Wolfgang Ullrich untersucht die merkwürdigen Folgen und Nebenwirkungen eines allzu hohen Kunstbegriffs. Wo Führungskräfte sich noch vor zwanzig Jahren in gediegenem Mobiliar und mit ebenso gediegenen Ölgemälden abbilden ließen, stehen sie heute vor moderner Kunst. Moderne Kunst im Umfeld von Geld und Macht: Wie konnte sie zu einem der wichtigsten Statussymbole unserer Zeit werden? Und was sagt dies über die Kunst selbst aus - sowie über diejenigen, die sich ihrer bedienen?
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Was das Buch leistet, ist rasch gesagt. Das Phänomen des modernen Machtmenschen, der sich mit moderner Kunst umgibt, wird hier "in seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung gewürdigt". Jene Bilder, bekannt aus einschlägigen Kapital- und Managermagazinen, auf denen Wirtschaftsführer und Politiker vor zeitgenössischen Gemälden und Skulpturen posierten, so Mark Siemons in seiner Besprechung, unterziehe der Autor einer ikonographischen Begutachtung. Besonders beeindruckt zeigt sich Siemons von der konzisen Präzision der Bildbeschreibungen; wie nebenbei entstehe da eine Phänomenologie jener Welt, die ihre Unternehmungen als Kunst begreife, schreibt er. Hinsichtlich der Frage, was bei einem derartigen Selbstverständnis der Mächtigen noch für die Kunst übrigbleibt, muss Siemons allerdings auf sein eigenes spekulatives Vermögen zurückgreifen. Die nämlich stellt sich dem Autor gar nicht erst.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000Meine erste selbstausgegebene Million
Kohle auf Papier: Wolfgang Ullrich porträtiert Machtmenschen vor ihren Kunstwerken / Von Mark Siemons
Zwischen zeitgenössischer Kunst und zeitgenössischem Geldwesen besteht, was deren Selbstdeutung betrifft, eine frappierende Ähnlichkeit. Beiden geht es unentwegt um "Spannung", "Dynamik", "aggressive Präsenz", eine "respektlose Umdeutung" alles Bestehenden. Sie streben beide nichts Geringeres an als "außerordentliche Kreativität", "eine Synthese von Intellektualität, Sensibilität und unmittelbarer Ausdrucksstärke"; "auf allzu sicheres Gelände" wollen sie sich dabei auf keinen Fall begeben, vielmehr suchen sie als "Abenteurer" stets "das Experiment und die Offenheit". Selbst Manager von Traditionsunternehmen müssen heute, getrieben von jugendlichen Börsenspekulanten und abgründigen Consultants, ein Persönlichkeitsprofil vorweisen, das man herkömmlicherweise nur dem antibourgeoisen Avantgarde-Künstler zugute hielt.
Doch während sich die Symbolsprache des ökonomischen Sektors vollständig gewandelt hat, erscheint die Rhetorik der Kunstdeutung seit hundert Jahren wie eingefroren. Alle oben zitierten Zuschreibungen stammen aus Kunstkommentaren der letzten Jahre. Nach wie vor steht die Kunst, als ob sie in der Zwischenzeit nicht sehr verschiedene Stadien durchlaufen hätte, bei ihren Interpreten unter denselben Kategorien: Individualität, Originalität, Authentizität.
Für die Selbstdarstellungsbedürfnisse der Wirtschaft bietet diese Disproportion der Entwicklung unschätzbare Vorteile: Das Imagereservoir der Kunst kann benutzt werden, ohne daß die Künstler subjektiv das Bewußtsein haben müßten, ihre eigentliche Mission zu verraten. Daß sie weiterhin individuell, autonom, nicht entfremdet sind, ist ja gerade das, was sie für die Wirtschaft interessant macht. So konnte ein neues Genre von Bildern, eine neue Kunst in Erscheinung treten: Sie zeigt den modernen Machtmenschen vor moderner Kunst. Seit Jahren kann man diese Kunst in einschlägigen Zeitschriften, in Kapital- und Manager-Magazinen, betrachten. Aber erst jetzt kommt ein Bildband heraus, der das Phänomen in seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung würdigt. Die Fotos der vor zeitgenössischen Gemälden posierenden Wirtschaftsführer und Politiker sind hier aus ihrem ursprünglichen Gebrauchszusammenhang gelöst und zur ikonographischen Begutachtung freigegeben.
