Basil Seal, Salonlöwe und Tunichtgut, sorgt für Turbulenzen, wo auch immer er auftaucht - sehr zur Verzweiflung der drei Frauen in seinem Leben, seiner Schwester, seiner Mutter und seiner Geliebten. Als Neville Chamberlain Deutschland 1939 den Krieg erklärt, scheint ihm das die perfekte Gelegenheit für ein wenig Action und Abenteuer. Basil folgt also mit wehenden Fahnen dem Ruf zu den Waffen. Doch zunächst passiert erst einmal gar nichts - Europa ist erstarrt im sogenannten Sitzkrieg. Wann kommt endlich Basil Seals große Chance, ein Held zu werden?
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.03.2015NEUE TASCHENBÜCHER
Eine Gasmaske für Mylady
– Evelyn Waughs „Mit wehenden Fahnen“
England 1939. Im Alltag der Upperclass macht sich der Krieg zunächst nur durch die Einquartierung von Frauen und Kindern aus dem industrialisierten Norden auf den ländlichen Herrensitzen bemerkbar. Und durch die Pflicht zur Verdunklung, weshalb sich Londoner auf ihren nächtlichen Vergnügungstouren „an den Uniformknöpfen der Türsteher orientierten“, um sich zu ihrem Ziel zu tasten. Einrückende Reserveoffiziere erinnern sich, ihr Fernglas an die Pfadfinder ausgeliehen zu haben, und die Armeepistole entdeckt das Kindermädchen hinter der Spielzeugkommode. „Werden Sie Ihre Gasmaske benötigen, Mylady?“ – mit solchen Sätzen lässt sich jetzt der Butler vernehmen. Die Jeunesse dorée fasst die Situation so zusammen: „Der Krieg scheint ja überwiegend aus Herumhängen zu bestehen. Dann sollten wir wenigstens mit unseren Freunden herumhängen.“
Evelyn Waughs Roman „Mit wehenden Fahnen“ (1942) ist ein sarkastisches Sittenbild seines Landes im ersten Kriegsjahr – auch im Ausnahmezustand befangen in insularer Exzentrik und kolonialem Dünkel. Im Mittelpunkt steht Basil Seal, ein ruchloser Nichtsnutz, der längst im Gefängnis säße, wenn er in eine andere Klasse hineingeboren worden wäre. Nachdem das Kriegsministerium nicht auf seinen Rat hört, die Annexion Liberias sei der sicherste Weg, Hitler in die Knie zu zwingen, benutzt er Flüchtlingskinder, um Geld von den Nachbarn zu erpressen, denen bald jeder Preis recht ist, die Quälgeister wieder los zu werden. Und er denunziert einen jüdischen Schriftstellerfreund, den er zuvor animiert hatte, seinen homoerotischen Roman über die Hitlerjugend im Sinne der NS-Propaganda anzuschärfen.
Am Ende steht der Feind keine 25 Meilen vor der Küste einem wehrlosen Land gegenüber, das sich in Verkennung der eigenen Lage freut, dass Frankreich, sein einziger Verbündeter, einen „Abgang“ gemacht hat. Erst jetzt sehen die Décadents ein, dass eseine Aufgabe für sie gibt: „Deutsche abzuknallen.“ Evelyn Waugh (1903-1966) selbst hatte sich gleich 1939 freiwillig gemeldet. CHRISTOPHER SCHMIDT
Evelyn Waugh : Mit wehenden Fahnen. Roman. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Diogenes Verlag, Zürich 2015. 320 Seiten, 10,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Eine Gasmaske für Mylady
– Evelyn Waughs „Mit wehenden Fahnen“
England 1939. Im Alltag der Upperclass macht sich der Krieg zunächst nur durch die Einquartierung von Frauen und Kindern aus dem industrialisierten Norden auf den ländlichen Herrensitzen bemerkbar. Und durch die Pflicht zur Verdunklung, weshalb sich Londoner auf ihren nächtlichen Vergnügungstouren „an den Uniformknöpfen der Türsteher orientierten“, um sich zu ihrem Ziel zu tasten. Einrückende Reserveoffiziere erinnern sich, ihr Fernglas an die Pfadfinder ausgeliehen zu haben, und die Armeepistole entdeckt das Kindermädchen hinter der Spielzeugkommode. „Werden Sie Ihre Gasmaske benötigen, Mylady?“ – mit solchen Sätzen lässt sich jetzt der Butler vernehmen. Die Jeunesse dorée fasst die Situation so zusammen: „Der Krieg scheint ja überwiegend aus Herumhängen zu bestehen. Dann sollten wir wenigstens mit unseren Freunden herumhängen.“
Evelyn Waughs Roman „Mit wehenden Fahnen“ (1942) ist ein sarkastisches Sittenbild seines Landes im ersten Kriegsjahr – auch im Ausnahmezustand befangen in insularer Exzentrik und kolonialem Dünkel. Im Mittelpunkt steht Basil Seal, ein ruchloser Nichtsnutz, der längst im Gefängnis säße, wenn er in eine andere Klasse hineingeboren worden wäre. Nachdem das Kriegsministerium nicht auf seinen Rat hört, die Annexion Liberias sei der sicherste Weg, Hitler in die Knie zu zwingen, benutzt er Flüchtlingskinder, um Geld von den Nachbarn zu erpressen, denen bald jeder Preis recht ist, die Quälgeister wieder los zu werden. Und er denunziert einen jüdischen Schriftstellerfreund, den er zuvor animiert hatte, seinen homoerotischen Roman über die Hitlerjugend im Sinne der NS-Propaganda anzuschärfen.
Am Ende steht der Feind keine 25 Meilen vor der Küste einem wehrlosen Land gegenüber, das sich in Verkennung der eigenen Lage freut, dass Frankreich, sein einziger Verbündeter, einen „Abgang“ gemacht hat. Erst jetzt sehen die Décadents ein, dass eseine Aufgabe für sie gibt: „Deutsche abzuknallen.“ Evelyn Waugh (1903-1966) selbst hatte sich gleich 1939 freiwillig gemeldet. CHRISTOPHER SCHMIDT
Evelyn Waugh : Mit wehenden Fahnen. Roman. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Diogenes Verlag, Zürich 2015. 320 Seiten, 10,90 Euro.
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»Einer der großen Meister der englischen Prosa... Es ist nie zu spät, Evelyn Waugh zu lesen oder wiederzulesen.« Time Magazine Time Magazine