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Hitler marschiert ins Rheinland ein - und die Welt schaut zu. Hitler besetzt das Sudetengebiet - und nichts passiert. Vielmehr versucht der britische Premier Neville Chamberlain noch 1938 in München ein Friedensabkommen mit Adolf Hitler zu schließen.
Der englische Historiker Tim Bouverie stellt den Erkenntnisprozess in Großbritannien während der 1930er Jahre dar, das lange unsicher war, wie es mit Deutschland und dessen politischen Provokationen umgehen sollte. Sein Buch ist der spannende Bericht einer historischen Eskalation und schildert den historischen Hintergrund zum Netflix-Film…mehr

Produktbeschreibung
Hitler marschiert ins Rheinland ein - und die Welt schaut zu. Hitler besetzt das Sudetengebiet - und nichts passiert. Vielmehr versucht der britische Premier Neville Chamberlain noch 1938 in München ein Friedensabkommen mit Adolf Hitler zu schließen.

Der englische Historiker Tim Bouverie stellt den Erkenntnisprozess in Großbritannien während der 1930er Jahre dar, das lange unsicher war, wie es mit Deutschland und dessen politischen Provokationen umgehen sollte. Sein Buch ist der spannende Bericht einer historischen Eskalation und schildert den historischen Hintergrund zum Netflix-Film "München - Im Angesicht des Krieges".

Bouveries Buch liest sich wie ein historischer Roman, der in seiner Schilderung jener Jahre die Naivität und Inkompetenz seiner Landsleute nicht ausspart und auch nicht die Anbiederung Teile der Oberschicht an Hitler. Er beschreibt die Deutschland-Besuche der Mitford-Schwestern und die Kämpfe im Unterhaus zwischen Chamberlain und Winston Churchill angesichts der politischen Aggression aus Deutschland. Es ist eine historische Analyse und gleichzeitig ein Lehrstück über die Herausforderung, die autoritäre Figuren für Demokratien darstellen.

Autorenporträt
Tim Bouverie hat Geschichte am Christ Church College in Oxford studiert. Von 2013 bis 2017 arbeitete er als politischer Journalist für Channel 4. Er schreibt für The Spectator, The Observer und The Daily Telegraph und lebt in London. In den vergangenen fünf Jahren war er mitverantwortlich für das Chalke Valley History Festival.
Rezensionen
Es ist großartiges, kluges, übrigens auch mit der stilistischen Lässigkeit und Brillanz angelsächsischer Historiker geschriebenes Buch, eine beklemmende und zugleich lohnende Lektüre. Joachim Käppner Süddeutsche Zeitung 20210215

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Andreas Fahrmeir erkennt mit Tim Bouveries Perspektive auf Großbritanniens Weg in den Zweiten Weltkrieg ab 1933 mögliche Wendepunkte in der Diplomatie und allerhand über die Anreize, mit denen man Göring (Jagdpartien) und Hitler (Rheinschifffahrt) ködern wollte. Die gute Recherche und Quellennähe des Textes fallen Fahrmeir angenehm auf, aber auch, dass es zu einer Kulturgeschichte der Diplomatie nicht ganz reicht. Als aktualisierte "Anti-Appeasement"-Story taugt das Buch für sie allerdings hervorragend. Nur: Es bleibt eben eurozentristisch und damit etwas überholt, beklagt die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2021

Kennen Sie Anthony Edens Schneider?
Tim Bouverie erzählt Englands Weg in den Zweiten Weltkrieg als detailreiche Geschichte der hohen britischen Diplomatie

Es gibt Geschichten, die dauerhaft aktuell sind. Die kanonische Erzählung vom britischen Weg in den Zweiten Weltkrieg ist eine davon. Sie kennt Helden und Schurken, und sie hat eine klare Moral: Wer mit aggressiven Diktatoren Kompromisse eingeht, wird sich trotzdem früher oder später unterwerfen oder kämpfen müssen; er hat also nichts gewonnen, aber viel moralischen Kredit verspielt. Diese Kritik am Irrweg der "Beschwichtigung" Hitlers durch Neville Chamberlain wurde bereits im Juli 1940, kurz nach der Evakuierung von Dünkirchen, in dem Bestseller "Guilty Men" formuliert. Dabei ging es, wie bereits in der britischen Diskussion über den Ersten Weltkrieg, auch um die Verantwortung der für nur begrenzt kompetent gehaltenen Eliten für eine Misere, die die gesamte Bevölkerung ausbaden musste.

Mit wachsendem Abstand zum Krieg und zunehmender Forschung wurde das Bild freilich komplizierter, die Geschichte weniger eindeutig. War es wirklich so einfach, Politiker, die sich primär dem Ziel der Friedenssicherung verschrieben hatten, zu verdammen? Waren es nicht gerade die Jahre der Beschwichtigung und die zahlreichen Vertragsbrüche Hitlers, die es erlaubten, hinreichend aufgerüstet und mit der Unterstützung des ganzen Empire (außer Irlands) den Krieg fortzusetzen, als Großbritannien 1940 ohne weitere Verbündete dastand? War es bereits in den 1930er Jahren so einfach, sich zwischen Mussolini, Stalin und Hitler als möglichem Bündnispartner für einen Krieg in Europa zu entscheiden - wo selbst Churchill in dieser Frage lange keine klare Position einnahm? Wusste man immer schon, ob man zur See, in der Luft oder zu Lande aufrüsten sollte, ob der Hauptgegner also Deutschland, Japan, Italien oder doch die Sowjetunion sein würde?

