Georg Magirius, Mit hundert Fragen durch die Bibel, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2008
„Verstehst Du auch, was Du liest?“ – „Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?“
Mit dieser Frage und der als Antwort gemeinten Gegenfrage beginnt ein Gespräch zwischen Philippus, einem der ersten
Christen, und einem Pilger nach Jerusalem – dem Kämmerer der äthiopischen Königin (Apostelgeschichte 8,…mehrGeorg Magirius, Mit hundert Fragen durch die Bibel, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2008
„Verstehst Du auch, was Du liest?“ – „Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?“
Mit dieser Frage und der als Antwort gemeinten Gegenfrage beginnt ein Gespräch zwischen Philippus, einem der ersten Christen, und einem Pilger nach Jerusalem – dem Kämmerer der äthiopischen Königin (Apostelgeschichte 8, 30f). Dieser Austausch könnte auch am Beginn des Buches von Georg Magirius stehen. Die 100 Fragen sind – wie der Buchrücken behauptet – in der Tat „eine lebendige Einführung in das Buch der Bücher.“
Georg Magirius stellt die Bibel als ein Buch vor, das wie das Leben voller Widersprüche ist. Den Grund dafür identifiziert er ohne Probleme: Gott ist lebendig, deshalb muss die Bibel bunt sein. Sie lässt Raum für die Phantasie, und genau die setzt Georg Magirius ein, um die oft sehr trocken anmutenden Geschichten auszumalen (Frage 1). Er bespricht nicht alle Perikopen, die es wert wären besprochen zu werden – das ist in 100 Antworten wohl auch nicht zu leisten – aber für das Heil relevante Abschnitte, und drückt sich selbst nicht vor schwierigen Themen, so z.B. bei der 28. Frage, in der er sich bemüht, Motive für einen kaltblütigen Mord zu finden, und Verständnis für die Mörderin aufbringt.
Seine Bibelinterpretation ist erfrischend unkonventionell. An vielen Stellen arbeitet er Positives heraus, wo man traditionell eher Negatives zu finden glaubt. So erkennt er das, was man jahrhunderte lang als „Sündenfall“ verteufelt hat, als notwendig, damit der erste Mensch und mit ihm die ganze Menschheit erwachsen wurde, quasi als pubertäres „Muss“, und möglich wurde das für Adam nur, „weil seine Frau ihn nicht vergaß“ (Frage 3). Hat Gott die Sache mit der Frucht vom Baum der Erkenntnis gar mit eingefädelt? Ähnlich ist es bei seiner Bewertung des Esau (Frage 11).
Umgekehrt deckt er bei Stellen, die traditionell positiv gesehen werden, negative Aspekte auf. Ist man gewohnt, Jesus als Friedensbringer zu sehen, kann eine Aussage erstaunen, nach der Jesus zwar keinen Streit bringt, aber auch nicht Harmonie um jeden Preis, ja gar den Streit um der Liebe Willen einem konfliktträchtigen Frieden vorzieht (Frage 60). Ebenso ungewohnt – im Kontext aber nicht weniger richtig – ist die Erkenntnis, dass nicht jeder, der auf die Bibel pocht, automatisch im Recht ist (Frage 62), wie auch das – zumindest angedeutete – Bild von Jesus als dem heimatlosen Schnorrer (Frage 65). Mitunter kritisiert er sogar das in der Bibel vorgestellte Ideal (Frage 90), und deckt den Suchtfaktor des Gebetes auf (Frage 91).
Einige seiner Erkenntnisse überraschen. So entlarvt er den Apostel Paulus, den man als großen Missionar kennt, augenzwinkernd als langweilig ausufernden Prediger (Frage 92), oder auch als nervtötenden Besserwisser (Frage 93). Nach dieser Einführung ist man beinahe enttäuscht, dass gerade dieser Paulus am Ende Recht behält. Jesus Christus gilt als Bräutigam der Kirche. Georg Magirius hat den Mut festzustellen, dass er in einem Gleichnis jedoch als nicht gerade liebevoll vorgestellt wird (Frage 79). Hingegen wird der Apostel Thomas, der als Zweifler verschrien ist, zu dem, in Jesus alle Zweifler adelt (Frage 86).Stellt er damit die Bibel auf den Kopf?
Abseits wissenschaftlicher Exegese entdeckt Georg Magirius erstaunlich alltägliche Aspekte, die dem Bibelleser nicht unmittelbar ins Auge springen, wie die Verbesserung der Infrastruktur in einer Gegend durch Jesus, die aber seltsamerweise auch ein gewisses Risiko birgt (Frage 67).
Es gibt Fragen, die unbeantwortet bleiben, so z.B. warum der Mörder Kain nicht hinter Gitter muss (Frage 4) oder wie viel Geschenke kosten dürfen (Frage 80), wie Georg Magirius auch Fragen stellt, die die Bibel offen lässt, wie z.B. die danach, was Jesus zu einer bestimmten Gelegenheit in den Sand schrieb (Frage 72). Aber gerade dadurch schafft er den Anreiz, selbst weiter zu lesen und zu denken. Das gilt auch da, wo die Fragen beantwo