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Major Anthonys Frau wünscht sich ein Kind, aber es klappt nicht. Ließe sich beim Kampf gegen die Guerilleros nicht ein Kind beschaffen? In einem gottverlassenen Ort irgendwo in Südamerika macht Major Anthony seiner Frau das Mädchen Lina zum Geschenk. Doch Liebe auf Kommando, so funktioniert das nicht.

Produktbeschreibung
Major Anthonys Frau wünscht sich ein Kind, aber es klappt nicht. Ließe sich beim Kampf gegen die Guerilleros nicht ein Kind beschaffen? In einem gottverlassenen Ort irgendwo in Südamerika macht Major Anthony seiner Frau das Mädchen Lina zum Geschenk. Doch Liebe auf Kommando, so funktioniert das nicht.
Autorenporträt
Arnon Grünberg, 1971 in Amsterdam geboren, lebt und schreibt in New York. Neben allen großen niederländischen Literaturpreisen wie dem Anton-Wachter-Preis, dem AKO-Literaturpreis, dem Libripreis und dem Constantijn-Huygens-Preis für sein Gesamtwerk erhielt Arnon Grünberg 2002 den NRW-Literaturpreis.
Neben seinen literarischen Arbeiten verfasst er einen täglichen Blog und ist in den Niederlanden bekannt für seine Kolumnen und Reportagen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2010

Kriegserklärung an die Menschlichkeit

Ein Soldat, ein verwaistes Kind: Mit diesen Figuren gestaltet Arnon Grünberg einen erschütternden Roman über den Verlust der Humanität.

Von Jan Wiele

Es sind oft die eindringlichsten Bücher, deren Lektüre zunächst ein Ärgernis darstellt. So verhält es sich auch mit Arnon Grünbergs neuem Roman. Handlungsort ist ein nicht näher bezeichnetes südamerikanisches Land, es herrscht Bürgerkrieg.

Man ärgert sich, weil die Hauptfigur Major Anthony, ein Angehöriger der Militärregierung, gleich zu Beginn derart entlarvend und holzschnitthaft charakterisiert wird, dass man sich fragt, wie mit diesem Mann noch ein Roman zu machen sei: Angst, so heißt es etwa, ist für den Soldaten nur "eine besondere Form der Konzentration", und "Gefühle sind für zuhause". Ein reiner Pflichterfüller ist dieser Anthony, ein Befehlsausführer, angepasst den "Verhaltenslehren der Kälte", die für die Literatur der ungerührten Sachlichkeit gern in Anspruch genommen werden.

Wenn Grünberg den Mord an einem Ehepaar beschreibt, das, vom Militär der terroristischen Aktivitäten verdächtigt, nachts aus dem Bett gezerrt wird, dann geschieht dies mit besagter Kälte: Der erwachende Mann wird er von einem Soldaten einfach niedergemäht, und zwar dergestalt: "Ungenau schoss er, zielte nicht, er schoss wahllos, wie mit der Gießkanne. Wie ein anderer seinen Garten sprengt." Den verantwortlichen Major bewegt in dieser Situation nicht etwa Mitleid, sondern eher die Frage, wie man die Schweinerei am schnellsten bereinigen kann. Die Frau, die zunächst noch lebt und sich im Bett angeschossen "windet wie eine Schlange", muss ebenfalls kaltblütig aus dem Weg geräumt werden. Nur mit dem Kind, das sich ebenfalls in der Wohnung befindet, hat niemand gerechnet - und angesichts dieses nun verwaisten zehnjährigen Mädchens beginnt die Entwicklungsgeschichte des Majors, die bald einen erzählerischen Sog entwickelt und das Buch schließlich doch zu einer komplexen, spannenden Lektüre macht.

