Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.12.1997Leben im Ausnahmeland
Blickwechsel: Was israelische Botschafter in Deutschland sahen
JERUSALEM, im Dezember
Dieser Tage lud der World Jewish Congress in Jerusalem zu einem Vortrag über den "Wandel in der neuen deutschen Judenschaft" ein. Der in Berlin lehrende kanadisch-jüdische Soziologe Michal Bodemann überraschte seine Zuhörer mit der Eingangsbemerkung, es gebe wohl kaum eine ähnlich dynamische jüdische Gemeinschaft auf der Welt wie in Deutschland. Sie könnte Vorbildcharakter für andere Diasporagemeinden haben: Die meist aus der früheren Sowjetunion eingewanderten Juden drängten selbstbewußt in die deutsche Öffentlichkeit. Sie bezögen ihre Identität nicht mehr aus der Schoa und nur wenig aus der geistigen Nähe zum jüdischen Staat Israel. "Es ist aus mit dem alten Staats- und Gedenkstättenjudentum der Jahre bis 1989; die Zeit starker monolithischer Führer wie Heinz Galinski ging zu Ende."
Die Öffnung von Ost und West 1989 war nach Bodemann eine Grenzmarke: Seither wuchs die Mitgliederzahl von etwa 30000 auf 65000, wenn nicht 100000, da sich nicht jeder Jude in Gemeindebücher einträgt. Kein Wunder, daß sich diese Entwicklung auf die deutsch-israelische Beziehung auswirkt. Auch wenn die meisten Juden erst im letzten Jahrfünft aus dem Osten Europas einwanderten, füllen sie auf ihre Weise langsam einen Teil der Bresche aus, den die Deutschen unter Hitler in ihre eigene Identität schlugen. Über Jahrzehnte sah Deutschland auf Israel und dort vornehmlich auf jene Jeckes - den am ehesten zum Gespräch bereiten Juden aus Deutschland -, um die jüngste und schlimmste Vergangenheit zu begreifen. Israels Botschafter in Bonn hatten hier ihre feste Aufgabe: Mahner, Warner, Ombudsmann.
So einfach ist das nicht mehr. Sechs Botschafter entsandte Israel seit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1965 nach Bonn: Asher Ben-Natan war der erste; ihn löste 1969 Elisashiv Ben-Horin ab. Yohanan Meroz folgte 1974, gefolgt von Yitzchak Ben-Ari 1981. Der übergab seine Aufgabe 1988 an Benjamin Navon. Seit 1993 vertritt Avi Primor Israel in Deutschland. Meroz und Primor sind mit Büchern über ihre Gedanken zu Deutschland und ihre Zeit in Bonn hervorgetreten. Der ältere wurde 1920 als Sproß der seit zweihundert Jahren in Brandenburg lebenden Familie Marcuse in Berlin geboren und wanderte 1933 nach Palästina aus. Deutsch ist seine Muttersprache. Wiewohl Avi Primors Mutter aus Frankfurt stammt, sich aber schon 1932 in Palästina niederließ, war für ihren Sohn Avi dies "Deutschland ein weißer Fleck auf der Karte; es existierte einfach nicht". Die Annäherung beider Botschafter an ihre Aufgabe in Bonn spiegelt mithin einen Generationswechsel. Der 1935 geborene Primor ist "der erste Botschafter Israels, der in Israel auch geboren ist, vorher in keinem deutschsprachigen Land gelebt und nie eine deutsche Schule besucht hat."
Der Generationswechsel charakterisiert auch die beiden Bücher. Meroz veröffentlichte seine Erinnerungen "in schwieriger Mission" 1986. Sie kamen also vor der Öffnung zwischen Ost und West heraus, spiegeln weiter zurückliegende Amtsjahre, in denen die Nachrüstungsdebatte den Anschein gab, dieser Konflikt treibe einem infernalischen Höhepunkt entgegen. Das ist in Primors Buch, das 1997 erschien, Geschichte. "Mit Ausnahme Deutschlands" heißt es und erinnert so an die Pässe, die der neue Staat Israel seinen Bürgern gab. Darauf stand der Vermerk: "Gilt für alle Länder mit Ausnahme Deutschlands." Ende der vierziger Jahre, aber auch noch jetzt, steht Israel mit einigen arabischen Staaten im Kriegszustand. Dort aber wären die Pässe von Israels Seite aus gültig gewesen. "Zum Feind war allein Deutschland erklärt worden. Doch so wollten wir es haben, wir waren zufrieden damit, gingen davon aus, daß es so bleiben würde."
