Als Charles Darwin im Jahr 1882 starb, sollte er auf Wunsch der Familie auf dem Friedhof jenes kleinen Dorfes in Kent beigesetzt werden, in dem er fast sein halbes Leben verbracht hatte. Daraus wurde nichts. Eine öffentliche Kampagne mit ausdrücklicher Unterstützung der anglikanischen Kirche führte dazu, daß der Begründer der Evolutionstheorie ein Staatsbegräbnis erhielt und seine letzte Ruhestätte in der Westminster Abbey fand - direkt neben dem Grabmal Isaac Newtons. Der Frieden zwischen der Kirche und Darwin war allerdings nur von kurzer Dauer. Heute, 150 Jahre nach der Veröffentlichung von On the Origin of Species, ist der Kampf um die Evolutionstheorie wieder neu entbrannt und Darwins "gefährliche Idee" steht insbesondere für Vertreter der christlichen Schöpfungslehre und ihrer wissenschaftlichen Spielart, der sogenannten Intelligent-Design-Theorie, zur Disposition.Der Wissenschaftsphilosoph Philip Kitcher zeichnet die Geschichte dieser Auseinandersetzung nach, die auf zunächst ungelöste Spannungen in Darwins Theorie selbst zurückgeht. Er zeigt, daß viele Argumente, die heute von Kreationisten vorgetragen werden, bereits zu Darwins Zeiten, ja sogar von Darwin selbst erwogen und verworfen wurden. Intelligent Design, so Kitcher, ist daher keine Pseudowissenschaft, sondern eine tote Wissenschaft, die längst geklärte Fragen erneut aufwirft. Und der Streit um Darwin ist in Wahrheit nur eine Facette eines viel umfassenderen Clashs zwischen religiösem Glauben und wissenschaftlichen Entdeckungen. Kitcher präsentiert eine vehemente Verteidigung der Evolutionstheorie, ohne dabei die sinnstiftende Funktion der Religion gerade in Zeiten sozialer Unsicherheit herunterzuspielen. Sinnfragen sind wesentlich soziale Fragen. Erst wenn diese beantwortet sind, so sein Fazit, können wir den Glauben an das Übernatürliche aufgeben - und endlich mit Darwin leben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.2009Lief denn alles nach Plan?
"Vererbung mit Veränderung", das ist in knappster Form das Grundprinzip der von Darwin auf den Weg gebrachten Evolutionstheorie. In seiner modernen Interpretation, die ihr Urheber gar nicht absehen konnte, gehört es zum Kernbestand der Biologie: ihrer Erklärung von Eigenschaften lebendiger Systeme und deren Position in einer einzigen großen Geschichte des Lebens.
Aber der Grundmechanismus ungerichteter genetischer Variation samt nachfolgender Bewertung über den Reproduktionserfolg der betroffenen Organismen wird nach wie vor auch gerne attackiert: Unmöglich könnten bestimmte Lebensformen und ihre organische Ausstattung bloß das Ergebnis der "blinden" Mechanik natürlicher Selektion sein. Es müsse da, darauf zielen die Einwände, doch schon etwas mehr ins Spiel kommen.
Nun kommt in moderner biologischer Perspektive tatsächlich viel mehr ins Spiel - allerdings nichts, was strikt jenseits der Selektionsmechanik oder einfach gegen sie operieren würde. Gerade solches aber haben Kritiker im Sinn, die Gottes Hand ganz konkret am Werk sehen wollen: indem er zum Beispiel an entscheidenden Übergängen der Evolutionsgeschichte der Sache noch einmal einen Kick gibt, etwa einen Bauplan für eine neue Entwicklungslinie kreiert.
Dabei hat man es mit einer schon gemäßigten Form des "Kreationismus" zu tun, der vor allem in den Vereinigten Staaten für Auseinandersetzungen sorgt. Aber es geht auch noch etwas bescheidener und zumindest offiziell ganz ohne religiöse Intention. Dann landet man bei der Position des "Intelligent Design", deren Vertreter sich darauf versteifen, dass manche organische Erfindungen schlichtweg nur als Ergebnis eines intelligenten Entwurfs zustande gekommen sein können. Antidarwinisten aller religiösen Spielarten wird überlassen, sich diese noch etwas blasse Intelligenz in den Schöpfergott mit gewünschten Attributen zu übersetzen.
