Als Orientierungshilfe für Eltern, Schüler, Lehrende und alle an Bildungspolitik Interessierten versteht sich dieser engagierte Beitrag zur aktuellen Diskussion um die Zukunft des altsprachlichen Unterrichts.Karl-Wilhelm Weeber zeigt an zahlreichen konkreten Beispielen, warum wir gut daran täten, uns auf die Pflege unseres lateinischen Erbes zu besinnen. Seine Argumentation kreist um drei Schlüsselthesen:Der »neue Schüler« ist zunehmend geprägt von der medialen Welt der vorbeirauschenden Bilder, des konsumierenden Zugriffs, der virtuellen Mouse-Clicks. Latein steht für eine Art »Gegenwelt«. Es trainiert Konzentrationsfähigkeit, Genauigkeit, Frustrationstoleranz und anspruchsvolle geistige Operationen. Wen das eher abschreckt, dem sei gesagt: Vieles ist intra muros in Bewegung geraten; Latein wird längst nicht mehr so betrieben wie vor 50 Jahren, es ist weder alt noch verstaubt, sondern ein modernes Fach mit zeitgemäßer Didaktik.Für ein Land wie Deutschland ist Latein nachgerade ein positiver Standort-Faktor. Es legt nicht nur die Basis für Grammatikkenntnisse, sondern weckt vor allem das Verständnis für die griechisch-römische Antike als Fundament europäischer Kultur. Wenn im Zeichen des Euro künftig mehr denn je »Europa-Kompetenz« gefragt ist, dann schaffen Kenntnisse in der europäischen Basissprache Latein ganz konkret bessere Voraussetzungen für Kontakte mit ca. 600 Mio. Menschen in aller Welt.Latein fördert multikulturelle Kompetenz. Wer Latein lernt, muß sich auf eine partiell fremde Welt einlassen, lernt deren Vorstellungen kennen und damit auch die historische Bedingtheit des eigenen Standpunktes. Der einzige Unterschied zur landläufigen Konzeption von multikulturellem Denken liegt darin, daß im Lateinunterricht die Auseinandersetzung nicht mit gleichzeitigen Kulturen, sondern mit einer vergangenen erfolgt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.1999Hören Sie sich den Magister doch erst einmal an
Gemäßigt optimistisch: Karl-Wilhelm Weeber wirbt mit lebhaften Worten für den Lateinunterricht
Latinum in latrinam, Latein in die Latrine - noch in diesem Verlangen nach Abschaffung von Lateinanforderungen erweisen aufbegehrende Studenten der monumentalen Prägnanz dieser alten Bildungssprache ihre Reverenz. Ein Hinweis auf die ästhetischen Vorzüge des Lateinischen dürfte allerdings kaum genügen, um seine Stellung im deutschen Bildungswesen zu begründen. Noch weniger tauglich scheint der Versuch, den Vorwurf der Nutzlosigkeit in den Vorzug der Zweckfreiheit umzumünzen. Gerne wurde in den vergangenen Jahren die "Begründungsakrobatik" der alten Sprachen sowohl von denen belächelt, denen die ins Feld geführten Gründe zu wenig geistvoll erschienen, wie auch von denen, die es für unter ihrer Würde hielten, für die eigene Sache Rechenschaft abzulegen. In der Tat schienen die Vertreter des Lateinischen gerade an der Schule deutlich defensiv zu argumentieren. Immerhin wurde aber argumentiert: Kaum ein anderes Fach hat sich selbst so streng nach den eigenen Leistungsmöglichkeiten befragt wie das Lateinische. Im Zuge dieser Neubestimmung des Standorts in einer veränderten Bildungswelt hat sich auch das Fach selbst gewandelt.
Dieser Wandel spiegelt sich deutlich in Karl-Wilhelm Weebers Darstellung eines modernen Lateinunterrichts. Die Veränderungen beginnen mit Äußerlichkeiten wie dem Layout von Lehrbüchern, reichen über Vermittlungsformen, in die spielerische Elemente Eingang gefunden haben, und betreffen schließlich auch den Gegenstand, den inzwischen mehr und mehr das römische Leben in seiner ganzen Breite ausmacht. Bei den Übersetzungsmethoden findet die Webstruktur des gegebenen Textes Berücksichtigung, beim Lernen von Vokabeln und der Grammatikvermittlung sind es die lexikalischen beziehungsweise strukturellen Parallelen zu den neuen Sprachen. Weeber geht offensiv vor, er hebt die Leistungen des Faches im Rahmen der gymnasialen Bildung vom Beitrag der neuen Sprachen ab. Während der Unterricht dort stärker auf die Anwendung der Sprache und auch bei der Behandlung von Literatur auf die Bewältigung größerer Textmengen angelegt ist, rückt der Lateinunterricht die Sprache als System in den Mittelpunkt und übt angesichts der sprachlichen Hemmnisse einen natürlichen Zwang zum genauen, geradezu mikroskopischen Lesen aus, welches wegen der starken Durchformung der Texte hier auch besonders ertragreich ist.
