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Nibelungenlied und Klage spiegeln im Schutz der "alten maeren" historische "warheit": die Ehre des Reichs, zerstört durch die Kreuzzüge.Dieter und Jürgen Breuer würdigen das Nibelungenlied unter den politisch-historischen Voraussetzungen seiner Entstehungszeit um 1200 gegen die vorherrschende Meinung des Fachs. Sie sehen im Dichter des Nibelungenlieds den kritischen Beobachter, der den bekannten Sagenstoff in einer Weise neu erzählt, die diesen transparent für die Bewertung der verstörenden politischen Vorgänge seiner Gegenwart macht: das katastrophale Scheitern des hochmütigen Ausgriffs der…mehr

Produktbeschreibung
Nibelungenlied und Klage spiegeln im Schutz der "alten maeren" historische "warheit": die Ehre des Reichs, zerstört durch die Kreuzzüge.Dieter und Jürgen Breuer würdigen das Nibelungenlied unter den politisch-historischen Voraussetzungen seiner Entstehungszeit um 1200 gegen die vorherrschende Meinung des Fachs. Sie sehen im Dichter des Nibelungenlieds den kritischen Beobachter, der den bekannten Sagenstoff in einer Weise neu erzählt, die diesen transparent für die Bewertung der verstörenden politischen Vorgänge seiner Gegenwart macht: das katastrophale Scheitern des hochmütigen Ausgriffs der Staufer nach der Weltherrschaft als Folge der Kreuzzüge. Am Ende steht einmal mehr die Frage, wem ein solches politisch motiviertes Epos wie das Nibelungenlied zuzutrauen ist. Die beiden Autoren plädieren mit guten Gründen für den Epiker und Politiker Bligger von Steinach, der dem Gefolge des Stauferkaisers Heinrich VI. angehörte.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Siegfried, der Held, heißt in Wirklichkeit Richard

Hier wird von alten Mären uns Wunder was gesagt: Dieter und Jürgen Breuer lesen das mittelalterliche Nibelungenlied als chiffrierte politische Botschaft.

Nun wissen wir, was es mit dem Nibelungenlied wirklich auf sich hat: Es ist ein antiimperialistischer Schlüsselroman. Die "alten maere" von Siegfrieds Taten, Kriemhilds Liebe und der Burgunden Untergang dienen nur der Tarnung. Dahinter verbirgt sich eine scharfe Kritik am Machtstreben der Staufer und ihrer Beteiligung an den Kreuzzügen. Auch die Identität des bislang anonymen Nibelungen-Autors ist gelüftet: Es handelt sich um den Ritter und Minnesänger Bligger II. von Steinach, mit Sitz in Neckarsteinach bei Heidelberg. Sollten der Germanist Dieter Breuer und sein Bruder, der Historiker Jürgen Breuer, mit diesen Thesen recht haben, wäre das eine kleine Sensation.

Seit immerhin zweieinhalb Jahrhunderten versuchen Philologen, dem Nibelungenlied mit seinem faszinierenden Ineinander von phantastischer Sagenwelt, germanisch-düsterer Archaik und höfisch-christlicher Zivilisation einen übergeordneten Sinn abzugewinnen. Für Erklärungsbedarf sorgen die logischen Brüche im Handlungsverlauf ebenso wie die irritierenden Perspektivwechsel, die zentrale Figuren wie Kriemhild oder Hagen einmal als Lichtgestalten, ein anderes Mal als Schurken erscheinen lassen. Hat der Dichter solche Ungereimtheiten gewollt? Oder hat er die unterschiedlichen Sagenstoffe - Burgundenkatastrophe, Siegfrieds Heldentaten, die Geschichten um Dietrich von Bern -, deren historische Kerne in der Völkerwanderungszeit liegen, einfach nicht in den Griff bekommen?

Der Frage, wer welche "Botschaft" mit diesem Großepos vermitteln wollte, nähert sich die neuere Forschung nur noch mit Vorsicht. Als gesichert kann immerhin gelten, dass das Nibelungenlied um 1200 entstand, nach vorherrschender Meinung am Hof des Passauer Bischofs Wolfger von Erla, der auch Walther von der Vogelweide förderte. Für ihn als Mäzen spricht, dass sowohl das Bistum als auch ein Amtsvorgänger Wolfgers aus dem 10. Jahrhundert, Bischof Pilgrim, im Nibelungenlied eine wichtige Rolle spielen, was sich aus der Handlung selbst nicht begründen lässt. Möglicherweise verknüpfte schon Pilgrim, dessen Familie sich auf das Geschlecht der Nibelungen zurückführte, die Sage mit Passau. Wolfger gab dann das Epos in Auftrag, um das Bistum mit einer altehrwürdigen Tradition zu veredeln.

