Produktdetails
  • Verlag: Albino
  • Seitenzahl: 210
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 261g
  • ISBN-13: 9783888030055
  • Artikelnr.: 24165779
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2016

25. Heiter in die Katastrophe

Warum einen Bücher aus dem und über das Berlin der Weimarer Republik so faszinieren können, ist leicht zu erklären: Weil sie ein Metropolengefühl, ein Fluidum von Avantgarde und Abenteuer nicht beschwören müssen, weil in den gelungenen die Stadt lebt und stirbt und taumelt. Wer sie liest, sieht den brutalen Kontrast zu dem, was Berlin heute glaubt zu sein. "Im Hintergrund war immer Berlin", hat Christopher Isherwood noch 1962 geschrieben, als er längst in Kalifornien lebte. "Es rief mich jede Nacht, und seine Stimme war die raue, aufreizende Stimme der Grammophonplatten", heißt es wehmütig über die Stadt, in der der Brite von 1929 bis zum Beginn der Naziherrschaft gelebt hatte.

Zwei Bücher hat Isherwood (1904-1986) über diese Jahre geschrieben, "Leb wohl, Berlin" und "Mr. Norris steigt um", 1939 erschienen, jetzt in neuer Übersetzung. Im Ich-Erzähler William Bradshaw steckt natürlich Isherwood, er hat nie ein Hehl daraus gemacht; auch für die meisten anderen Figuren haben Bekannte des Autors Modell gestanden. Bradshaw schildert, wie er Mr. Norris im Zug kennenlernt, einen undurchsichtigen, merkwürdigen, charmanten Mann, Kommunist, Masochist, Besucher von Dominas und Parteiversammlungen, in obskuren Geschäften unterwegs mit einem obskuren Assistenten namens Schmidt. Norris verschwindet und taucht wieder auf, hat viele Lügen und drei verschiedene Perücken. Sie feiern, zum Beispiel eine wilde Party, an Silvester 1930, angemessen exzessiv beschrieben. Sie sehen die ersten SA-Männer auftauchen. Dann ist es auf einmal Frühjahr 1933, und unnachahmlich beiläufig schreibt Isherwood: "Auf dem Nollendorfplatz saßen die Leute im Mantel vor den Cafés und lasen vom Staatsstreich in Bayern. Aus einem Lautsprecher an der Ecke ertönte Görings Stimme aus dem Radio. Deutschland ist erwacht, sagte er. Eine Eisdiele hatte bereits geöffnet."

Es ist ein sehr vitales, wehmütiges Buch, ein 35-Jähriger hat es halt über einen 25-Jährigen geschrieben, und man sollte nicht verschweigen, dass Isherwood sich später scharf kritisiert hat. Eine "herzlose Märchengeschichte" sei der Roman, mit einem Ich-Erzähler, "der heiter und fröhlich diese verzweifelten Szenen durchlebte und sie fehlinterpretierte, damit sie in seine kindliche Vorstellungswelt passten". Manchmal muss man Autoren vor sich selbst in Schutz nehmen.

Peter Körte

Christopher Isherwood: "Mr. Norris steigt um". Roman. Aus dem Englischen von Georg Deggerich. Hoffmann & Campe, 256 Seiten, 22 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr