Ludwig Fels schreibt einen Roman über die Liebe, obwohl keine seiner Figuren dieses Wort verwendet. Schon gar nicht Mr. Joe. Um seine Obsessionen auszuleben, ist er nach Manila geflogen und hat dort ein junges Mädchen, Rosario, aufgetan. Sie kommt ums Leben, und Mr. Joe gerät unter Mordverdacht. Petruzalek, Kommissar beim Morddezernat, nimmt, getrieben von einer merkwürdigen Neugier und einer seltsamen Lust auf Rache, die Ermittlungen auf; auch der Straßenjunge Mike, Rosarios Freund, will die Tote rächen und setzt alles daran, den verschwundenen Mister Joe aufzuspüren.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.1998Monster in der Seifenblase
Platt pervers: Ludwig Fels schwelgt in Blut und Tränen
Wenn "Mister Joe" ein Film wäre und kein Roman, dann stünde er jetzt auf dem Index. Zuschauern würde übel, Jugendschützer würden warnen, Psychologen spekulieren, was einen Künstler zu solchen Ausbrüchen treibt. In der Literatur verhält sich das zum Glück anders. Nur die Dichter selbst sind nicht immer glücklich damit. Denn hinter dieser Toleranz steht weniger die Achtung vor dem Wort als seine Geringschätzung: die gönnerhafte Gewißheit, daß Texte niemals so penetrant sein können wie Bilder. Ludwig Fels schickt sich nun an, das Gegenteil zu beweisen.
Der Arzt Heffe Kerr reist als Sextourist auf die Philippinen, wo er sich "Mister Joe" nennt. Er vergewaltigt ein kleines Mädchen auf so bestialische Art, daß es wenig später an den Verletzungen stirbt. Kerr kehrt unbehelligt in ein nicht näher kenntliches Land der westlichen Welt zurück. Dort gerät er an einen rauhbeinigen Polizisten namens Petruzalek, der zur Gewalt neigt, seitdem seine Frau ihn verlassen hat. Er bleibt nicht der einzige Verfolger. Der Bruder des Mädchens, Mike, reist Kerr als Drogenkurier nach.
Die weitere Handlung wird abwechselnd aus der Perspektive dieser drei Figuren erzählt. Kerr geht auch daheim seinen sexuellen Vorlieben nach. Mike entführt Kerrs Tochter, die zufällig mit Petruzaleks Tochter befreundet ist. Der reißt unterdessen einem Kellner ein Ohrläppchen ab. Die Drogenhändler töten eine Freundin von Mike. Zum Schluß entmannt Mike den Mörder seiner Schwester und kommt dabei selbst zu Tode. Petruzalek überlebt und findet sein Glück bei einer Frau von den Philippinen, die Kerr zuvor mißhandelt hatte.
Der Krimistoff dient als Korsett für die eigentlichen Themen des Romans: Liebe, Vergebung, vor allem aber Gewalt. "Mister Joe" ist voll von zertrümmerten Schädeln, ausgestochenen Augen, Verstümmelungen jeder nur erdenklichen Art. Man könnte Wetten annehmen: Nennen Sie mir eine Körperflüssigkeit, ich nenne Ihnen die Seitenzahl.
Heffe Kerrs Obsessionen erinnern an Patrick Bateman, den Yuppie und Frauenmörder, den Bret Easton Ellis in seinem Roman "American Psycho" beschreibt. Man verfolgt dort, wenn schon nicht gern, so doch gebannt, wie der "nette Junge von nebenan" nach zweihundert Seiten Partygeplänkel ganz nebenbei zum Monster wird. Auch er begeht abscheuliche Verbrechen. Doch der Erzähler gebraucht ihre Details mit derselben chirurgischen Präzision wie der Held seine Marterwerkzeuge. Bei Ellis wirkt die Gewalt schockierend; bei Fels ist sie nur widerlich.
