Produktdetails
- Verlag: Limmat Verlag
- 2000.
- Seitenzahl: 274
- Deutsch
- Abmessung: 200mm
- Gewicht: 358g
- ISBN-13: 9783857912979
- ISBN-10: 3857912979
- Artikelnr.: 08649944
Frankfurter Allgemeine ZeitungBröselndes Alpengestein
Biedermann und die Kleinbürger: Das Leben von Max Frisch
Erst kurz vor Max Frischs Tod im Jahr 1991 erfuhr die Öffentlichkeit, dass der Autor über fast vierzig Jahre hinweg aufgrund seiner "staatsgefährdenden" Schriften von der schweizerischen Geheimpolizei observiert worden war. Tatsächlich hatte Frisch jahrzehntelang an dem Ruhm gearbeitet, der "Staatsfeind Nr. 1" zu sein, und ließ keine Gelegenheit aus, sich als "Nestbeschmutzer" unbeliebt zu machen - dabei wusste er erst von einem Teil des Sprengstoffs, der in den Tresoren der Banken lagerte.
Man verzieh dem Kritiker der Landesverhältnisse wohl auch nicht das Ansehen, das er als Autor in der Welt genoss. Mit dem Roman "Homo faber" (1957) war ihm der Durchbruch gelungen, und um das Jahr 1970 erreichte seine schriftstellerische Laufbahn, etwa mit dem Empfang durch Henry A. Kissinger im Weißen Haus, den Zenit. Ich habe in dieser Zeit jeder neuen Veröffentlichung von Frisch entgegengefiebert. Aber schon seine letzten anderthalb Lebensjahrzehnte waren für den Frisch-Liebhaber kaum noch aufregend. Und heute? Seien wir ehrlich: Manches haben wir überschätzt. Und längst hat ihn die Ironie der Literaturgeschichte ereilt. Eines seiner bekanntesten Verdikte bewahrheitet sich weniger an Brecht als an ihm selbst, das Wort von der "durchschlagenden Wirkungslosigkeit des Klassikers". Gerade recht kommt da der zweite Teil von Birchers Darstellung, drei Jahre nach dem ersten mit dem Titel "Vom langsam Wachsen eines Zorns. Max Frisch 1911 bis 1955".
Urs Bircher, zehn Jahre lang Dramaturg am Schauspielhaus Zürich und wesentlich an der Uraufführung von Frischs letztem Stück "Jonas und sein Veteran" (1989) beteiligt, bringt für eine Biografie die nötige Literaturkenntnis und eine erfreuliche Praxisnähe mit. Er ist Anwalt in der Verteidigung Frischs gegen selbstgerechte schweizerische Polemik und begegnet Frisch mit Hochachtung, ohne vor ihm zu knien. Skeptisch bilanziert er das literarische Werk. Seltsam steril wirken heute Stücke, mit denen Frisch bis in die Klassenzimmer der Schulen vordrang: "Biedermann und die Brandstifter", "Lehrstück ohne Lehre", "Andorra". Türen, die "offiziell weit offen standen", habe er eingerannt, meint Bircher. So offen waren die Türen damals durchaus noch nicht. Aber ein Wertkriterium der Literatur, ihre Vieldeutigkeit, erwies sich hier als fatal. Was die einen als antifaschistische, die anderen als antikommunistische und wieder andere als Kleinbürger-Parabel verstanden, war von solcher Allgemeinheit, dass sich niemand betroffen fühlen musste. Die überzeitliche Wahrheit hat niemals ihre Zeit.
Aus dem Dilemma des Parabeltheaters und auf der Flucht vor der Welle von Dokumentarstücken geriet Frisch mit seinem Spiel "Biografie" in eine neue Sackgasse. Was im Roman "Mein Name sei Gantenbein" (1964) zur Gesellschaftssatire hin durchsichtig war: Rollen- und Variantenspiel, wird hier zum Lebensexperiment. Aber das Stück widerlegt am Ende seine eigene These von der Wiederholbarkeit und Revision existenzieller Entscheidungen. Unwiederholbar waren von nun an auch die Theatertriumphe. Der Stückeschreiber Frisch überließ sich für ein Jahrzehnt der Resignation.
