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»Wir haben auch Champagner«, lautete eine journalistische Bilanz des ersten Jahres von Walter Scheel als Bundespräsident. Ist es möglich, dass es zum Wohle des Staates offiziell keinen heimischen Wein gegeben haben sollte? Dieser Frage und dem Verhältnis von Wein und Staat, Protokoll und Politik geht Knut Bergmann vor allem anhand der Staatsbankette der Bundesrepublik Deutschland nach. Er wirft einen Blick in die Gläser, auf die Teller und hinter die Kulissen des Staatstheaters und erforscht die vom ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss in Sachen Staatsrepräsentation formulierte Maßgabe vom…mehr

Produktbeschreibung
»Wir haben auch Champagner«, lautete eine journalistische Bilanz des ersten Jahres von Walter Scheel als Bundespräsident. Ist es möglich, dass es zum Wohle des Staates offiziell keinen heimischen Wein gegeben haben sollte? Dieser Frage und dem Verhältnis von Wein und Staat, Protokoll und Politik geht Knut Bergmann vor allem anhand der Staatsbankette der Bundesrepublik Deutschland nach. Er wirft einen Blick in die Gläser, auf die Teller und hinter die Kulissen des Staatstheaters und erforscht die vom ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss in Sachen Staatsrepräsentation formulierte Maßgabe vom »Pathos der Nüchternheit«. Der Wein und darüber hinaus das Essen samt der Tischkultur wie das Zeremoniell, spiegeln einen Teil der Kulturgeschichte unseres Landes wider: Mit Wein lässt sich Staat machen.

»Ein großartiges Buch, ja ein Leckerbissen für alle, die ein Interesse an Protokoll, Zeitgeschichte und vor allem an gutem Wein haben und über Sinn für Humor verfügen.« Bernhard von der Planitz (Protokollchef der Bundesregierung von 1996-2000 und 2003-2006)
Autorenporträt
Bergmann, KnutKnut Bergmann studierte Politische Wissenschaften, Psychologie und Öffentliches Recht an der Universität Bonn, wo er 2002 mit einer Gesamtdarstellung des Bundestagswahlkampfes 1998 promoviert wurde. Anschließend war er u. a. Grundsatzreferent im Bundespräsidialamt und Redenschreiber des Bundestagspräsidenten, seit 2012 arbeitet er für ein Wirtschaftsforschungsinstitut in Köln und Berlin. Daneben lehrt er im Master-Studiengang Public History an der Freien Universität Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2018

Selbstmord mit Messer und Gabel

Politische Lebenskunst und staatsmännische Umgangsformen drücken sich auch auf der Weinkarte aus: Knut Bergmann weiß, wie in Deutschland mit Staatsbanketten Politik gemacht wurde.

Konrad Adenauer wusste, wie man den Sturz eines ungeliebten Nachfolgers begeht: "Vater hat sich", notierte sein Sohn im Tagebuch, "für heute Abend eine gute Flasche Wein geben lassen, um darauf einen Schluck zu trinken, dass Erhard endlich weg ist." Schon die Amtsübergabe wurde von einem Trinkritual eingeleitet. Zu seinem letzten offiziellen Gast, dem belgischen Premierminister, meinte Adenauer, im Keller befänden sich noch acht Flaschen Trockenbeerenauslese, die würden sie jetzt gemeinsam austrinken, denn "für den Herrn Erhard - der versteht ja nichts von Wein - sind die zu schade".

Wer an derlei politisch-vinologischen Anekdoten seine Freude hat, wird in Knut Bergmanns Buch "Mit Wein Staat machen" reiche Funde machen. Aber dem Autor geht es natürlich um mehr. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland soll hier erzählt werden, in der das kulinarische Zeremoniell der Staatsbankette und Empfänge nicht bloßes Beiwerk diplomatischer Beziehungen, sondern Hauptgegenstand der Betrachtung ist. Was hierzulande einen neuen Blickwinkel verheißt, ist in anderen Ländern längst etabliert. Vor allem in Frankreich, wo Ausstellungen wie "À la table des présidents" und Sammelbände wie "À la table des diplomates" ganz selbstverständlich Teil der historischen Perspektive sind.

Während man dort an der Eignung eines Weinverächters wie Nicolas Sarkozy für das höchste Amt im Staate zweifelte, gilt gustatorische Kennerschaft hierzulande eher als verdächtig, wie zuletzt Peer Steinbrück erfahren musste, der keinen Pinot Grigio unter fünf Euro trinken wollte. Dementsprechend spielt das Essen, vor allem aber das Trinken in den Biographien und Erinnerungen deutscher Staatsmänner kaum eine Rolle.

Knut Bergmann erklärt diese genussfremde Haltung mit ohnehin nicht sonderlich ausgeprägten kulinarischen Gepflogenheiten, aber auch mit der geschichtlichen Konstellation der Nachkriegszeit, als beide deutsche Staaten sich behutsam wieder in die internationale Gemeinschaft einzugliedern versuchten. Hier war eher Solidität als Opulenz gefragt, Experimente und Extravaganzen wurden vermieden, vor allem wollte man nichts falsch machen. Der "staatsoffizielle Wein", so der Autor, liefere "ein Abbild der bundesrepublikanischen Repräsentationsgeschichte samt ihrer Traditionslinien, mehrfachen Unsicherheiten sowie dem neuerweckten Selbstbewusstsein".

