Franky bewundert ihren Vater, einen beliebten und erfolgreichen Sportjournalisten. So weiß sie ganz genau, auf wessen Seite sie steht, als ihre Eltern sich trennen. Außerdem hat ihre Mutter die Familie im Stich gelassen und ist ausgezogen. Als sie vermisst wird, nimmt Franky das zunächst nicht ernst. Bis sie das Tagebuch ihrer Mutter findet. - Eine spannende aufwühlende Geschichte, die zeigt, wie schwer es ist, das "Richtige" zu tun.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2005Grüne Augen, wacher Blick
Joyce Carol Oates beschreibt den intimen Terror von innen
Gewalt in Ehe und Familie ist das Thema des neuen Jugendromans von Joyce Carol Oates. Indem sie die fünfzehn Jahre alte Frankie erzählen läßt, legt die scharfsichtige Autorin den Mechanismus des intimen Terrors von innen her bloß. Die Ich-Erzählerin ist die Tochter des prominenten Sportreporters Pierson, der mit der Familie in einer repräsentativen Villa in Seattle lebt. Ihre Erzählung setzt ein, als sich die Zerrüttung der elterlichen Ehe kaum noch verbergen läßt. Krista Pierson versucht sich aus der Umklammerung des Mannes und aus dem goldenen Käfig der Partys und Wohltätigkeitsdinners zu lösen und wagt erste Schritte in ein eigenes Leben. Die muß sie hart bezahlen; lange Ärmel und Seidenschals verbergen die blauen Flecken und Würgemale, die der Kampf um ein wenig individuelle Freiheit ihr einbringt. Am Ende kostet er ihr Leben.
Dem jugendlichen Lesepublikum angemessen, steht nicht die Ehekatastrophe im Mittelpunkt, sondern Frankies immer wieder zurückgedrängter Erkenntnisprozeß - ein langsames Erwachen aus Blindheit. In der subtilen Spur der Metaphern des Sehens und Erkennens besteht die literarische Qualität des Romans. Das Mädchen läuft zwar mit offenen Augen und Ohren durch die Welt, will und kann aber dennoch nicht sehen und hören. Das Eingangskapitel zeigt die schüchterne Frankie auf einer Party. Ein anfangs willkommener Flirt endet mit einem Vergewaltigungsversuch. Die guttrainierte Sportlertochter wehrt sich so heftig, daß der schmerzgekrümmte Junge ihr nachschreit, sie hätte "freaky green eyes". Aus diesem Erlebnis geht Frankie mit neuem Selbstgefühl hervor. "Freaky green eyes" - das ist ihr kämpferisches Ich, das mit klaren Augen sieht, was gespielt wird, und das unerschrocken handelt. Im Konflikt zwischen dem aus Liebe zum gewalttätigen Vater blinden Tochter-Ich und dem unbestechlich wachen Blick siegt Freaky gleichwohl erst sehr spät.
Ein besonders zerstörerischer Effekt familiärer Gewalt ist die Verwirrung des moralischen Selbstbewußtseins der Opfer. Der Täter, der aus einer Mischung von Herrschsucht und regressiver Verlustangst handelt, bringt Frau und Kinder dazu, sich selbst schuldig zu fühlen. Wenn der Vater der kleinen Tochter das Handgelenk umdreht oder die große schüttelt, daß ihr tagelang Kopf, Nacken und Wirbelsäule weh tun, will er sie nur disziplinieren. Obgleich er selbst seine Frau betrügt, macht er ihr handgreiflich klar, daß sie die Familie zerstört, wenn sie sich in ein Künstlerdorf zurückzieht. Das mit Gewalt eingehämmerte Schuldgefühl schwächt die ohnehin schon unterlegene Frau.
Auf die erzwungene mütterliche Schwäche reagiert Frankie mit Verachtung und Haß. Sie agiert als brave Tochter des Vaters. Für ihn gelten nur Stärke und Durchsetzungsvermögen. Verächtlich ist ihm alles vermeintlich Schwache: ein kleiner Hund, ein weinendes Kind, Homosexuelle, allein lebende und ältere Frauen, Künstler. Implizit kritisiert Oates hier die amerikanische Faszination durch den Sport. Der ehemalige Footballstar Pierson steht für ein Leben mit dem Sport, in dem es nicht um das vielgerühmte angelsächsische Fair play geht, sondern um die Feier der Starken zuungunsten der sogenannten Schwachen. Seine Kinder haben diese Haltung verinnerlicht.
