Wahrheit und Lügen
Der Chef der UN-Waffenkontrolleure zieht Bilanz
Von Januar 2000 bis März 2003 leitete Hans Blix die Waffenkontrollkommission der Vereinten Nationen. Wie kein anderer hat der schwedische Diplomat Einblick in die Ereignisse bekommen, die zum Waffengang der Amerikaner gegen den Irak führten. Jetzt zieht Blix zum ersten Mal kritisch Bilanz: Welchen Sinn und Zweck hatten die Inspektionen im Irak? War die Entmachtung Saddams für die Bush-Administration lange vor dem 11. September 2001 beschlossene Sache? Hätte der Krieg vermieden werden können?
In seiner brillanten Analyse des Irak-Konflikts stellt Blix nicht nur unbequeme Fragen, sondern er zeigt, wie vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein großangelegtes Propagandamanöver inszeniert wurde. Die Behauptungen der Amerikaner, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, bezeichnet er als "die Mutter aller Fehlurteile" – über 90 Prozent der Waffen im Irak wurden bereits 1991 zerstört. Die behauptete "Bedrohung des Weltfriedens" durch den Irak war eine reine Zwecklüge.
Blix berichtet über die Geschehnisse hinter den Kulissen der Weltpolitik. Wenn er seine Erlebnisse mit George W. Bush, Tony Blair, Jacques Chirac, Joschka Fischer, Condoleezza Rice, Colin Powell und anderen maßgeblichen Akteuren schildert, werden die Frustrationen und Spannungen deutlich, die im Vorfeld des Irak-Kriegs das Tauziehen der internationalen Politik bestimmten.
Zugleich liefert der Mann aus Schweden eine detaillierte und spannende Chronik der Aktivitäten seines Teams. Hans Blix beschreibt die Hindernisse und Unwägbarkeiten, mit denen die Inspektoren konfrontiert waren, und er berichtet von den Risiken, die die Inspektionen mit sich brachten.
Dem Rückblick folgt ein Ausblick: Mit der für ihn so typischen "Stimme der Vernunft" entwirft Hans Blix ein Modell, wie ähnliche Konflikte in Zukunft gelöst werden müssen. E zeigt auf, welche Möglichkeiten es gibt, die Verbreitung und den Einsatz von Massenvernichtungswaffen wirksam zu unterbinden.
Der Chef der UN-Waffenkontrolleure zieht Bilanz
Von Januar 2000 bis März 2003 leitete Hans Blix die Waffenkontrollkommission der Vereinten Nationen. Wie kein anderer hat der schwedische Diplomat Einblick in die Ereignisse bekommen, die zum Waffengang der Amerikaner gegen den Irak führten. Jetzt zieht Blix zum ersten Mal kritisch Bilanz: Welchen Sinn und Zweck hatten die Inspektionen im Irak? War die Entmachtung Saddams für die Bush-Administration lange vor dem 11. September 2001 beschlossene Sache? Hätte der Krieg vermieden werden können?
In seiner brillanten Analyse des Irak-Konflikts stellt Blix nicht nur unbequeme Fragen, sondern er zeigt, wie vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein großangelegtes Propagandamanöver inszeniert wurde. Die Behauptungen der Amerikaner, der Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, bezeichnet er als "die Mutter aller Fehlurteile" – über 90 Prozent der Waffen im Irak wurden bereits 1991 zerstört. Die behauptete "Bedrohung des Weltfriedens" durch den Irak war eine reine Zwecklüge.
Blix berichtet über die Geschehnisse hinter den Kulissen der Weltpolitik. Wenn er seine Erlebnisse mit George W. Bush, Tony Blair, Jacques Chirac, Joschka Fischer, Condoleezza Rice, Colin Powell und anderen maßgeblichen Akteuren schildert, werden die Frustrationen und Spannungen deutlich, die im Vorfeld des Irak-Kriegs das Tauziehen der internationalen Politik bestimmten.
Zugleich liefert der Mann aus Schweden eine detaillierte und spannende Chronik der Aktivitäten seines Teams. Hans Blix beschreibt die Hindernisse und Unwägbarkeiten, mit denen die Inspektoren konfrontiert waren, und er berichtet von den Risiken, die die Inspektionen mit sich brachten.