Ein Grund dafür liegt in der dürftigen Charakterzeichnung. Es ist furchtbar leicht, einen perversen Irren zu beschreiben. Der Reiz für einen Dichter kann nur darin liegen, daß er Perversion und Irrsinn, so gut es geht, verständlich macht. Ludwig Fels kann oder will das nicht. Der einzige Grund für Kerrs Sadismus gegen Frauen ist die besitzergreifende Liebe seiner Mutter. Nicht einmal diese Plattheit bleibt dem Leser erspart.
Damit befindet Kerr sich freilich in bester Gesellschaft. Sein Gegenspieler Petruzalek redet wie eine Figur aus einem schlechten amerikanischen Krimi. Wenn man ihn fragt, wie hart er sei, dann sagt er: "Ziemlich".
Ein Dichter vom Range Ludwig Fels' muß sich etwas dabei denken, würde man sagen, wenn man nur wüßte, was es soll, und wenn nicht die anderen Figuren in ähnlichen Klischees erstarrt wären. Schon in seinem letzten Roman "Bleeding Heart" (1993) hatte Fels den Naturalismus seines früheren Werks mit Blut und Tränen auszutreiben versucht. Er wollte, wie er in einem Interview erklärte, "einige Leute ganz bewußt vor den Kopf stoßen". Aber dazu muß man doch nicht gleich ein schlechtes Buch schreiben.
Liest man über die Unappetitlichkeiten des Romans hinweg, bleibt nur eine hoffnungslos mittelmäßige Prosa. Es verwundert schon, wie plump der Autor auf den ersten Seiten die morbide Stimmung in Manila inszeniert: ein angefahrener Hund, ein toter Ochse, ein Geruch der Verwesung, ein warmes Bier. Der Rückgriff auf solche Mittel verrät eine tiefe Unsicherheit, die sich nur schlecht hinter Kraftmeiereien verbirgt. Jemand "reiste durch die Finsternis seines vergessenen Herzens". Eine Seele verformt sich "zu einem grauen Klumpen". Ein Gelächter klingt "wie ein Hilferuf". Das alles gefällt im ersten Moment; aber es sind doch nur rhetorische Seifenblasen, so kurzlebig wie hohl.
Um so peinlicher ist da, daß Fels passagenweise sich selbst zitiert, als seien seine Worte so wertvoll, daß man sie gleich zweimal lesen muß. Am Anfang dankt er sogar Gott. Aber wofür nur? MICHAEL ALLMAIER.
Ludwig Fels: "Mister Joe". Roman. Luchterhand Verlag, München 1997. 335 S., geb., 42,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Platt pervers: Ludwig Fels schwelgt in Blut und Tränen
Wenn "Mister Joe" ein Film wäre und kein Roman, dann stünde er jetzt auf dem Index. Zuschauern würde übel, Jugendschützer würden warnen, Psychologen spekulieren, was einen Künstler zu solchen Ausbrüchen treibt. In der Literatur verhält sich das zum Glück anders. Nur die Dichter selbst sind nicht immer glücklich damit. Denn hinter dieser Toleranz steht weniger die Achtung vor dem Wort als seine Geringschätzung: die gönnerhafte Gewißheit, daß Texte niemals so penetrant sein können wie Bilder. Ludwig Fels schickt sich nun an, das Gegenteil zu beweisen.
Der Arzt Heffe Kerr reist als Sextourist auf die Philippinen, wo er sich "Mister Joe" nennt. Er vergewaltigt ein kleines Mädchen auf so bestialische Art, daß es wenig später an den Verletzungen stirbt. Kerr kehrt unbehelligt in ein nicht näher kenntliches Land der westlichen Welt zurück. Dort gerät er an einen rauhbeinigen Polizisten namens Petruzalek, der zur Gewalt neigt, seitdem seine Frau ihn verlassen hat. Er bleibt nicht der einzige Verfolger. Der Bruder des Mädchens, Mike, reist Kerr als Drogenkurier nach.
