Der Begriff der Mitte beherrscht die politische Debatte. Aber was genau ist unter Mitte zu verstehen - gesellschaftlich, politisch, geographisch? Wo liegt sie? Wer gehört dazu?
Und warum ist sie seit eh und je mit der Idee vom «rechten Maß» verbunden? Herfried Münkler nimmt in diesem Buch gleichsam eine Neuvermessung der Mitte vor, indem er zeigt, wie sich die Vorstellungen von Mitte und Maß entwickelt haben - von Aristoteles über Karl Marx bis zur Gier-Debatte unserer Tage, von der Entstehung der Städte als Zentren der Macht bis zur schrumpfenden Mittelschicht in den Gesellschaften des 21. Jahrhunderts.
«Dies ist ein wichtiges, mutiges Buch:
Es begibt sich mitten in die zentralen Fragen einer Gesellschaft im Umbruch.» Frankfurter Rundschau
«Herfried Münkler erzählt souverän und gut lesbar. Hier spricht die klare Stimme der Vernunft.» Süddeutsche Zeitung
Und warum ist sie seit eh und je mit der Idee vom «rechten Maß» verbunden? Herfried Münkler nimmt in diesem Buch gleichsam eine Neuvermessung der Mitte vor, indem er zeigt, wie sich die Vorstellungen von Mitte und Maß entwickelt haben - von Aristoteles über Karl Marx bis zur Gier-Debatte unserer Tage, von der Entstehung der Städte als Zentren der Macht bis zur schrumpfenden Mittelschicht in den Gesellschaften des 21. Jahrhunderts.
«Dies ist ein wichtiges, mutiges Buch:
Es begibt sich mitten in die zentralen Fragen einer Gesellschaft im Umbruch.» Frankfurter Rundschau
«Herfried Münkler erzählt souverän und gut lesbar. Hier spricht die klare Stimme der Vernunft.» Süddeutsche Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2011Reiselust und Lesefrust
Auf der Suche nach der deutschen "Mittebesessenheit"
Herfried Münkler liebt es, mit Stoffmassen umzugehen: Mythen, Imperien, Kriegstheorien. Das breiteste Thema wählte er sich jetzt mit der "Mitte" aus. Ein Buch, das den Mittediskursen seit den Anfängen des politischen Denkens nachspürt, die Ambivalenz der Mitte im Allgemeinen und die Folgen der Mitte-Suche bei den Deutschen im Besonderen untersuchen und dazu noch einen Beitrag zur Neuvermessung der Mitte leisten will, hat Schwierigkeiten, sich thematisch abzugrenzen. Wenn - wie der Verfasser zu Recht feststellt - die Mitte "auf die sie umgebenden Extreme angewiesen" ist, kann alles relevant sein.
In drei großen Essays arbeitet Münkler das Thema ab, im wesentlichen ideengeschichtlich, aber auch immer wieder im Rückgriff auf aktuelle politiktheoretische Diskurse: "Mitte und Maß", "Mitte und Macht" sowie "Mitte und Raum". Alles, was der Zettelkasten zum Thema hergibt, wird ausgebreitet, sozialgeschichtlich, soziopolitisch, politökonomisch, geopolitisch, philologisch und sogar theologisch. Vieles wird nur gestreift, die Auswahlkriterien sind nicht immer klar. Es fehlt an analytischer und begrifflicher Präzision, nicht zuletzt im Hinblick auf das Verhältnis von Mitte und Maß. Am kompetentesten ist der Verfasser, wenn er einzelne Klassiker der Ideengeschichte knapp interpretiert. Es erfordert schon einige literarisch-bibliographische Reiselust des Lesers, dem Parforceritt von der Geschichte der Stadt seit der Antike über mittelalterliche Weltkarten und die europäischen Kriege der frühen Neuzeit bis zum Schlieffen-Plan und Hitler-Stalin-Pakt etwas abgewinnen zu können. Wenn es einen Fluchtpunkt des Buches gibt, dann ist es wohl die Frage nach der Mitte als dem "ewigen Thema der Deutschen" im Sinne einer "Suche nach der Seele Deutschlands". Folgerichtig mündet das Buch in den letzten und kürzesten Abschnitt: "Das neue Deutschland - eine Republik der Mitte?"
