Ostberlin 1967: Peter Körber hält die Tagebücher seines leiblichen Vaters in den Händen, den er nie kennengelernt hat. Zwischen den Seiten steht ein Teil der Familiengeschichte, den man besser im Dunkeln gelassen hätte. Doch Peter kann nicht länger die Augen davor verschließen, denn die Geschichte droht sich zu wiederholen: Er soll Henker werden, so wie auch sein Vater vor ihm. Kann er sein Schicksal noch abwenden oder hatte er von Anfang an keine Wahl?»Rainer Wittkamp hat die Frage, was die Deutschen in zwei Diktaturen im 20. Jahrhundert zum Tätervolk machte, auf die Ebene einer Familie heruntergebrochen.« Christian Adam
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2023Dunklere Zeiten
Krimis in Kürze: Grangé, Wittkamp und Deen
Der Satz von der Vergangenheit, die nicht tot, ja noch nicht einmal vergangen ist, findet hier immer wieder Bestätigung: Mehr als achtzig Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ist die Zahl der Sachbücher und Romane, die sich dieser Zeit widmen, konstant hoch. Auch als Krimisujet sind die Jahre zwischen 1933 und 1945 unvermindert beliebt.
Sogar einen französischen Bestsellerautor wie Jean-Christophe Grangé ("Die purpurnen Flüsse") hat der Stoff derart gepackt, dass er nun einen Thriller vorlegt, der "Die marmornen Träume" (Tropen, 688 S., geb., 26,- Euro) heißt und im Berlin des Jahres 1939 spielt. Seine Hauptfiguren bilden ein störanfälliges Ermittlungstrio, das nur durch die extremen Umstände zu einem solchen werden kann: ein Psychoanalytiker mit Gigolotalenten, ein bäuerlich-klobiger SS-Mann, den eine Mordserie zum Zweifler werden lässt, und eine adlige Psychiaterin, die in ihrer Klinik Menschen betreut, deren Leben der NS-Staat für "lebensunwert" hält.
Grangé hat sich nicht nur gründlich in Zeit und Örtlichkeiten versenkt, seine Prosa entwickelt auch poetische Qualitäten, wenngleich er zwischendurch immer mal wieder mit zu viel Pedal spielt. Weil er die mörderische Biopolitik des Regimes, den Wahn von Reinheit, Zucht und Selektion in den Mittelpunkt rückt, ist das eher eine düstere Poesie des Schreckens, voller szenischer Momente, die Blicken in die Hölle und das Herz des Bösen gleichen. Schade nur, dass Grangé dann auf den letzten fünfzig Seiten in einem Epilog, der im Jahr 1942 spielt, den Bogen überspannt und mit ein paar hanebüchenen Einfällen die Architektur des Romans empfindlich stört.
Dunklere deutsche Zeiten sind auch das Sujet von Rainer Wittkamp, aus dessen Nachlass das Buch "Mit aller Macht" (Pendragon, 248 S., br., 18,- Euro) herausgeben wurde. Ein junger Mann, der bei seiner Tante aufwächst, macht als Mustersozialist in den Sechzigerjahren Karriere bei der Stasi, weil er an den Arbeiter- und Bauern-Staat glaubt und dieser Glaube ihm inhumane Maßnahmen als Wegbereiter der Humanität erscheinen lässt. Dann begeht seine Frau Republikflucht, und das Regime erpresst ihn auf besonders perfide Weise: Er wird degradiert und muss als Henker arbeiten, weil Stasi-Chef Mielke weiß, dass schon der Vater in der Nazi-Zeit als Henker amtierte.
Wittkamp, der auch als Regisseur und Entwickler von Stoffen für das Fernsehen arbeitete, erzählt diese doppelte Geschichte betont nüchtern, einfach und unprätentiös, gestützt auf reale Scharfrichter-Biographien. Das ist die passende Tonlage für zwei Lebensläufe in totalitären Regimen, für zwei Männer, die es zu etwas bringen wollen, die nicht völlig skrupellos sind, sondern die besten Absichten haben, die ihre Pflicht zu erfüllen glauben und keine Fragen nach dem Sinn stellen. Erst als der Sohn in den Tagebüchern des Vaters liest, den er praktisch nicht kannte, erst als das Regime in den Achtzigerjahren noch einen letzten Dienst von ihm verlangt, dämmert ihm, wie übergangslos man vom gutgläubigen Mitläufer zum schuldigen Mittäter werden kann. Ein Happy End sieht anders aus.
Selten passen die Dinge so gut zusammen: die Landschaft, der Protagonist, der Tonfall. "Der Holländer" war der erste Roman von Mathijs Deen über den Bundespolizisten Liewe Cupido (F.A.Z. vom 7. März 2022), der auf Texel aufwuchs, in Cuxhaven lebt und auf den Inseln und an der Küste ermittelt. Mit derselben Lakonie und Qualität geht es jetzt in "Der Taucher" (Mare, 320 S., geb., 22,- Euro) weiter.
In der Nähe der Amrumbank stößt ein Bergungsschiff auf ein altes Wrack mit kostbarer Fracht. Mit Handschellen an den Rumpf festgekettet ist ein Taucher. Cupidos Weg führt nach Föhr und Wilhelmshaven, er spricht nach wie vor nicht viel und hat mit Friesen zu tun, die auch nicht gerne viel reden. Ein Teamspieler wird er nicht mehr werden, dafür kümmert er sich um eine Hündin, die ihm zugelaufen ist. Mathijs Deen Jahrgang 1962, übertreibt es dabei weder mit der Pose des Einzelgängers noch mit der friesischen Wortkargheit. Er weiß einfach, wie man eine Geschichte so erzählt, dass die Charaktere, ihre Sprache und ihre Handlungen geerdet und lebendig wirken, ohne dass Tempo und Spannungsgehalt des Plots darunter litten. PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Grangé, Wittkamp und Deen
Der Satz von der Vergangenheit, die nicht tot, ja noch nicht einmal vergangen ist, findet hier immer wieder Bestätigung: Mehr als achtzig Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ist die Zahl der Sachbücher und Romane, die sich dieser Zeit widmen, konstant hoch. Auch als Krimisujet sind die Jahre zwischen 1933 und 1945 unvermindert beliebt.