Auf der anderen Seite bricht Weeber manche inzwischen eingetretene argumentative Verkrustung auf, so bei der Behauptung "Wer Latein gelernt hat, versteht Fremdwörter besser." Natürlich weiß man bei vielen Lehn- und Fremdwörtern, was mit ihnen gemeint ist, auch ohne ihre lateinischen Ursprünge zu kennen. Die Kenntnis dieser Ursprünge läßt mit den Wörtern aber bewußter und angemessener umgehen und erschließt darüber hinaus kulturgeschichtliche Zusammenhänge. Unmittelbaren Verständnisgewinn erbringen Lateinkenntnisse auf dem Gebiet der Fachsprachen, vor allem dort, wo man selbst nicht vom Fach ist. Inzwischen ist vielleicht allerdings der Gewinn höher zu veranschlagen, den der Lateinunterricht durch die aus dem Unterricht in den neuen Sprachen verschwundene Übersetzungstätigkeit für die muttersprachliche Ausdrucksfähigkeit einträgt. Weeber verdeutlicht dies und anderes durch anschauliche Beispiele aus dem Schulalltag. Er kennt die Schulwirklichkeit allerdings auch gut genug, um zu wissen, daß manches in seinem Buch noch Postulat ist. In einigen Bundesländern setzen sich neue didaktische Konzepte schon deswegen nur schwer durch, weil eine restriktive Einstellungspolitik die Altersstruktur der Lehrerschaft aus dem Lot gebracht hat. Ein Fach wie Latein ist davon besonders betroffen. So ist Weebers Streitschrift ebenso eine Ermutigung und Handreichung für Kollegen wie ein Appell an den einen oder anderen Bildungspolitiker, sich von liebgewonnenen Feindbildern zu trennen. Man verbessert die Ausgangsmöglichkeiten gerade begabter Schüler aus bildungsfernen Familien nicht, wenn man den Lateinunterricht zur Sache der happy few werden läßt.
Um sein Ziel zu erreichen, scheut Weeber nicht vor griffigen Formulierungen zurück. Dabei geht manchmal zwar der Drang zum zeitgemäßen Ausdruck mit dem Stilisten durch, jedoch verbergen sich unter den modebewußten Etiketten ernstzunehmende Konzepte. Ob manch einem Kultusminister nun die Augen aufgehen werden, bleibt abzuwarten. Zu wünschen wäre es. Zu wünschen wäre auch, daß die Gräzisten nun als nächste in die Offensive gingen. Nolite timere! ROBERT CRAMER
Karl-Wilhelm Weeber: "Mit dem Latein am Ende?" Tradition mit Perspektiven. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998. 156 S., br., 19,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gemäßigt optimistisch: Karl-Wilhelm Weeber wirbt mit lebhaften Worten für den Lateinunterricht
Latinum in latrinam, Latein in die Latrine - noch in diesem Verlangen nach Abschaffung von Lateinanforderungen erweisen aufbegehrende Studenten der monumentalen Prägnanz dieser alten Bildungssprache ihre Reverenz. Ein Hinweis auf die ästhetischen Vorzüge des Lateinischen dürfte allerdings kaum genügen, um seine Stellung im deutschen Bildungswesen zu begründen. Noch weniger tauglich scheint der Versuch, den Vorwurf der Nutzlosigkeit in den Vorzug der Zweckfreiheit umzumünzen. Gerne wurde in den vergangenen Jahren die "Begründungsakrobatik" der alten Sprachen sowohl von denen belächelt, denen die ins Feld geführten Gründe zu wenig geistvoll erschienen, wie auch von denen, die es für unter ihrer Würde hielten, für die eigene Sache Rechenschaft abzulegen. In der Tat schienen die Vertreter des Lateinischen gerade an der Schule deutlich defensiv zu argumentieren. Immerhin wurde aber argumentiert: Kaum ein anderes Fach hat sich selbst so streng nach den eigenen Leistungsmöglichkeiten befragt wie das Lateinische. Im Zuge dieser Neubestimmung des Standorts in einer veränderten Bildungswelt hat sich auch das Fach selbst gewandelt.