"Intelligent Design" (ID) ist, abgesehen von seiner strategischen Funktion und dem gesellschaftlichen Ausdruckswert des hinter ihm stehenden Antidarwinismus religiöser Prägung, kein besonders interessanter Gegner. Obwohl man sich, da gilt es Philip Kitcher zuzustimmen, die Sache auch nicht so leicht machen darf wie manche Biologen, die im blankgeputzten Harnisch reiner Wissenschaftlichkeit antreten, um einer reaktionären Pseudowissenschaft den Garaus zu machen, wobei dieses Selbbild dann gerne auch noch zu einer naturalistischen wissenschaftlichen Weltauffassung aufgeblasen wird, die sich hübsch vor dem Hintergrund kreationistischer Neigungen inszenieren lässt (Philip Kitcher: "Mit Darwin leben". Evolution, Intelligent Design und die Zukunft des Glaubens. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 224 S., geb., 24,80 [Euro]).
Aber wer auf eine Pseudowissenschaft einschlägt, der müsste klare Kriterien von "eigentlicher" Wissenschaft parat haben - und dass diese sich nicht fixieren lassen, ist eine Lektion der neueren Wissenschaftsforschung. Kitcher kennt sie so gut wie das Terrain der Debattenschlachten um die Evolutionstheorie, auf dem er auch kein Neuling ist. Deshalb wählt er in seinem Buch den überzeugenderen Weg, kreationistische Positionen und zuletzt den Antiselektionismus von ID als längst überholte Optionen für die Lösung von evolutionstheoretisch traktierbaren Fragen zu überführen.
Mit Blick auf ID scheint das fast ein wenig viel Aufwand. Aber er rentiert sich hier doch, weil Kitcher auf Lieblingsbeispiele der Vertreter von ID und ihre einschlägigen Berechnungen staunenerregender Unwahrscheinlichkeiten von organischen Konstruktionen konkret eingeht. Deren vermeintliche prinzipielle Unerklärbarkeit verliert schnell an Glanz, und der blanke Verweis auf einen zugrundeliegenden Plan kann ohnehin nicht als konkurrierende Erklärung gelten.
Für Kitcher liegt es auf der Hand, dass ID religiös motivierten Antidarwinisten nur scheinbar Entlastung bringt. Diese Motivation selbst, die den Widerstand gegen die Evolutionstheorie antreibt, nimmt er durchaus ernst: Für bestimmte Formen der Religion, die ziemlich direkt auf göttlichen Plan und Vorsehung bauen, müsse das darwinistische Bild des Lebens tatsächlich ein Affront sein. Damit zielt Kitcher vor allem auf christliche Religionsgemeinschaften in den Vereinigten Staaten, die aus historischen wie gesellschaftlichen Gründen zu jenen sublimeren Formen des Glaubens nicht gefunden haben, wie sie sich in der Alten Welt auf ungleich breiterer Basis etablierten.
Das Übernatürliche, das fromme Antidarwinisten verteidigen, gilt ihm als Ausdruck einer Religiosität, die mangelnden gesellschaftlichen Sinn kompensieren muss. Als Religionssoziologie ist das zwar nicht besonders originell, aber für die Ausleuchtung des Hintergrunds von ID vielleicht doch ausreichend.
HELMUT MAYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Vererbung mit Veränderung", das ist in knappster Form das Grundprinzip der von Darwin auf den Weg gebrachten Evolutionstheorie. In seiner modernen Interpretation, die ihr Urheber gar nicht absehen konnte, gehört es zum Kernbestand der Biologie: ihrer Erklärung von Eigenschaften lebendiger Systeme und deren Position in einer einzigen großen Geschichte des Lebens.
Aber der Grundmechanismus ungerichteter genetischer Variation samt nachfolgender Bewertung über den Reproduktionserfolg der betroffenen Organismen wird nach wie vor auch gerne attackiert: Unmöglich könnten bestimmte Lebensformen und ihre organische Ausstattung bloß das Ergebnis der "blinden" Mechanik natürlicher Selektion sein. Es müsse da, darauf zielen die Einwände, doch schon etwas mehr ins Spiel kommen.
Nun kommt in moderner biologischer Perspektive tatsächlich viel mehr ins Spiel - allerdings nichts, was strikt jenseits der Selektionsmechanik oder einfach gegen sie operieren würde. Gerade solches aber haben Kritiker im Sinn, die Gottes Hand ganz konkret am Werk sehen wollen: indem er zum Beispiel an entscheidenden Übergängen der Evolutionsgeschichte der Sache noch einmal einen Kick gibt, etwa einen Bauplan für eine neue Entwicklungslinie kreiert.