Zunächst skizziert Münkler Weimar als "Republik der Extreme". Die politische Mitte ging verloren, weil ihr die soziale Mitte, aber auch Künstler und Intellektuelle die Gefolgschaft verweigerten. Um eine Wiederholung von Weimar zu vermeiden, sei der "politische Kampf gegen die Extremisten von links und rechts zur Verfassungsräson der Bonner Republik" geworden. Helmut Schelsky habe mit dem Begriff der "nivellierten Mittelstandsgesellschaft" bis in die achtziger Jahre die Bundesrepublik treffend beschrieben. Eine "zwanghafte Fixierung auf die Mitte" habe den Geist der Adenauerzeit geprägt, "die im Rückblick als eine Periode der sozialen und politischen Stabilisierung, aber auch kulturellen Spießigkeit und politischen Heuchelei" erscheine. Die gesellschaftliche und politische Mitte sei zwar von rechts und links kritisiert, aber letztlich akzeptiert worden. Sie habe sich allerdings als Folge der 68er-Revolte neu definiert, mit einem Gewinn an "kultureller und mentaler Vielfalt". Zudem habe sich die Mitte in eine "obere und untere Mitte" gespalten. Dieser Entwicklung im Parteiensystem widmet Münkler seinen letzten Abschnitt. Vor allem im Rückgriff auf Arbeiten des Parteienforschers Franz Walter schildert er die Diversifikation der Parteien in der Mitte mit den Vor- und Nachteilen für das politische System.
Münkler hält die Deutschen für "mitteversessen" und geht davon aus, dass sie sich "auf die Suche nach neuen Mitten machen werden, auch wenn im Augenblick nicht abzusehen ist, wo sie diese finden wollen oder finden können". Die Diagnose der "Mittebesessenheit" wirkt recht konstruiert; so wie manche Logik sich als rein verbales Assoziationsspiel entpuppt, so die These vom "Mittetausch": Die Westdeutschen hätten für die "Mittelstandsgesellschaft" auf die "geopolitischen Mittevorstellungen" verzichtet, für die sie zwei verheerende Kriege geführt hätten. Die Essays sind thematisch unausgewogen. Zwar soll die Argumentation auf Deutschland ausgerichtet sein; der Großteil aber reicht mit ausholendem Anspruch darüber hinaus. Wenn beispielsweise China und ganz Asien geopolitisch einbezogen werden, dann würde es sich auch empfehlen, die großen Geistesströmungen Asiens wenigstens anzusprechen, die wesentlich von den Normen Maß und Mitte geprägt sind wie der Buddhismus und der Konfuzianismus. Der Prozess der Globalisierung ist nicht zuletzt eine Auseinandersetzung zwischen westlichem und asiatischem Denken. Nichts davon bei Münkler, trotz stupender Materialfülle. Das Buch erweckt den Eindruck eines flott formulierten Brainstormings, das zum Nachdenken anregen mag. Seiner eingangs formulierten Fragestellung wird der Verfasser kaum gerecht.
WOLFGANG JÄGER
Herfried Münkler: Mitte und Maß. Der Kampf um die richtige Ordnung. Rowohlt Verlag, Berlin 2010. 304 S., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf der Suche nach der deutschen "Mittebesessenheit"
Herfried Münkler liebt es, mit Stoffmassen umzugehen: Mythen, Imperien, Kriegstheorien. Das breiteste Thema wählte er sich jetzt mit der "Mitte" aus. Ein Buch, das den Mittediskursen seit den Anfängen des politischen Denkens nachspürt, die Ambivalenz der Mitte im Allgemeinen und die Folgen der Mitte-Suche bei den Deutschen im Besonderen untersuchen und dazu noch einen Beitrag zur Neuvermessung der Mitte leisten will, hat Schwierigkeiten, sich thematisch abzugrenzen. Wenn - wie der Verfasser zu Recht feststellt - die Mitte "auf die sie umgebenden Extreme angewiesen" ist, kann alles relevant sein.
In drei großen Essays arbeitet Münkler das Thema ab, im wesentlichen ideengeschichtlich, aber auch immer wieder im Rückgriff auf aktuelle politiktheoretische Diskurse: "Mitte und Maß", "Mitte und Macht" sowie "Mitte und Raum". Alles, was der Zettelkasten zum Thema hergibt, wird ausgebreitet, sozialgeschichtlich, soziopolitisch, politökonomisch, geopolitisch, philologisch und sogar theologisch. Vieles wird nur gestreift, die Auswahlkriterien sind nicht immer klar. Es fehlt an analytischer und begrifflicher Präzision, nicht zuletzt im Hinblick auf das Verhältnis von Mitte und Maß. Am kompetentesten ist der Verfasser, wenn er einzelne Klassiker der Ideengeschichte knapp interpretiert. Es erfordert schon einige literarisch-bibliographische Reiselust des Lesers, dem Parforceritt von der Geschichte der Stadt seit der Antike über mittelalterliche Weltkarten und die europäischen Kriege der frühen Neuzeit bis zum Schlieffen-Plan und Hitler-Stalin-Pakt etwas abgewinnen zu können. Wenn es einen Fluchtpunkt des Buches gibt, dann ist es wohl die Frage nach der Mitte als dem "ewigen Thema der Deutschen" im Sinne einer "Suche nach der Seele Deutschlands". Folgerichtig mündet das Buch in den letzten und kürzesten Abschnitt: "Das neue Deutschland - eine Republik der Mitte?"
