Two classic novels are included in a single volume, first, Miss Lonelyhearts, about a newspaper reporter seeking to avoid writing an agony column, with only his cynical editor Shrike in the way, the second, The Day of the Locust, about Tod Hackett, who pines for a role in the film industry, only to discover the emptiness of Hollywood's inhabitants. Original.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.08.2013Das kalte Herz der Kummertante
Ein tiefschwarzer Medienroman aus dem Amerika der Depression: Nathanael Wests „Miss Lonelyhearts“
„Man vergesse das Epos, das Meisterwerk. Das langsame Wachstum sei den Buchrezensenten überlassen, man selbst hat Zeit nur für eine Explosion“, schrieb ein bissig-verzweifelter Nathanael West in der Literaturzeitschrift Contempo im Mai 1933. Da hatte gerade der Verlag pleite gemacht, in dem drei Wochen vorher sein neuer Roman „Miss Lonelyhearts“ erschienen war. Vier Jahre lang hatte West an ihm gearbeitet, vornehmlich frühmorgens, im Kenmore Hall, einem 600-Zimmer-Hotel zwei Blocks vom Madison Square entfernt, wo er als Nachtportier für 35 Dollar die Woche arbeitete.
Und nun? Nichts mehr als eine kurze Explosion am blitzenden Nachthimmel der Great-Depression-Zeit. Der Drucker weigert sich die unbezahlten Exemplare auszuliefern, West bekommt keinen Cent Honorar. Freunde helfen ihm, die Rechte am Roman zurückzuergattern und an einen neuen Verlag zu vergeben, aber es werden nur wenige Exemplare verkauft, der Rest wird verramscht. Einige Jahre lang schlägt West sich von nun an als anonymer Skriptschreiber bei Columbia Pictures durch, veröffentlicht ohne großen Erfolg zwei weitere Romane, bevor er dann im Dezember 1940 – auf dem Weg zu der Beerdigung seines Freundes F. Scott Fitzgerald – an einer Straßenkreuzung zusammen mit seiner Frau tödlich verunglückt, erst 37 Jahre alt.
Die Titelfigur in „Miss Lonelyhearts“, die Kummerkastentante einer New Yorker Lokaljournaille, ist in Wirklichkeit keine Tante, noch nicht einmal ein Onkel, sondern ein 26-jähriger Baptistensohn mit schwarzen Gedanken und krankhaftem Helfersyndrom. Täglich erreichen ihn Briefe verzweifelter Leser, „alle einander ähnlich, mit einer herzförmigen Ausstechform aus dem Teig des Leidens gestanzt“. Sie zeichnen mit den Decknamen ihrer stillen Wut: „Schnauze voll“ hat schreckliche Nierenschmerzen, aber ihr Mann ist katholisch und will noch mehr Kinder, „Verzweifelt“ hat von Geburt an keine Nase, und niemand will mit ihr tanzen gehen, ein traumatisierter Bruder fragt um Rat, weil seine taubstumme Schwester beim Spielen auf dem Dach vergewaltigt worden ist. Ein düsteres Potpourri menschlicher Not.
Während „Miss L.“ beim Versuch, den Leidenden Trost zu spenden, an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gerät, macht sich sein Feuilletonchef – erbarmungsloser Zyniker und dauerproduzierende Witzmaschine – einen Spaß daraus, ihn als „Priester des zwanzigsten Jahrhunderts“ zu verhöhnen. Seiner sitzen gelassenen Verlobten gesteht er einen „Christus Komplex“, er träume davon, „zur Rechten des Lammes zu sitzen“.
Der eigentlich ganz und gar ungläubige Nathanel West zeichnet einen unwirklichen Heiligen, der an seinem Sendungsbewusstsein schrecklich scheitert, denn die Briefeschreiber werden bald zu Peinigern, die ihn in eine tiefe Lebenskrise stürzen. Eines Abends trifft er auf einer öffentlichen Toilette einen alten Homosexuellen. Aus scheinbar beruflichem Leidensinteresse fragt er ihn nach seiner Lebensgeschichte. Als der Alte nicht gleich antworten will, bricht aus der Kummertante eine lang aufgestaute Aggression hervor: Er verdreht dem schreienden Alten den Arm, „und damit allen Kranken und Elenden, allen Gebrochenen und Betrogenen, allen Sprachlosen und Impotenten“. Kein Ausflug aufs Land, kein Sex mit der Frau des Chefs hilft ihm mehr, sich aus seinen Projektionen zu befreien, sein Herz bleibt nur noch „ein erstarrter Klumpen eisigen Fettes“. Am Ende erschießt ihn der verkrüppelte Ehemann einer Leserin, mit der er einmal aus Mitleid geschlafen hatte. Das Martyrium des einsamen Jünglings ist vollzogen.
