Marktplatzangebote
13 Angebote ab € 1,89 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Als die Soldaten landen, haben die meisten Weißen Matildas tropische Insel schon verlassen. Nur einer bleibt. Mr. Watts trägt eine rote Karnevalsnase und kutschiert seine dicke eingeborene Frau in einer Karre umher. Die Kinder nennen ihn Pop Eye, aber außer ihm ist niemand da, der ihnen Unterricht geben könnte. Mr. Watts beginnt vorzulesen: "Große Erwartungen" von seinem "Freund" Charles Dickens. Für die kleine Matilda wird Dickens Held Pip so real wie die eigene Mutter, und die größte Freundschaft ihres Lebens fängt an. Nur: Was soll sie sagen, wenn die Soldaten fordern, man solle ihnen…mehr

Produktbeschreibung
Als die Soldaten landen, haben die meisten Weißen Matildas tropische Insel schon verlassen. Nur einer bleibt. Mr. Watts trägt eine rote Karnevalsnase und kutschiert seine dicke eingeborene Frau in einer Karre umher. Die Kinder nennen ihn Pop Eye, aber außer ihm ist niemand da, der ihnen Unterricht geben könnte. Mr. Watts beginnt vorzulesen: "Große Erwartungen" von seinem "Freund" Charles Dickens. Für die kleine Matilda wird Dickens Held Pip so real wie die eigene Mutter, und die größte Freundschaft ihres Lebens fängt an. Nur: Was soll sie sagen, wenn die Soldaten fordern, man solle ihnen diesen gefährlichen Pip ausliefern, da er doch nur ein Rebell sein könne? Selten sind das Schöne und das Schreckliche, das Menschen einander antun können, so umstandslos, so atmosphärisch und weise erzählt worden.
Bougainville - ein paradiesisches Idyll im Südpazifik. Bis die Soldaten landen. Während Geschützfeuer den nächtlichen Dschungel erleuchtet, Hubschrauber die tropische Stille durchbrechen, entführt der exzentrische Mr. Watts seine Schüler in eine vielleicht bessere, fremde Welt: die Welt des Charles Dickens.
Für die kleine Matilda wird der Waisenjunge Pip so real wie die eigene Mutter, und die größte Freundschaft ihres Lebens fängt an. Ein modernes Märchen vom Wunder des Lesens und der Macht der Phantasie.

"Eines der besten Bücher dieses Jahres! Herzzerreißend, poetisch und voller Überraschungen - ein außergewöhnlicher Roman." (Isabel Allende)
Autorenporträt
Lloyd Jones, geb. 1955 in Lower Hutt, Neuseeland, hat zahlreiche Romane und Erzählungen veröffentlicht und gehört zu den namhaften, vielfach preisgekrönten Autoren seiner Heimat.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2008

In der Tropenschule mit Mr. Watts und Mr. Dickens

Lloyd Jones hat mit "Mr. Pip" den erfolgreichsten Roman Neuseelands und eine Hymne auf Charles Dickens geschrieben: Einladung zu einer Feier der Phantasie im Südpazifik.

Von Felicitas von Lovenberg

Über diesen Roman sollte man lieber nicht zu viele Worte machen, wenn man möchte, dass ihn anschließend möglichst viele Menschen lesen. Man sollte einfach mit Nachdruck sagen: ein hervorragendes Buch, unbedingt zu empfehlen. Falls Nachfragen kommen, sollte man vielleicht damit anfangen, dass "Mr. Pip" Favorit beim letztjährigen Booker-Preis war, obwohl sein Autor Lloyd Jones zuvor in Großbritannien völlig unbekannt und auch Großmeister Ian McEwan mit im Rennen war. Der Aufrichtigkeit halber, aber mit wegwerfender Geste müsste man hinzufügen, dass er dann, für die Buchmacher vollkommen überraschend, gegen "The Gathering" von Anne Enright verlor - solche Entscheidungen sind immer umstritten, man kennt das ja. Sodann könnte man euphorisch berichten, dass "Mr. Pip" außerdem andere wichtige Auszeichnungen wie den Commonwealth Writer's Prize gewonnen hat und auch ohne Booker seinen Autor Lloyd Jones, in seiner neuseeländischen Heimat lange schon ein anerkannter Qualitätsschriftsteller, weltweit bekannt gemacht hat, ja, dass "Mr. Pip" mittlerweile sogar das erfolgreichste neuseeländische Buch aller Zeiten ist. Erst wenn die Frage aufkommt, worum es denn nun geht in diesem fabelhaften Roman, druckst man etwas herum. Es geht um Loyalität, Zivilcourage, Glauben und Empathie, um Charles Dickens und die lebensverändernde Wirkung von Literatur. Und es spielt auf einer Insel im Südpazifik.

Charles Dickens im südpazifischen Dschungel? Das klingt wie "Fluch der Karibik" im viktorianischen Teesalon, also verdächtig nach gesuchter Originalität und wirkungsvoll ausgetüfteltem Plot. Oder, wie die "New York Times" schelmisch bemerkte, nach einem Ausflug ins Paradies der Pädagogen, der sich indes als "überraschend genießbar" herausstellt. In der Tat ist "Mr. Pip" eine Feierstunde der Unterweisung in Menschlichkeit und Mitgefühl, wie jeder ahnen mag, der je dem Waisenjungen Philip Pirrip, genannt Pip, aus "Große Erwartungen" von Charles Dickens begegnet ist - aufgrund seines wechselvollen Schicksals und schließlicher Läuterung, also reichlicher Metaphernausbeute ein Liebling aller Englischlehrer. So auch von Mr. Watts, dem letzten Weißen in Bougainville, der sich aufgrund seiner Hautfarbe ("weiß wie unsere Augäpfel, nur kränklicher") und wohl auch seiner Erscheinung in einem ramponierten, aber dennoch respekteinflößenden hellen Leinenanzug plötzlich als Lehrer in der Missionsschule wiederfindet. Die vorigen Inhaber dieses Amtes hatten die Insel mit dem letzten Boot verlassen. Seither warten die Menschen in Bougainville auf den Krieg oder, wie es die Erzählerin, die vierzehnjährige Matilda, lapidar ausdrückt, "auf die Rothaut-Soldaten oder die Rebellen, wer immer zuerst hier auftauchen würde".

