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Bedingungslose Hingabe an ihren Freund ist Aloes Wunsch. Aber Lukas, Astronom von Beruf, denkt in intergalaktischen Entfernungen, weniger in alltäglicher Nähe. Und Aloe, so aufgeklärt sie ist, leidet unter den Heimlichkeiten ihrer Kindheit: Was verbirgt sich hinter der seltsamen Schönheit ihrer Schwester? Wenn sie mehr und mehr abnimmt, kann Aloe aussehen wie die Schwester, vielleicht kann Aloe dann auch fühlen wie sie.

Produktbeschreibung
Bedingungslose Hingabe an ihren Freund ist Aloes Wunsch. Aber Lukas, Astronom von Beruf, denkt in intergalaktischen Entfernungen, weniger in alltäglicher Nähe. Und Aloe, so aufgeklärt sie ist, leidet unter den Heimlichkeiten ihrer Kindheit: Was verbirgt sich hinter der seltsamen Schönheit ihrer Schwester? Wenn sie mehr und mehr abnimmt, kann Aloe aussehen wie die Schwester, vielleicht kann Aloe dann auch fühlen wie sie.

Autorenporträt
Draesner, Ulrike§Ulrike Draesner, 1962 in München geboren, eine der profiliertesten deutschsprachigen Autorinnen, lebt in Berlin und Leipzig. Sie schreibt Romane, Erzählungen, Essays und Gedichte und interessiert sich für Naturwissenschaften ebenso wie für kulturelle Debatten. Für ihre Romane und Gedichte wurde Ulrike Draesner mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Gertrud-Kolmar-Preis (2019), dem Nicolas-Born-Preis (2016), dem Usedomer Literaturpreis (2015), dem Joachim-Ringelnatz-Preis für Lyrik (2014), dem Roswitha-Preis (2013), dem Solothurner Literaturpreis (2010) und dem Drostepreis (2006). Von 2015-2017 lehrte und lebte sie an der Universität Oxford, seit April 2018 ist sie Professorin am Deutschen Literaturinstitut der Universität Leipzig.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.05.2002

Anfechtungen
„Mitgift”: Ulrike Draesner schreibt
einen Magersuchtsroman
Jetzt sind auch die Frauen soweit. Mitten im natürlichsten aller Zustände, in dem sie sich sonst selig verströmten, begutachten sie fachmännisch das Doppelbildnis auf ihrem Lager, als stünde wie sonst ihre Kompetenz als Kunsthistorikerin auf dem Spiel. Der Fähigkeit, mitten in konvulsivischen Zuständen Geometrieaufgaben lösen zu können, rühmten sich in aufklärerischen Zeiten Männer wie Rivarol, die einen Ruf als geistreiche Köpfe zu verlieren hatten. Heute ist der ständige Gebrauch des Verstandes weit verbreitet, auch unter Frauen.
Ulrike Draesner schreibt einen Roman über die Anfechtungen des geistigen Menschen im Reich der Sinne. Der Stoff ist ein Übungsplatz für komödiantische Talente, liebeskranke Moralapostel, schiffbrüchige Gelehrte. Allerdings hat sich die Welt inzwischen mehrfach um ihre Achse gedreht. Unterwegs ist dem Eros sein Zauber ausgetrieben worden, die Metaphysik, die Mystik, die Metapher. Sein trauriges Schicksal besiegeln Romanfiguren wie Aloe und Lukas, die das reproduktive Liebeskonzept des bürgerlichen Patriarchats debattieren und gleichzeitig auf den Kopf stellen.
Beischlaf, die Qualität englischer Kondome, Chromosomenabschnitte, lesbische Sexualpraktiken, die femininen Intimitäten, all das gehört zum festen Bestand ihres diskursiven und intuitiven Alltags. Sie studieren in Oxford, lesen Scientific American und zitieren, wenn ein Fluß in Sicht kommt, Heraklit. Allenfalls verirren sie sich in die Nebelschwaden unmittelbaren Lebens, wenn sie ihrer Begierde nachgehen.
Draesners Roman ist auf dem besten Weg, irgendwo zwischen Oxford und Berlin zwischen fortgeworfenen Kondomen und Tampons zu versiegen. Da taucht aus dem kleinbürgerlichen Hinterhalt die Mitgift auf. Die Mitgift heißt Anita. Anita ist die androgyne Schwester Aloes, ein Hermaphrodit, schön, operativ verwandelt, in Amerika verheiratet und Mutter eines Sohns.
Die Rekonstruktion des Falls und umfassende Erhebungen zu seiner psychischen, biologischen, sozialen und kulturgeschichtlichen Problematik sind Teil der erzählerischen Schaltanlage, die Gegenwart und Vergangenheit engführt. Die Autorin versucht nach Kräften, ihre Romanwelt in figürliche Gegensätze, narrative Gegenläufe zu ordnen. Der innere Gegenverkehr soll als Strukturprinzip den Stoff bündeln, seinen Wildwuchs hemmen und die Figuren spiegelbildlich verklammern. Es hilft nichts. Längst hat der Roman triviale Schlagseite.
Sein abenteuerliches Pensum ist zu groß, die Fall- und Steighöhe des Magersuchtsdramas, die Monstergeschichte der Schwester, die sich zur Rückverwandlung entschließt und von ihrem verschmähten Ehemann ermordet wird. Bloß schade um den gescheiten Exkurs über Bildlichkeit, Fotoästhetik und plastische Imagination, der dem Roman seine schönsten Passagen beschert, seine Landschaftsmalerei.
SIBYLLE CRAMER
ULRIKE DRAESNER: Mitgift. Roman. Luchterhand Verlag, München 2002. 381 Seiten, 22, 50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Huch, das ist ja ganz cyberhaft!
Im Hormongestöber: Ulrike Draesner / Von Friedmar Apel

