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Sie besteht darauf, 'Fräulein' genannt zu werden. Und es ist zu vermuten, dass sie unter ihren karierten Röcken Liebestöter trägt. Für Venedig ist Miss Garnet wahrlich nicht gerüstet. Aber dann zieht die Stadt sie in ihren Bann und macht sie mit der Liebe, dem Licht und einem verschwundenen Engelsgemälde bekannt.

Produktbeschreibung
Sie besteht darauf, 'Fräulein' genannt zu werden. Und es ist zu vermuten, dass sie unter ihren karierten Röcken Liebestöter trägt. Für Venedig ist Miss Garnet wahrlich nicht gerüstet. Aber dann zieht die Stadt sie in ihren Bann und macht sie mit der Liebe, dem Licht und einem verschwundenen Engelsgemälde bekannt.
Autorenporträt
Salley Vickers war Universitätsdozentin für Literatur, bevor sie sich zur analytischen Psychologin ausbilden ließ. Neben ihrer Arbeit als Schriftstellerin befasst sie sich in Artikeln und Vorlesungen mit den Verbindungen zwischen Literatur, Psychologie und Religion. Salley Vickers hat zwei Kinder und lebt in London und Bath.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.2002

Erzengel brauchen Kröten
Raphael und das Leben: Salley Vickers fährt nach Venedig

"Hagestolz" oder "Alte Jungfer" sind Begriffe, die heute bestenfalls mildes Lächeln hervorrufen. Meist aber tragen sie dem Anwender den Ruf ein, hoffnungslos vorgestrig, ignorant und weltfremd zu sein. Die Alltagssprache kennt nur noch Singles, der gehobene Sprachgebrauch bevorzugt das Wort Alleinstehende. Die Mehrzahl freilich dieser stetig steigenden Gruppe besteht aus Personen, die für ihr junges Alter beachtlich verschroben sind. Als die Schriftstellerin Salley Vickers noch Psychoanalytikerin war, dürfte sie häufig mit solchen Alleinstehenden zu tun gehabt und damit das Recht erworben haben, in ihrem Roman eine klassische alte Jungfer zur Hauptfigur zu machen, die obendrein vor zwei Generationen noch Blaustrumpf genannt worden wäre.

Miss Julia Garnet - wer sie Mrs. nennt, wird, was nun wirklich ein viktorianischer Ausrutscher der Autorin ist, sofort korrigiert - ist eine pensionierte englische Lehrerin und überzeugte Marxistin. Sie hat dreißig Jahre lang die spartanische Wohnung mit einer Kollegin geteilt. Jene, Harriet mit Namen, hatte sich Spurenelemente von Lebenslust bewahrt und der strengen Freundin das Versprechen einer gemeinsamen Auslandsreise nach beider Pensionierung abgeschmeichelt. Doch dazu kommt es nicht, weil Harriet, kaum Ruheständlerin, an einem Herzinfarkt stirbt. Miss Garnet, unter Schock, sitzt in einem Reisebüro, wo sie sich, befragt, wohin es gehen solle, "Venedig" antworten hört. Dorthin gelangt sie, in der Tasche einen Mietvertrag für sechs Monate, zuzubringen in einer kleinen Wohnung am "Campo dall' Angelo Raffaele".

Nur Stunden, und die Schönheit der Stadt bricht über die Spröde herein. Lichtreflexe, Rufe, tanzende Fassaden, ein lächelnder Junge, der, ehe sie Lug und Trug wittern kann, ihren Koffer schleppt - und überall lächelnde steinerne Heilige. Am eindringlichsten lächelt ein Engel, der Erzengel Raphael, wie sie bald darauf feststellt. Noch später wird sie alle sieben Erzengel aufzählen können und den Leser in ihr Nachsinnen über deren rätselhafte, in den Namen aufscheinende Eigenschaften ziehen: "Gott heilt", so lautet der Name Raphaels. Sein Mythos und der seines Schützlings Tobias wird in einem zweiten Erzählstrang in der Ich-Form eingewoben. Schön schlicht liest sich das, wie das Echo einer lebenssprühenden, nach Gut wie Böse gierenden Zeit, die ihrerseits nachklingt in den venezianischen Heiligengemälden, denen Miss Garnet verfällt.