Dass Letzteres auch zu Beginn des neuen Jahrtausends nicht auf patriotischen Prunk hinauslief, belegt die Bemerkung des Amtschefs von Bundespräsident Johannes Rau, hinsichtlich ihrer repräsentativen Möglichkeiten sei die Bundesrepublik "bei Slowenien und Rumänien einzuordnen".

Dem Wein kommt im Rahmen staatlicher Selbstdarstellung mindestens eine doppelte Funktion zu - als Statussymbol, dessen Qualität und Kostspieligkeit die Wertschätzung des Gastes zum Ausdruck bringt, und als Möglichkeit der Selbstdarstellung eines Landes, das die Güte seiner Produkte zur Geltung bringen will. Bergmann zeichnet mit einiger Liebe zum Detail nach, wie sich etwa das Verhältnis der ausgeschenkten einheimischen Gewächse im Vergleich zu ausländischen im Lauf der Zeit veränderte. Dabei gelingt ihm auch eine kleine Geschichte des deutschen Weinbaus seit dem Krieg.

Ein neues Qualitätsbewusstsein der Winzer und der Klimawandel sorgten dafür, dass bei offiziellen Anlässen zunehmend auf deutschen Schaum-, Weiß- und auch Rotwein gesetzt werden konnte. Die betreffenden Weingüter, Jahrgänge und Lagen vermerkt der Autor mit protokollarischer Genauigkeit. Ein grundsätzliches vinologisches Interesse und eine gewisse Vertrautheit mit den deutschen Anbaugebieten sollte man bei der Lektüre mitbringen. Wer bei Lagenbezeichnungen wie Gündelbacher Wachtkopf, Oberbergener Baßgeige und Wachenheimer Gerümpel eher an Loriot denkt, wird viele der Auflistungen bestenfalls überfliegen. Die Gründlichkeit des Verfassers zeugt jedenfalls von wahrer Passion und jahrelanger Beschäftigung mit dem Thema. Selbst Schreibfehler auf Menükarten werden erwähnt und korrigiert.

An besonderer Prägnanz gewinnt die Darstellung immer dann, wenn sie zeitgeschichtlichen Hintergrund, protokollarische Inszenierung und persönliche Präferenzen ineinander blendet. Dabei gelingt dann tatsächlich eine andere Geschichte dieses Landes, eine Beschreibung jener culinary diplomacy, die Wein (oder andere alkoholische Getränke) als staatsmännisches Mittel einsetzt, um Nähe und Vertrauen aufzubauen. Den Staatsbesuchen Leonid Breschnews ist unter der Überschrift "Trinken mit Russen" ein eigenes Kapitel gewidmet. Auch der "Wein der DDR" bleibt nicht unbehandelt. Ulbricht, erfährt man, bevorzugte Beaujolais, Honecker wiederum bekam von Franz Josef Strauß ein Paket mit fünfzig fränkischen Weißweinen geschenkt.

Die einheimischen Trauben der DDR blieben dagegen eher Bückware. Und auch wenn die Erträge der kleinen Anbaugebiete an Saale-Unstrut und im Elbtal nicht an westdeutsche Qualitäten und Kapazitäten heranreichten, besser als die meisten importierten Tropfen aus den Bruderländern waren sie allemal: "Armseliger als die bulgarische ,Targowischter Eselsmilch', die der finnische Präsident Urho Kekkonen im September 1977 verdammt war zu trinken, kann kaum ein DDR-Wein gewesen sein."

Knut Bergmann hat eine kenntnisreiche, kluge und immer wieder auch unterhaltsam zu lesende Geschichte von Wein und Sekt in diplomatischen Diensten geschrieben und damit, ähnlich wie vor Jahren Asfa-Wossen Asserates Manieren-Buch, die nicht eben übervolle Bibliothek der (politischen) Lebenskunst und (staatsmännischen) Umgangsformen in diesem Land um einen wichtigen Band bereichert. Sein Verhältnis zu Protokoll und Zeremoniell rückt dabei so manchen Politiker in ein neues Licht: Für Gustav Heinemann war ein Staatsbankett "Selbstmord mit Messer und Gabel", Willy Brandt oder Helmut Schmidt hatten kein innigeres Verhältnis zum Protokollarischen.

Walter Scheel hingegen werde ob seines gehobenen Lebenswandels und seiner Neigung zum Repräsentativen politisch noch immer unterschätzt. Das von Theodor Heuss ausgerufene "Pathos der Nüchternheit" war eben nicht jedermanns Sache. Theodor Heuss, der erste Bundespräsident der jungen Demokratie, fand erst nach einer abendlichen Flasche Lemberger zu dem, was er "produktive Gemütlichkeit" nannte.

MATTHIAS WEICHELT

Knut Bergmann:

"Mit Wein Staat machen". Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Insel Verlag, Berlin 2018. 366 S., geb., 25,- [Euro].

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»Der Umgang von Kanzlern und Präsidenten mit Wein und Sekt hat die Geschichte der Bundesrepublik stärker geprägt als bislang bekannt.«
Konstantin von Hammerstein, DER SPIEGEL 18.08.2018