Das Nibelungenlied wurde eifrig kopiert, überarbeitet, verändert. Die chronologische und textliche Einordnung der sechsunddreißig erhaltenen Handschriften hat etliche Philologen-Generationen in Atem gehalten, die aus sprachlichen Merkmalen, Schriftformen, Pergamenteigenschaften und inhaltlichen Indizien einen "Stammbaum" der Überlieferung zusammengesetzt haben. Welche der drei verschiedenen Textversionen, die sich aus der Überlieferung herausgeschält haben, am Anfang stand, ist allerdings umstritten. Die älteste der erhaltenen Handschriften kann nicht automatisch auch als die Urfassung gelten, da auch sie erst einige Zeit nach der Abfassung des Werks entstand.

In dieser unübersichtlichen Situation wirkt das Buch der Brüder Breuer auf den ersten Blick wie ein Befreiungsschlag. Mit textkritischen Details halten sich die Autoren nicht lange auf. So erfährt der Leser nur in einer knappen Fußnote, dass sie ihren Darlegungen die sogenannte Handschrift C zugrunde legen. Dass diese Entscheidung problematisch ist,wenn man etwas über die Absichten des Nibelungendichters herausfinden will, weil viele Experten den Text für eine Bearbeitung älterer Versionen halten, bleibt dem Leser aber verborgen - es sei denn, er arbeitet sich durch frühere Publikationen der Breuers und die kritischen Entgegnungen darauf. Ihre Deutungen tragen die Autoren mit großer Bestimmtheit vor: Indem sie das Nibelungenlied als Schlüsselroman lesen, weisen sie jeder Figur, jedem Ort, jedem Handlungsstrang die Funktion von Chiffren zu, die sich zu einem düsteren Spiegel der zeitgenössischen Politik fügen.

Im Breuerschen Szenario verbergen sich hinter den Burgunden die Staufer, die durch ihre selbstherrliche Großmachtpolitik die Gefahr ihres Untergangs heraufbeschwören und mit ihren Kreuzzügen viele Ritter in den Tod führen. Kriemhild steht für Beatrix von Burgund, die Frau Barbarossas, während Hagen ein Deckname für Heinrich von Kalden ist, der den staufischen Königen und Kaisern als Marschall diente. Hinter Siegfried wiederum verbirgt sich Richard Löwenherz, zugleich aber auch dessen Neffe Heinrich, der Sohn Heinrichs des Löwen. Königin Brünhild repräsentiert Konstanze von Sizilien, die Erbin des süditalienischen Normannenreiches und Ehefrau Kaiser Heinrichs VI. Im Nibelungenlied regiert Brünhild zwar Island, aber die mächtigen Burgen, die der Dichter erwähnt, machen klar, dass er eigentlich Palermo meint. Symbolpolitisch muss man auch Siegfrieds Brautwerbung für Gunther lesen, nämlich als Zusammenführung des staufischen und des normannischen Reiches, wobei die übernatürlichen Kräfte, die beim Wettkampf entfaltet werden, für die "gewaltigen Machtressourcen" dieser Reiche stehen.

Was man Dieter und Jürgen Breuer nicht vorwerfen kann, ist mangelnde geschichtswissenschaftliche Expertise: Für ihre Engführung von Nibelungen-Fiktion und staufischer Realität schöpfen sie aus einer beeindruckenden Fülle von Quellen, um den Leser über historische Personen, Dynastien und Ereignisse zu unterrichten. Aber die Autoren liefern keinen einzigen Beleg für die dichterische Verknüpfung dieser realen Ebene mit den Gestalten und Motiven des Nibelungenliedes. Ihre "Beweisführung" ist eine Kette von spekulativen Analogisierungen, Assoziationen und Zirkelschlüssen, die alles andere als zwingend sind.

Ähnlich verhält es sich mit der vermeintlichen Autorschaft Bliggers von Steinach: Hier führen die Autoren Gottfried von Straßburg an, der ein - nicht überliefertes - Epos Bliggers mit der Metapher des kunstvoll gewebten "umbehanc" (Wandteppich) rühmt. Zur Stützung ihrer Annahme, dass Gottfried damit das Nibelungenlied meint, führen die Autoren die "Schneiderstrophen" des Werks an, in denen die Fertigung kostbarer Gewänder geschildert wird. Der "umbehanc" soll auf diese Passagen anspielen.

