Berufliches Aus in den 50ern? Da packt jeden die Verzweiflung. In dem Alter noch einen neuen Job finden? Das ist unmöglich. Denken viele. Sie liegen jedoch falsch. Brigitte Reemts Flum und Toni Nadig zeigen, wie die Neuorientierung nach 50 erfolgreich gelingt.Ältere Arbeitnehmer haben nämlich, was die jüngeren einfach noch nicht bieten können – Erfahrung. Die Stellensuche mit 50+ muss aber gut vorbereitet werden: Was braucht der Markt? Was sind die eigenenKompetenzen und wo bin ich einzigartig? Welche Prioritäten, Ziele und Werte sollen künftig im Vordergrund stehen? Dieser Ratgeber zeigt, wie es geht und wie die berufliche Neuorientierung das eigene Leben bereichert.
Der demographische Wandel fordert die Wirtschaft heraus
Die demographische Entwicklung, also die Zunahme älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung, wird immer mehr von einem rein gesellschaftlichen zu einem auch wirtschaftlichen Thema. Die Auswirkungen werden langsam konkret: Die Anzahl von Bewerbungen auf Ausbildungsplätze nimmt ab, die Belegschaften werden älter, die Nachfrage nach Alten- und Pflegeheimplätzen steigt, immer mehr Mitarbeiter wünschen sich nicht nur Zeit zur Kindererziehung, sondern auch zur Betreuung von Eltern. Diese Entwicklung schlägt sich auch im Buchangebot nieder.
In drei neuen Büchern werden die Herausforderungen der demographischen Entwicklung aus drei unterschiedlichen wirtschaftlichen Blickwinkeln betrachtet. Dieter Kroll und seine Autoren beschreiben sehr genau, was eine alternde Belegschaft für einen Stahlkonzern bedeutet - und was Thyssen-Krupp dagegen schon getan hat und noch tun muss. Hans-Georg Pompe nähert sich der alternden Gesellschaft vom Markt her und geht der Frage nach, welche Branchen davon profitieren. Das Autorenduo Brigitte Reemts Flum/Toni Nadig schließlich nähert sich dem Thema aus der Sicht alternder Arbeitnehmer und versucht hier für die persönliche Situation Rat zu geben.
Der Thyssen Krupp Steel Europe AG ist es schon 2006 und damit früher als vielen anderen Unternehmen aufgefallen: Ohne besondere Maßnahmen würde das Durchschnittsalter der Belegschaft von damals 44,9 Jahren bis 2020 auf 55 Jahre steigen. "Mit einem derart alternden Unternehmen im internationalen Wettbewerb bestehen zu wollen wäre nicht nur schwierig gewesen, sondern einem unternehmerischen Harakiri gleichgekommen", schreibt der Arbeitsdirektor von Thyssen Krupp Steel, Dieter Kroll, in dem Buch "Programm: Zukunft. Antworten auf den demografischen Wandel". Die Unternehmensführung war offenbar überrascht über die Auswirkung und schloss sofort eine "Vereinbarung zur Beschäftigungs- und Zukunftssicherung" mit der Gewerkschaft. Es folgte ein Tarifvertrag zur Gestaltung des demographischen Wandels.
Dieser Wandel umfasst viel mehr als nur das Bemühen um körperlich leichtere Arbeit für ältere Menschen. In dem Band werden alle Aspekte einer alternden Belegschaft beleuchtet. Das reicht von den bekannten und oft beschriebenen Modellen der Nachwuchsförderung über die weniger häufig beschriebenen Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung bis hin zum Arbeitsschutz oder auch zu den Fragen, wie man in einer alternden Belegschaft das Wissen der in großer Zahl ausscheidenden Mitarbeiter speichert und an wenige junge Mitarbeiter weitergibt. Gerade hier hat Thyssen Krupp Steel durch das sogenannte Wissenstandem eine Möglichkeit gefunden, Knowhow nicht verlorengehen zu lassen, das auch für andere Unternehmen interessant sein könnte.
Da Thyssen Krupp Steel zumindest einige Maßnahmen schon vor einigen Jahren initiiert hat, sind auch erste Auswirkungen und Ergebnisse im Buch nachzulesen. Es spricht für die Autoren und die Ernsthaftigkeit, mit der man das Thema bei Thyssen Krupp behandelt, dass die Ergebnisse der Maßnahmen durchaus kritisch reflektiert werden. Kroll hebt ausdrücklich hervor, dass von "Ende gut - alles gut" noch keine Rede sein kann. Noch sei eine ausgewogene Altersstruktur nicht erreicht.
Vor allem von den Führungskräften verlangt er, noch stärker demographieorientierte Unternehmenskultur vorzuleben. Kroll hebt aber auch hervor, dass es nicht nur Aufgabe der Unternehmen ist, Arbeitsplätze für ältere Menschen zu schaffen, sondern dass auch die Arbeitnehmer gefordert sind, sich auf längere Lebensarbeitszeiten einzustellen und sich für berufliche Aufgaben körperlich und geistig fit zu halten. "Viele Beschäftigte haben ihre Eigenverantwortung in diesem Prozess noch zu wenig verstanden", beklagt Kroll.