Mr. Watts, dessen seltsame Ausflüge mit seiner Frau Grace - sie schwarz, stolz und stumm auf einem Holzkarren stehend, den er, schmächtig und flatterig, hinter sich herzieht - die Kinder stets fasziniert verfolgt hatten, besitzt als Lehrer vom ersten Tag an die Autorität eines Außenseiters mit Erfahrung in der für die Kinder und ihre Eltern unermesslichen Weite der Welt jenseits der Insel - genau wie Mr. Dickens, aus dessen "Große Erwartungen" Mr. Watts den Kindern täglich vorliest, so dass sie den Roman, ganz wie seine ersten Leser, in Lieferungen aufsaugen. Die Wirkung ist berückend: "Als Mr. Watts mit dem ersten Kapitel fertig war, kam es mir vor, als hätte dieser Junge, Pip, selbst mit mir gesprochen. Ich hatte einen neuen Freund gefunden."

Matildas Mutter Dolores sind dieser neue Freund und die fremden Wörter, mit denen ihre Tochter nach Hause kommt, ja der ganze Literaturzauber, der die Kinder mitten aus der tropischen Hitze ins kalte England versetzt, nicht geheuer. Dolores empfindet den Gentlemanlehrer Mr. Watts als persönlichen Widersacher, als Rivalen bei der Erziehung ihrer Tochter. Dabei lehrt dieser die Kinder nicht nur Rechtschreibung und Einmaleins, sondern er bittet auch ihre Mütter und Großmütter, als Gäste in den Schulstunden ihr ureigenes Wissen weiterzugeben. Und so erfährt die Klasse, wie man einen Tintenfisch tötet, dass Krabben Wetterboten sind oder was es mit dem Glauben an den Feilenfisch auf sich hat. Doch das bringt die vertraute Nähe zwischen Matilda und ihrer Mutter nicht zurück: ",Große Erwartungen' war zwischen uns getreten." Matildas Mutter sieht "nur den Weißen. Und ein Weißer hatte ihr den Mann und mir den Vater gestohlen. Weiße waren für die Kupfermine und die Blockade verantwortlich. Ein Weißer hatte unserer Insel ihren Namen gegeben. Weiße hatten mir meinen Namen gegeben. Und noch etwas war inzwischen klar: Die weiße Welt hatte uns vergessen."

Die Manipulation, die Dolores wittert, könnte auch den Leser irritieren, der hier schließlich ebenfalls eine Lektion verpasst bekommt. Matilda erkennt in den Menschen ihrer Umgebung allenthalben die Romanfiguren wieder, und die geheimnisumrankte Vergangenheit von Mr. Watts erscheint ihr spiegelbildlich für das Leben Pips. Auch den anderen Kindern hilft Mr. Dickens, besser mit der Gewalt fertig zu werden, die ihre Welt bedroht. Umgekehrt können sie nicht verhindern, dass ihr Lehrer und seine Frau diejenigen sind, die erst von den Rothäuten, dann von den Einwohnern am härtesten bestraft werden - für ihr Anderssein. Und selbst wenn sich Mr. Watts den Tod noch eine Weile durch die Kraft der Erzählung vom Leib halten kann, zeigt sich doch, in der haarsträubend grausamen Szene, als Matildas Mutter todesmutig für ihren früheren Feind eintritt, dass man Zivilcourage nicht aus Büchern lernt. Außer vielleicht aus diesem. Denn Lloyd Jones gelingt das unwahrscheinliche Geniestück, einen Roman, der wie ein mustergültiges pädagogisches Lehrstück daherkommt, in eine bild- und sprachgewaltige, von Grete Osterwald mit Feingefühl übersetzte Parabel über die Suche nach Identität zu verwandeln.

- Lloyd Jones: "Mr. Pip". Roman. Aus dem

Englischen übersetzt von Grete Osterwald.

Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008.

282 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ganz hingerissen ist Rezensentin Jutta Person von dem Roman "Mister Pip" des neuseeländischen Autors Lloyd Jones, der, als das Buch 2007 im Original erschien, für den Booker Preis nominiert wurde, wie sie mitteilt. Im durch den blutigen Bürgerkrieg erschütterten Bougainville unterrichtet der exzentrische Mr. Watts als letzter Weißer des Dorfes die Kinder und infiziert sie mit dem Virus der Leselust, indem er mit ihnen Charles Dickens' "Große Erwartungen" liest, fasst die Rezensentin zusammen. Sie ist beeindruckt, dass der Autor dabei sämtliche Klippen der Tropenklischees behände umschifft, genauso wie er feinfühlig und, wie Person versichert, "absolut unkitschig" die Wirkung von Literatur beschreibt, ohne sie zu überschätzen. Wie es ihm dazu gelingt, in die Figur der dreizehnjährigen Schwarzen Matilda zu schlüpfen, aus deren Perspektive unsentimental, komisch und mitunter recht deftig erzählt werde, ringt der Rezensentin zudem große Bewunderung ab. Damit demonstriere Jones genau die Einfühlung in das "Andere", das hier in den großen Fragen nach "Richtig und Falsch, Schwarz und Weiß" aufgegriffen werde, so Person anerkennend.

© Perlentaucher Medien GmbH