Dem Rückblick folgt ein Ausblick: Mit der für ihn so typischen "Stimme der Vernunft" entwirft Hans Blix ein Modell, wie ähnliche Konflikte in Zukunft gelöst werden müssen. E zeigt auf, welche Möglichkeiten es gibt, die Verbreitung und den Einsatz von Massenvernichtungswaffen wirksam zu unterbinden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2004Geschwulstsuche im Irak
Einblicke in die Binnenperspektive der Waffeninspektionen
Hans Blix: Mission Irak. Wahrheit und Lügen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Reinhard Kreissl, Thorsten Schmidt, Bernhard Kleinschmidt. Droemer Verlag, München 2004. 352 Seiten, 19,90 [Euro].
Am 19. März 2003 - da hatte der amerikanische Feldzug im Irak schon begonnen, und die UN-Waffeninspekteure befanden sich bereits außer Landes - stand das neue Arbeitsprogramm für die UN-Überwachungs-, Verifikationsund Inspektionskommission Unmovic auf der Tagesordnung des Weltsicherheitsrates. Das war absurdes Theater. Alle wußten, daß der Kriegsbeginn die Kommission arbeitslos gemacht hatte. Aber in der Politik ist das Absurde manchmal ziemlich bedeutungsschwer: Die Chance, die irakische Diktatur anders als mit militärischer Gewalt zu bezwingen, war vertan worden, weil einige Akteure sie nicht ergreifen wollten. Die Mehrheit im Sicherheitsrat bestand vergeblich darauf, daß scharfe Waffeninspektionen im Irak der internationalen Sicherheit am ehesten nützen würden. Aber es sollte wenigstens noch einmal unterstrichen werden.
Nachdem der Irak 1999 den Widerstand gegen die Wiederaufnahme von Waffeninspektionen aufgegeben hatte, wurde Unmovic gegründet und Hans Blix an ihre Spitze berufen. Blix war von 1981 bis 1997 Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien gewesen. Es gibt wohl kaum einen im politisch-diplomatischen Geschäft ähnlich erfahrenen Rüstungskontrollexperten für Massenvernichtungswaffen. Deshalb wurde seine Berufung überall begrüßt, nur vom Irak nicht.
Von Januar bis März 2003 rückten Blix und sein Nachfolger bei der Atomenergiebehörde, el Baradei, ins Zentrum weltpolitischer Aufmerksamkeit, weil ihre Inspektionsberichte vor dem Sicherheitsrat von entscheidendem Gewicht für die Einschätzung der Gefährlichkeit des Regimes von Saddam Hussein waren. Verfügte der Irak über nukleare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen? Würden solche Waffen in kurzer Zeit einsatzbereit gemacht werden und andere Länder bedrohen können? Blix und seine Waffeninspekteure wollten beides nicht bestätigen. Aber sie konnten es auch nicht ausschließen. "Nicht existierende Beweise sind keine Beweise für Nichtexistenz", wie es Donald Rumsfeld unnachahmlich ausgedrückt hat. Aber nicht existierende Beweise sind auch kein Beleg für eklatante Verstöße gegen das Abrüstungsgebot, das dem Irak seitens des Sicherheitsrates auferlegt worden war.
Weil die Ergebnisse der Inspektionen nicht von schlichter Eindeutigkeit sein konnten, geriet Blix gewissermaßen zwischen alle Feuer. Die Kosten beliefen sich auf circa 80 Millionen Dollar pro Jahr. Das Geld kam aus den Erlösen, die der Irak durch seine erlaubten Ölverkäufe erhielt. Bezahlt wurden damit mehrere hundert internationale Inspektionsfachleute sowie eine umfangreiche Infrastruktur an Arbeits- und Transportgeräten. Die Einblicke in die Binnenperspektive der Waffeninspektionen gehören zu den besonders aufschlußreichen Passagen des Blix-Berichts.