Die weitere Handlung wird abwechselnd aus der Perspektive dieser drei Figuren erzählt. Kerr geht auch daheim seinen sexuellen Vorlieben nach. Mike entführt Kerrs Tochter, die zufällig mit Petruzaleks Tochter befreundet ist. Der reißt unterdessen einem Kellner ein Ohrläppchen ab. Die Drogenhändler töten eine Freundin von Mike. Zum Schluß entmannt Mike den Mörder seiner Schwester und kommt dabei selbst zu Tode. Petruzalek überlebt und findet sein Glück bei einer Frau von den Philippinen, die Kerr zuvor mißhandelt hatte.
Der Krimistoff dient als Korsett für die eigentlichen Themen des Romans: Liebe, Vergebung, vor allem aber Gewalt. "Mister Joe" ist voll von zertrümmerten Schädeln, ausgestochenen Augen, Verstümmelungen jeder nur erdenklichen Art. Man könnte Wetten annehmen: Nennen Sie mir eine Körperflüssigkeit, ich nenne Ihnen die Seitenzahl.
Heffe Kerrs Obsessionen erinnern an Patrick Bateman, den Yuppie und Frauenmörder, den Bret Easton Ellis in seinem Roman "American Psycho" beschreibt. Man verfolgt dort, wenn schon nicht gern, so doch gebannt, wie der "nette Junge von nebenan" nach zweihundert Seiten Partygeplänkel ganz nebenbei zum Monster wird. Auch er begeht abscheuliche Verbrechen. Doch der Erzähler gebraucht ihre Details mit derselben chirurgischen Präzision wie der Held seine Marterwerkzeuge. Bei Ellis wirkt die Gewalt schockierend; bei Fels ist sie nur widerlich.
Ein Grund dafür liegt in der dürftigen Charakterzeichnung. Es ist furchtbar leicht, einen perversen Irren zu beschreiben. Der Reiz für einen Dichter kann nur darin liegen, daß er Perversion und Irrsinn, so gut es geht, verständlich macht. Ludwig Fels kann oder will das nicht. Der einzige Grund für Kerrs Sadismus gegen Frauen ist die besitzergreifende Liebe seiner Mutter. Nicht einmal diese Plattheit bleibt dem Leser erspart.
Damit befindet Kerr sich freilich in bester Gesellschaft. Sein Gegenspieler Petruzalek redet wie eine Figur aus einem schlechten amerikanischen Krimi. Wenn man ihn fragt, wie hart er sei, dann sagt er: "Ziemlich".
Ein Dichter vom Range Ludwig Fels' muß sich etwas dabei denken, würde man sagen, wenn man nur wüßte, was es soll, und wenn nicht die anderen Figuren in ähnlichen Klischees erstarrt wären. Schon in seinem letzten Roman "Bleeding Heart" (1993) hatte Fels den Naturalismus seines früheren Werks mit Blut und Tränen auszutreiben versucht. Er wollte, wie er in einem Interview erklärte, "einige Leute ganz bewußt vor den Kopf stoßen". Aber dazu muß man doch nicht gleich ein schlechtes Buch schreiben.
Liest man über die Unappetitlichkeiten des Romans hinweg, bleibt nur eine hoffnungslos mittelmäßige Prosa. Es verwundert schon, wie plump der Autor auf den ersten Seiten die morbide Stimmung in Manila inszeniert: ein angefahrener Hund, ein toter Ochse, ein Geruch der Verwesung, ein warmes Bier. Der Rückgriff auf solche Mittel verrät eine tiefe Unsicherheit, die sich nur schlecht hinter Kraftmeiereien verbirgt. Jemand "reiste durch die Finsternis seines vergessenen Herzens". Eine Seele verformt sich "zu einem grauen Klumpen". Ein Gelächter klingt "wie ein Hilferuf". Das alles gefällt im ersten Moment; aber es sind doch nur rhetorische Seifenblasen, so kurzlebig wie hohl.
Um so peinlicher ist da, daß Fels passagenweise sich selbst zitiert, als seien seine Worte so wertvoll, daß man sie gleich zweimal lesen muß. Am Anfang dankt er sogar Gott. Aber wofür nur? MICHAEL ALLMAIER.
Ludwig Fels: "Mister Joe". Roman. Luchterhand Verlag, München 1997. 335 S., geb., 42,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main