Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2021
Ein großer Familienroman, der die Spuren deutscher Geschichte sichtbar macht
Seit sieben Generationen in Folge bewirtschaften die Leebs ihren Hof in der niedersächsischen Provinz. Schließlich gilt es, das Familienerbe zu wahren - allen historischen Umbrüchen zum Trotz. Doch über die Opfer, die jeder Einzelne erbringen muss, wird geschwiegen. Henning Ahrens erzählt den Roman einer Familie und entwirft ein Panorama der ländlich-bäuerlichen Welt des 20. Jahrhunderts.
Gerda Derking kennt sich aus mit dem Sterben. Seit Jahren richtet sie die Toten des Dorfes her, doch in jenem August 1962 würde sie die Tür am liebsten gleich wieder schließen. Denn vor ihr steht Wilhelm Leeb - ausgerechnet er, der Gerda vor so vielen Jahren sitzen ließ, um sich die Tochter von Bauer Kruse mit der hohen Mitgift zu sichern. Wilhelm, der als überzeugter Nazi in den Krieg zog und erst nach Jahren der Kriegsgefangenschaft aus Polen zurückkehrte. Der gegen Frau und Kinder hart wurde, obwohl sie jahrelang geschuftet hatten, um Hof und Leben zu verteidigen. Doch nun zeichnet sich auf seinem Gesicht ein Schmerz ab, der über das Erträgliche hinausgeht. Und Gerda Derking ahnt: Dieser Tragödie sind die Leebs ohne sie nicht gewachsen. In seiner epischen Familienchronik rückt Henning Ahrens den Verwundungen des vergangenen Jahrhunderts auf den Leib und erzählt ebenso mitreißend wie empathisch vom Verhängnis einer Familie.
Ein großer Familienroman, der die Spuren deutscher Geschichte sichtbar macht
Seit sieben Generationen in Folge bewirtschaften die Leebs ihren Hof in der niedersächsischen Provinz. Schließlich gilt es, das Familienerbe zu wahren - allen historischen Umbrüchen zum Trotz. Doch über die Opfer, die jeder Einzelne erbringen muss, wird geschwiegen. Henning Ahrens erzählt den Roman einer Familie und entwirft ein Panorama der ländlich-bäuerlichen Welt des 20. Jahrhunderts.
Gerda Derking kennt sich aus mit dem Sterben. Seit Jahren richtet sie die Toten des Dorfes her, doch in jenem August 1962 würde sie die Tür am liebsten gleich wieder schließen. Denn vor ihr steht Wilhelm Leeb - ausgerechnet er, der Gerda vor so vielen Jahren sitzen ließ, um sich die Tochter von Bauer Kruse mit der hohen Mitgift zu sichern. Wilhelm, der als überzeugter Nazi in den Krieg zog und erst nach Jahren der Kriegsgefangenschaft aus Polen zurückkehrte. Der gegen Frau und Kinder hart wurde, obwohl sie jahrelang geschuftet hatten, um Hof und Leben zu verteidigen. Doch nun zeichnet sich auf seinem Gesicht ein Schmerz ab, der über das Erträgliche hinausgeht. Und Gerda Derking ahnt: Dieser Tragödie sind die Leebs ohne sie nicht gewachsen. In seiner epischen Familienchronik rückt Henning Ahrens den Verwundungen des vergangenen Jahrhunderts auf den Leib und erzählt ebenso mitreißend wie empathisch vom Verhängnis einer Familie.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Henning Ahrens neues Buch "Mitgift" lässt Rezensentin Cornelia Geißler verwirrter zurück als ihrer Meinung nach nötig gewesen wäre. Der 1964 geborene Autor und Übersetzer erzählt darin von einer seit 300 Jahren auf einem Hof in Niedersachsen verwurzelte Familie - vom vermeintlich entnazifizierten, tyrannischen Vater Wilhelm, dessen Frau, seinen ältesten Sohn der traditionellerweise ebenfalls Wilhelm heißt und dessen Geschwister -, als auch von einer kontrastierenden Totenfrau, die diese Familie, in die sie aufgrund ihres mangelnden Mitgifts nicht eingeheiratet werden kann, von außen beschreibt, erklärt Geißler. Die Wilhelm-Charaktere sind aufgrund der gleichen Namen und der wahllos einsetzenden Rückblicke nicht nur etwas verwirrend, sondern auch ein wenig unnahbar, findet die Rezensentin. Doch mit seiner plastischen Sprache und dem beschriebenen, eindrucksvoll erzählten Vater-Sohn-Konflikt kann der Autor sie dennoch überzeugen. Sogar der wirklich unsympathische Vater wird mit menschlichen Erfahrungen konfrontiert - das spreche für die Erzählart des Autors, resümiert die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2021Hatte Wilhelm die Wahl?