Vor rund zwanzig Jahren hat John Lukacs in "Fünf Tage in London" die Entscheidung zwischen Kompromiss und Konfrontation auf den 24. bis 28. Mai 1940 zugespitzt, als in London ein letztes Verhandlungsangebot erwogen und mit dem Wechsel von Chamberlain zu Churchill verworfen wurde. Tim Bouveries Buch nimmt wieder den Zeitraum ab 1933 in den Blick. Dabei stehen weniger neue Entdeckungen im Mittelpunkt, denn die zahlreichen Archivfunde beinhalten vor allem sprechende Details, als die Kunst der Erzählung. Sie konzentriert sich auf Wendepunkte, an denen eine Intervention denkbar und vielleicht aussichtsreich gewesen wäre. Diese liegen anfangs, als das Buch auch die Wahrnehmung des "Dritten Reichs" vor allem in konservativen britischen Kreisen diskutiert, weiter auseinander, verdichten sich aber nach der Rheinlandbesetzung und dem "Anschluss" Österreichs zusehends; das Buch endet mit der Ernennung Winston Churchills zum Premierminister. Bouverie erzählt eine Geschichte der britischen hohen Diplomatie; andere Akteure betreten die Bühne nur als Verhandlungspartner, Objekt der Beobachtung oder Beurteilung.

Der Text ist dicht recherchiert, anschaulich und quellennah. So erfährt man, mit welchen Anreizen man glaubte, die andere Seite milde stimmen zu können: Ländliche Jagdpartien schienen für Göring geeignet, Hitler erhoffte sich von einer Rheinschifffahrt mit Chamberlain einen Durchbruch (beides fand nicht statt). Tischsitten spielen eine wichtige Rolle (etwa Görings Vorliebe für besonders blutiges Rindfleisch), ebenso Kleidung und Aussehen - der Schneider Anthony Edens ist einer der geheimen Protagonisten des Buches. Man erfährt von der großen Resonanz des Münchener Abkommens, nach dem Chamberlain mit Geschenken überschüttet wurde, die von Angelruten und Ködern bis zu einem Haus an einem Forellenbach in Frankreich reichten, für das immerhin eine halbe Million Francs gesammelt wurde (dieses Geschenk wurde aber abgelehnt).

Das hat das Potential zu einer Alltags- oder Kulturgeschichte der Diplomatie, die aber nicht systematisch entfaltet wird; sehr deutlich werden dagegen die engen Beziehungen zwischen dem kleinen Kreis englischer Politiker, die sich oftmals seit der Schulzeit kannten, schätzten oder verachteten, die sich in ihren schlossähnlichen "Landhäusern" trafen und für die die Grenzen zwischen offizieller Diplomatie und privaten Initiativen oft fließend waren. Zumindest in Bouveries Wahrnehmung waren ihnen das Fischen, Jagen und Feiern allzu oft wichtiger als die Auseinandersetzung mit dem Gegner, und sei es auch nur durch Lektüre von "Mein Kampf". Entsprechend kennt auch diese Geschichte Weitsichtige (vor allem Churchill) und Fehlgeleitete, und sie endet ganz klassisch: mit dem Kapitel "Schuldige Männer".

Die Anti-Appeasement-Erzählung wird in diesem Buch hervorragend aktualisiert; trotzdem oder vielleicht gerade deswegen wirkt es etwas aus der Zeit gefallen. Das liegt zum einen daran, dass die Perspektive eine im Wesentlichen eurozentrische bleibt. Zwar werden die Vorgänge in der Mandschurei oder in Äthiopien erwähnt, auch die Rolle der Vereinigten Staaten für die Formulierung britischer Positionen gegenüber dem NS-Regime gerät gelegentlich in den Blick. Aber was die Existenz des Empire und dessen Probleme etwa in Indien für Handlungsoptionen (und die Bewertung der Protagonisten des Buches, man denke etwa an die aktuell heftigen Debatten über Winston Churchill als "Imperialist") bedeutet haben könnte, bleibt offen. Zum anderen transportiert die Übersetzung, die insgesamt sehr gut gelungen ist, auch wenn sie im Nachwort aus der beeindruckenden London Library (F.A.Z. vom 22. März) eine (beliebige) Londoner Bibliothek macht, das Werk in einen anderen Debattenkontext, in dem der ausschließliche Fokus auf die britische politische Elite weniger unmittelbar einleuchtet - zumal man die reiche deutschsprachige Forschung zum Thema in der Bibliographie der Übersetzung auch stärker vermissen dürfte als im Original.

ANDREAS FAHRMEIR

Tim Bouverie: "Mit Hitler reden". Der Weg vom Appeasement zum Zweiten Weltkrieg.

Aus dem Englischen von Karin Hielscher. Rowohlt Verlag, Hamburg 2021. 704 S., geb., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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