Meroz diente seinem Land nicht nur sieben Botschafterjahre auf deutschem Posten; er war schon zuvor bei der Israel-Mission in Köln und hat den israelisch-deutschen Beziehungen Jahrzehnte gewidmet. Gleichwohl wurde er nicht warm mit diesem Staat, wo einst sein Vaterland gewesen war. "War es vergebens?" fragt er zum Schluß. "Daß mich Zweifel auch nach so vielen Jahren auf Schritt und Tritt begleiten, erstaunt mich nicht; ich hatte sie vom ersten Tag. Daß sie eher zu- als abgenommen haben, ist allerdings quälend." Avi Primor lebt in einer anderen Stimmung. Jenes Land der Nazis war für ihn wohl einmal "Inbegriff des Bösen", doch sann er nie auf Rache. Primor geißelt das "kollektive Selbstmitleid", mit dem Deutsche ein Stück weit heuchelnd die Vergangenheit sähen. Primor erinnert an eine "Symbiose der Deutschen mit den Nazis" und teilt mit Meroz die Ablehnung jener "Legende" von einer "deutsch-jüdischen Symbiose", die eine "nostalgische, im Rückblick verzerrende und verzerrte Wunschvorstellung deutscher und jüdischer Geschichte" ist, nach dem Krieg "von manchen ehrlich falsch gesehen, von anderen weniger ehrlich gefälscht", wie Meroz schreibt. Primors Weg nach Deutschland ist länger als der von Meroz. Auf seinem ersten Posten in Abidjan an der Elfenbeinküste will Primor keinen Kontakt zu seinem Kollegen an der deutschen Mission. Doch jener will ihn und besteht auf mehr als nur diplomatischem Austausch. Damals begann eine Freundschaft, die Primor bis heute mit diesem Mann verbindet, der nicht mehr Diplomat und Deutscher ist, sondern Prinzgemahl der niederländischen Königin, Claus von Amsberg.
Es dauert Jahrzehnte, in denen Primor aus Distanz die deutsch-israelischen Beziehungen beobachtet; in denen er das Werk der beiden Giganten Ben-Gurion und Adenauer so sehr bewundert, wie er die kleine Politik aus Machtdenken und Taktik gegen Anstand und Mut kritisiert. Schließlich ist es Israel, das diplomatische Beziehungen sucht; Bonn schiebt deren Aufnahme mit Blick auf die arabische Welt hinaus. Wohl hätte Primor nie mehr den Fuß auf "deutschen Boden" gesetzt, nach einer beklemmenden Nachtfahrt als Student über Straßen zwischen Salzburg und Innsbruck, hätte er nicht als Botschafter in Brüssel gesehen, wie sehr Europa und Deutschland ein neues, nicht auszuweichendes Geflecht bilden. Meroz widmete diesem Europa kaum größeres Augenmerk. Europa verdiente es wohl noch nicht. Zudem aber gibt es für die Generation Meroz' allein die historische Annäherung an Deutschland.
Primors Generation dagegen findet über die Geschichte keinen Zugang; sie versperrt ihm Deutschland vielmehr. Primor kommt über die europäische Gegenwart nach Bonn. So nimmt er 1993 die Herausforderung an. Während Meroz sein Unbehagen im Umgang mit Deutschen schildert, von denen er nicht weiß, was sie in der Nazizeit taten, wie er seine persönliche Abneigung gegen Altnazis abzuwägen hat mit dem Interesse Israels an dem Kontakt, stellt Primor mehr als zehn Jahre später fest: "Das Wort von der ,Republik der Restauration' entsprach nicht mehr der Wirklichkeit. Ich konnte deshalb davon ausgehen, daß sowohl für die Dauer meiner Amtszeit wie auch für das Amt selbst und für mich persönlich die Berichte von Yohanan Meroz nicht mehr relevant waren."