Die schmerzenden Füße der Tradition: Henning Ahrens schildert in "Mitgift" seine niedersächsische Heimat und wie man an ihr zerbrechen kann.
Im Frühjahr 1946 schickt die Bäuerin Käthe Leeb ihren fünfzehnjährigen Sohn Wilhelm zum Arzt in die nahe Stadt Peine, "im Sonntagsstaat, mit einem Beutel, der Butterbrote, Geld und eine Bügelflasche mit Himbeersaft enthält". Weil der Junge jahrelang zu enge Stiefel getragen hat, sind ihm zwei Zehen zusammengewachsen, die der Arzt nun mit dem Skalpell trennen soll. Unterwegs gerät er mit einem Flüchtling aneinander, als er sich selbst mit dem Hitlerjungen-Slogan "zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl" ermahnt und sein Gegenüber ihn stellvertretend für alle nationalsozialistischen Würdenträger beschimpft. Zurückgekehrt muss der Junge, der sich eigentlich, so der Arzt, vier Wochen lang schonen sollte, gleich wieder aufs Feld, mit blutenden Füßen. Im Kopf hat er die Stimme seiner Großmutter: "Du bist jetzt der Bauer", sagt sie zu dem Enkel, der den selben Vornamen trägt wie sein Vater und Großvater, und verspricht: "Wenn dein Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, wird er stolz auf dich sein."
Dass es anders kommen wird und warum, erzählt Henning Ahrens in seinem Roman "Mitgift". Es ist die Geschichte der Familie Leeb, seit einigen Hundert Jahren ansässig auf einem Hof in dem Dorf Klein Ilsede bei Peine, und es ist die des Dorfes selbst, in dem die Leebs eine herausragende Position einnehmen. Geheiratet wird nur ausnahmsweise nach Neigung, und wenn, dann sollte die Neigung mit wirtschaftlichen Interessen einhergehen, etwa dem Arrondieren von Landbesitz. Die Tradition spielt eine große Rolle, auch wenn von Ausbruchsversuchen Einzelner berichtet wird, die aber über Generationen hinweg stets irgendwie ins Gleis zurückführen - und sei es, dass der leichtfertig einer Sekte vermachte Hof von den Verwandten des Erblassers zurückgekauft und in jahrelanger harter Arbeit schuldenfrei gemacht wird.
All das nimmt Elemente auf, die dem literarischen Dorfroman seit seinem Entstehen im neunzehnten Jahrhundert zu eigen sind, wenn auch in unterschiedlicher Zusammensetzung. Was - etwa in den Geschichten Berthold Auerbachs - mit dem Anspruch beginnt, dem realistischen Erzählen zum Durchbruch zu verhelfen, driftet Jahrzehnte später gern in eine idyllisierende Richtung, die der "kranken" Großstadt eine vermeintlich heile Welt gegenüberstellt. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg schlägt das ins Gegenteil um, und etwa in den Romanen des Österreichers Franz Innerhofer bleibt von der Idylle nichts übrig. In jüngster Zeit erlebt das Erzählen vom Land eine Renaissance, nur ist es da nicht mehr die fremde Welt der Stadt, die über unwissende Landbewohner kommt, sondern es sind die Städter, die sich daran zu gewöhnen haben, wie man in den kleinen Gemeinschaften der Provinz lebt.