Dass er mit "Montauk" (1975) noch einmal an frühere Erfolge anknüpfen konnte, begründet Bircher vor allem mit den stark autobiografischen Zügen dieser Erzählung. Tatsächlich scheint im Rückblick jene Textgruppe Frischs am haltbarsten, die sich nicht dem Spiel mit Fiktionen, sondern den unmittelbaren Erfahrungen des intellektuellen, leidenden und begehrenden Individuums verdankt. Deshalb zählen seine Tagebücher mit ihrer Verknüpfung von Beobachtung, Reflexion und Imagination gewiss zu seinen fesselndsten Schriften.
Bircher sieht Frisch als Autor des neuen Kleinbürgertums. "Kleinbürgertum" war ein Passepartout, mit dem die Achtundsechziger-Bewegung gern hantierte. Aber mit ihm lässt sich nur ein Teil des Werkes aufschließen. Wohltuend die sachliche Einordnung der inspirierenden, aber tragisch endenden Liebesepisode Frischs mit Ingeborg Bachmann oder der scheiternden Ehe mit Marianne Oellers in den Lebens- und Werkzusammenhang.
Entschieden Partei ergreift Bircher im "Zürcher Literaturstreit", der sich 1966 an Emil Staigers Rede zur Verleihung des Literaturpreises der Stadt Zürich entzündete. Staiger verwechselte offenbar seinen Lehrstuhl mit dem Richterstuhl und urteilte die neueren Schriftsteller als Psychopathen und die Gegenwartsdichtung als Kloakenliteratur ab. Frisch beschwor als Gespenst die Erneuerung des Kampfes gegen "Entartete Literatur" und brach für immer das freundschaftliche Verhältnis mit Staiger ab. Schmerzlicher traf ihn der Riss in der Freundschaft mit Dürrenmatt. Immer war diese Freundschaft von Rivalität durchsäuert. Doch verstanden sich beide als die Dioskuren der schweizerischen Gegenwartsliteratur. Beide waren im eigenen Land nicht beliebt, aber Dürrenmatt war geduldet als "Hofnarr", Frisch abgestempelt zum "Staatsfeind". Was der Biograf nicht ausspricht, sei rundheraus gesagt: Uns erscheint der Autor von Stücken wie "Besuch der alten Dame" und "Die Physiker" als das dauerhaftere Urgestein der Alpenrepublik.
WALTER HINCK
Urs Bircher: "Mit Ausnahme der Freundschaft. Max Frisch 1956 bis 1991". Limmat Verlag, Zürich 2000. 276 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Biedermann und die Kleinbürger: Das Leben von Max Frisch
Erst kurz vor Max Frischs Tod im Jahr 1991 erfuhr die Öffentlichkeit, dass der Autor über fast vierzig Jahre hinweg aufgrund seiner "staatsgefährdenden" Schriften von der schweizerischen Geheimpolizei observiert worden war. Tatsächlich hatte Frisch jahrzehntelang an dem Ruhm gearbeitet, der "Staatsfeind Nr. 1" zu sein, und ließ keine Gelegenheit aus, sich als "Nestbeschmutzer" unbeliebt zu machen - dabei wusste er erst von einem Teil des Sprengstoffs, der in den Tresoren der Banken lagerte.
Man verzieh dem Kritiker der Landesverhältnisse wohl auch nicht das Ansehen, das er als Autor in der Welt genoss. Mit dem Roman "Homo faber" (1957) war ihm der Durchbruch gelungen, und um das Jahr 1970 erreichte seine schriftstellerische Laufbahn, etwa mit dem Empfang durch Henry A. Kissinger im Weißen Haus, den Zenit. Ich habe in dieser Zeit jeder neuen Veröffentlichung von Frisch entgegengefiebert. Aber schon seine letzten anderthalb Lebensjahrzehnte waren für den Frisch-Liebhaber kaum noch aufregend. Und heute? Seien wir ehrlich: Manches haben wir überschätzt. Und längst hat ihn die Ironie der Literaturgeschichte ereilt. Eines seiner bekanntesten Verdikte bewahrheitet sich weniger an Brecht als an ihm selbst, das Wort von der "durchschlagenden Wirkungslosigkeit des Klassikers". Gerade recht kommt da der zweite Teil von Birchers Darstellung, drei Jahre nach dem ersten mit dem Titel "Vom langsam Wachsen eines Zorns. Max Frisch 1911 bis 1955".