Zunächst skizziert Münkler Weimar als "Republik der Extreme". Die politische Mitte ging verloren, weil ihr die soziale Mitte, aber auch Künstler und Intellektuelle die Gefolgschaft verweigerten. Um eine Wiederholung von Weimar zu vermeiden, sei der "politische Kampf gegen die Extremisten von links und rechts zur Verfassungsräson der Bonner Republik" geworden. Helmut Schelsky habe mit dem Begriff der "nivellierten Mittelstandsgesellschaft" bis in die achtziger Jahre die Bundesrepublik treffend beschrieben. Eine "zwanghafte Fixierung auf die Mitte" habe den Geist der Adenauerzeit geprägt, "die im Rückblick als eine Periode der sozialen und politischen Stabilisierung, aber auch kulturellen Spießigkeit und politischen Heuchelei" erscheine. Die gesellschaftliche und politische Mitte sei zwar von rechts und links kritisiert, aber letztlich akzeptiert worden. Sie habe sich allerdings als Folge der 68er-Revolte neu definiert, mit einem Gewinn an "kultureller und mentaler Vielfalt". Zudem habe sich die Mitte in eine "obere und untere Mitte" gespalten. Dieser Entwicklung im Parteiensystem widmet Münkler seinen letzten Abschnitt. Vor allem im Rückgriff auf Arbeiten des Parteienforschers Franz Walter schildert er die Diversifikation der Parteien in der Mitte mit den Vor- und Nachteilen für das politische System.
Münkler hält die Deutschen für "mitteversessen" und geht davon aus, dass sie sich "auf die Suche nach neuen Mitten machen werden, auch wenn im Augenblick nicht abzusehen ist, wo sie diese finden wollen oder finden können". Die Diagnose der "Mittebesessenheit" wirkt recht konstruiert; so wie manche Logik sich als rein verbales Assoziationsspiel entpuppt, so die These vom "Mittetausch": Die Westdeutschen hätten für die "Mittelstandsgesellschaft" auf die "geopolitischen Mittevorstellungen" verzichtet, für die sie zwei verheerende Kriege geführt hätten. Die Essays sind thematisch unausgewogen. Zwar soll die Argumentation auf Deutschland ausgerichtet sein; der Großteil aber reicht mit ausholendem Anspruch darüber hinaus. Wenn beispielsweise China und ganz Asien geopolitisch einbezogen werden, dann würde es sich auch empfehlen, die großen Geistesströmungen Asiens wenigstens anzusprechen, die wesentlich von den Normen Maß und Mitte geprägt sind wie der Buddhismus und der Konfuzianismus. Der Prozess der Globalisierung ist nicht zuletzt eine Auseinandersetzung zwischen westlichem und asiatischem Denken. Nichts davon bei Münkler, trotz stupender Materialfülle. Das Buch erweckt den Eindruck eines flott formulierten Brainstormings, das zum Nachdenken anregen mag. Seiner eingangs formulierten Fragestellung wird der Verfasser kaum gerecht.
WOLFGANG JÄGER
Herfried Münkler: Mitte und Maß. Der Kampf um die richtige Ordnung. Rowohlt Verlag, Berlin 2010. 304 S., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hatte man früher noch geglaubt, die Mitte führe zum Spießertum, fürchtet man heute offenbar, die Mitte könnte verschwinden, meint Jens Bisky, ohne sich da selbst weiter vor zu wagen, weshalb er es nur begrüßen kann, dass Herfried Münkler den Begriff Mitte genauer in den analytischen Blick nimmt. Der Berliner Politikwissenschaftler fragt nach der Bedeutung von politischer, kultureller oder geografischer Mitte und verfolgt ihre Ideengeschichte von Aristoteles bis in die Gegenwart, so der Rezensent eingenommen. Bedauerlich findet er allerdings, dass sich der Autor in seiner Analyse von "Mitte und Maß" einzelner Phänomene" nicht genauer widmet. Was Bisky dafür aber wirklich für dieses Buch einnimmt, ist Münklers Prämisse, dass die Mitte nichts Feststehendes, sondern ein äußerst wandelbares Phänomen ist. Ideengeschichtlich Interessierte werden hier auf ihre Kosten kommen, verspricht der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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