Sogar einen französischen Bestsellerautor wie Jean-Christophe Grangé ("Die purpurnen Flüsse") hat der Stoff derart gepackt, dass er nun einen Thriller vorlegt, der "Die marmornen Träume" (Tropen, 688 S., geb., 26,- Euro) heißt und im Berlin des Jahres 1939 spielt. Seine Hauptfiguren bilden ein störanfälliges Ermittlungstrio, das nur durch die extremen Umstände zu einem solchen werden kann: ein Psychoanalytiker mit Gigolotalenten, ein bäuerlich-klobiger SS-Mann, den eine Mordserie zum Zweifler werden lässt, und eine adlige Psychiaterin, die in ihrer Klinik Menschen betreut, deren Leben der NS-Staat für "lebensunwert" hält.
Grangé hat sich nicht nur gründlich in Zeit und Örtlichkeiten versenkt, seine Prosa entwickelt auch poetische Qualitäten, wenngleich er zwischendurch immer mal wieder mit zu viel Pedal spielt. Weil er die mörderische Biopolitik des Regimes, den Wahn von Reinheit, Zucht und Selektion in den Mittelpunkt rückt, ist das eher eine düstere Poesie des Schreckens, voller szenischer Momente, die Blicken in die Hölle und das Herz des Bösen gleichen. Schade nur, dass Grangé dann auf den letzten fünfzig Seiten in einem Epilog, der im Jahr 1942 spielt, den Bogen überspannt und mit ein paar hanebüchenen Einfällen die Architektur des Romans empfindlich stört.
Dunklere deutsche Zeiten sind auch das Sujet von Rainer Wittkamp, aus dessen Nachlass das Buch "Mit aller Macht" (Pendragon, 248 S., br., 18,- Euro) herausgeben wurde. Ein junger Mann, der bei seiner Tante aufwächst, macht als Mustersozialist in den Sechzigerjahren Karriere bei der Stasi, weil er an den Arbeiter- und Bauern-Staat glaubt und dieser Glaube ihm inhumane Maßnahmen als Wegbereiter der Humanität erscheinen lässt. Dann begeht seine Frau Republikflucht, und das Regime erpresst ihn auf besonders perfide Weise: Er wird degradiert und muss als Henker arbeiten, weil Stasi-Chef Mielke weiß, dass schon der Vater in der Nazi-Zeit als Henker amtierte.
Wittkamp, der auch als Regisseur und Entwickler von Stoffen für das Fernsehen arbeitete, erzählt diese doppelte Geschichte betont nüchtern, einfach und unprätentiös, gestützt auf reale Scharfrichter-Biographien. Das ist die passende Tonlage für zwei Lebensläufe in totalitären Regimen, für zwei Männer, die es zu etwas bringen wollen, die nicht völlig skrupellos sind, sondern die besten Absichten haben, die ihre Pflicht zu erfüllen glauben und keine Fragen nach dem Sinn stellen. Erst als der Sohn in den Tagebüchern des Vaters liest, den er praktisch nicht kannte, erst als das Regime in den Achtzigerjahren noch einen letzten Dienst von ihm verlangt, dämmert ihm, wie übergangslos man vom gutgläubigen Mitläufer zum schuldigen Mittäter werden kann. Ein Happy End sieht anders aus.
Selten passen die Dinge so gut zusammen: die Landschaft, der Protagonist, der Tonfall. "Der Holländer" war der erste Roman von Mathijs Deen über den Bundespolizisten Liewe Cupido (F.A.Z. vom 7. März 2022), der auf Texel aufwuchs, in Cuxhaven lebt und auf den Inseln und an der Küste ermittelt. Mit derselben Lakonie und Qualität geht es jetzt in "Der Taucher" (Mare, 320 S., geb., 22,- Euro) weiter.
In der Nähe der Amrumbank stößt ein Bergungsschiff auf ein altes Wrack mit kostbarer Fracht. Mit Handschellen an den Rumpf festgekettet ist ein Taucher. Cupidos Weg führt nach Föhr und Wilhelmshaven, er spricht nach wie vor nicht viel und hat mit Friesen zu tun, die auch nicht gerne viel reden. Ein Teamspieler wird er nicht mehr werden, dafür kümmert er sich um eine Hündin, die ihm zugelaufen ist. Mathijs Deen Jahrgang 1962, übertreibt es dabei weder mit der Pose des Einzelgängers noch mit der friesischen Wortkargheit. Er weiß einfach, wie man eine Geschichte so erzählt, dass die Charaktere, ihre Sprache und ihre Handlungen geerdet und lebendig wirken, ohne dass Tempo und Spannungsgehalt des Plots darunter litten. PETER KÖRTE
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»Im Mittelpunkt stehen zwei Generationen einer Familie im 20. Jahrhundert. Das Private steht dem Kalkül eines Staatsapparates gegenüber: dem des Nationalsozialismus und später dem der DDR. Es wird die individuelle Schuldfrage in einem totalitären Staat beleuchtet, wodurch der Roman eine große Faszination ausübt.« Hauke Harder Buchhandlung Almut Schmidt