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Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs scheint in der Kleinstadt Draperville die Welt noch in Ordnung zu sein. Doch mit der Ankunft der Potters aus Mississippi, die den Anwalt Austin King und seine Frau Martha besuchen, wird das beschauliche Leben der Bewohner gestört: Die junge Nora Potter verliebt sich hoffnungslos in Austin, Vater Potter verleitet Austins Freunde zu waghalsigen Spekulationen... Diese vergangene Welt mit Pferdedroschken und überholten Wertvorstellungen existiert zwar so heute nicht mehr, doch die Welt der Gefühle hat die Zeit überdauert und wird von William Maxwell meisterhaft beschrieben.…mehr

Produktbeschreibung
Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs scheint in der Kleinstadt Draperville die Welt noch in Ordnung zu sein. Doch mit der Ankunft der Potters aus Mississippi, die den Anwalt Austin King und seine Frau Martha besuchen, wird das beschauliche Leben der Bewohner gestört: Die junge Nora Potter verliebt sich hoffnungslos in Austin, Vater Potter verleitet Austins Freunde zu waghalsigen Spekulationen... Diese vergangene Welt mit Pferdedroschken und überholten Wertvorstellungen existiert zwar so heute nicht mehr, doch die Welt der Gefühle hat die Zeit überdauert und wird von William Maxwell meisterhaft beschrieben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.1997

Der zu klein geratene Halbgott
Märchenspiel in Zeitlupe: William Maxwell erzählt von gestern

Alle paar Jahre schreibt irgendein Autor auf dieser Welt noch einmal einen Roman von Fontane. William Maxwell, 1908 in Lincoln/Illinois geboren, ist so ein Autor, und er macht seine Sache perfekt. Alles ist da, was man zu einem guten Fontane-Roman braucht: zwei große Familien, ein ereignisarmer, ruhiger Sommer irgendwo auf dem Land und die schönen Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, die den gelassenen, plaudernden Erzählton noch erlauben.

Die Potters sind bei den Kings zu Besuch, auch einige Nachbarn sind eingeladen, der Roman beginnt gleich mit den kleinen Weihen der Konversation: Nehmen Sie doch ein Stückchen Huhn! Gib ihr noch etwas von der Brust. Wie gefällt es Ihnen hier? Das Wetter ist nicht mehr, was es einmal war . . . Das alles gut über die Seiten verteilt, mit ein paar Regieanweisungen ("Nora drehte sich auf ihrem Stuhl"), die der Phantasie des Lesers nachhelfen.

Man muß sich an dieses Reden gewöhnen, es ist nicht aufdringlich, es enthält keine Glanzlichter, es ist klassische Konversation, wo Zeit keine Rolle spielt und die Neugier noch vorprescht bis zu den Uraltfragen nach dem Sinn des Lebens. Man merkt, diese Menschen sind ganz und gar nicht von heute, und zunächst nimmt man ihnen das übel, weil sie das heutige, viel schnellere Hirn aufhalten mit ihrem Hang zu Anekdoten und zu dem behaglichen Kleinkram des Lebens.

Ungewohnt ist auch die Übersichtlichkeit der sozialen Rollen. In Maxwells Fontane-Roman sind die Köchinnen natürlich liebevoll, schwarz, gutmütig, insgesamt wahre Prachtbilder von Frauen, die von lästigen Säufermännern aus ihren Häusernestern vertrieben werden. Ältere Herren sind wirkliche ältere Herren, laut, stattlich, kahlköpfig, zigarrerauchend, und haben aber auch gar nichts von unseren heutigen altgewordenen Sechzigern, die noch immer die Bubis spielen. Und die Frauen der guten Familien sind meist so, daß man sich stante pede in sie verlieben würde, hätten sie nicht diese Neigung zur diffusen Sehnsucht und zu traditionellen Frauengesten.

Das große Leiden dieser strahlenden, den ganzen Roman wie Ikonen beherrschenden Frauen ist natürlich die Liebe, und auch hier wird uns allerhand zugemutet, denn die wunderbaren Wesen tappen oft nur aus mangelnder Erfahrung in die Liebesfallen. Manchmal wollen sie einfach hinein in die Ehe und quälen sich dann pflichtbewußt ein Leben lang, manchmal kommen ihnen auch die Hormone gewaltig durcheinander, dann lieben sie einen bereits verheirateten Cousin, der so reizend und liebenswürdig ist, daß man jederzeit davon abraten würde, auch nur im Traum daran zu denken, solch einen Langweiler zu heiraten.