Sie beginnt nicht etwa mit einem raschen Sinneswandel, sondern es ist zunächst der pure Eigennutz, der Anthony dazu bewegt, das Mädchen Lina zu verschonen: Er möchte sie mit nach Hause nehmen und zu dem Kind machen, das er, zeugungsunfähig, mit seiner Frau nie bekommen konnte. Das Kind als Ehrenretter, als Motor zum Glück. Doch die Rechnung geht nicht auf: Anthonys Frau will von dem Kind nichts wissen, es am liebsten alsbald wieder loswerden. So landet Lina, die vom Tod der eigenen Eltern nichts weiß, bei einer Stiefmutter, die es nicht haben will.

Das Befremdlichste an Grünbergs Roman ist, wie der Major und seine Frau diesem Mädchen ungehemmt ihre Gedanken und Ansichten vermitteln: Dass es brav zu sein habe, weil es offiziell gar nicht mehr existiere, wird diesem Kind zum Beispiel etwa ins Gesicht gesagt. Hier beginnt man zu begreifen, warum Kälte die Stillage der Wahl sein muss: Der Text schildert die Pathologie von Menschen eines Landes im Kriegszustand, jeder Lebensbereich wird von Gewalt bestimmt - auch dann, wenn man nicht unmittelbar an der Front kämpft, sondern noch in scheinbarer Sicherheit in der Stadt lebt. Der Major und seine Frau sind deformierte Gestalten, dies wird auch in jener Szene deutlich, in der sich gescheiterter Sex, gescheiterte Liebe und hoffnungslose Existenz zu einer derart minutiösen Vorgangsbeschreibung verdichten, dass man den Effekt nur als Schock beschreiben kann. Hier erzählt Grünberg auf der Höhe seiner Geschichte und seines Könnens.

Das Mädchen Lina ist nun der Katalysator für einen Veränderungsprozess des Majors, der kurioserweise Reue aufgrund des "Gesetzesverstoßes" empfindet, das Kind gerettet zu haben. Als Kompensation dafür entschließt er sich, einen Konvoi in den Norden des Landes zu führen, um dort eingeschlossene Armee-Reste aus der Hand von Konterrevolutionären zu befreien. Schließlich landet Anthony in der Gefangenschaft der Rebellen. Dort erst geschieht es dann endlich: Den Major überkommt ein unerklärlicher Schmerz, der "größer ist als die Angst, mächtiger als alle taktischen und militärischen Überlegungen seines Lebens". Hier zeigt sich, nach fast vierhundert Seiten, zum ersten Mal die Menschlichkeit in einem barbarisch gewordenen Menschen.

Während der Kriegsverlauf sich am Ende zugunsten der Rebellen wendet, verschiebt sich der erzählerische Fokus auf das Schicksal Linas, die, zu ihrem Glück oder Unglück, ein zweites Mal verschont wird - das ist, mit einem Sprung drei Jahre nach vorn und ins Präsens, dann noch mal ein ganz eigener Roman von Zwangsumsiedlung, harter Arbeit und revolutionären Idealen.

Der 1971 geborene Niederländer Grünberg, der seit einigen Jahren in New York lebt, hat in die Komposition seines Buchs Erfahrungen als Kriegsreporter in Afghanistan und im Irak einfließen lassen. Das ist zum Verständnis zwar nicht unbedingt von Wichtigkeit, verleiht aber der Fiktion zusätzliche Schwere.

Bedrückend sind darüber hinaus, bei aller Vagheit des Settings, die heraufbeschworenen Parallelen zu den Geschichten der "Verschwundenen", wie es sie in den argentinischen oder chilenischen Militärdiktaturen zu Tausenden gegeben hat. Da heißt es dann im Roman lapidar: "Der Präsident hatte befohlen, die sterblichen Überreste verdächtiger Individuen nicht mehr den Hinterbliebenen zu übergeben."

Auf solche schmerzhaften Geschichtseinbrüche und auf solche Geschichten überhaupt muss man sich als Leser einlassen wollen - für das, was Grünberg beschreibt, kann es keine harmlose, keine schöne Sprache geben. Die ernüchternde Regel "Im Krieg wie im Krieg" gilt auch für die erzählerische Darstellung. Geht man auf diese Gefahr allerdings ein, wird man für den Einsatz belohnt.

