Arno Buschmann beschreibt in diesem informativen und anregenden, auch für juristische Laien zugänglich geschriebenen Buch das Privatrecht und seine Wandlungen als Bestandteil der kulturellen Gesamtentwicklung in seinen wichtigsten Phasen von den italienischen Rechtsschulen des Mittelalters bis zur Gegenwart. Dieses Buch schließt eine Lücke der Kulturgeschichtsschreibung: War Rechtsgeschichte bislang ohnehin kaum einmal Gegenstand kulturgeschichtlicher Betrachtungen geworden, so fehlte eine Darstellung der Kulturgeschichte des Privatrechts völlig. Das ist insofern überraschend, als gerade das Privatrecht zu jenen Bereichen des Rechts gehört, dessen Regelungen seit jeher den Menschen in seiner individuellen Existenz unmittelbar betreffen und ihn von der Wiege bis zur Bahre auf Schritt und Tritt begleiten. So spiegelt das Privatrecht mehr als alle anderen Rechtsbereiche die Lebensformen und Kultur der Menschen auf den verschiedenen Stufen ihrer Entwicklung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2015Zu viel der Ehre für Berliner Spediteure
Eine Mogelpackung: Arno Buschmann schreibt ja gar keine Kulturgeschichte des Privatrechts
Eine Kulturgeschichte des Privatrechts wäre ein spannendes Unterfangen. Hat doch die neuere Kulturgeschichte in den letzten Jahren weite Bereiche der menschlichen Vergangenheit erschlossen und neu gedeutet. Bezogen auf das Privatrecht, liegen zahlreiche Themenfelder brach. Welche Rolle spielten etwa Besitz und Eigentum für das Leben einer Zeit? Soll es doch bis weit ins Mittelalter eine bloße "Gewere" gegeben haben, die zwischen der rechtlichen und tatsächlichen Zuordnung von Sachen zu Personen noch nicht unterschied. Wer machte Testamente, und wie geschah das? Welche Rolle spielten Erbverträge? Inwieweit haben technische Neuerungen wie Buchdruck, Telefon, Eisenbahn oder Computer das Rechtsleben verändert?
Die vielen denkbaren Ansatzpunkte zeigt Arno Buschmann geradezu sinnbildlich auf dem Buchdeckel seiner "Kulturgeschichte". Dort fingern die Hände eines Kaufmanns an einigen Schriftstücken herum. Dirck Tybis, so heißt der Duisburger Händler, den Hans Holbein 1533 porträtierte. Welche Bedeutung besaßen für ihn Handelsverträge mit Brief und Siegel? Gab es noch den Handschlag oder besonders feierliche Verträge auf Pergamenturkunden? War das Siegel nur eine Zierde, oder führte es zu einer höheren Verbindlichkeit von Erklärungen? Normative Regeln aus der frühen Neuzeit sprachen Schuldverschreibungen und Kaufmannsbüchern teilweise herausgehobene Bedeutung als Beweisurkunden zu. Eine Kulturgeschichte des Privatrechts könnte neu und aufregend sein.
Doch von alledem erfährt der Leser bei Arno Buschmann nichts. Anspruch und Inhalt des Buches fallen in einer Weise auseinander, wie man das nicht oft erlebt. Strenggenommen geht es bei Buschmann überhaupt nicht um Kulturgeschichte. Das Wort Kultur taucht zwar im Text an allen Ecken und Enden auf, vor allem als Rechtskultur. Aber für den Gegenstand folgt daraus gar nichts. Die angekündigte Kulturgeschichte erweist sich als Mogelpackung.
Also kann es an dieser Stelle nur um den Inhalt gehen. Wenn schon keine Kulturgeschichte, welche Geschichte des Privatrechts erzählt Buschmann dann? Es ist im Wesentlichen der altbekannte und oft wiederholte große Bogen von der mittelalterlichen Universität und ihrer Rechtsschule von Bologna über die Verwissenschaftlichung des Rechts im Alten Reich bis hin zu den Kodifikationen, den totalitären Regimen im zwanzigsten Jahrhundert und zur Überformung des privatautonomen Bürgerlichen Rechts durch Verbraucherschutz und Europäisierung. Rechtskultur meint für den Autor also die Universität mit ihrem Vorlesungsprogramm, vor allem aber die jeweilige herrschende Methode der Rechtswissenschaft. Und so reichen das Vernunftrecht, der eher handfeste Usus modernus, die Historische Rechtsschule und die Pandektenwissenschaft einander die Hand. Je stärker es dann in Richtung Gegenwart vorangeht, desto mehr beschränkt sich das Werk auf eine bloße Gesetzgebungsgeschichte.