Dabei hat man es mit einer schon gemäßigten Form des "Kreationismus" zu tun, der vor allem in den Vereinigten Staaten für Auseinandersetzungen sorgt. Aber es geht auch noch etwas bescheidener und zumindest offiziell ganz ohne religiöse Intention. Dann landet man bei der Position des "Intelligent Design", deren Vertreter sich darauf versteifen, dass manche organische Erfindungen schlichtweg nur als Ergebnis eines intelligenten Entwurfs zustande gekommen sein können. Antidarwinisten aller religiösen Spielarten wird überlassen, sich diese noch etwas blasse Intelligenz in den Schöpfergott mit gewünschten Attributen zu übersetzen.
"Intelligent Design" (ID) ist, abgesehen von seiner strategischen Funktion und dem gesellschaftlichen Ausdruckswert des hinter ihm stehenden Antidarwinismus religiöser Prägung, kein besonders interessanter Gegner. Obwohl man sich, da gilt es Philip Kitcher zuzustimmen, die Sache auch nicht so leicht machen darf wie manche Biologen, die im blankgeputzten Harnisch reiner Wissenschaftlichkeit antreten, um einer reaktionären Pseudowissenschaft den Garaus zu machen, wobei dieses Selbbild dann gerne auch noch zu einer naturalistischen wissenschaftlichen Weltauffassung aufgeblasen wird, die sich hübsch vor dem Hintergrund kreationistischer Neigungen inszenieren lässt (Philip Kitcher: "Mit Darwin leben". Evolution, Intelligent Design und die Zukunft des Glaubens. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 224 S., geb., 24,80 [Euro]).
Aber wer auf eine Pseudowissenschaft einschlägt, der müsste klare Kriterien von "eigentlicher" Wissenschaft parat haben - und dass diese sich nicht fixieren lassen, ist eine Lektion der neueren Wissenschaftsforschung. Kitcher kennt sie so gut wie das Terrain der Debattenschlachten um die Evolutionstheorie, auf dem er auch kein Neuling ist. Deshalb wählt er in seinem Buch den überzeugenderen Weg, kreationistische Positionen und zuletzt den Antiselektionismus von ID als längst überholte Optionen für die Lösung von evolutionstheoretisch traktierbaren Fragen zu überführen.
Mit Blick auf ID scheint das fast ein wenig viel Aufwand. Aber er rentiert sich hier doch, weil Kitcher auf Lieblingsbeispiele der Vertreter von ID und ihre einschlägigen Berechnungen staunenerregender Unwahrscheinlichkeiten von organischen Konstruktionen konkret eingeht. Deren vermeintliche prinzipielle Unerklärbarkeit verliert schnell an Glanz, und der blanke Verweis auf einen zugrundeliegenden Plan kann ohnehin nicht als konkurrierende Erklärung gelten.
Für Kitcher liegt es auf der Hand, dass ID religiös motivierten Antidarwinisten nur scheinbar Entlastung bringt. Diese Motivation selbst, die den Widerstand gegen die Evolutionstheorie antreibt, nimmt er durchaus ernst: Für bestimmte Formen der Religion, die ziemlich direkt auf göttlichen Plan und Vorsehung bauen, müsse das darwinistische Bild des Lebens tatsächlich ein Affront sein. Damit zielt Kitcher vor allem auf christliche Religionsgemeinschaften in den Vereinigten Staaten, die aus historischen wie gesellschaftlichen Gründen zu jenen sublimeren Formen des Glaubens nicht gefunden haben, wie sie sich in der Alten Welt auf ungleich breiterer Basis etablierten.
Das Übernatürliche, das fromme Antidarwinisten verteidigen, gilt ihm als Ausdruck einer Religiosität, die mangelnden gesellschaftlichen Sinn kompensieren muss. Als Religionssoziologie ist das zwar nicht besonders originell, aber für die Ausleuchtung des Hintergrunds von ID vielleicht doch ausreichend.
HELMUT MAYER
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Christian Schlüter hat sich mit einer Fülle von Publikationen über Charles Darwin vertieft, die anlässlich des Darwin-Jahres erschienen sind. Dem amerikanischen Wissenschaftstheoretiker Philip Kitcher geht es in seinem Buch um eine Anleitung, ohne die Tröstungen der Religion mit den Darwin'schen Lehren der Evolution leben zu lernen, und er befindet sich dabei in guter "angelsächsischer Tradition", erklärt der Rezensent mäßig gespannt. Kreationisten oder andere Verbohrte werden seine Ausführungen natürlich nicht bekehren, dafür können sich die übrigen zumindest ihrer "Aufgeklärtheit" erfreuen, so Schlüter. Davon abgesehen aber fand er gerade den Befund des Buches wesentlich fesselnder, der durchblicken lässt, dass gerade die Sinnkrise, die der Darwinismus erzeugt hat, wiederum durch die Religionen kompensiert werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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