Fasziniert von einem Raphael-Diptychon, informiert sie sich im Alten Testament über den Heiler, über Tobias und seinen bigotten Vater Tobit, über Dämonen, Wanderungen und Wunder. Da ist sie schon eins mit der Stadt. Daß mit deren Schönheit die Kunst den Panzer von fünfzig Jahren selbstdisziplinierten Lebens hat sprengen können, haben auch Menschen bewirkt - vor allem der Kunsthändler Carlo, weißhaarig, weltgewandt, in seine Heimatstadt verliebt und Miss Garnets selbsternannter Cicerone. Auf ein Kompliment beim zweiten oder dritten Treffen antwortet, über sich selbst staunend, die eben noch zum Neutrum Entschlossene statt mit einer Floskel mit einem schlichten "Ich danke Ihnen". Ein reiches, zu ihrer Überraschung gebildetes amerikanisches Paar führt sie bei einem Monsignore ein, der ein zum Philanthropen und Bonvivant gewandeltes Spiegelbild von Thomas Manns Naphtali ist. Zugleich lernt sie ein englisches androgynes Zwillingspaar kennen, das - sie ist spezialisiert auf Gemälde, er auf Bauwerke - eine Kapelle restauriert, die Raphael als Pestheiler geweiht ist.

Ihn sieht sie dann leibhaftig, oder ahnt sein Wesen in Lichterscheinungen, aus dem Augenwinkel wahrnehmbar als Aura vollkommener Ruhe. Mit Lichtmetaphern imaginiert Salley Vickers auch das Fluidum Venedigs und den Wandel ihrer Heldin. "Oro pallido", blasses Gold, lautet das Zauberwort. Es führt, aufschimmernd zuerst in den Mosaiken von San Marco, dann die ganze Stadt durchpulsend, die Engländerin zu sich selbst: Beim allabendlichen Bad, der jahrzehntelangen abstrakten Reinlichkeitsprozedur, mustert sie plötzlich ihren Körper. Traurig, doch frei von Selbstmitleid registriert sie dessen Verfall, sinnt Versäumtem nach, erinnert sich des greisen Vaters, seiner obszönen Flüche und seines öffentlichen Masturbierens, ausgelöst von Altersdemenz. Das war ihr einziger unmittelbarer Kontakt mit Sexualität. Bedauern ersetzt den Ekelreflex.

Daß Carlo ihr vom Gesandten venezianischer Herrlichkeit zur Ahnung von Glück geworden ist, nimmt sie nun nicht mehr als Narretei. Der Erfüllung nachzustellen wagt sie nicht, aber sie für möglich zu halten. So überläßt sie sich Venedig, nur bereuend, daß der Mut zu Ungewohntem so spät auftritt: "Man lebte, als währe eine Lebensweise ewig", geht es ihr durch den Kopf, "und wenn sie verging, verschwand sie einfach, sogar aus dem eigenen Gedächtnis."

Nicht mehr abschätzig, sondern teilnehmend beobachtet Miss Garnet, selbst auf der Schwelle dazu, die Leidenschaften rings um sich her: "Der Glaube an die eigene Rechtschaffenheit war eine Art Tod." Dann muß sie für ihr neues Leben zahlen und dafür, die innere Rüstung abgelegt zu haben. Ihre Seele wird gehäutet - der Gefährte entpuppt sich als Päderast, der ihre Bekannschaft nur suchte, um dem Jungen näherzukommen, den sie Englisch lehrt. Die Zwillinge stellen sich als notorische eigensüchtige Lügner heraus, die Amerikaner reisen ab. Miss Garnet wird krank, treibt auf wirren Fieberträumen, sucht Halt in den Kirchen, will Rache. Eben wußte sie noch, daß "die Dinge am meisten Schaden anrichten, die wir aus unseren Gedanken verbannen". Nun will sie genau wieder dies.

Und genau in diesem Moment steht Sally Vickers' fesselnde Erzählung unvermittelt am Abgrund der Trivialität, in den sie wenig später stürzt. Die Analytikerin führt nun die Feder, entschlüsselt freudfromm Symbole, liefert eine Fallstudie mit Krise vor dem Durchbruch. Nach gehabtem ist Miss Garnet fade und mutiert zur Religionskundlerin, die als Alter ego der Autorin lebensratgeberische Fäden von Zarathustra zu Raphael, von Ninive über Jerusalem bis nach Venedig spinnt. "Ihr war, als beobachte sie eine kleine heimtückische Kröte in ihrem Innern", so heißt es einmal. Mit der Kröte aber werden der Zauber aus der Geschichte und das blasse Gold aus Venedig vertrieben. Im altjüngferlichen Ende siegt Raphaels Todfeind - die leidenschaftslose Rechtschaffenheit.

DIETER BARTETZKO

Salley Vickers: "Miss Garnet und der Engel von Venedig." Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Karen Nölle Fischer. Claassen Verlag, Düsseldorf 2002. 320 S., geb., 20,- [Euro].

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'Ein himmlisch vergnügliches Ferienbuch!' (Marie Claire)
'Charmant, witzig, weise . . . Sally Vickers fängt Venedigs morbide Schönheit ein und schreibt wie ein Engel.' (The Times)