Urs Bircher, zehn Jahre lang Dramaturg am Schauspielhaus Zürich und wesentlich an der Uraufführung von Frischs letztem Stück "Jonas und sein Veteran" (1989) beteiligt, bringt für eine Biografie die nötige Literaturkenntnis und eine erfreuliche Praxisnähe mit. Er ist Anwalt in der Verteidigung Frischs gegen selbstgerechte schweizerische Polemik und begegnet Frisch mit Hochachtung, ohne vor ihm zu knien. Skeptisch bilanziert er das literarische Werk. Seltsam steril wirken heute Stücke, mit denen Frisch bis in die Klassenzimmer der Schulen vordrang: "Biedermann und die Brandstifter", "Lehrstück ohne Lehre", "Andorra". Türen, die "offiziell weit offen standen", habe er eingerannt, meint Bircher. So offen waren die Türen damals durchaus noch nicht. Aber ein Wertkriterium der Literatur, ihre Vieldeutigkeit, erwies sich hier als fatal. Was die einen als antifaschistische, die anderen als antikommunistische und wieder andere als Kleinbürger-Parabel verstanden, war von solcher Allgemeinheit, dass sich niemand betroffen fühlen musste. Die überzeitliche Wahrheit hat niemals ihre Zeit.
Aus dem Dilemma des Parabeltheaters und auf der Flucht vor der Welle von Dokumentarstücken geriet Frisch mit seinem Spiel "Biografie" in eine neue Sackgasse. Was im Roman "Mein Name sei Gantenbein" (1964) zur Gesellschaftssatire hin durchsichtig war: Rollen- und Variantenspiel, wird hier zum Lebensexperiment. Aber das Stück widerlegt am Ende seine eigene These von der Wiederholbarkeit und Revision existenzieller Entscheidungen. Unwiederholbar waren von nun an auch die Theatertriumphe. Der Stückeschreiber Frisch überließ sich für ein Jahrzehnt der Resignation.
Dass er mit "Montauk" (1975) noch einmal an frühere Erfolge anknüpfen konnte, begründet Bircher vor allem mit den stark autobiografischen Zügen dieser Erzählung. Tatsächlich scheint im Rückblick jene Textgruppe Frischs am haltbarsten, die sich nicht dem Spiel mit Fiktionen, sondern den unmittelbaren Erfahrungen des intellektuellen, leidenden und begehrenden Individuums verdankt. Deshalb zählen seine Tagebücher mit ihrer Verknüpfung von Beobachtung, Reflexion und Imagination gewiss zu seinen fesselndsten Schriften.
Bircher sieht Frisch als Autor des neuen Kleinbürgertums. "Kleinbürgertum" war ein Passepartout, mit dem die Achtundsechziger-Bewegung gern hantierte. Aber mit ihm lässt sich nur ein Teil des Werkes aufschließen. Wohltuend die sachliche Einordnung der inspirierenden, aber tragisch endenden Liebesepisode Frischs mit Ingeborg Bachmann oder der scheiternden Ehe mit Marianne Oellers in den Lebens- und Werkzusammenhang.
Entschieden Partei ergreift Bircher im "Zürcher Literaturstreit", der sich 1966 an Emil Staigers Rede zur Verleihung des Literaturpreises der Stadt Zürich entzündete. Staiger verwechselte offenbar seinen Lehrstuhl mit dem Richterstuhl und urteilte die neueren Schriftsteller als Psychopathen und die Gegenwartsdichtung als Kloakenliteratur ab. Frisch beschwor als Gespenst die Erneuerung des Kampfes gegen "Entartete Literatur" und brach für immer das freundschaftliche Verhältnis mit Staiger ab. Schmerzlicher traf ihn der Riss in der Freundschaft mit Dürrenmatt. Immer war diese Freundschaft von Rivalität durchsäuert. Doch verstanden sich beide als die Dioskuren der schweizerischen Gegenwartsliteratur. Beide waren im eigenen Land nicht beliebt, aber Dürrenmatt war geduldet als "Hofnarr", Frisch abgestempelt zum "Staatsfeind". Was der Biograf nicht ausspricht, sei rundheraus gesagt: Uns erscheint der Autor von Stücken wie "Besuch der alten Dame" und "Die Physiker" als das dauerhaftere Urgestein der Alpenrepublik.