Die Arroganz der Stärke und die Angst vor dem Vater machen Frankie blind und taub. Geräusche aus dem elterlichen Schlafzimmer will sie lieber als Lachen denn als Weinen der Mutter deuten. Als diese vom Dorf aus den Kontakt zu den Kindern zu halten versucht, blockiert Frankie ihre Anrufe. Sie möchte sich nicht beirren lassen in der Bewunderung für den Vater, der die Kinder an sich fesselt, sie daran hindert, die Mutter zu besuchen, und ihnen einredet, daß sie sie gar nicht bei sich haben will. Auch als die Mutter und ihr bester Freund, ein homosexueller Galerist, verschwunden sind, wehrt sich Frankie noch gegen ihr besseres Wissen, weil sie nur beim Vater Sicherheit zu finden glaubt. Erst als ein aus Kindheitserinnerungen auftauchender Hahn - die biblische Stimme des Verrätergewissens - in ihren Traum hineinkräht, schlägt Freaky die Augen auf, und Frankie beginnt zu sehen und zu hören. Sie allein kann das Verbrechen des Vaters an ihrer Mutter und deren Freund aufklären. Für sie beginnt ein neues, wenn auch schwer belastetes Leben.
GUNDEL MATTENKLOTT
Joyce Carol Oates: "Mit offenen Augen". Die Geschichte von Freaky Green Eyes. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Birgit Kollmann. Carl Hanser Verlag, München 2005. 240 S., geb., 15,90 [Euro]. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Joyce Carol Oates beschreibt den intimen Terror von innen
Gewalt in Ehe und Familie ist das Thema des neuen Jugendromans von Joyce Carol Oates. Indem sie die fünfzehn Jahre alte Frankie erzählen läßt, legt die scharfsichtige Autorin den Mechanismus des intimen Terrors von innen her bloß. Die Ich-Erzählerin ist die Tochter des prominenten Sportreporters Pierson, der mit der Familie in einer repräsentativen Villa in Seattle lebt. Ihre Erzählung setzt ein, als sich die Zerrüttung der elterlichen Ehe kaum noch verbergen läßt. Krista Pierson versucht sich aus der Umklammerung des Mannes und aus dem goldenen Käfig der Partys und Wohltätigkeitsdinners zu lösen und wagt erste Schritte in ein eigenes Leben. Die muß sie hart bezahlen; lange Ärmel und Seidenschals verbergen die blauen Flecken und Würgemale, die der Kampf um ein wenig individuelle Freiheit ihr einbringt. Am Ende kostet er ihr Leben.
Dem jugendlichen Lesepublikum angemessen, steht nicht die Ehekatastrophe im Mittelpunkt, sondern Frankies immer wieder zurückgedrängter Erkenntnisprozeß - ein langsames Erwachen aus Blindheit. In der subtilen Spur der Metaphern des Sehens und Erkennens besteht die literarische Qualität des Romans. Das Mädchen läuft zwar mit offenen Augen und Ohren durch die Welt, will und kann aber dennoch nicht sehen und hören. Das Eingangskapitel zeigt die schüchterne Frankie auf einer Party. Ein anfangs willkommener Flirt endet mit einem Vergewaltigungsversuch. Die guttrainierte Sportlertochter wehrt sich so heftig, daß der schmerzgekrümmte Junge ihr nachschreit, sie hätte "freaky green eyes". Aus diesem Erlebnis geht Frankie mit neuem Selbstgefühl hervor. "Freaky green eyes" - das ist ihr kämpferisches Ich, das mit klaren Augen sieht, was gespielt wird, und das unerschrocken handelt. Im Konflikt zwischen dem aus Liebe zum gewalttätigen Vater blinden Tochter-Ich und dem unbestechlich wachen Blick siegt Freaky gleichwohl erst sehr spät.