Dieser Wandel spiegelt sich deutlich in Karl-Wilhelm Weebers Darstellung eines modernen Lateinunterrichts. Die Veränderungen beginnen mit Äußerlichkeiten wie dem Layout von Lehrbüchern, reichen über Vermittlungsformen, in die spielerische Elemente Eingang gefunden haben, und betreffen schließlich auch den Gegenstand, den inzwischen mehr und mehr das römische Leben in seiner ganzen Breite ausmacht. Bei den Übersetzungsmethoden findet die Webstruktur des gegebenen Textes Berücksichtigung, beim Lernen von Vokabeln und der Grammatikvermittlung sind es die lexikalischen beziehungsweise strukturellen Parallelen zu den neuen Sprachen. Weeber geht offensiv vor, er hebt die Leistungen des Faches im Rahmen der gymnasialen Bildung vom Beitrag der neuen Sprachen ab. Während der Unterricht dort stärker auf die Anwendung der Sprache und auch bei der Behandlung von Literatur auf die Bewältigung größerer Textmengen angelegt ist, rückt der Lateinunterricht die Sprache als System in den Mittelpunkt und übt angesichts der sprachlichen Hemmnisse einen natürlichen Zwang zum genauen, geradezu mikroskopischen Lesen aus, welches wegen der starken Durchformung der Texte hier auch besonders ertragreich ist.
Auf der anderen Seite bricht Weeber manche inzwischen eingetretene argumentative Verkrustung auf, so bei der Behauptung "Wer Latein gelernt hat, versteht Fremdwörter besser." Natürlich weiß man bei vielen Lehn- und Fremdwörtern, was mit ihnen gemeint ist, auch ohne ihre lateinischen Ursprünge zu kennen. Die Kenntnis dieser Ursprünge läßt mit den Wörtern aber bewußter und angemessener umgehen und erschließt darüber hinaus kulturgeschichtliche Zusammenhänge. Unmittelbaren Verständnisgewinn erbringen Lateinkenntnisse auf dem Gebiet der Fachsprachen, vor allem dort, wo man selbst nicht vom Fach ist. Inzwischen ist vielleicht allerdings der Gewinn höher zu veranschlagen, den der Lateinunterricht durch die aus dem Unterricht in den neuen Sprachen verschwundene Übersetzungstätigkeit für die muttersprachliche Ausdrucksfähigkeit einträgt. Weeber verdeutlicht dies und anderes durch anschauliche Beispiele aus dem Schulalltag. Er kennt die Schulwirklichkeit allerdings auch gut genug, um zu wissen, daß manches in seinem Buch noch Postulat ist. In einigen Bundesländern setzen sich neue didaktische Konzepte schon deswegen nur schwer durch, weil eine restriktive Einstellungspolitik die Altersstruktur der Lehrerschaft aus dem Lot gebracht hat. Ein Fach wie Latein ist davon besonders betroffen. So ist Weebers Streitschrift ebenso eine Ermutigung und Handreichung für Kollegen wie ein Appell an den einen oder anderen Bildungspolitiker, sich von liebgewonnenen Feindbildern zu trennen. Man verbessert die Ausgangsmöglichkeiten gerade begabter Schüler aus bildungsfernen Familien nicht, wenn man den Lateinunterricht zur Sache der happy few werden läßt.
Um sein Ziel zu erreichen, scheut Weeber nicht vor griffigen Formulierungen zurück. Dabei geht manchmal zwar der Drang zum zeitgemäßen Ausdruck mit dem Stilisten durch, jedoch verbergen sich unter den modebewußten Etiketten ernstzunehmende Konzepte. Ob manch einem Kultusminister nun die Augen aufgehen werden, bleibt abzuwarten. Zu wünschen wäre es. Zu wünschen wäre auch, daß die Gräzisten nun als nächste in die Offensive gingen. Nolite timere! ROBERT CRAMER
Karl-Wilhelm Weeber: "Mit dem Latein am Ende?" Tradition mit Perspektiven. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1998. 156 S., br., 19,80 DM.
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