WALTER HINCK
Urs Bircher: "Mit Ausnahme der Freundschaft. Max Frisch 1956 bis 1991". Limmat Verlag, Zürich 2000. 276 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hans-Peter Kunisch hat sich unter den neueren Erscheinungen zum Frühwerk Max Frischs umgesehen. In seiner Mehrfachbesprechung legt er uns vor allem zwei Bücher ans Herz: Frischs "'Im übrigen bin ich immer völlig allein.' Briefwechsel mit der Mutter 1933. Eishockeyweltmeisterschaft. Reisefeuilletons" (Suhrkamp). Sowie den ersten Band von Urs Birchers Frisch- Biographie: "Mit Ausnahme der Freundschaft. Max Frisch 1911-1955" (Limmat-Verlag).
1) Max Frisch: "Im übrigen bin ich immer völlig allein."
Den Autor will Kunisch ein wenig in Schutz nehmen. Gegen das Verdikt vom "blumig-lyrischen Stil" des "naiven jungen Frisch" führt er die frühen, hier versammelten Arbeiten ins Feld. "Glänzend" nennt er sie, möchte das Wort allerdings durchaus in seiner Doppelbedeutung verstanden wissen, "das Verschmockte aller Selbstdarstellung inbegriffen." Dennoch: Die Feuilletons des "Moral- Schriftstellers als junger Dandy" findet er nicht durchweg unpolitisch oder seltsam, sondern mitunter "recht überzeugend historisch". Wenn auch der Band als Ganzes die "nahe liegende Thematisierung der politischen Haltung weitgehend vermeidet."
2) Urs Bircher: "Mit Ausnahme der Freundschaft. Max Frisch 1911-1955"
Gegen diesen ersten Band von Birchers Biographie, meint unser Rezensent, sei der zweite eher harmlos. Überfällig sei der hier vorgelegte Versuch, den ersten Lebensabschnitt des weltbekannten Autors Frisch "einmal auch politisch darzustellen." Kunisch räumt ein, dass die "patriotisch-nationalistischen Haltungen" des jungen Frisch "als prinzipientreuer Kleinbürger, der den offiziellen Schweizer Standpunkt (während des Kriegs) verinnerlicht hatte", dem Kenner zwar bereits bekannt seien, Bircher jedoch komme das Verdienst zu, sie einem breiteren Publikum vorzuführen. Allerdings: Etwas weniger "Aufdeckungsgestus" hätte es nach Kunischs Dafürhalten auch getan.
© Perlentaucher Medien GmbH
1) Max Frisch: "Im übrigen bin ich immer völlig allein."
Den Autor will Kunisch ein wenig in Schutz nehmen. Gegen das Verdikt vom "blumig-lyrischen Stil" des "naiven jungen Frisch" führt er die frühen, hier versammelten Arbeiten ins Feld. "Glänzend" nennt er sie, möchte das Wort allerdings durchaus in seiner Doppelbedeutung verstanden wissen, "das Verschmockte aller Selbstdarstellung inbegriffen." Dennoch: Die Feuilletons des "Moral- Schriftstellers als junger Dandy" findet er nicht durchweg unpolitisch oder seltsam, sondern mitunter "recht überzeugend historisch". Wenn auch der Band als Ganzes die "nahe liegende Thematisierung der politischen Haltung weitgehend vermeidet."
2) Urs Bircher: "Mit Ausnahme der Freundschaft. Max Frisch 1911-1955"
Gegen diesen ersten Band von Birchers Biographie, meint unser Rezensent, sei der zweite eher harmlos. Überfällig sei der hier vorgelegte Versuch, den ersten Lebensabschnitt des weltbekannten Autors Frisch "einmal auch politisch darzustellen." Kunisch räumt ein, dass die "patriotisch-nationalistischen Haltungen" des jungen Frisch "als prinzipientreuer Kleinbürger, der den offiziellen Schweizer Standpunkt (während des Kriegs) verinnerlicht hatte", dem Kenner zwar bereits bekannt seien, Bircher jedoch komme das Verdienst zu, sie einem breiteren Publikum vorzuführen. Allerdings: Etwas weniger "Aufdeckungsgestus" hätte es nach Kunischs Dafürhalten auch getan.
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