Nathanael Wests so ergreifender wie schockierender Roman, der dem Leser in kurzen Kapiteln mehr entgegengeschleudert als langatmig erzählt wird, beruht auf echten Kummerbriefen (zwei Briefeschreiberinnen versuchten später sogar, ihn deswegen zu verklagen). Er hat eine seltsame und schwer fassbare religiöse Dimension. Es ist die Leidensgeschichte eines jungen Mannes, der sich um jeden Preis einen Heiligenschein verdienen will, aber am Übel der Welt und seiner eigenen inneren Kälte zugrunde geht. Aber während man zuweilen das Gefühl hat, einen defätistischen Generationenroman der – von der Großen Depression traumatisierten – „Lost Generation“ in den Händen zu halten, biegt die Erzählstimme im nächsten Moment plötzlich in eine surrealistische Traumbeschreibung ab, deren metaphysische Semiotik an ein De-Chirico-Bild oder einen Luis- Buñuel-Film erinnert.
„Ein Romanschreiber kann sich alles leisten, nur keine stumpfsinnige Langeweile.“ Diesem im Jahr 1933 selbstgeprägten Vorsatz hat sich West in „Miss Lonelyhearts“ erfolgreich verschrieben. Mal mit aggressiver Wucht, dann wieder mit trauriger Resignation lässt er seine Hauptfigur im Labyrinth menschlicher Behauptungssucht und emotionaler Insuffizienz herumirren. Ein Passagenwerk der verlorenen Nächstenliebe, das schon einige Male – seltsam harmlos – verfilmt wurde.
Dem Dichter William Carlos Williams, einem engen Freund von West, fuhr 1938 beim Lesen von „Miss Lonelyheart“ ein gewaltiger Schock durch die Glieder: „Mein Gott! Hier verstehen wir, zu was für Schurken wir in diesem Jahrhundert geworden sind.“ Dass es vergleichbare Schurken (und Opfer) auch im 21.Jahrhundert gibt, ist nicht zuletzt die große Qualität dieses „Medienromans“ der ganz besonderen Art.
SIMON STRAUSS
Der Held hat einen „Christus-
Komplex“, er träumt davon, „an
der Seite des Lammes zu sitzen“
Der ganz und gar ungläubige
Nathanael West zeichnet die
Figur eines unwirklichen Heiligen
Nathanael West: Miss
Lonelyhearts. Roman. Aus dem Englischen von Dieter E. Zimmer. Manesse Verlag, Zürich 2012. 176 Seiten, 19,95 Euro.
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Ein tiefschwarzer Medienroman aus dem Amerika der Depression: Nathanael Wests „Miss Lonelyhearts“
„Man vergesse das Epos, das Meisterwerk. Das langsame Wachstum sei den Buchrezensenten überlassen, man selbst hat Zeit nur für eine Explosion“, schrieb ein bissig-verzweifelter Nathanael West in der Literaturzeitschrift Contempo im Mai 1933. Da hatte gerade der Verlag pleite gemacht, in dem drei Wochen vorher sein neuer Roman „Miss Lonelyhearts“ erschienen war. Vier Jahre lang hatte West an ihm gearbeitet, vornehmlich frühmorgens, im Kenmore Hall, einem 600-Zimmer-Hotel zwei Blocks vom Madison Square entfernt, wo er als Nachtportier für 35 Dollar die Woche arbeitete.
Und nun? Nichts mehr als eine kurze Explosion am blitzenden Nachthimmel der Great-Depression-Zeit. Der Drucker weigert sich die unbezahlten Exemplare auszuliefern, West bekommt keinen Cent Honorar. Freunde helfen ihm, die Rechte am Roman zurückzuergattern und an einen neuen Verlag zu vergeben, aber es werden nur wenige Exemplare verkauft, der Rest wird verramscht. Einige Jahre lang schlägt West sich von nun an als anonymer Skriptschreiber bei Columbia Pictures durch, veröffentlicht ohne großen Erfolg zwei weitere Romane, bevor er dann im Dezember 1940 – auf dem Weg zu der Beerdigung seines Freundes F. Scott Fitzgerald – an einer Straßenkreuzung zusammen mit seiner Frau tödlich verunglückt, erst 37 Jahre alt.