Primor will die Probleme seiner Vorgänger zwar kennen. Er würde sich aber nicht mehr auf sie einlassen müssen, "davon war ich fest überzeugt. Beispielsweise die sogenannte Verjährungsfrage, deren Schwierigkeiten Ben-Natan und Meroz intensiv beschäftigt hatte". Aber nicht nur deswegen kam es so, daß Primor, anders als Meroz, nicht nach Jahren des Abstandes ein Buch veröffentlichte, sondern schon vor der Mitte seiner Amtszeit. Die Diskrepanz zwischen seiner Vorahnung und der deutschen Wirklichkeit, in die Primor mit offenen Augen eintauchte, scheint so groß gewesen zu sein, daß darüber ein Buch der Reflexion geboten schien.
Meroz schreibt aus der Geschichte und wird sie nicht los. Primor sieht aus der Gegenwart auf diese Geschichte zurück. Gewiß, beide sind mehr als nur unterschiedlich in Natur und Temperament; aber es hat auch mit dieser Ausgangsbasis zu tun, daß Meroz sein Thema in kühlen Strukturen abarbeitet. Es ist eine eiskalte Analyse, bei der Meroz sich seines Urteils stets sicher ist. Seine Freundschaft mit Bundeskanzler Schmidt ist Ausnahme; sie wird auch "kritisch" genannt, wobei für dies Vertrautsein die Verstimmung belanglos gewesen sein soll zwischen Begin und Schmidt 1981, für die - nach Meroz - Schmidts "extreme" Kritik an dem israelischen Premier verantwortlich war. Primor schreibt weniger kritisch über Personen, was wie Unsicherheit wirken mag. In Wahrheit verbirgt es das Eingeständnis, daß Urteile falsch sein können.
Es kommt nicht von ungefähr, daß beide Autoren dem naturwissenschaftlichen Austausch zwischen Israel und Deutschland besonderen Raum geben. Das Weizman-Institut in Rehovot knüpfte fast als erste israelische Institution 1958 seine Kontakte zur deutschen Naturwissenschaft wieder an. Wenn es überhaupt je eine Symbiose zwischen Deutschen und Juden gegeben habe, so heißt es dort, dann zwischen deren Naturwissenschaftlern. Der damalige Geschäftsführer des Weizman-Instituts de Shalit erteilt dazu Primor eine Lektion: Meist sei man nach Erziehung, Forschung und eigenem Denken von seiner eigenen Meinung überzeugt. Das sei auch in den Naturwissenschaften so, nur: "Die Mathematik kann uns den absoluten und endgültigen Beweis liefern, daß wir trotz unserer ureigensten Überzeugung im Unrecht sind. Die Wahrnehmung der Grenzen des Menschen hat mich zur Bescheidenheit gezwungen."
Diese Einstellung hat de Shalit dazu veranlaßt, schon so bald nach dem unvorstellbaren Grauen wieder mit deutschen Wissenschaftlern zu kooperieren. Es muß den Historikern als den Spezialisten für Geschichte zu denken geben, daß nicht sie die Brückenbauer zwischen Israel und Deutschland waren. Auch die Literatur vermochte nicht zu leisten, was Naturwissenschaft zwischen beiden Nationen im Schatten der Öffentlichkeit an Verbindungen baute und weiterbaut. Die von de Shalit genannte "Bescheidenheit" ist ein Aufruf, immer neu zu hören und sehen. Sie birgt die Chance zu einem immer neuen Anfang trotz und gegen Abstürze, Verbrechen der Vergangenheit.