Ein besonders zerstörerischer Effekt familiärer Gewalt ist die Verwirrung des moralischen Selbstbewußtseins der Opfer. Der Täter, der aus einer Mischung von Herrschsucht und regressiver Verlustangst handelt, bringt Frau und Kinder dazu, sich selbst schuldig zu fühlen. Wenn der Vater der kleinen Tochter das Handgelenk umdreht oder die große schüttelt, daß ihr tagelang Kopf, Nacken und Wirbelsäule weh tun, will er sie nur disziplinieren. Obgleich er selbst seine Frau betrügt, macht er ihr handgreiflich klar, daß sie die Familie zerstört, wenn sie sich in ein Künstlerdorf zurückzieht. Das mit Gewalt eingehämmerte Schuldgefühl schwächt die ohnehin schon unterlegene Frau.
Auf die erzwungene mütterliche Schwäche reagiert Frankie mit Verachtung und Haß. Sie agiert als brave Tochter des Vaters. Für ihn gelten nur Stärke und Durchsetzungsvermögen. Verächtlich ist ihm alles vermeintlich Schwache: ein kleiner Hund, ein weinendes Kind, Homosexuelle, allein lebende und ältere Frauen, Künstler. Implizit kritisiert Oates hier die amerikanische Faszination durch den Sport. Der ehemalige Footballstar Pierson steht für ein Leben mit dem Sport, in dem es nicht um das vielgerühmte angelsächsische Fair play geht, sondern um die Feier der Starken zuungunsten der sogenannten Schwachen. Seine Kinder haben diese Haltung verinnerlicht.
Die Arroganz der Stärke und die Angst vor dem Vater machen Frankie blind und taub. Geräusche aus dem elterlichen Schlafzimmer will sie lieber als Lachen denn als Weinen der Mutter deuten. Als diese vom Dorf aus den Kontakt zu den Kindern zu halten versucht, blockiert Frankie ihre Anrufe. Sie möchte sich nicht beirren lassen in der Bewunderung für den Vater, der die Kinder an sich fesselt, sie daran hindert, die Mutter zu besuchen, und ihnen einredet, daß sie sie gar nicht bei sich haben will. Auch als die Mutter und ihr bester Freund, ein homosexueller Galerist, verschwunden sind, wehrt sich Frankie noch gegen ihr besseres Wissen, weil sie nur beim Vater Sicherheit zu finden glaubt. Erst als ein aus Kindheitserinnerungen auftauchender Hahn - die biblische Stimme des Verrätergewissens - in ihren Traum hineinkräht, schlägt Freaky die Augen auf, und Frankie beginnt zu sehen und zu hören. Sie allein kann das Verbrechen des Vaters an ihrer Mutter und deren Freund aufklären. Für sie beginnt ein neues, wenn auch schwer belastetes Leben.
GUNDEL MATTENKLOTT
Joyce Carol Oates: "Mit offenen Augen". Die Geschichte von Freaky Green Eyes. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Birgit Kollmann. Carl Hanser Verlag, München 2005. 240 S., geb., 15,90 [Euro]. Ab 12 J.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
" Rezensentin Gundel Mattenklott hat einen ausgesprochen guten Eindruck von Joyce Carol Oates' neuem Jugendroman, in dem es ihren Informatione zufolge um Gewalt in Ehe und Familie geht. Altersgerecht stehe nicht so sehr die Ehekatastrophe, sondern das langsame Erwachen der fünfzehnjährigen Tochter Frankie aus der Blindheit, mit der sie die Gewalt in ihrem Elternhaus zu verdrängen versucht habe. Die Rezensentin ist beeindruckt von "der subtilen Spur der Metaphern des Sehens und Erkennens", mit der Joyce Carol Oates Frankies Erkenntnisprozess beschreibt. Auch die Art und Weise, mit der die "scharfsichtige Autorin" den Mechanismus des intimen Terrors" von innen her bloß legt, macht für die Rezensentin die große literarische Qualität dieses Jugendbuchs aus.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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"Eine Autorin, die die Jugendlichen anspricht und sich nicht anbiedert, die den Ton trifft und dennoch so schreibt, dass auch Erwachsene dieses Buch mit Vergnügen lesen werden." Rolf Brockschmidt, Der Tagesspiegel, 13.02.05
"Das ist gute Literatur." Siggi Seuß, Südddeutsche Zeitung, 30.06.05
"Das ist gute Literatur." Siggi Seuß, Südddeutsche Zeitung, 30.06.05