Wer in die Sterne schaut, sieht nichts als Vergangenheit, aber auch das vor Augen liegende Gegenwärtige kann sich Lichtjahre entfernen. Daß das Sichtbare dieser Welt den Menschen angeht, daß die intensive Wahrnehmung des bunten Lebens vermittelt, was zu wissen sich lohnt, ist die Hoffnung der Kunsthistorikerin und Photographin Aloe. Gegen ihre Absicht verliebt sie sich in den Astrophysiker Lukas, dem es um "Konstellationen, Verhältnisse und Wechselwirkungen" geht. Ihre Liebesgeschichte erzählt Ulrike Draesner als Drama der Sichtbarkeit, als Dialektik von Enthüllen und Verbergen der Körper.

Der erste Liebesakt spielt sich dabei als synästhetisches Spektakel ab, in dem sich aber das Verhältnis von Nähe und Ferne des anderen im befindlichen Blick schon zeigt: "Sie geriet in eine blättrige, fluoreszierende Welt. Als grüner Widerschein rutschte Lukas von ihr. Er floh, wurde dunkel, verfärbte sich rasend schnell, ein Chamäleon, aufgestört in seinem Baum. Aloe lauschte auf etwas, einen Flügelschlag, ein Echo des Waldes, in dem sie eben noch gewesen waren. Doch das Grün, das sie sah, war nur der Widerschein der Lampe im Flur." Einsamkeit, Verlassenheit und Traurigkeit begreift sie bald aus der Phänomenologie der Liebe selbst. Aber Wahrnehmung und Verstehen der eigenen Geschichte sind je schon miteinander verknüpft.

Nicht nur die moderne Naturwissenschaft, auch die Kunst hat es mit dem Unsichtbaren zu tun, und jede Geschichte entsteht aus dem Unerzählten und Verschwiegenen. Aloe und Lukas wissen zunächst nur altklug, daß sie "Erben" sind. Das Wort Mitgift hat für Aloe von vornherein ambivalente Leuchtkraft, aber woher ihre Enttäuschung rührt, weiß sie noch nicht. Mit der gleichen Intensität, mit der sie die Verschmelzung und Nähe gesucht hat, verlegt sie sich darauf, sich in ein Neutrum zu verwandeln. Das akribische Protokoll ihrer Magersucht bis zum Zusammenbruch wird sich im nachhinein als eine Geschichte versäumter Selbstwerdung und verweigerten Erzählens erweisen.

