig eingestehen, dass sie einen Serienkiller deckt.
Die kleine Serie der sogenannten "Talking Heads", die Bennett ursprünglich fürs Fernsehen schrieb, war in den neunziger Jahren eine Kultsendung der BBC, realisiert mit prominenten Schauspielern, mehrfach ausgezeichnet und anschließend auch fürs Radio und die Bühne bearbeitet. Auch die literarische Version dieser zweiten Staffel von 1998 wirkt jetzt beim Lesen, zumal in Ingo Herzkes frischer Übertragung, ebenso nachhaltig wie vergnüglich. Dabei bietet sie wirklich nur das Skript, mit ein paar sparsamen Regieanweisungen versehen und ansonsten nichts weiter als einer einzigen Sprechrollenfigur, die sich jeweils monologisch mitteilt. Doch der unwiderstehliche Reiz dieser sieben Mini- oder Monodramen liegt vor allem darin, dass die Reden der Figuren immer gleichermaßen viel verdrängen und verbergen, wie sie selbst aussprechen, so dass wir stets herausgefordert sind, uns einen eigenen Reim darauf zu machen. Auch wenn die stärksten Szenen sich zu richtigen Enthüllungsakten steigern, die im Puppenheim die Lebenslüge aufdecken, ist der Tonfall nie moralisierend, sondern hält uns Leser auf Distanz: mehr Loriot als Ibsen. Wieder einmal erweist sich dieser britische Autor als ein Könner auch der eleganten kleinen Form, mit der er weniger Skurrilitäten kultiviert, als vielmehr die absurden Rituale freilegt, mit denen wir unserem Leben Sinn verschaffen wollen.
Alan Bennett: "Miss Fozzard findet ihre Füße".
Aus dem Englischen von Ingo Herzke. Wagenbach Verlag, Berlin 2011. 144 S., geb., 15,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Also, langweilig ist das nie für Christine Pries, wenn sie Alan Bennett liest. Ein bisschen die eigene Fantasie gemäß des Autors Regieanweisung gebraucht und schon sind den Perversionen und Lastern der Figuren in den hier versammelten Kurzgeschichten alle Grenzen genommen. Grell lebendig findet Pries sie, und auch ein bisschen theatralisch. Und doch ist die Pointe, auf die sie hinauslaufen für die Rezensentin stets überraschend und von einer Skurrilität, die ihr den Atem nimmt. Die Pointe der Bennett'schen Kabinettstückchen aber entdeckt sie weniger im realistischen Detail, denn in der Haltung der Figur. Pries findet sie entweder komisch oder bestürzend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Unterhaltsame Dramolette, in denen vereinsamte Menschen sich ihr Lebensleid von der Seele reden. Ein Prosit auf Bennetts intelligente Eleganz!" Der Spiegel