Dieser Tage machte die einzige englischsprachige Zeitschrift in Israel "The Jerusalem Report" mit einer Geschichte zu den "stolzen deutschen Juden" auf, in denen Michal Bodemanns Vortrag bestätigt wird. In einem solchen Deutschland hat ein Botschafter es leichter; er ist nicht mehr nur Warner und Mahner. Er genießt - anders als Meroz - seinen Beruf und muß sich von Kanzler Kohl fragen lassen, ob er dafür auch noch Gehalt kassiert. Die Beobachtungen von Avi Primor geben Meroz - zehn Jahre später - eine andere Antwort: Es ist nicht vergebens. Ohne Fragezeichen. JÖRG BREMER
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Blickwechsel: Was israelische Botschafter in Deutschland sahen
JERUSALEM, im Dezember
Dieser Tage lud der World Jewish Congress in Jerusalem zu einem Vortrag über den "Wandel in der neuen deutschen Judenschaft" ein. Der in Berlin lehrende kanadisch-jüdische Soziologe Michal Bodemann überraschte seine Zuhörer mit der Eingangsbemerkung, es gebe wohl kaum eine ähnlich dynamische jüdische Gemeinschaft auf der Welt wie in Deutschland. Sie könnte Vorbildcharakter für andere Diasporagemeinden haben: Die meist aus der früheren Sowjetunion eingewanderten Juden drängten selbstbewußt in die deutsche Öffentlichkeit. Sie bezögen ihre Identität nicht mehr aus der Schoa und nur wenig aus der geistigen Nähe zum jüdischen Staat Israel. "Es ist aus mit dem alten Staats- und Gedenkstättenjudentum der Jahre bis 1989; die Zeit starker monolithischer Führer wie Heinz Galinski ging zu Ende."
Die Öffnung von Ost und West 1989 war nach Bodemann eine Grenzmarke: Seither wuchs die Mitgliederzahl von etwa 30000 auf 65000, wenn nicht 100000, da sich nicht jeder Jude in Gemeindebücher einträgt. Kein Wunder, daß sich diese Entwicklung auf die deutsch-israelische Beziehung auswirkt. Auch wenn die meisten Juden erst im letzten Jahrfünft aus dem Osten Europas einwanderten, füllen sie auf ihre Weise langsam einen Teil der Bresche aus, den die Deutschen unter Hitler in ihre eigene Identität schlugen. Über Jahrzehnte sah Deutschland auf Israel und dort vornehmlich auf jene Jeckes - den am ehesten zum Gespräch bereiten Juden aus Deutschland -, um die jüngste und schlimmste Vergangenheit zu begreifen. Israels Botschafter in Bonn hatten hier ihre feste Aufgabe: Mahner, Warner, Ombudsmann.
So einfach ist das nicht mehr. Sechs Botschafter entsandte Israel seit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1965 nach Bonn: Asher Ben-Natan war der erste; ihn löste 1969 Elisashiv Ben-Horin ab. Yohanan Meroz folgte 1974, gefolgt von Yitzchak Ben-Ari 1981. Der übergab seine Aufgabe 1988 an Benjamin Navon. Seit 1993 vertritt Avi Primor Israel in Deutschland. Meroz und Primor sind mit Büchern über ihre Gedanken zu Deutschland und ihre Zeit in Bonn hervorgetreten. Der ältere wurde 1920 als Sproß der seit zweihundert Jahren in Brandenburg lebenden Familie Marcuse in Berlin geboren und wanderte 1933 nach Palästina aus. Deutsch ist seine Muttersprache. Wiewohl Avi Primors Mutter aus Frankfurt stammt, sich aber schon 1932 in Palästina niederließ, war für ihren Sohn Avi dies "Deutschland ein weißer Fleck auf der Karte; es existierte einfach nicht". Die Annäherung beider Botschafter an ihre Aufgabe in Bonn spiegelt mithin einen Generationswechsel. Der 1935 geborene Primor ist "der erste Botschafter Israels, der in Israel auch geboren ist, vorher in keinem deutschsprachigen Land gelebt und nie eine deutsche Schule besucht hat."
Der Generationswechsel charakterisiert auch die beiden Bücher. Meroz veröffentlichte seine Erinnerungen "in schwieriger Mission" 1986. Sie kamen also vor der Öffnung zwischen Ost und West heraus, spiegeln weiter zurückliegende Amtsjahre, in denen die Nachrüstungsdebatte den Anschein gab, dieser Konflikt treibe einem infernalischen Höhepunkt entgegen. Das ist in Primors Buch, das 1997 erschien, Geschichte. "Mit Ausnahme Deutschlands" heißt es und erinnert so an die Pässe, die der neue Staat Israel seinen Bürgern gab. Darauf stand der Vermerk: "Gilt für alle Länder mit Ausnahme Deutschlands." Ende der vierziger Jahre, aber auch noch jetzt, steht Israel mit einigen arabischen Staaten im Kriegszustand. Dort aber wären die Pässe von Israels Seite aus gültig gewesen. "Zum Feind war allein Deutschland erklärt worden. Doch so wollten wir es haben, wir waren zufrieden damit, gingen davon aus, daß es so bleiben würde."