Henning Ahrens schreibt nicht zum ersten Mal vor dem Hintergrund jener niedersächsischen Gegend, aus der er stammt. Allerdings ist seine Erzählhaltung in "Mitgift" eine andere als etwa im Debüt "Lauf Jäger lauf" (2002) oder in "Glantz und Gloria" von 2015. Dass er sich der eigenen Familiengeschichte zuwendet, macht das Nachwort deutlich, in dem der Autor auch Bezüge zwischen seinen Romanfiguren und den Vorfahren herstellt. Diese autobiographische Grundierung im weiteren Sinn, die auch ein Studium der Überlieferung des realen Dorfs Klein Ilsede durch den Autor umfasst, stößt allerdings dort an ihre Grenzen, wo die literarischen Figuren ein Eigenleben entwickeln: "Mitgift", heißt es da, "erzählt von der Vergangenheit meiner Familie - gewissermaßen", denn "Romanpersonal" habe nun mal "die Neigung, eigene Wesenszüge anzunehmen", und im Übrigen schreibe er größtenteils über Personen, die er selbst nicht mehr gekannt habe.
Tatsächlich setzt die Handlung 1962 ein, nach dem Selbstmord eines Protagonisten - der Autor wurde 1964 geboren. Dieser Beginn, an dem der Bauer Wilhelm Leeb vor der Tür seiner Nachbarin Gerda Derking steht, der inoffiziellen Leichenwäscherin des Dorfs, ist dann in chronologischer Sicht auch schon fast das Ende des Romans, der weit in die Vergangenheit zurückblickt und seine Kapitel eher assoziativ (dabei aber einleuchtend) aneinander reiht als der Zeitenfolge nach. Dabei kristallisieren sich zentrale Themen heraus, die immer neu durchgespielt werden: das Verhältnis zum ererbten Besitz etwa oder das zur Obrigkeit, das Militärwesen und die Kriegserfahrungen, ein Schlachtfest, die Arbeit auf dem Feld und im Stall, und nicht zuletzt die Verantwortung gegenüber anderen, die wahrgenommen wird oder eben nicht.
Wie erzählt Ahrens all das? Sein Ton ist sachlich, er nimmt wechselnde Perspektiven ein und stellt sie gegeneinander, er zeigt, was jeweils die Entwicklungen anstößt, die kleinen Katastrophen und auch die große, aber er hütet sich vor Erklärungen oder Rechnungen, die allzu glatt aufgingen. Dass aber diejenigen, die da auf dem alten Hof miteinander leben und sich die Generationenklinke in die Hand geben, lange Zeit aufs Engste miteinander verstrickt sind, teilt sich ebenso mit wie dass es am Ende nur auf den Entschluss ankommt, die neue Zeit nach dem Krieg in ihren Umwälzungen anzuerkennen, um endlich auszubrechen.
So belässt es dieser geschmeidige und dabei souveräne Roman nie nur bei der Geschichte einer Familie, eines Dorfes. Und vielleicht ist er auch mehr als die Schilderung der Epoche, auf die sich der Roman wesentlich konzentriert - die Zeit des Nationalsozialismus und die der frühen Bundesrepublik mit, so scheint es hier zunächst, mehr Kontinuitäten als Brüchen.
Stattdessen stellt er Fragen, die kaum zu beantworten sind, allen voran die nach der Unausweichlichkeit des Geschehens. Wilhelm Leeb, der Großvater, denkt im April 1944 - und sicher nicht zum ersten Mal - über seine eigene Rolle in dieser Generationenfolge nach. Er sei "mit sich im Reinen", heißt es da: "Hätte er die Wahl gehabt, dann wäre er kein Bauer geworden, aber er musste in die Fußstapfen der Vorväter treten, so war es nun mal." Es gehört zur Raffinesse des Autors, dass er den blutenden Füßen des Enkels einen so beiläufigen wie eindringlichen Auftritt gibt. Man behält ihn im Kopf, wenn später der Bauer aus der Gefangenschaft heimkehrt, das Regiment wieder übernimmt - und dem schwer schuftenden Sohn die neuen Stiefel verweigert. TILMAN SPRECKELSEN
Henning Ahrens: "Mitgift". Roman.