Zwar schränken die Brüder Breuer ihre Aussagen gelegentlich durch den Konjunktiv oder durch ein "wohl" und "anscheinend" ein, doch das geschieht nur der Form halber. Die Art der Darstellung suggeriert, dass ihre Deutung alternativlos ist. Ein argumentierendes Abwägen unterschiedlicher Deutungsmöglichkeiten findet kaum statt. Zwar kann man ihre Thesen im strengen Sinne nicht widerlegen, aber darum ist entscheidend, wie plausibel die Annahme eines nibelungischen "Schlüsselromans" überhaupt ist. Die Indizien, die die Autoren anführen, um eine entsprechende Absicht des Nibelungendichters zu belegen, sind mehr als dünn: Als es um die Hochzeit Etzels und Kriemhilds geht, erklärt der Dichter, er wisse nicht, ob je ein König "in Wirklichkeit oder in der Sage" prächtiger gefeiert habe. Aus der formelhaften Benennung von Realität und Fiktion an dieser einen Stelle - die sich zudem nicht in allen Liedfassungen findet - leiten die Autoren ein ganzes dichterisches Programm ab, das darauf abzielen soll, die Wirklichkeit durch Sagenstoffe verschleiert zu schildern.

Die Rezeptionsgeschichte des Nibelungenliedes gibt Hinweise darauf, dass das, was die Menschen des Mittelalters darin vor allem bewegte, keine verdeckten politischen Botschaften waren, sondern die moralisch-religiöse Beurteilung der zwischen Gut und Böse oszillierenden Figuren, vor allem Kriemhilds und Hagens. Doch selbst wenn man die grundsätzliche Möglichkeit eines politischen Schlüsselromans einräumte - wie wahrscheinlich wäre es, dass ihm eine solch ausgeklügelte, extrem verzweigte und zugleich selektive Allegorie zugrunde läge, wie sie die Breuers postulieren? Verstehen könnte sie ja nur ein Publikum, das aus Super-Dechiffrierern besteht, die das Nibelungenlied mit den Augen der Breuers und versehen mit all ihren Hintergrundannahmen lesen.

Allein Exegeten dieses Schlages wären in der Lage gewesen, ein solches kaum überschaubares Geflecht aus Anspielungen und Analogien zu entschlüsseln, das ja nicht nur die politischen und dynastischen Verhältnisse im Europa ihrer Gegenwart umfasst, sondern mehrere Jahrhunderte zurück bis in die Zeit der Merowinger gereicht hätte. Was die Autoren bei ihrem Bemühen, für alle Elemente des Nibelungenliedes historische Entsprechungen zu finden, im Übrigen völlig ausblenden, sind seine literarischen Produktionsbedingungen. Viele der strukturellen und inhaltlichen Besonderheiten lassen sich daraus erklären, dass der Dichter die Erfordernisse unterschiedlicher Sagentraditionen mit den Gattungsregeln hochmittelalterlicher Heldenepik vereinen musste.

Interpretationen wie die von Dieter und Jürgen Breuer funktionieren ähnlich wie Verschwörungstheorien: Sie folgen einer Hermeneutik, bei der ein vorher schon feststehendes Ergebnis die Auswahl der Aspekte und ihre Deutung steuert. Zu erleben, wie dann all diese Puzzleteile perfekt zusammenpassen, ist zwar spektakulärer als die philologische Kleingärtnerei, wie sie in der Nibelungenforschung sonst vorherrscht. Aber im Zweifelsfall verdient diese dann doch den Vorzug.

WOLFGANG KRISCHKE

Dieter Breuer und Jürgen Breuer: "Mit warheit oder nach sage". "Nibelungenlied" und Kreuzzüge. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2014. 200 S., geb., 29,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nur auf den ersten Blick ist Dieter und Jürgen Breuers Buch "Mit warheit oder nach sage" ein Befreiungsschlag in der Nibelungen-Forschung, warnt Wolfgang Krischke, der noch einmal die textkritischen Schwierigkeiten in Erinnerung ruft, bevor er die These der Breuers, wonach das ganze Lied eine politische Allegorie bildet, die ihre Entsprechung in dem Machtgefüge zwischen Staufen und Normannen findet, infrage stellt. Es gebe nirgendwo im Buch mehr als schwache Indizien, eine "Kette von spekulativen Analogisierungen, Assoziationen und Zirkelschlüssen", deren Ziel von vorneherein feststehe, erklärt der Rezensent. Die Autoren praktizieren gewissermaßen Hermeneutik nach dem Vorbild von Verschwörungstheorien, schließt Krischke.

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