Zahlreiche Fehler kommen hinzu. Ob man über die falschen Lebensdaten Friedrichs des Großen stolpert oder über die ebenfalls falschen Lebens- und Regierungsdaten von Kaiser Franz II., ob der Tagungsort der Germanistenversammlung in Lübeck 1847 falsch angegeben ist oder vieles mehr: auch solche gehäuften Kleinigkeiten verderben den Appetit. Wenn es ein wenig juristischer wird, stören schiefe Wertungen. So soll sich das Erbbaurecht aus einem beschränkt dinglichen Recht in ein grundstücksgleiches Recht verwandelt haben, und das soll zugleich die erste Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach 1900 gewesen sein. Doch tatsächlich galten schon seit 1900 für das Erbbaurecht die für Grundstücke gedachten Vorschriften. Und schon elf Jahre vor der Erbbaurechtsverordnung von 1919 gab es 1908 Änderungen im Vereinsrecht. Grob verfehlt ist es auch, wenn Buschmann die Berliner Spediteursbedingungen von 1918 als historisch ältestes Beispiel für Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgibt. Die Vertragspraxis standardisierter und einseitig gestellter Formulierungen ist viel älter.
Auf den Kopf gestellt erscheint zudem das Verhältnis von Bürgerlichem Recht und Verfassungsrecht. Angeblich soll das Bonner Grundgesetz von 1949 das BGB von 1900 "in seiner gereinigten Fassung" förmlich als Bundesrecht in Kraft gesetzt haben - nichts davon stimmt, was die meisten Juristen durchaus wissen. Buschmann selbst betont gleich am Anfang seines Buches, die Privatrechtsgeschichte sei 1935 "im deutschen Sprach- und Kulturraum" eingeführt worden und auch "nach dem Wegfall der Studienordnung von 1935" bestehen geblieben. Gerade ein rechtshistorisches Werk muss an dieser Stelle aber ein oder zwei Sätze zur nationalsozialistischen Studienreform sagen, statt solche Jahreszahlen einfach so stehenzulassen.
Mit seiner ansprechenden Aufmachung zielt das Taschenbuch auf einen größeren Leserkreis auch über Rechtshistoriker und Studenten hinaus. So wird es unvermeidlich Irrtümer erzeugen und Fehldeutungen befördern. Im Ergebnis erweist das Werk der Rechtsgeschichte damit einen Bärendienst. Dagegen kann man nur eines tun: warnen.
PETER OESTMANN
Arno Buschmann: "Mit Brief und Siegel". Kleine Kulturgeschichte des Privatrechts. C. H. Beck Verlag, München 2014. 276 S., br., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Mogelpackung: Arno Buschmann schreibt ja gar keine Kulturgeschichte des Privatrechts
Eine Kulturgeschichte des Privatrechts wäre ein spannendes Unterfangen. Hat doch die neuere Kulturgeschichte in den letzten Jahren weite Bereiche der menschlichen Vergangenheit erschlossen und neu gedeutet. Bezogen auf das Privatrecht, liegen zahlreiche Themenfelder brach. Welche Rolle spielten etwa Besitz und Eigentum für das Leben einer Zeit? Soll es doch bis weit ins Mittelalter eine bloße "Gewere" gegeben haben, die zwischen der rechtlichen und tatsächlichen Zuordnung von Sachen zu Personen noch nicht unterschied. Wer machte Testamente, und wie geschah das? Welche Rolle spielten Erbverträge? Inwieweit haben technische Neuerungen wie Buchdruck, Telefon, Eisenbahn oder Computer das Rechtsleben verändert?
Die vielen denkbaren Ansatzpunkte zeigt Arno Buschmann geradezu sinnbildlich auf dem Buchdeckel seiner "Kulturgeschichte". Dort fingern die Hände eines Kaufmanns an einigen Schriftstücken herum. Dirck Tybis, so heißt der Duisburger Händler, den Hans Holbein 1533 porträtierte. Welche Bedeutung besaßen für ihn Handelsverträge mit Brief und Siegel? Gab es noch den Handschlag oder besonders feierliche Verträge auf Pergamenturkunden? War das Siegel nur eine Zierde, oder führte es zu einer höheren Verbindlichkeit von Erklärungen? Normative Regeln aus der frühen Neuzeit sprachen Schuldverschreibungen und Kaufmannsbüchern teilweise herausgehobene Bedeutung als Beweisurkunden zu. Eine Kulturgeschichte des Privatrechts könnte neu und aufregend sein.