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2021. 352 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die schmerzenden Füße der Tradition: Henning Ahrens schildert in "Mitgift" seine niedersächsische Heimat und wie man an ihr zerbrechen kann.
Im Frühjahr 1946 schickt die Bäuerin Käthe Leeb ihren fünfzehnjährigen Sohn Wilhelm zum Arzt in die nahe Stadt Peine, "im Sonntagsstaat, mit einem Beutel, der Butterbrote, Geld und eine Bügelflasche mit Himbeersaft enthält". Weil der Junge jahrelang zu enge Stiefel getragen hat, sind ihm zwei Zehen zusammengewachsen, die der Arzt nun mit dem Skalpell trennen soll. Unterwegs gerät er mit einem Flüchtling aneinander, als er sich selbst mit dem Hitlerjungen-Slogan "zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl" ermahnt und sein Gegenüber ihn stellvertretend für alle nationalsozialistischen Würdenträger beschimpft. Zurückgekehrt muss der Junge, der sich eigentlich, so der Arzt, vier Wochen lang schonen sollte, gleich wieder aufs Feld, mit blutenden Füßen. Im Kopf hat er die Stimme seiner Großmutter: "Du bist jetzt der Bauer", sagt sie zu dem Enkel, der den selben Vornamen trägt wie sein Vater und Großvater, und verspricht: "Wenn dein Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, wird er stolz auf dich sein."
Dass es anders kommen wird und warum, erzählt Henning Ahrens in seinem Roman "Mitgift". Es ist die Geschichte der Familie Leeb, seit einigen Hundert Jahren ansässig auf einem Hof in dem Dorf Klein Ilsede bei Peine, und es ist die des Dorfes selbst, in dem die Leebs eine herausragende Position einnehmen. Geheiratet wird nur ausnahmsweise nach Neigung, und wenn, dann sollte die Neigung mit wirtschaftlichen Interessen einhergehen, etwa dem Arrondieren von Landbesitz. Die Tradition spielt eine große Rolle, auch wenn von Ausbruchsversuchen Einzelner berichtet wird, die aber über Generationen hinweg stets irgendwie ins Gleis zurückführen - und sei es, dass der leichtfertig einer Sekte vermachte Hof von den Verwandten des Erblassers zurückgekauft und in jahrelanger harter Arbeit schuldenfrei gemacht wird.
All das nimmt Elemente auf, die dem literarischen Dorfroman seit seinem Entstehen im neunzehnten Jahrhundert zu eigen sind, wenn auch in unterschiedlicher Zusammensetzung. Was - etwa in den Geschichten Berthold Auerbachs - mit dem Anspruch beginnt, dem realistischen Erzählen zum Durchbruch zu verhelfen, driftet Jahrzehnte später gern in eine idyllisierende Richtung, die der "kranken" Großstadt eine vermeintlich heile Welt gegenüberstellt. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg schlägt das ins Gegenteil um, und etwa in den Romanen des Österreichers Franz Innerhofer bleibt von der Idylle nichts übrig. In jüngster Zeit erlebt das Erzählen vom Land eine Renaissance, nur ist es da nicht mehr die fremde Welt der Stadt, die über unwissende Landbewohner kommt, sondern es sind die Städter, die sich daran zu gewöhnen haben, wie man in den kleinen Gemeinschaften der Provinz lebt.
Henning Ahrens schreibt nicht zum ersten Mal vor dem Hintergrund jener niedersächsischen Gegend, aus der er stammt. Allerdings ist seine Erzählhaltung in "Mitgift" eine andere als etwa im Debüt "Lauf Jäger lauf" (2002) oder in "Glantz und Gloria" von 2015. Dass er sich der eigenen Familiengeschichte zuwendet, macht das Nachwort deutlich, in dem der Autor auch Bezüge zwischen seinen Romanfiguren und den Vorfahren herstellt. Diese autobiographische Grundierung im weiteren Sinn, die auch ein Studium der Überlieferung des realen Dorfs Klein Ilsede durch den Autor umfasst, stößt allerdings dort an ihre Grenzen, wo die literarischen Figuren ein Eigenleben entwickeln: "Mitgift", heißt es da, "erzählt von der Vergangenheit meiner Familie - gewissermaßen", denn "Romanpersonal" habe nun mal "die Neigung, eigene Wesenszüge anzunehmen", und im Übrigen schreibe er größtenteils über Personen, die er selbst nicht mehr gekannt habe.