Man sieht da Hans-Otto Pöhl vor einem ziemlich wilden Querformat von A. R. Penck in einer Akte blättern. Man sieht einen entschlossen blickenden Generaldirektor der Victoria-Versicherung vor dem wandfüllenden Gemälde "Victoria II" von Gerhard Richter sitzen. Rolf Breuer, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, steht mit verschränkten Armen vor einer Arbeit von Günther Förg. Hilmar Kopper, sein Vorgänger, wendet den Rücken einer abstrakten schwarzen Frauenplastik zu, während er aus einer Fensterwand auf das unter ihm liegende Frankfurt blickt; seine Miene ist gesammelt, fast könnte man sagen: melancholisch.
Was an der Kommentierung Wolfgang Ullrichs, der als Kunsthistoriker und Unternehmensberater die zur Rede stehende Synthese in seiner Person darstellt, am meisten beeindruckt, sind die reinen Bildbeschreibungen. Lakonisch, detailliert und ikonographisch genau entsteht da wie nebenbei eine Phänomenologie jener Welt, die ihre Unternehmungen als Kunst versteht. Aus der bloßen Schilderung erahnt man den Druck, der auf diesem Milieu lastet. Was mag zum Beispiel jenen Geschäftsführer einer Rechtsanwalts-GmbH bewegen, der sich mit breitem Grinsen, die Arme selbstbewußt hinter dem Kopf verschränkt, in einem winzigen Büro porträtieren läßt, das er mit gleich drei abstrakten Kunstwerken teilt?
Knapp zeichnet der Autor die Genese der neuen Herrscherporträts nach. Die moderne Kunst tritt an die Stelle, die ganz früher einmal Krone, Siegelring und Pferde und später Telefon, Landkarten und Uhren einnahmen. Noch 1968 ließ sich Hermann Josef Abs in einem gediegen holzgetäfelten Ambiente mit offenem Kamin und goldgerahmtem Gemälde fotografieren. Inzwischen ist aus der Versorgung von Banken und Unternehmen mit zeitgenössischer Kunst ein eigener Wirtschaftszweig geworden. Im spekulativen Teil des Buchs bleibt der Autor dann leider etwas zu früh stecken. Er rennt offene Türen ein, wenn er die moderne Kunst als Statussymbol beschreibt, als Machtinstrument und als Mittel zur Mitarbeiter-Motivation. Die Frage wäre doch: Was ist an diesem Anspruch wahr? Sind die Unternehmer, Angestellten, Berater und Spekulanten nicht vielleicht wirklich die Avantgardisten der Gegenwart? Und was bleibt dann für die Kunst?
Man betrachtet diesen schönen Bildband nicht ohne Melancholie. Denn offenbar ist die Rhetorik der autonomen Kunst, die hier noch einmal glanzvoll zitiert wird, an ihr Ende gekommen. Sie hat sich paralysiert durch Selbstaufhebung: Die alle Systemgrenzen überschreitende Wildheit und Originalität, um derentwillen die Macht sie benutzt, widerlegt sich im Zuge eben dieser Nutzung selbst. Deshalb kann man schon jetzt absehen, daß diese Kunst auch nicht mehr lange den Mächtigen von Nutzen sein wird. Nicht einmal mehr das. Aber was kommt danach?