Und so bemerkt der heutige Leser erstaunt, was all diesen still leidenden, gnadenlos gut erzogenen Frauen fehlt: die Kenntnis unserer Fernsehserien und Liebesdebattierrunden, wo einem das sportliche, energiespendende Lieben als Freizeitbeschäftigung beigebracht wird.

Das Leben der Fontane-Menschen aber kennt überhaupt keine kurzfristig angelegten Vergnügen. "Leben" bedeutet hier, "wenn's hoch kommt, achtzig Jahr" zu einer stilvollen Gesamtperspektive zu machen, mit kindlicher Geborgenheit, jugendlichem Wollen, erwachsenem Aufblühen und altersweisem Überblick. Jedem Lebensalter sind daher entsprechende Gemütsfarben zugeteilt, alle wissen, was sie zu tun oder zu leiden haben, selbst die, die aus der Rolle fallen, fallen gesellschaftlich akzeptabel aus der Rolle.

William Maxwell hat sich als Autor wunderbar bemüht, dieses Spiel vom früheren Leben mitzumachen. Er ist ganz und gar nicht der naive Erzähldepp, der uns die geordneten Welten von gestern zur Beruhigung auftischen will. Als Redakteur des "New Yorker" hat Maxwell vielmehr gelernt, Fontanes herrschaftlich diskrete Ironie mit der amerikanischen Ironie, deren bevorzugtes Objekt ja schon immer das Familienleben war, zu verbinden. Gelassenheit, Altersweisheit, die große Freude am Leben anderer Menschen - das zelebriert Maxwell in diesem Roman so künstlich und spurenlos, daß man glaubt, einen sehr guten, sehr langsamen Film aus der alten Zeit zu sehen. Der Übersetzer Matthias Müller hat Nuancen und Atmosphären dieses abgründigen Erzähltons sehr gut getroffen.

Nie glaubt man besser verstanden zu haben, daß die Erde sich um die eigene Achse dreht, sie kann einfach gar nicht anders, wenn sie solche Romangestalten beherbergt. In manierlichem Einverständnis mit der Natur sind diese Drehungen hier zauberhaft in Zeitlupen versetzt, die uns den allmählichen Wandel der Jahreszeiten, das langsame Vergehen von Zeit, den schleichenden Umbruch aller Verhältnisse vorführen wie ein Märchenspiel.

Natürlich hält sich Maxwell aufs Ende zu auch an die klassische Regel Fontanes, den ruhigen Geborgenheitswelten mit souveränem Sadismus die bekannten Risse beizubringen. Dann ist nichts mehr, wie es war, und die schönen Täuschungen fliegen auf, bis die elendesten Gefühle darunter hervorkommen. Gut, auch das muß wohl sein, obwohl diese Angewohnheit des neunzehnten Jahrhunderts, nicht zu ruhen, bis sich alles verbraucht hat, heute mechanisch und platt wirkt. Viel lieber verweilt man mit Maxwells Fontane-Blick bei den Figuren, begleitet sie während einer Kutschfahrt oder schaut ihnen zu, wenn sie ihr Lebenswissen in grausam abgeklärte Sätze packen. Dann sieht man genau (und das macht das Vergnügen an derartigen Romanen aus), warum und worin sie sich täuschen. Und ebendieses Wissen, so unausgesprochen serviert, tut uns Heutigen wohl, weil es uns vormacht, wir seien unendlich weiter und klüger.

So unterläuft dieser Fontane-Roman unsere Seh- und Lesegewohnheiten. Er ist der raffinierte Versuch, uns zu Göttern zu machen, indem er uns die Menschen von gestern als zu klein geratene Halbgötter präsentiert. An ihrem geduldigen Leben teilnehmend, werden wir zu Liebhabern der einfachen Grundsätze. "Liebling, vergiß es", sagt der Ehemann am Schluß endlich zum Weibe, und befriedigt, tief befriedigt, nehmen wir zur Kenntnis, wie sie die Augen schließt und wahrhaftig nichts andres mehr tut, als zu vergessen. HANNS-JOSEF ORTHEIL

William Maxwell: "Mit der Zeit wird es dunkler". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Matthias Müller. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1996. 416 S., geb., 49,80 DM.

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