Viele Regierungen im Westen waren - in der Hauptsache aufgrund des grottenschlechten Materials ihrer Geheimdienste - davon überzeugt, daß es irgendwo im Irak versteckte Massenvernichtungswaffen gab. In dämlicher Parallelität dazu waren die irakischen Politiker zu einer Kooperation ohne Wenn und Aber mit den Inspekteuren nicht bereit. Sie mauerten, wo sie konnten, in völliger Verkennung ihrer Lage. Die Inspekteure fanden so gut wie nichts von dem, was dem Irak zu verstecken unterstellt wurde. Der Irak war aber unwillig oder unfähig nachzuweisen, daß seine Massenvernichtungswaffen schon vor Jahren zerstört worden waren. Zudem sahen die Vereinigten Staaten die Verbindung zwischen Saddam Hussein und dem Al-Qaida-Terrorismus als gegeben an. Das bestärkte ihre Kriegsentschlossenheit. Auch neigten die verantwortlichen amerikanischen Politiker und ihre Berater zu abenteuerlich harmonistischen Vorstellungen über die Begeisterung der irakischen Bevölkerung angesichts amerikanischer Befreier. Alles Gründe, aus denen heraus sich die Regierung und auch viele amerikanische Medien weigerten, den Inspekteuren genügend Zeit zuzugestehen, um ihre Arbeit zu Ende zu bringen. Denn sie waren (oder schienen) ja ohnehin davon überzeugt, daß es versteckte irakische Massenvernichtungswaffen gab, das sollte die Powell Point Show vor dem Sicherheitsrat am 5. Februar unwiderlegbar beweisen. Heute ist sein Auftritt dem amerikanischen Außenminister eher peinlich.
Obwohl amerikanische Regierungsvertreter zeitweise ziemlich ruppig mit Hans Blix und den Inspekteuren umgegangen sind, bleibt er den Vereinigten Staaten gegenüber immer fair. Auch über den Irak-Feldzug urteilt er abgewogen: Gut, daß der Diktator besiegt ist. Aber über Massenvernichtungswaffen hat das Regime nicht mehr verfügt. Es ist, als hätte man operiert, um eine bösartige Geschwulst zu finden, die es gar nicht gab.
WILFRIED VON BREDOW
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einblicke in die Binnenperspektive der Waffeninspektionen
Hans Blix: Mission Irak. Wahrheit und Lügen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Reinhard Kreissl, Thorsten Schmidt, Bernhard Kleinschmidt. Droemer Verlag, München 2004. 352 Seiten, 19,90 [Euro].
Am 19. März 2003 - da hatte der amerikanische Feldzug im Irak schon begonnen, und die UN-Waffeninspekteure befanden sich bereits außer Landes - stand das neue Arbeitsprogramm für die UN-Überwachungs-, Verifikationsund Inspektionskommission Unmovic auf der Tagesordnung des Weltsicherheitsrates. Das war absurdes Theater. Alle wußten, daß der Kriegsbeginn die Kommission arbeitslos gemacht hatte. Aber in der Politik ist das Absurde manchmal ziemlich bedeutungsschwer: Die Chance, die irakische Diktatur anders als mit militärischer Gewalt zu bezwingen, war vertan worden, weil einige Akteure sie nicht ergreifen wollten. Die Mehrheit im Sicherheitsrat bestand vergeblich darauf, daß scharfe Waffeninspektionen im Irak der internationalen Sicherheit am ehesten nützen würden. Aber es sollte wenigstens noch einmal unterstrichen werden.
Nachdem der Irak 1999 den Widerstand gegen die Wiederaufnahme von Waffeninspektionen aufgegeben hatte, wurde Unmovic gegründet und Hans Blix an ihre Spitze berufen. Blix war von 1981 bis 1997 Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien gewesen. Es gibt wohl kaum einen im politisch-diplomatischen Geschäft ähnlich erfahrenen Rüstungskontrollexperten für Massenvernichtungswaffen. Deshalb wurde seine Berufung überall begrüßt, nur vom Irak nicht.
Von Januar bis März 2003 rückten Blix und sein Nachfolger bei der Atomenergiebehörde, el Baradei, ins Zentrum weltpolitischer Aufmerksamkeit, weil ihre Inspektionsberichte vor dem Sicherheitsrat von entscheidendem Gewicht für die Einschätzung der Gefährlichkeit des Regimes von Saddam Hussein waren. Verfügte der Irak über nukleare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen? Würden solche Waffen in kurzer Zeit einsatzbereit gemacht werden und andere Länder bedrohen können? Blix und seine Waffeninspekteure wollten beides nicht bestätigen. Aber sie konnten es auch nicht ausschließen. "Nicht existierende Beweise sind keine Beweise für Nichtexistenz", wie es Donald Rumsfeld unnachahmlich ausgedrückt hat. Aber nicht existierende Beweise sind auch kein Beleg für eklatante Verstöße gegen das Abrüstungsgebot, das dem Irak seitens des Sicherheitsrates auferlegt worden war.