"Als Künstler darf gelten, wer weiß, wie sich die Elemente des Kunstbegriffs möglichst gut darstellen lassen", schreibt der Autor im Schlußkapitel zu Recht. Aber er zieht nicht die Folgerung daraus. Wenn sich die Kunst und deren Simulation nicht mehr unterscheiden lassen, ist das Programm der Originalität nicht mehr zu retten. Die "autonome" Kunst ist damit schon in das nächste Stadium eingetreten, das der Tautologie. Nur jene Kunst, die nicht vorspiegelt, etwas Neues zu bieten, die sich darauf konzentriert, das schon Vorhandene akkurat zu verdoppeln, wird als wahr gelten dürfen. Nicht zuletzt, weil sie damit auch die Ängste jener Welt beschreibt, von der sie sich jetzt noch benutzen läßt.
Wolfgang Ullrich: "Mit dem Rücken zur Kunst". Die neuen Statussymbole der Macht. Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek, Band 64. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2000. 128 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kohle auf Papier: Wolfgang Ullrich porträtiert Machtmenschen vor ihren Kunstwerken / Von Mark Siemons
Zwischen zeitgenössischer Kunst und zeitgenössischem Geldwesen besteht, was deren Selbstdeutung betrifft, eine frappierende Ähnlichkeit. Beiden geht es unentwegt um "Spannung", "Dynamik", "aggressive Präsenz", eine "respektlose Umdeutung" alles Bestehenden. Sie streben beide nichts Geringeres an als "außerordentliche Kreativität", "eine Synthese von Intellektualität, Sensibilität und unmittelbarer Ausdrucksstärke"; "auf allzu sicheres Gelände" wollen sie sich dabei auf keinen Fall begeben, vielmehr suchen sie als "Abenteurer" stets "das Experiment und die Offenheit". Selbst Manager von Traditionsunternehmen müssen heute, getrieben von jugendlichen Börsenspekulanten und abgründigen Consultants, ein Persönlichkeitsprofil vorweisen, das man herkömmlicherweise nur dem antibourgeoisen Avantgarde-Künstler zugute hielt.
Doch während sich die Symbolsprache des ökonomischen Sektors vollständig gewandelt hat, erscheint die Rhetorik der Kunstdeutung seit hundert Jahren wie eingefroren. Alle oben zitierten Zuschreibungen stammen aus Kunstkommentaren der letzten Jahre. Nach wie vor steht die Kunst, als ob sie in der Zwischenzeit nicht sehr verschiedene Stadien durchlaufen hätte, bei ihren Interpreten unter denselben Kategorien: Individualität, Originalität, Authentizität.
Für die Selbstdarstellungsbedürfnisse der Wirtschaft bietet diese Disproportion der Entwicklung unschätzbare Vorteile: Das Imagereservoir der Kunst kann benutzt werden, ohne daß die Künstler subjektiv das Bewußtsein haben müßten, ihre eigentliche Mission zu verraten. Daß sie weiterhin individuell, autonom, nicht entfremdet sind, ist ja gerade das, was sie für die Wirtschaft interessant macht. So konnte ein neues Genre von Bildern, eine neue Kunst in Erscheinung treten: Sie zeigt den modernen Machtmenschen vor moderner Kunst. Seit Jahren kann man diese Kunst in einschlägigen Zeitschriften, in Kapital- und Manager-Magazinen, betrachten. Aber erst jetzt kommt ein Bildband heraus, der das Phänomen in seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung würdigt. Die Fotos der vor zeitgenössischen Gemälden posierenden Wirtschaftsführer und Politiker sind hier aus ihrem ursprünglichen Gebrauchszusammenhang gelöst und zur ikonographischen Begutachtung freigegeben.
Man sieht da Hans-Otto Pöhl vor einem ziemlich wilden Querformat von A. R. Penck in einer Akte blättern. Man sieht einen entschlossen blickenden Generaldirektor der Victoria-Versicherung vor dem wandfüllenden Gemälde "Victoria II" von Gerhard Richter sitzen. Rolf Breuer, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, steht mit verschränkten Armen vor einer Arbeit von Günther Förg. Hilmar Kopper, sein Vorgänger, wendet den Rücken einer abstrakten schwarzen Frauenplastik zu, während er aus einer Fensterwand auf das unter ihm liegende Frankfurt blickt; seine Miene ist gesammelt, fast könnte man sagen: melancholisch.