Die Titelfigur in „Miss Lonelyhearts“, die Kummerkastentante einer New Yorker Lokaljournaille, ist in Wirklichkeit keine Tante, noch nicht einmal ein Onkel, sondern ein 26-jähriger Baptistensohn mit schwarzen Gedanken und krankhaftem Helfersyndrom. Täglich erreichen ihn Briefe verzweifelter Leser, „alle einander ähnlich, mit einer herzförmigen Ausstechform aus dem Teig des Leidens gestanzt“. Sie zeichnen mit den Decknamen ihrer stillen Wut: „Schnauze voll“ hat schreckliche Nierenschmerzen, aber ihr Mann ist katholisch und will noch mehr Kinder, „Verzweifelt“ hat von Geburt an keine Nase, und niemand will mit ihr tanzen gehen, ein traumatisierter Bruder fragt um Rat, weil seine taubstumme Schwester beim Spielen auf dem Dach vergewaltigt worden ist. Ein düsteres Potpourri menschlicher Not.
Während „Miss L.“ beim Versuch, den Leidenden Trost zu spenden, an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gerät, macht sich sein Feuilletonchef – erbarmungsloser Zyniker und dauerproduzierende Witzmaschine – einen Spaß daraus, ihn als „Priester des zwanzigsten Jahrhunderts“ zu verhöhnen. Seiner sitzen gelassenen Verlobten gesteht er einen „Christus Komplex“, er träume davon, „zur Rechten des Lammes zu sitzen“.
Der eigentlich ganz und gar ungläubige Nathanel West zeichnet einen unwirklichen Heiligen, der an seinem Sendungsbewusstsein schrecklich scheitert, denn die Briefeschreiber werden bald zu Peinigern, die ihn in eine tiefe Lebenskrise stürzen. Eines Abends trifft er auf einer öffentlichen Toilette einen alten Homosexuellen. Aus scheinbar beruflichem Leidensinteresse fragt er ihn nach seiner Lebensgeschichte. Als der Alte nicht gleich antworten will, bricht aus der Kummertante eine lang aufgestaute Aggression hervor: Er verdreht dem schreienden Alten den Arm, „und damit allen Kranken und Elenden, allen Gebrochenen und Betrogenen, allen Sprachlosen und Impotenten“. Kein Ausflug aufs Land, kein Sex mit der Frau des Chefs hilft ihm mehr, sich aus seinen Projektionen zu befreien, sein Herz bleibt nur noch „ein erstarrter Klumpen eisigen Fettes“. Am Ende erschießt ihn der verkrüppelte Ehemann einer Leserin, mit der er einmal aus Mitleid geschlafen hatte. Das Martyrium des einsamen Jünglings ist vollzogen.
Nathanael Wests so ergreifender wie schockierender Roman, der dem Leser in kurzen Kapiteln mehr entgegengeschleudert als langatmig erzählt wird, beruht auf echten Kummerbriefen (zwei Briefeschreiberinnen versuchten später sogar, ihn deswegen zu verklagen). Er hat eine seltsame und schwer fassbare religiöse Dimension. Es ist die Leidensgeschichte eines jungen Mannes, der sich um jeden Preis einen Heiligenschein verdienen will, aber am Übel der Welt und seiner eigenen inneren Kälte zugrunde geht. Aber während man zuweilen das Gefühl hat, einen defätistischen Generationenroman der – von der Großen Depression traumatisierten – „Lost Generation“ in den Händen zu halten, biegt die Erzählstimme im nächsten Moment plötzlich in eine surrealistische Traumbeschreibung ab, deren metaphysische Semiotik an ein De-Chirico-Bild oder einen Luis- Buñuel-Film erinnert.
„Ein Romanschreiber kann sich alles leisten, nur keine stumpfsinnige Langeweile.“ Diesem im Jahr 1933 selbstgeprägten Vorsatz hat sich West in „Miss Lonelyhearts“ erfolgreich verschrieben. Mal mit aggressiver Wucht, dann wieder mit trauriger Resignation lässt er seine Hauptfigur im Labyrinth menschlicher Behauptungssucht und emotionaler Insuffizienz herumirren. Ein Passagenwerk der verlorenen Nächstenliebe, das schon einige Male – seltsam harmlos – verfilmt wurde.
Dem Dichter William Carlos Williams, einem engen Freund von West, fuhr 1938 beim Lesen von „Miss Lonelyheart“ ein gewaltiger Schock durch die Glieder: „Mein Gott! Hier verstehen wir, zu was für Schurken wir in diesem Jahrhundert geworden sind.“ Dass es vergleichbare Schurken (und Opfer) auch im 21.Jahrhundert gibt, ist nicht zuletzt die große Qualität dieses „Medienromans“ der ganz besonderen Art.
SIMON STRAUSS
Der Held hat einen „Christus-
Komplex“, er träumt davon, „an
der Seite des Lammes zu sitzen“
Der ganz und gar ungläubige
Nathanael West zeichnet die
Figur eines unwirklichen Heiligen
Nathanael West: Miss
Lonelyhearts. Roman. Aus dem Englischen von Dieter E. Zimmer. Manesse Verlag, Zürich 2012. 176 Seiten, 19,95 Euro.
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