Meroz diente seinem Land nicht nur sieben Botschafterjahre auf deutschem Posten; er war schon zuvor bei der Israel-Mission in Köln und hat den israelisch-deutschen Beziehungen Jahrzehnte gewidmet. Gleichwohl wurde er nicht warm mit diesem Staat, wo einst sein Vaterland gewesen war. "War es vergebens?" fragt er zum Schluß. "Daß mich Zweifel auch nach so vielen Jahren auf Schritt und Tritt begleiten, erstaunt mich nicht; ich hatte sie vom ersten Tag. Daß sie eher zu- als abgenommen haben, ist allerdings quälend." Avi Primor lebt in einer anderen Stimmung. Jenes Land der Nazis war für ihn wohl einmal "Inbegriff des Bösen", doch sann er nie auf Rache. Primor geißelt das "kollektive Selbstmitleid", mit dem Deutsche ein Stück weit heuchelnd die Vergangenheit sähen. Primor erinnert an eine "Symbiose der Deutschen mit den Nazis" und teilt mit Meroz die Ablehnung jener "Legende" von einer "deutsch-jüdischen Symbiose", die eine "nostalgische, im Rückblick verzerrende und verzerrte Wunschvorstellung deutscher und jüdischer Geschichte" ist, nach dem Krieg "von manchen ehrlich falsch gesehen, von anderen weniger ehrlich gefälscht", wie Meroz schreibt. Primors Weg nach Deutschland ist länger als der von Meroz. Auf seinem ersten Posten in Abidjan an der Elfenbeinküste will Primor keinen Kontakt zu seinem Kollegen an der deutschen Mission. Doch jener will ihn und besteht auf mehr als nur diplomatischem Austausch. Damals begann eine Freundschaft, die Primor bis heute mit diesem Mann verbindet, der nicht mehr Diplomat und Deutscher ist, sondern Prinzgemahl der niederländischen Königin, Claus von Amsberg.
Es dauert Jahrzehnte, in denen Primor aus Distanz die deutsch-israelischen Beziehungen beobachtet; in denen er das Werk der beiden Giganten Ben-Gurion und Adenauer so sehr bewundert, wie er die kleine Politik aus Machtdenken und Taktik gegen Anstand und Mut kritisiert. Schließlich ist es Israel, das diplomatische Beziehungen sucht; Bonn schiebt deren Aufnahme mit Blick auf die arabische Welt hinaus. Wohl hätte Primor nie mehr den Fuß auf "deutschen Boden" gesetzt, nach einer beklemmenden Nachtfahrt als Student über Straßen zwischen Salzburg und Innsbruck, hätte er nicht als Botschafter in Brüssel gesehen, wie sehr Europa und Deutschland ein neues, nicht auszuweichendes Geflecht bilden. Meroz widmete diesem Europa kaum größeres Augenmerk. Europa verdiente es wohl noch nicht. Zudem aber gibt es für die Generation Meroz' allein die historische Annäherung an Deutschland.
Primors Generation dagegen findet über die Geschichte keinen Zugang; sie versperrt ihm Deutschland vielmehr. Primor kommt über die europäische Gegenwart nach Bonn. So nimmt er 1993 die Herausforderung an. Während Meroz sein Unbehagen im Umgang mit Deutschen schildert, von denen er nicht weiß, was sie in der Nazizeit taten, wie er seine persönliche Abneigung gegen Altnazis abzuwägen hat mit dem Interesse Israels an dem Kontakt, stellt Primor mehr als zehn Jahre später fest: "Das Wort von der ,Republik der Restauration' entsprach nicht mehr der Wirklichkeit. Ich konnte deshalb davon ausgehen, daß sowohl für die Dauer meiner Amtszeit wie auch für das Amt selbst und für mich persönlich die Berichte von Yohanan Meroz nicht mehr relevant waren."