Was an der Kommentierung Wolfgang Ullrichs, der als Kunsthistoriker und Unternehmensberater die zur Rede stehende Synthese in seiner Person darstellt, am meisten beeindruckt, sind die reinen Bildbeschreibungen. Lakonisch, detailliert und ikonographisch genau entsteht da wie nebenbei eine Phänomenologie jener Welt, die ihre Unternehmungen als Kunst versteht. Aus der bloßen Schilderung erahnt man den Druck, der auf diesem Milieu lastet. Was mag zum Beispiel jenen Geschäftsführer einer Rechtsanwalts-GmbH bewegen, der sich mit breitem Grinsen, die Arme selbstbewußt hinter dem Kopf verschränkt, in einem winzigen Büro porträtieren läßt, das er mit gleich drei abstrakten Kunstwerken teilt?
Knapp zeichnet der Autor die Genese der neuen Herrscherporträts nach. Die moderne Kunst tritt an die Stelle, die ganz früher einmal Krone, Siegelring und Pferde und später Telefon, Landkarten und Uhren einnahmen. Noch 1968 ließ sich Hermann Josef Abs in einem gediegen holzgetäfelten Ambiente mit offenem Kamin und goldgerahmtem Gemälde fotografieren. Inzwischen ist aus der Versorgung von Banken und Unternehmen mit zeitgenössischer Kunst ein eigener Wirtschaftszweig geworden. Im spekulativen Teil des Buchs bleibt der Autor dann leider etwas zu früh stecken. Er rennt offene Türen ein, wenn er die moderne Kunst als Statussymbol beschreibt, als Machtinstrument und als Mittel zur Mitarbeiter-Motivation. Die Frage wäre doch: Was ist an diesem Anspruch wahr? Sind die Unternehmer, Angestellten, Berater und Spekulanten nicht vielleicht wirklich die Avantgardisten der Gegenwart? Und was bleibt dann für die Kunst?
Man betrachtet diesen schönen Bildband nicht ohne Melancholie. Denn offenbar ist die Rhetorik der autonomen Kunst, die hier noch einmal glanzvoll zitiert wird, an ihr Ende gekommen. Sie hat sich paralysiert durch Selbstaufhebung: Die alle Systemgrenzen überschreitende Wildheit und Originalität, um derentwillen die Macht sie benutzt, widerlegt sich im Zuge eben dieser Nutzung selbst. Deshalb kann man schon jetzt absehen, daß diese Kunst auch nicht mehr lange den Mächtigen von Nutzen sein wird. Nicht einmal mehr das. Aber was kommt danach?
"Als Künstler darf gelten, wer weiß, wie sich die Elemente des Kunstbegriffs möglichst gut darstellen lassen", schreibt der Autor im Schlußkapitel zu Recht. Aber er zieht nicht die Folgerung daraus. Wenn sich die Kunst und deren Simulation nicht mehr unterscheiden lassen, ist das Programm der Originalität nicht mehr zu retten. Die "autonome" Kunst ist damit schon in das nächste Stadium eingetreten, das der Tautologie. Nur jene Kunst, die nicht vorspiegelt, etwas Neues zu bieten, die sich darauf konzentriert, das schon Vorhandene akkurat zu verdoppeln, wird als wahr gelten dürfen. Nicht zuletzt, weil sie damit auch die Ängste jener Welt beschreibt, von der sie sich jetzt noch benutzen läßt.
Wolfgang Ullrich: "Mit dem Rücken zur Kunst". Die neuen Statussymbole der Macht. Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek, Band 64. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2000. 128 S., geb., 36,- DM.
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