Arnon Grünberg: "Mitgenommen". Roman. Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 742 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2011

Ein langer Ausweg
Schwäche in Uniform: Arnon Grünberg nimmt uns mit nach Südamerika
Rechtzeitig zum Buchmesseschwerpunkt Argentinien erschien im Herbst 2010 im Christoph-Links-Verlag Analia Argentos Reportagensammlung „Paula, du bist Laura“, in der es um die Schicksale von Kindern ging, die dort während der Militärdiktatur geraubt wurden. Schon Mario Vargas Llosas Klassiker „Das Grüne Haus“ (1965) begann mit einem Raub von Indiomädchen, der von katholischen Nonnen unter Militärschutz begangen wird. Als der 1971 in Amsterdam geborene Arnon Grünberg beschloss, einen Roman zu schreiben, in dem ein lateinamerikanischer Major versucht, dem ihm auf natürlichem Weg unerfüllbaren Kinderwunsch seiner Frau dadurch zu befriedigen, dass er ihr die Tochter eines gerade ermordeten Oppositionellenpaars „schenkt“, hätte er sich also an der Realität und der Literatur Südamerikas gleichermaßen orientieren können. Leider hat er weder das eine noch das andere getan. Seine Handlung hat er in ein Irgendwo verlagert, von dem er selbst nur vage Vorstellungen besitzt, wofür der Klappentexter den treffenden Ausdruck „Südamerika à la Grünberg“ geprägt hat. Und an der literarischen Form ist sein Roman auf weit mehr als 700 Seiten schmählich gescheitert, weil Grünberg seiner Geschichte weder tragfähige epische Strukturen noch ein glaubwürdiges Personal zu geben vermochte.
Unvermittelt springt der Romananfang in eine Szene, in der der voreilig als „Mörder von Lina Siñani Huancas Eltern“ eingeführte Major Anthony mit einem Kommandotrupp in die Wohnung eines verdächtigen Paars eingedrungen ist. Da steht er nun, wie ein Schauspieler, der seine Rolle noch nicht richtig erfasst hat, und ihm gegenüber steht die kleine Lina mit ihren langen Zöpfen. Da fängt der Major an zu denken und denkt zurück, wie er seine Karriere als „Späher“ begonnen und was man ihm als Kind ins Zeugnis geschrieben habe, und dass ein Soldat „einem höheren Ziel“ dienen müsse. Und schon ist die ganze Szene vermasselt, weil deren Dramatik und Fatalität dadurch konterkariert werden, dass Grünberg seinen Protagonisten hier eine biographische Grundausstattung memorieren lässt, die man an anderer Stelle und in anderer Form eleganter und komplexer hätte vermitteln können und sollen.
Schlimmer noch, man glaubt dem Erzähler nicht, dass er weiß, worüber er spricht. Ist es schon seltsam, dass ein Stabsoffizier ein subalternes Rollkommando leitet, so wächst bald der Eindruck, dass die Struktur und die Rangstufen einer Armee Grünberg entweder unbekannt oder egal sind. Der hysterische Soldat, der Linas Eltern erschießen wird, führt sich auf wie ein Rekrut, ist aber ein Korporal, also immerhin Unteroffizier. Und die grünen „Jungs“, die Major Anthony 300 Seiten später auf ein Himmelfahrtskommando begleiten werden, sind gar Sergeanten, sollten also schon ein paar Dienstjahre und mehrere Beförderungen hinter sich haben.