Offenbar sind ältere Menschen eher bereit, ihre Rolle als Verbraucher aktiv wahrzunehmen. Viele "best ager", wie man die ältere Generation neudeutsch auch nennt, möchten nämlich gar nicht länger arbeiten, sondern mehr vom Leben haben und konsumieren. Damit fallen sie zwar als Mitarbeiter aus, können als Kunden aber für die eine oder andere Branche sehr attraktiv sein. Darauf weist Hans-Georg Pompe in seinem Buch "Boom-Branchen 50plus. Wie Unternehmen den Best-Ager-Markt für sich nutzen können" hin. Einiges ist dabei ziemlich banal, beispielsweise wenn Pompe darauf verweist, dass Ältere den authentischen Verkäufer suchen. Den suchen Jüngere auch. Für beide Altersgruppen ist aber der glaubwürdige Verkäufer nicht ein und dieselbe Person. Hier kommt es darauf an, dass sich der Verkäufer auf seine älteren Kunden einstellt. Aber das ist keine neue Frage und Aufgabe, das ist Grundkurs Marketing.
Ebenso wenig neu sind die Hinweise, dass ältere Menschen mehr Geld haben und daher für Banken als Kunden interessant sind. Das war auch bisher schon so, dürfte sich höchstens verstärken. Ob die Wohnungswirtschaft wirklich so viel Wohnungen mit altersgerechter Ausstattung bauen sollte wie im Buch gefordert, darf man auch bezweifeln. Nicht jeder Fünfzigjährige möchte in einer Wohnung leben, die schon rollstuhlgerecht ausgestattet ist und ihn täglich auf seine unweigerlich kommende körperliche Gebrechlichkeit aufmerksam macht.
Die Aufzählung weiterer Branchen aber ist nicht mehr ganz so evident, sondern dürfte schon einigen Unternehmern und Managern die Augen für einen zusätzlichen Markt öffnen. Es ist gut, dass Pompe (und seine Autoren) auch diese Branchen recht detailliert beschreiben. Richtig originell sind Hinweise auf zusätzliche Umsätze durch die demographische Entwicklung für das Handwerk oder Au-pairs für Rentner. Beides liegt nicht sofort auf der Hand.
Das Buch ist als Anregung gut, vor allem in einigen kritischen Einzelartikeln wie jenem zur Immobilienbranche von Boris Neumann. Insgesamt unterliegt Pompe aber immer der Gefahr, das Alter zu verherrlichen als Quelle von Reichtum und Wohlstand und als Zeit des reinen Konsums. Was nutzen die guten Aussichten für Handwerker angesichts der vermögenden Älteren, wenn das Handwerk mangels Nachwuchs schrumpft?
Und einige Geschäftsmodelle - die den älteren Menschen zugutekommen - kosten die Nachwachsenden richtig Geld. Darunter so interessante Geschäftsmodelle wie neue Altersheime oder Kliniken. Sie kosten nicht nur die direkt Profitierenden viel Geld, was nur gerecht wäre. Sie kosten in der Regel auch die Gesellschaft über die Kranken- und Pflegeversicherung viel Geld.
Alte Menschen sind eben nicht nur die zwischen 50 und 70, die noch gesund und aktiv sind. Alte Menschen sind auch die jenseits der 70, die nicht mehr ganz so gesund und aktiv sind - und auch deren Zahl steigt. Die haben nur dann ein menschenwürdiges Leben, wenn die Jugend ihnen das dadurch ermöglicht, dass diese zukunftsträchtigen Aufgaben in der Volkswirtschaft nachgeht.
Dass älter werden nicht nur Freude bereitet, hat auch der Schweizer Toni Nadig erfahren. Er musste sich mit über 50 Jahren noch einmal beruflich umorientieren. Das ist ihm sehr gut gelungen: Er hat sich mit einer Beratung für ältere Arbeitnehmer selbständig gemacht. Seine ganz persönlichen Erfahrungen wie auch die aus seiner Beratung sind in das mit seiner Mitarbeiterin Brigitte Reemts Flum geschriebene Buch "Mit Erfahrung punkten. Berufliche Neuorientierung mit 50+" eingeflossen. Es wird sehr realistisch beschrieben, was in einem Menschen passiert, der mit Mitte fünfzig seinen Arbeitsplatz verliert und häufig auch noch private Schwierigkeiten in diesem Lebensabschnitt zu bewältigen hat (Wechseljahre, Kinder verlassen das Elternhaus, Eheprobleme). Flum und Nadig bemühen sich, den Menschen Hoffnung zu machen, verlassen aber nie den Rahmen des Realistischen. Der Leser wird an die Hand genommen und angeleitet, seiner Situation und seinem Handeln Struktur zu geben - und damit die Chancen zu erhöhen, noch einmal im Berufsleben Fuß zu fassen.
Alle drei Bücher machen darauf aufmerksam, dass sich in einer alternden Gesellschaft Aufgaben ergeben oder verstärken, die eine junge Gesellschaft so nicht hat. Nur Kroll weist aber eindeutig darauf hin, dass es ohne die Jugend nicht geht. Vielleicht merkt man es in einem Unternehmen am ehesten, weil die Mitarbeiter mit 65 (und ein paar Monaten) endgültig gehen. Und wenn der Nachwuchs immer spärlicher wird, müssen die älteren Mitarbeiter zunächst einmal länger arbeiten, denn sonst können sie ihr Alter auch nicht im Konsum genießen.
GEORG GIERSBERG.
Dieter Kroll (Hrsg.): Programm: Zukunft.
Gabler-Verlag, Wiesbaden 2012, 187 Seiten, 42,95 Euro.
Hans-Georg Pompe: Boom-Branchen 50plus.
Gabler-Verlag, Wiesbaden 2012, 278 Seiten, 49,95 Euro.
Brigitte Reemts Flum, Toni Nadig: Mit Erfahrung punkten.
Orell Füssli Verlag, Zürich 2011, 190 Seiten, 29,95 Euro
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