Die so bewegende wie einsichtsvolle Geschichte einer rätselhaften Frau: Nuanciert und mitreißend erzählt Julia Schoch vom Untergang der DDR und dem Ende aller Träume mit der Erfüllung des Wunschs nach Freiheit.
Vor allem die Frauen waren übermütig, ihre Gesichter leuchteten, und ihr Lachen hörte man die ganze Nacht hindurch. Als hätte ihnen nun der Lauf der Geschichte, die Auflösung unseres Staates, ein Argument für ein eigenes Leben gegeben. Meine Schwester aber, die in der Abgeschiedenheit der Kiefernwälder und des Stettiner Haffs von der Freiheit geträumt hatte, hatte noch nichts, das sich zu verlassen lohnte. Nur die Familie, den Ehemann. Aber sie blieb, traf sich wieder mit ihrem alten Liebhaber und gab sich fast schwärmerisch der verlockenden Vorstellung hin, dass in diesem anderen Staat ein anderer Lebenslauf für sie bereitgestanden hätte. Wäre ich aufmerksamer gewesen, hätte ich ihre verhängnisvolle Entscheidung vielleicht rückgängig machen können.
Vor allem die Frauen waren übermütig, ihre Gesichter leuchteten, und ihr Lachen hörte man die ganze Nacht hindurch. Als hätte ihnen nun der Lauf der Geschichte, die Auflösung unseres Staates, ein Argument für ein eigenes Leben gegeben. Meine Schwester aber, die in der Abgeschiedenheit der Kiefernwälder und des Stettiner Haffs von der Freiheit geträumt hatte, hatte noch nichts, das sich zu verlassen lohnte. Nur die Familie, den Ehemann. Aber sie blieb, traf sich wieder mit ihrem alten Liebhaber und gab sich fast schwärmerisch der verlockenden Vorstellung hin, dass in diesem anderen Staat ein anderer Lebenslauf für sie bereitgestanden hätte. Wäre ich aufmerksamer gewesen, hätte ich ihre verhängnisvolle Entscheidung vielleicht rückgängig machen können.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2009Damals, in der anderen Zeit
Julia Schoch liest in der Romanfabrik
Eggesin liegt am Meer. Oder vielmehr: am Haff, einem falschen, gigantisch stehenden Meer bei Stettin. Nicht einmal das Leben nehmen kann man sich dort, weil das Wasser nur knietief ist. Um mit einer Überdosis Schlaftabletten sicherzugehen, sollte man nach New York reisen. Wie die Schwester des erzählenden Ichs in Julia Schochs jüngstem Roman. Nie ist diese Frau über die Grenzen der mecklenburgischen Garnisonsstadt an der polnischen Grenze gekommen. Erst als sie entschlossen ist zu sterben, bricht sie auf in die weite Welt und befreit sich von der inneren Teilnahmslosigkeit, mit der sie der Trauer über ihr verlorenes Leben zu begegnen versuchte - ein Leben, das mit der politischen "Wende" wertlos geworden war.
In der Romanfabrik stellte die Autorin aus Potsdam nun ihr Buch vor, das unter dem Titel "Mit der Geschwindigkeit des Sommers" im Piper Verlag erschienen ist. Auf 150 Seiten versucht die Ich-Erzählerin, sich dem Leben und dem selbstgewählten Tod ihrer verschwiegenen Schwester zu nähern. Dabei stößt sie auf "den Soldaten", einen Liebhaber, der die Schwester mit der Vergangenheit ihres realsozialistischen Daseins verband: "damals, in dieser anderen Zeit". Mit ihm betrügt sie ihre Familie, ihm liefert sie sich in einem Hotelzimmer aus bis zur totalen Selbstpreisgabe. Anders die Jüngere, die sich, noch nicht hinreichend verbogen, in der neuen Gesellschaft Träume leistet, ohne sich dafür verachten zu müssen.