Primor will die Probleme seiner Vorgänger zwar kennen. Er würde sich aber nicht mehr auf sie einlassen müssen, "davon war ich fest überzeugt. Beispielsweise die sogenannte Verjährungsfrage, deren Schwierigkeiten Ben-Natan und Meroz intensiv beschäftigt hatte". Aber nicht nur deswegen kam es so, daß Primor, anders als Meroz, nicht nach Jahren des Abstandes ein Buch veröffentlichte, sondern schon vor der Mitte seiner Amtszeit. Die Diskrepanz zwischen seiner Vorahnung und der deutschen Wirklichkeit, in die Primor mit offenen Augen eintauchte, scheint so groß gewesen zu sein, daß darüber ein Buch der Reflexion geboten schien.
Meroz schreibt aus der Geschichte und wird sie nicht los. Primor sieht aus der Gegenwart auf diese Geschichte zurück. Gewiß, beide sind mehr als nur unterschiedlich in Natur und Temperament; aber es hat auch mit dieser Ausgangsbasis zu tun, daß Meroz sein Thema in kühlen Strukturen abarbeitet. Es ist eine eiskalte Analyse, bei der Meroz sich seines Urteils stets sicher ist. Seine Freundschaft mit Bundeskanzler Schmidt ist Ausnahme; sie wird auch "kritisch" genannt, wobei für dies Vertrautsein die Verstimmung belanglos gewesen sein soll zwischen Begin und Schmidt 1981, für die - nach Meroz - Schmidts "extreme" Kritik an dem israelischen Premier verantwortlich war. Primor schreibt weniger kritisch über Personen, was wie Unsicherheit wirken mag. In Wahrheit verbirgt es das Eingeständnis, daß Urteile falsch sein können.
Es kommt nicht von ungefähr, daß beide Autoren dem naturwissenschaftlichen Austausch zwischen Israel und Deutschland besonderen Raum geben. Das Weizman-Institut in Rehovot knüpfte fast als erste israelische Institution 1958 seine Kontakte zur deutschen Naturwissenschaft wieder an. Wenn es überhaupt je eine Symbiose zwischen Deutschen und Juden gegeben habe, so heißt es dort, dann zwischen deren Naturwissenschaftlern. Der damalige Geschäftsführer des Weizman-Instituts de Shalit erteilt dazu Primor eine Lektion: Meist sei man nach Erziehung, Forschung und eigenem Denken von seiner eigenen Meinung überzeugt. Das sei auch in den Naturwissenschaften so, nur: "Die Mathematik kann uns den absoluten und endgültigen Beweis liefern, daß wir trotz unserer ureigensten Überzeugung im Unrecht sind. Die Wahrnehmung der Grenzen des Menschen hat mich zur Bescheidenheit gezwungen."
Diese Einstellung hat de Shalit dazu veranlaßt, schon so bald nach dem unvorstellbaren Grauen wieder mit deutschen Wissenschaftlern zu kooperieren. Es muß den Historikern als den Spezialisten für Geschichte zu denken geben, daß nicht sie die Brückenbauer zwischen Israel und Deutschland waren. Auch die Literatur vermochte nicht zu leisten, was Naturwissenschaft zwischen beiden Nationen im Schatten der Öffentlichkeit an Verbindungen baute und weiterbaut. Die von de Shalit genannte "Bescheidenheit" ist ein Aufruf, immer neu zu hören und sehen. Sie birgt die Chance zu einem immer neuen Anfang trotz und gegen Abstürze, Verbrechen der Vergangenheit.
Dieser Tage machte die einzige englischsprachige Zeitschrift in Israel "The Jerusalem Report" mit einer Geschichte zu den "stolzen deutschen Juden" auf, in denen Michal Bodemanns Vortrag bestätigt wird. In einem solchen Deutschland hat ein Botschafter es leichter; er ist nicht mehr nur Warner und Mahner. Er genießt - anders als Meroz - seinen Beruf und muß sich von Kanzler Kohl fragen lassen, ob er dafür auch noch Gehalt kassiert. Die Beobachtungen von Avi Primor geben Meroz - zehn Jahre später - eine andere Antwort: Es ist nicht vergebens. Ohne Fragezeichen. JÖRG BREMER
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