Tatsächlich setzt die Handlung 1962 ein, nach dem Selbstmord eines Protagonisten - der Autor wurde 1964 geboren. Dieser Beginn, an dem der Bauer Wilhelm Leeb vor der Tür seiner Nachbarin Gerda Derking steht, der inoffiziellen Leichenwäscherin des Dorfs, ist dann in chronologischer Sicht auch schon fast das Ende des Romans, der weit in die Vergangenheit zurückblickt und seine Kapitel eher assoziativ (dabei aber einleuchtend) aneinander reiht als der Zeitenfolge nach. Dabei kristallisieren sich zentrale Themen heraus, die immer neu durchgespielt werden: das Verhältnis zum ererbten Besitz etwa oder das zur Obrigkeit, das Militärwesen und die Kriegserfahrungen, ein Schlachtfest, die Arbeit auf dem Feld und im Stall, und nicht zuletzt die Verantwortung gegenüber anderen, die wahrgenommen wird oder eben nicht.
Wie erzählt Ahrens all das? Sein Ton ist sachlich, er nimmt wechselnde Perspektiven ein und stellt sie gegeneinander, er zeigt, was jeweils die Entwicklungen anstößt, die kleinen Katastrophen und auch die große, aber er hütet sich vor Erklärungen oder Rechnungen, die allzu glatt aufgingen. Dass aber diejenigen, die da auf dem alten Hof miteinander leben und sich die Generationenklinke in die Hand geben, lange Zeit aufs Engste miteinander verstrickt sind, teilt sich ebenso mit wie dass es am Ende nur auf den Entschluss ankommt, die neue Zeit nach dem Krieg in ihren Umwälzungen anzuerkennen, um endlich auszubrechen.
So belässt es dieser geschmeidige und dabei souveräne Roman nie nur bei der Geschichte einer Familie, eines Dorfes. Und vielleicht ist er auch mehr als die Schilderung der Epoche, auf die sich der Roman wesentlich konzentriert - die Zeit des Nationalsozialismus und die der frühen Bundesrepublik mit, so scheint es hier zunächst, mehr Kontinuitäten als Brüchen.
Stattdessen stellt er Fragen, die kaum zu beantworten sind, allen voran die nach der Unausweichlichkeit des Geschehens. Wilhelm Leeb, der Großvater, denkt im April 1944 - und sicher nicht zum ersten Mal - über seine eigene Rolle in dieser Generationenfolge nach. Er sei "mit sich im Reinen", heißt es da: "Hätte er die Wahl gehabt, dann wäre er kein Bauer geworden, aber er musste in die Fußstapfen der Vorväter treten, so war es nun mal." Es gehört zur Raffinesse des Autors, dass er den blutenden Füßen des Enkels einen so beiläufigen wie eindringlichen Auftritt gibt. Man behält ihn im Kopf, wenn später der Bauer aus der Gefangenschaft heimkehrt, das Regiment wieder übernimmt - und dem schwer schuftenden Sohn die neuen Stiefel verweigert. TILMAN SPRECKELSEN
Henning Ahrens: "Mitgift". Roman.
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2021. 352 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Henning Ahrens erzählt in seinem Roman 'Mitgift' von Vätern und Söhnen, Gewalt und Auswegslosigkeit. Es ist ein Glanzstück. [...] Nur mit zeitlicher und räumlicher Distanz kann ein so bewegender, einfühlsamer und zugleich in seiner Klarheit unerbittlicher Roman entstehen.« Christoph Schröder, Die Zeit Online, 26. August 2021 Christoph Schröder Die Zeit 20210826