Ob der lakonische "Schoch-Sound" ein Garant für Authentizität sei, wollte Hausherr Michael Hohmann wissen. Die Autorin lächelte hoffnungsfroh und gab zu, an diesem Buch gern gearbeitet zu haben: "ohne zu kämpfen" wie sonst. Hohmann glaubte, die Erzählhaltung der französischen Schriftstellerin Marguerite Duras herausgehört zu haben. "Sie ist mir nicht fremd", erwiderte Schoch sibyllinisch. Zumindest die Schilderung der erotischen Begegnungen, auf die sich die Autorin diesmal kapriziert hatte, erinnern an die plastische Erotik der Duras. Dass sich "Küsse" auf "Bisse" reimen, wusste allerdings schon Kleists Penthesilea. Aber die Wildheit der DDR-Amazone, die sich um ihr Leben betrogen fühlt, ist nicht Leidenschaft oder Hingabe, sondern eine Form schulterzuckender Selbstaufgabe.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Julia Schoch liest in der Romanfabrik
Eggesin liegt am Meer. Oder vielmehr: am Haff, einem falschen, gigantisch stehenden Meer bei Stettin. Nicht einmal das Leben nehmen kann man sich dort, weil das Wasser nur knietief ist. Um mit einer Überdosis Schlaftabletten sicherzugehen, sollte man nach New York reisen. Wie die Schwester des erzählenden Ichs in Julia Schochs jüngstem Roman. Nie ist diese Frau über die Grenzen der mecklenburgischen Garnisonsstadt an der polnischen Grenze gekommen. Erst als sie entschlossen ist zu sterben, bricht sie auf in die weite Welt und befreit sich von der inneren Teilnahmslosigkeit, mit der sie der Trauer über ihr verlorenes Leben zu begegnen versuchte - ein Leben, das mit der politischen "Wende" wertlos geworden war.
In der Romanfabrik stellte die Autorin aus Potsdam nun ihr Buch vor, das unter dem Titel "Mit der Geschwindigkeit des Sommers" im Piper Verlag erschienen ist. Auf 150 Seiten versucht die Ich-Erzählerin, sich dem Leben und dem selbstgewählten Tod ihrer verschwiegenen Schwester zu nähern. Dabei stößt sie auf "den Soldaten", einen Liebhaber, der die Schwester mit der Vergangenheit ihres realsozialistischen Daseins verband: "damals, in dieser anderen Zeit". Mit ihm betrügt sie ihre Familie, ihm liefert sie sich in einem Hotelzimmer aus bis zur totalen Selbstpreisgabe. Anders die Jüngere, die sich, noch nicht hinreichend verbogen, in der neuen Gesellschaft Träume leistet, ohne sich dafür verachten zu müssen.
Ob der lakonische "Schoch-Sound" ein Garant für Authentizität sei, wollte Hausherr Michael Hohmann wissen. Die Autorin lächelte hoffnungsfroh und gab zu, an diesem Buch gern gearbeitet zu haben: "ohne zu kämpfen" wie sonst. Hohmann glaubte, die Erzählhaltung der französischen Schriftstellerin Marguerite Duras herausgehört zu haben. "Sie ist mir nicht fremd", erwiderte Schoch sibyllinisch. Zumindest die Schilderung der erotischen Begegnungen, auf die sich die Autorin diesmal kapriziert hatte, erinnern an die plastische Erotik der Duras. Dass sich "Küsse" auf "Bisse" reimen, wusste allerdings schon Kleists Penthesilea. Aber die Wildheit der DDR-Amazone, die sich um ihr Leben betrogen fühlt, ist nicht Leidenschaft oder Hingabe, sondern eine Form schulterzuckender Selbstaufgabe.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Jochen Schimmang bewundert die geschliffene und präzise Prosa, mit der Julia Schoch die Geschichte einer Frau ins Werk setzt, die sich mit dem Fall der Mauer um ihren Lebensentwurf gebracht sieht und sich bestürzend konsequent in der Postwendezeit im fernen New York für den Freitod entscheidet. Der knappe und dichte Roman bezieht seine fragile Atmosphäre nicht zuletzt aus dem soldatisch geprägten Milieu einer mecklenburgischen Garnisonsstadt, deren untergegangene Tristesse die Autorin zum Leuchten bringt, so der Rezensent, der sich an Benns Ausruf: "Nichts Träumerisches als eine Kaserne!" erinnert fühlt. Schoch schildere mit diesem "todtraurigen, überaus schönen Buch" auf merkwürdig geräuschlose Weise den gewaltsamen Abbruch von Beziehungen zwischen den namenlos bleibenden Individuen und dem Fortgang der Welt, so Schimmang.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Julia Schoch ist eine emphatische Lakonikerin. Ihre strengen, zugleich sensiblen Sätze strahlen etwas bezwingend Selbstverständliches aus und ergeben gerade deshalb einen ganz unverwechselbaren Stil. Jochen Hieber Frankfurter Allgemeine Zeitung 20090312