Dass Arnon Grünberg mit Major Anthony eine schwache Persönlichkeit im Korsett ihrer Uniform zeigen will, wird schnell klar, aber dann müsste die Uniform auch stimmen und passen. Und besteht die Tragödie der Waisen Lateinamerikas darin, die falschen Eltern für ihre richtigen gehalten zu haben, so kommt eine solche Beziehung hier gar nicht zustande, weil es Grünbergs Gestalten an psychologischer Subtilität fehlt. Auch sollten selbst in einem dicken Roman keine funktionslosen Objekte herumstehen, die den Eindruck erwecken, man habe ihn gedankenlos damit ausstaffiert. Gleich im zweiten Absatz etwa fällt der Blick des Majors auf einen Holztisch, wo eine Pfanne steht, in der er „die angebrannten Reste eines Eintopfs“ zu erkennen meint. Schön, dass Grünbergs „Späher“ solchen Blick für Details hat, aber wenn er der wäre, als den der Autor ihn zeigen will, wäre nun der Platz für eine Bemerkung über „kommunistische Sauwirtschaft“ oder Ähnliches, bei der nachts noch dreckiges Geschirr herumstehe. Aber als Grünberg Lina später daran zurückdenken lässt, was für eine „ordentliche Hausfrau“ ihre Mutter war, scheint er die unabgeräumten Essensreste schon vergessen zu haben. Stattdessen ist nun viel von Versorgungsengpässen die Rede, und man wundert sich darüber, dass Linas ordentliche aber arme Mutter überhaupt mehr „Reis mit etwas Fleisch“ in der Pfanne hatte, als die Familie aufessen konnte.
Was einen dann schon nicht mehr wundert ist, dass die Frau des Majors beim Anblick „ihrer“ Tochter hysterisch zu kreischen beginnt, dass andere Erwachsene sich gegenüber der Kleinen teils pädophil, teils imbezil aufführen und dass Anthony bei einem Guerilla-Angriff auf eine von ihm geleitete Kolonne abwechselnd Zimtschnecken verteilt und Leichenteile einsammelt. Das weitere Schicksal Linas nimmt man dann nur noch kopfschüttelnd zu Kenntnis, denn Arno Grünbergs Versuch, mal eben genialisch improvisiert einen großen Lateinamerika-Roman zu schreiben, ist ihm so grotesk missglückt, dass eine Flucht ins Groteske wohl der einzige Ausweg war. Aber musste dieser Ausweg so lang werden?
ULRICH BARON
ARNON GRÜNBERG: Mitgenommen. Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten. Diogenes Verlag, Zürich 2010. 742 Seiten, 22,90 Euro.
Ordentliche Hausfrau,
arme Familie – woher kommen
bloß die Essensreste im Topf?
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Sven Hanuschek hat Arnon Grünbergs Darstellung des grausamen und stumpfsinnigen Protagonisten Major Anthony, der in einem blutigen südamerikanischen Bürgerkrieg seine brutale Pflicht erfüllt, interessanterweise als "kurzweilig" empfunden. Der Autor Arnon Grünberg, der unter anderem Journalist in Afghanistan und Irak war und außerdem in Krisenregionen von Südamerika recherchiert hat, schildert in einfacher Sprache die zwischen Dumpfheit und kitschigen Familienträumen changierenden Gedanken seiner Hauptfigur und zieht seine Leser damit durchaus in Bann, lobt der Rezensent. Besonders der mit Hartnäckigkeit verfolgte Traum des Majors vom eigenen Swimmingpool amüsiert Hanuschek. Er findet diese Charakterstudie eines Berufsmörders durchaus gelungen. Das Mädchen, das sich der kinderlos verheiratete Major von einem ermordeten Ehepaar als Tochter "mitgenommen" hat und das durch die erlebten Traumata lebenslang geprägt wird, ist der zweite Erzählstrang dieses Romans und hier stört den Rezensenten zwar, dass Grünberg für ihre Gedankenwelt (wie überhaupt für alle auftretenden Personen) die gleiche Sprache wählt wie schon für den Major. Dafür sieht er sehr plastisch dargestellt, was ein Mensch alles aushalten kann und wie es ihn determiniert.

© Perlentaucher Medien GmbH