Aloe hat ein Familiengeheimnis inszeniert, indem sie sich ihrer schönen Schwester anverwandelte, die zur Scham ihrer Eltern als Hermaphrodit zur Welt kam. Schon diese Familiengeschichte aber war das Drama wechselseitig verfehlter Wahrnehmung. Doch vermeidet Aloe nach ihrer Gesundung durch "essen und reden" weiterhin den Kontakt mit der Schwester, setzt sich statt dessen mit dem Verhältnis des sichtbaren zum unsichtbaren Körper lediglich ästhetisch und theoretisch auseinander.

Die modernen Menschen Aloe und Lukas greifen dann zum ältesten Mittel der Stabilisierung einer Liebe. Aloe wird schwanger, aber auch das scheint verstrickt in die Mitgift, bezogen auf das, was im Garten der Kindheit vergraben wurde. Ihre medizinisch behandelte Schwester hat ein Kind schon zur Welt gebracht, noch einmal versucht Aloe ihr nachzukommen. Das Kind aber stirbt im Mutterleib, und die Liebe kann nicht sichtbar werden. Um so mehr ist Aloe auf den Boden ihrer Vergangenheit und ihre Schwester zurückverwiesen. "Ständig hatte sie das Gefühl, sie müsse dorthin laufen, wo die Frage herkam, um die Antwort auszubuddeln wie einen Knochen." Der Astronom aber kann nicht mehr oder will nicht mehr und flieht "auf leichten Füßen" ins Planetarium nach Chile, um in die Weltzeit zu blicken.

Aloe aber lernt nun Lebenszeit, der Sache und ihrer Schwester "ins Auge zu sehen". Die aber hat sich inzwischen entschlossen, die gesellschaftlich aufgedrängte Identität wieder abzustreifen: "Doch mir geht es gar nicht darum zurückzukehren. Ich kenne das auch alles, die neuen Authentizitätsauffassungen und Körpertheorien, Butler, Foucault, den ganzen postmodernen Auf- und Abwasch. Soll die Theorie sich nur in ihren Schleifen drehen, das macht ja Spaß, für sich genommen. Aber mir geht es ganz einfach um mein alltägliches Leben." Bevor die Schwester ihre Absichten verwirklichen kann, nimmt die Geschichte allerdings eine wenig alltägliche, etwas kolportagehafte Wendung, die dem Begriff der Mitgift die letzte Bedeutungsvariante abverlangt. Dieses leibhaftige Erbe kann Aloe nun endlich ohne Zögern annehmen, und vielleicht hat auch der Sternenforscher inzwischen etwas über Nähe gelernt.

Ulrike Draesner zeigt sich in ihrem zweiten Roman als Meisterin der Perspektiven und Blickwechsel. Sie versteht es, das sinnliche Erzählen bis über die Grenze der Pornographie und des gefühligen Kitschs zu treiben, um dann wieder ihre Personen kalt zu betrachten wie Versuchstiere im Glaskasten. Das Beschriebene ist dabei bis an den Rand der Überfrachtung wahrnehmungstheoretisch reflektiert. Die Liebe ist in diesem cyberfeministischen Roman ein Gefühl, ein symbolisch generalisierendes Kommunikationsmedium, eine graphische Struktur oder ein Hormongestöber. Ulrike Draesner hat eine Kunstsprache zur Perfektion entwickelt, die nichts verschmäht, was die Informationsgesellschaft zu bieten hat. Jugendsprache, Werbesprüche, Vulgärpsychologie, postmoderne Theorie, Großmuttersentenzen und Technologiejargon vereinigen sich zu einem ganz eigenen Idiom, das die Widersprüche der modernen Welt schneidend, lustvoll und oft witzig erscheinen läßt. Und doch stellt sich irgendwann bei der Lektüre durch die Cybersprache hindurch der Eindruck altmodischer Lebensklugkeit und Warmherzigkeit ein.

Ulrike Draesner: "Mitgift". Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2002. 378 S., geb., 22,50 .

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"Einer der intelligentesten Romane dieser Jahre."
(NZZ)