Doch von alledem erfährt der Leser bei Arno Buschmann nichts. Anspruch und Inhalt des Buches fallen in einer Weise auseinander, wie man das nicht oft erlebt. Strenggenommen geht es bei Buschmann überhaupt nicht um Kulturgeschichte. Das Wort Kultur taucht zwar im Text an allen Ecken und Enden auf, vor allem als Rechtskultur. Aber für den Gegenstand folgt daraus gar nichts. Die angekündigte Kulturgeschichte erweist sich als Mogelpackung.
Also kann es an dieser Stelle nur um den Inhalt gehen. Wenn schon keine Kulturgeschichte, welche Geschichte des Privatrechts erzählt Buschmann dann? Es ist im Wesentlichen der altbekannte und oft wiederholte große Bogen von der mittelalterlichen Universität und ihrer Rechtsschule von Bologna über die Verwissenschaftlichung des Rechts im Alten Reich bis hin zu den Kodifikationen, den totalitären Regimen im zwanzigsten Jahrhundert und zur Überformung des privatautonomen Bürgerlichen Rechts durch Verbraucherschutz und Europäisierung. Rechtskultur meint für den Autor also die Universität mit ihrem Vorlesungsprogramm, vor allem aber die jeweilige herrschende Methode der Rechtswissenschaft. Und so reichen das Vernunftrecht, der eher handfeste Usus modernus, die Historische Rechtsschule und die Pandektenwissenschaft einander die Hand. Je stärker es dann in Richtung Gegenwart vorangeht, desto mehr beschränkt sich das Werk auf eine bloße Gesetzgebungsgeschichte.
Zahlreiche Fehler kommen hinzu. Ob man über die falschen Lebensdaten Friedrichs des Großen stolpert oder über die ebenfalls falschen Lebens- und Regierungsdaten von Kaiser Franz II., ob der Tagungsort der Germanistenversammlung in Lübeck 1847 falsch angegeben ist oder vieles mehr: auch solche gehäuften Kleinigkeiten verderben den Appetit. Wenn es ein wenig juristischer wird, stören schiefe Wertungen. So soll sich das Erbbaurecht aus einem beschränkt dinglichen Recht in ein grundstücksgleiches Recht verwandelt haben, und das soll zugleich die erste Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach 1900 gewesen sein. Doch tatsächlich galten schon seit 1900 für das Erbbaurecht die für Grundstücke gedachten Vorschriften. Und schon elf Jahre vor der Erbbaurechtsverordnung von 1919 gab es 1908 Änderungen im Vereinsrecht. Grob verfehlt ist es auch, wenn Buschmann die Berliner Spediteursbedingungen von 1918 als historisch ältestes Beispiel für Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgibt. Die Vertragspraxis standardisierter und einseitig gestellter Formulierungen ist viel älter.
Auf den Kopf gestellt erscheint zudem das Verhältnis von Bürgerlichem Recht und Verfassungsrecht. Angeblich soll das Bonner Grundgesetz von 1949 das BGB von 1900 "in seiner gereinigten Fassung" förmlich als Bundesrecht in Kraft gesetzt haben - nichts davon stimmt, was die meisten Juristen durchaus wissen. Buschmann selbst betont gleich am Anfang seines Buches, die Privatrechtsgeschichte sei 1935 "im deutschen Sprach- und Kulturraum" eingeführt worden und auch "nach dem Wegfall der Studienordnung von 1935" bestehen geblieben. Gerade ein rechtshistorisches Werk muss an dieser Stelle aber ein oder zwei Sätze zur nationalsozialistischen Studienreform sagen, statt solche Jahreszahlen einfach so stehenzulassen.
Mit seiner ansprechenden Aufmachung zielt das Taschenbuch auf einen größeren Leserkreis auch über Rechtshistoriker und Studenten hinaus. So wird es unvermeidlich Irrtümer erzeugen und Fehldeutungen befördern. Im Ergebnis erweist das Werk der Rechtsgeschichte damit einen Bärendienst. Dagegen kann man nur eines tun: warnen.
PETER OESTMANN
Arno Buschmann: "Mit Brief und Siegel". Kleine Kulturgeschichte des Privatrechts. C. H. Beck Verlag, München 2014. 276 S., br., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Peter Oestmann warnt den Leser eindringlich vor diesem Buch, von der angekündigten Kulturgeschichte des Privatrechts findet er darin keine Spur. Was Arno Buschmann stattdessen liefert, ist für Oestmann die altbekannte Geschichte des Privatrechts vom Mittelalter bis zu Verbraucherschutz und Europäisierung, Rechtskultur verstanden als jeweils herrschende Methode der Rechtswissenschaft. Für eine genießbare Gesetzgebungsgeschichte aber weist das Buch zu viele Fehler und windschiefe Wertungen auf, findet Oerstmann und befürchtet weitere Fehldeutungen und Irrtümer beim arglosen Leser.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH