Produktdetails
- suhrkamp taschenbuch wissenschaft
- Verlag: Suhrkamp
- Seitenzahl: 446
- Abmessung: 21mm x 109mm x 177mm
- Gewicht: 240g
- ISBN-13: 9783518289785
- Artikelnr.: 07372303
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998Verklärte Macht
Gestern progressiv, heute konserviert: Die Idee der Materialbeherrschung in Adornos Musikphilosophie
Es ist ein seltsam Ding, wie wenig sich die Musikwissenschaft um den Sinn ihres Tuns oder gar ihres Gegenstands bekümmert. Gewiß kann die musikalische Analyse die Bauweise einzelner Stücke erhellen. Nur, warum soll man Musik analysieren? Und warum gerade diese Stücke? Und wozu überhaupt Musik? Die Musikwissenschaft existiert wie ein Albanien des Geistes weitgehend autark, und wenn die Menschen sich nicht aus Gründen, die die Wissenschaft nichts angehen, für Musik interessierten, müßte sie kümmerlich zugrunde gehen. Zugegebenermaßen hat die musikalische Hermeneutik jede Suche nach musikalischem Sinn mächtig diskreditiert. Bachs Zahlenspekulation oder Schumanns Anspielungen auf sein Eheleben sind Privatsache der Komponisten; bestenfalls Intentionen, deren Realisierung als musikalische zu prüfen wäre. Was er sich bei einem Stück gedacht habe, wurde Mendelssohn gefragt. Eben dieses Stück, so wie es dasteht. Musiker denken in Musik, deshalb sind sie ja Musiker geworden. Erst für den Hörer wird die Aufgabe dringlich, das Gehörte mit seiner Welt in Verbindung zu bringen. Erst der Hörer will verstehen, und das heißt übersetzen. An den Hörer aber denkt die Musikwissenschaft zuallerletzt.
Früher oder später kommen alle, die sich bei der Musik etwas denken wollen, auf Adorno. Man hat nicht den Eindruck, daß das insgesamt der Sache förderlich gewesen ist. Hinter Adornos Musikphilosophie steckt ein aus systematischen Gründen nicht ausgesprochenes, geschichtsphilosophisch fundiertes ästhetisches System. Mit dessen Rekonstruktion verbringt so mancher seine schönsten Tage. Und noch Philosophieprofessoren denken oft ergebnisarm darüber nach, ob denn Adornos Synthese zwischen Hegel und Benjamin gelungen ist und was es mit der Utopie des Scheins auf sich hat. Auch in dem Band "Mit den Ohren denken", der auf eine von der Freiburger Gesellschaft für Musik und Ästhetik veranstalteten Tagung zur Musikphilosophie Adornos zurückgeht, ist vieles Paraphrase, wenngleich die Mimesis an des Meisters Sprachduktus seltener zu werden scheint. Interessant ist der Band in seiner Absetzbewegung.
Martin Geck untersucht die Stellung Bachs in Adornos Gesamtwerk. In der schmalen und vor allem pianistischen Auswahl seines Bach-Repertoires beziehe Adorno sich auf Momente, die seine Idee des Fortschritts zu bestätigen scheinen, auf dynamisch prozessuale Stellen, auf Stücke entwickelnder Variation, auf Vorwegnahmen der Sonatenform. Bach werde letztlich als Vorläufer genommen. Auch gehe Adorno an einer Auseinandersetzung mit dem christlichen Gehalt der Bachschen Musik vorbei, indem er Religiöses pauschal unter ein Heteronomieverdikt stelle.
Das ist nicht ganz sauber gelesen. Geck bringt Bachs individualisierende Formen in Opposition zu Beethovens rigoros die Details unterwerfender Architektur und glaubt damit gegen Adorno einen Punkt zu machen. Dabei macht dieser sich ausführlich Gedanken über Bachs zukunftsweisende Vermeidung der Reprise. Vielleicht sollte man auch über Adornos Bemerkung, die Frage sei müßig, ob Beethoven oder Bach das Material besser beherrsche, nicht ohne weiteres hinweggehen. Liegt darin doch das Eingeständnis, daß sich angesichts der Bachschen Musik kaum von einem späteren Fortschritt der Materialbeherrschung reden läßt. Richtig ist allerdings, daß Adorno dieser Irritation nicht nachgeht, ja, daß er anders als seine Kronzeugen der Zweiten Wiener Schule die deklarierte Bachbegeisterung den Lesern kaum vermittelt. An Geck jedoch muß die Frage gehen, woran er die Christlichkeit der Musik festmacht, wenn nicht einfach nur an den Texten oder Bachs Bekenntnissen, und was der Gehalt des musikgewordenen Christentums sein soll.
Richard Klein führt in einem recht dichten Aufsatz aus, wie bei Adornos Wagnerbild ein musiktheoretischer Konservatismus und ein schneller Übersprung zum - sozioökonomischen oder materialgeschichtlichen - Allgemeinen wichtige Einsichten verstellt. Einerseits mache Adorno auf Wagners Verräumlichung der Zeit aufmerksam, sehe er, wie, gemessen an der Wiener Klassik, die quasi-mathematische Formaufteilung und die expressive Erfüllung auseinanderbrechen. Andererseits rechne er Wagner den Versuch, das Verräumlichte in eine musikalische Entwicklung zu binden, als Ideologie vor, obwohl doch gerade dieser Versuch erst die Verräumlichung erzeuge. Einerseits analysiere er die Emanzipation der Farbe. Andererseits projiziere er in der Tradition eines primär schriftorientierten kompositorischen Denkens den Polyphoniebegriff der zweiten Schule auf Wagner und nehme Instrumentation als etwas Sekundäres. Einerseits decke er Wagners sensuelle Differenzierungen auf, andererseits sehe er gerade im Einbruch des Physischen eine Aushöhlung der Autonomie des Subjektes.
Nun müßte man mit Klein streiten, ob Adorno die Doppelköpfigkeit von Dissoziation nicht doch schärfer gesehen hat als sein Kritiker beziehungsweise ob in der Feier des emanzipierten Leibes nicht einige Mystifikation steckt. Aber die Kritik, daß Adorno wider seine Einsichten die musikalischen Parameter und dann Musik und Sprache isoliert behandelt, leuchtet ebenso ein, wie daß ihm die Teleologie den deutenden Blick auf die Phänomene trübt.
Claus-Steffen Mahnkopf sieht Adornos Haltung dem zeitgenössischen Komponieren gegenüber durch eine frühe Bindung an die freie Atonalität bestimmt. Nicht daß Adorno eine Rückkehr gefordert hätte. Aber er habe doch die Freiheit des kompositorischen Subjektes über- und die Determiniertheit dieses Subjektes im heftig kritisierten Serialismus unterschätzt. Allemal sei dieses Problem mittlerweile erledigt: Mit dem modernistischen Wegfall vorgegebener Materialbestände werde das Material selbst zum Gegenstand der (Prä-)Komposition. Da dürfte Mahnkopf recht haben. Allerdings tritt er mit dem Ideal des durchkomponierten Werks erneut innerhalb der unseligen Schönberg-Strawinksy-Dichotomie einfach auf die Schönberg-Seite. Er sieht nicht die (postmoderne) Möglichkeit eines bewußten Arbeitens mit Präformiertem, mit Versatzstücken und Zitaten.
Wie Adorno Schönberg und Strawinsky mit festem Blick auf die Psychoanalyse deutet, zeichnet Larson Powell nach. Nicht immer sicher in der psychoanalytischen Terminologie geschehe das und nicht immer fair, werde doch an Strawinsky fast dasselbe kritisiert, was Schönbergs (oder Benns) Leistung ausmachen solle. Jedenfalls hege Adorno, anders als Benjamin, Verdacht gegen alle Versuche, Unmittelbarkeit durch Regression zu gewinnen. Der Weg in die utopische Freiheit muß durch das Subjekt hindurch. Das nun könne man als veraltete Subjektphilosophie verwerfen. Man könne es aber auch mit Bezug auf Lacan verteidigen. Denn von Lacan lasse sich lernen, daß das Somatische, auf das Adornos Theorie des Einfalls letztlich ziele, immer sprachlich beziehungsweise symbolisch vermittelt ist.
Dazu braucht man vielleicht nicht Lacan. Aber man bewegt sich im Zentrum der Sache: Musik organisiert leibliche Impulse, Triebregungen, Affekte, Gefühle, Stimmungen. Damit ist ihr Gegenstand das Subjekt. Über den Gehalt der Musik zu reden heißt, über Subjektivität zu reden. Die Psychoanalyse wird da nicht der schlechteste Gesprächspartner sein.
Der Gedanke des Fortschritts der Materialbeherrschung ist uns fremd geworden. Beethoven und Schönberg sind nicht mehr unsere unangefochtenen Leitbilder. Die motivische Arbeit gilt nicht mehr als eigentliches Mittel der Musik. Wenn aber Adornos Geschichtsphilosophie der Musik zumindest anders begründet werden müßte, sind wir auf den Erfahrungsgehalt seines Denkens verwiesen. Teils, weil ihm viel aufgefallen ist. Aber auch, um den Mut zu erwerben, nicht über das von der Wissenschaft Vorgegebene nachzudenken, sondern über das, was uns auffällt. GUSTAV FALKE
Richard Klein, Claus-Steffen Mahnkopf (Hrsg.): "Mit den Ohren denken". Adornos Philosophie der Musik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 446 S., br., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gestern progressiv, heute konserviert: Die Idee der Materialbeherrschung in Adornos Musikphilosophie
Es ist ein seltsam Ding, wie wenig sich die Musikwissenschaft um den Sinn ihres Tuns oder gar ihres Gegenstands bekümmert. Gewiß kann die musikalische Analyse die Bauweise einzelner Stücke erhellen. Nur, warum soll man Musik analysieren? Und warum gerade diese Stücke? Und wozu überhaupt Musik? Die Musikwissenschaft existiert wie ein Albanien des Geistes weitgehend autark, und wenn die Menschen sich nicht aus Gründen, die die Wissenschaft nichts angehen, für Musik interessierten, müßte sie kümmerlich zugrunde gehen. Zugegebenermaßen hat die musikalische Hermeneutik jede Suche nach musikalischem Sinn mächtig diskreditiert. Bachs Zahlenspekulation oder Schumanns Anspielungen auf sein Eheleben sind Privatsache der Komponisten; bestenfalls Intentionen, deren Realisierung als musikalische zu prüfen wäre. Was er sich bei einem Stück gedacht habe, wurde Mendelssohn gefragt. Eben dieses Stück, so wie es dasteht. Musiker denken in Musik, deshalb sind sie ja Musiker geworden. Erst für den Hörer wird die Aufgabe dringlich, das Gehörte mit seiner Welt in Verbindung zu bringen. Erst der Hörer will verstehen, und das heißt übersetzen. An den Hörer aber denkt die Musikwissenschaft zuallerletzt.
Früher oder später kommen alle, die sich bei der Musik etwas denken wollen, auf Adorno. Man hat nicht den Eindruck, daß das insgesamt der Sache förderlich gewesen ist. Hinter Adornos Musikphilosophie steckt ein aus systematischen Gründen nicht ausgesprochenes, geschichtsphilosophisch fundiertes ästhetisches System. Mit dessen Rekonstruktion verbringt so mancher seine schönsten Tage. Und noch Philosophieprofessoren denken oft ergebnisarm darüber nach, ob denn Adornos Synthese zwischen Hegel und Benjamin gelungen ist und was es mit der Utopie des Scheins auf sich hat. Auch in dem Band "Mit den Ohren denken", der auf eine von der Freiburger Gesellschaft für Musik und Ästhetik veranstalteten Tagung zur Musikphilosophie Adornos zurückgeht, ist vieles Paraphrase, wenngleich die Mimesis an des Meisters Sprachduktus seltener zu werden scheint. Interessant ist der Band in seiner Absetzbewegung.
Martin Geck untersucht die Stellung Bachs in Adornos Gesamtwerk. In der schmalen und vor allem pianistischen Auswahl seines Bach-Repertoires beziehe Adorno sich auf Momente, die seine Idee des Fortschritts zu bestätigen scheinen, auf dynamisch prozessuale Stellen, auf Stücke entwickelnder Variation, auf Vorwegnahmen der Sonatenform. Bach werde letztlich als Vorläufer genommen. Auch gehe Adorno an einer Auseinandersetzung mit dem christlichen Gehalt der Bachschen Musik vorbei, indem er Religiöses pauschal unter ein Heteronomieverdikt stelle.
Das ist nicht ganz sauber gelesen. Geck bringt Bachs individualisierende Formen in Opposition zu Beethovens rigoros die Details unterwerfender Architektur und glaubt damit gegen Adorno einen Punkt zu machen. Dabei macht dieser sich ausführlich Gedanken über Bachs zukunftsweisende Vermeidung der Reprise. Vielleicht sollte man auch über Adornos Bemerkung, die Frage sei müßig, ob Beethoven oder Bach das Material besser beherrsche, nicht ohne weiteres hinweggehen. Liegt darin doch das Eingeständnis, daß sich angesichts der Bachschen Musik kaum von einem späteren Fortschritt der Materialbeherrschung reden läßt. Richtig ist allerdings, daß Adorno dieser Irritation nicht nachgeht, ja, daß er anders als seine Kronzeugen der Zweiten Wiener Schule die deklarierte Bachbegeisterung den Lesern kaum vermittelt. An Geck jedoch muß die Frage gehen, woran er die Christlichkeit der Musik festmacht, wenn nicht einfach nur an den Texten oder Bachs Bekenntnissen, und was der Gehalt des musikgewordenen Christentums sein soll.
Richard Klein führt in einem recht dichten Aufsatz aus, wie bei Adornos Wagnerbild ein musiktheoretischer Konservatismus und ein schneller Übersprung zum - sozioökonomischen oder materialgeschichtlichen - Allgemeinen wichtige Einsichten verstellt. Einerseits mache Adorno auf Wagners Verräumlichung der Zeit aufmerksam, sehe er, wie, gemessen an der Wiener Klassik, die quasi-mathematische Formaufteilung und die expressive Erfüllung auseinanderbrechen. Andererseits rechne er Wagner den Versuch, das Verräumlichte in eine musikalische Entwicklung zu binden, als Ideologie vor, obwohl doch gerade dieser Versuch erst die Verräumlichung erzeuge. Einerseits analysiere er die Emanzipation der Farbe. Andererseits projiziere er in der Tradition eines primär schriftorientierten kompositorischen Denkens den Polyphoniebegriff der zweiten Schule auf Wagner und nehme Instrumentation als etwas Sekundäres. Einerseits decke er Wagners sensuelle Differenzierungen auf, andererseits sehe er gerade im Einbruch des Physischen eine Aushöhlung der Autonomie des Subjektes.
Nun müßte man mit Klein streiten, ob Adorno die Doppelköpfigkeit von Dissoziation nicht doch schärfer gesehen hat als sein Kritiker beziehungsweise ob in der Feier des emanzipierten Leibes nicht einige Mystifikation steckt. Aber die Kritik, daß Adorno wider seine Einsichten die musikalischen Parameter und dann Musik und Sprache isoliert behandelt, leuchtet ebenso ein, wie daß ihm die Teleologie den deutenden Blick auf die Phänomene trübt.
Claus-Steffen Mahnkopf sieht Adornos Haltung dem zeitgenössischen Komponieren gegenüber durch eine frühe Bindung an die freie Atonalität bestimmt. Nicht daß Adorno eine Rückkehr gefordert hätte. Aber er habe doch die Freiheit des kompositorischen Subjektes über- und die Determiniertheit dieses Subjektes im heftig kritisierten Serialismus unterschätzt. Allemal sei dieses Problem mittlerweile erledigt: Mit dem modernistischen Wegfall vorgegebener Materialbestände werde das Material selbst zum Gegenstand der (Prä-)Komposition. Da dürfte Mahnkopf recht haben. Allerdings tritt er mit dem Ideal des durchkomponierten Werks erneut innerhalb der unseligen Schönberg-Strawinksy-Dichotomie einfach auf die Schönberg-Seite. Er sieht nicht die (postmoderne) Möglichkeit eines bewußten Arbeitens mit Präformiertem, mit Versatzstücken und Zitaten.
Wie Adorno Schönberg und Strawinsky mit festem Blick auf die Psychoanalyse deutet, zeichnet Larson Powell nach. Nicht immer sicher in der psychoanalytischen Terminologie geschehe das und nicht immer fair, werde doch an Strawinsky fast dasselbe kritisiert, was Schönbergs (oder Benns) Leistung ausmachen solle. Jedenfalls hege Adorno, anders als Benjamin, Verdacht gegen alle Versuche, Unmittelbarkeit durch Regression zu gewinnen. Der Weg in die utopische Freiheit muß durch das Subjekt hindurch. Das nun könne man als veraltete Subjektphilosophie verwerfen. Man könne es aber auch mit Bezug auf Lacan verteidigen. Denn von Lacan lasse sich lernen, daß das Somatische, auf das Adornos Theorie des Einfalls letztlich ziele, immer sprachlich beziehungsweise symbolisch vermittelt ist.
Dazu braucht man vielleicht nicht Lacan. Aber man bewegt sich im Zentrum der Sache: Musik organisiert leibliche Impulse, Triebregungen, Affekte, Gefühle, Stimmungen. Damit ist ihr Gegenstand das Subjekt. Über den Gehalt der Musik zu reden heißt, über Subjektivität zu reden. Die Psychoanalyse wird da nicht der schlechteste Gesprächspartner sein.
Der Gedanke des Fortschritts der Materialbeherrschung ist uns fremd geworden. Beethoven und Schönberg sind nicht mehr unsere unangefochtenen Leitbilder. Die motivische Arbeit gilt nicht mehr als eigentliches Mittel der Musik. Wenn aber Adornos Geschichtsphilosophie der Musik zumindest anders begründet werden müßte, sind wir auf den Erfahrungsgehalt seines Denkens verwiesen. Teils, weil ihm viel aufgefallen ist. Aber auch, um den Mut zu erwerben, nicht über das von der Wissenschaft Vorgegebene nachzudenken, sondern über das, was uns auffällt. GUSTAV FALKE
Richard Klein, Claus-Steffen Mahnkopf (Hrsg.): "Mit den Ohren denken". Adornos Philosophie der Musik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 446 S., br., 29,80 DM.
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