Weil die Ergebnisse der Inspektionen nicht von schlichter Eindeutigkeit sein konnten, geriet Blix gewissermaßen zwischen alle Feuer. Die Kosten beliefen sich auf circa 80 Millionen Dollar pro Jahr. Das Geld kam aus den Erlösen, die der Irak durch seine erlaubten Ölverkäufe erhielt. Bezahlt wurden damit mehrere hundert internationale Inspektionsfachleute sowie eine umfangreiche Infrastruktur an Arbeits- und Transportgeräten. Die Einblicke in die Binnenperspektive der Waffeninspektionen gehören zu den besonders aufschlußreichen Passagen des Blix-Berichts.
Viele Regierungen im Westen waren - in der Hauptsache aufgrund des grottenschlechten Materials ihrer Geheimdienste - davon überzeugt, daß es irgendwo im Irak versteckte Massenvernichtungswaffen gab. In dämlicher Parallelität dazu waren die irakischen Politiker zu einer Kooperation ohne Wenn und Aber mit den Inspekteuren nicht bereit. Sie mauerten, wo sie konnten, in völliger Verkennung ihrer Lage. Die Inspekteure fanden so gut wie nichts von dem, was dem Irak zu verstecken unterstellt wurde. Der Irak war aber unwillig oder unfähig nachzuweisen, daß seine Massenvernichtungswaffen schon vor Jahren zerstört worden waren. Zudem sahen die Vereinigten Staaten die Verbindung zwischen Saddam Hussein und dem Al-Qaida-Terrorismus als gegeben an. Das bestärkte ihre Kriegsentschlossenheit. Auch neigten die verantwortlichen amerikanischen Politiker und ihre Berater zu abenteuerlich harmonistischen Vorstellungen über die Begeisterung der irakischen Bevölkerung angesichts amerikanischer Befreier. Alles Gründe, aus denen heraus sich die Regierung und auch viele amerikanische Medien weigerten, den Inspekteuren genügend Zeit zuzugestehen, um ihre Arbeit zu Ende zu bringen. Denn sie waren (oder schienen) ja ohnehin davon überzeugt, daß es versteckte irakische Massenvernichtungswaffen gab, das sollte die Powell Point Show vor dem Sicherheitsrat am 5. Februar unwiderlegbar beweisen. Heute ist sein Auftritt dem amerikanischen Außenminister eher peinlich.
Obwohl amerikanische Regierungsvertreter zeitweise ziemlich ruppig mit Hans Blix und den Inspekteuren umgegangen sind, bleibt er den Vereinigten Staaten gegenüber immer fair. Auch über den Irak-Feldzug urteilt er abgewogen: Gut, daß der Diktator besiegt ist. Aber über Massenvernichtungswaffen hat das Regime nicht mehr verfügt. Es ist, als hätte man operiert, um eine bösartige Geschwulst zu finden, die es gar nicht gab.
WILFRIED VON BREDOW
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Recht interessant findet Wilfried von Bredow diesen Bericht von Hans Blix, der als Leiter der UN-Kommission Unmovic für die Waffeninspektionen im Irak zuständig war, bevor sich die USA in einen fragwürdigen Krieg gegen das Land stürzten. Für Bredow war Blix die optimale Besetzung für diesen Job, hat es doch im politisch-diplomatischen Geschäft kaum einen "ähnlich erfahrenen" Rüstungskontrollexperten für Massenvernichtungswaffen gegeben. Doch weil die Ergebnisse der Inspektionen im Irak nicht von schlichter Eindeutigkeit sein konnten, sei Blix "zwischen alle Feuer geraten". Wie Bredow darlegt, scheiterte Blix' Mission letztlich, weil die US-Regierung und viele amerikanische Medien sich weigerten, den Inspekteuren genügend Zeit zuzugestehen, um ihre Arbeit zu Ende zu bringen. Als "besonders aufschlussreich" empfindet er die Passagen des Blix-Berichts, die Einblicke in die Binnenperspektive der Waffeninspektionen geben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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