Auch im Mittelalter haben Männer den Platz der Frauen in der Gesellschaft bestimmt. Doch die Stimmen von Frauen sind in dieser Epoche schon vernehmlicher. Dieser Band vermittelt aus ganz unterschiedlichen Perspektiven einen Eindruck von den vielfältigen Tätigkeitsbereichen der Frauen und gibt einen Einblick in das Bewußtsein der Frauen in dieser faszinierenden und zuweilen befremdlichen Welt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.1995Durften Frauen wirklich nicht schwimmen?
Manchmal etwas strapaziös: Die Weiblichkeitsgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts
Feministische Geschichtsschreibung hat zwei typische Ansätze. Entweder schildert sie die Unterdrückung weiblicher Selbstentfaltung oder sie streicht heraus, was Frauen trotzdem alles zuwege brachten. Die "Geschichte der Frauen im 19. Jahrhundert" ist der vierte Band eines prononciert feministisch orientierten Projektes. Die Herausgeberinnen haben sich mit guten Gründen für die zweite der beiden Möglichkeiten entschieden. Das 19. Jahrhundert wird als eine epochale Umbruchphase in der Geschichte der Frauen dargestellt: Die französische und die amerikanische Revolution fanden im Namen der Menschenrechte statt, die zumindest in der Theorie auch für Frauen galten. Und je mehr im Lauf der Industrialisierung auch Frauen in die Fabriken zur Arbeit gingen, desto mehr fühlten sie sich den Männern in Leid und Leistung ebenbürtig. Es ist deshalb sinnvoll, nicht den zumeist schwer erträglichen Ton der Anklage zu wählen, sondern zu zeigen, wie Frauen allmählich zu politischer und gesellschaftlicher Mitsprache fanden.
Obwohl alle hier versammelten zweiundzwanzig Aufsätze (von denen bezeichnenderweise nur zwei von Männern geschrieben wurden) dieser programmatischen Linie folgen, sind einige in einem Jargon verfaßt, der, gelinde gesagt, strapaziös ist. Als wäre der Verzicht auf Sachlichkeit das Entréebillet in die Frauengeschichte, pflegen sie in Worten und Ideen eine Sprache, die der Geschichte nicht gerecht wird. Da ist die Rede vom "Schwachsinn der Diskriminierung", vom "Wunsch, die Frauen wieder einzusperren", von "Napoleons machohaften Tiraden" (Elisabeth G. Sledziewski). Unnütze Worte werden gemacht: "Wagners dürftige dogmatische Erklärungen" zur dienenden Natur des Weibes werden "glücklicherweise . . . von der Musik überwältigt", schreibt Stéphane Michaud. Derselbe Autor wirft Degas vor, daß unter allen Bildern, die er von Berthe Morisot malte, kein einziges sie - die auch malte - vor einer Staffelei zeigt. Sosehr diese Bemerkung an Degas vorbeigeht, so verfehlt ist Michelle Perrots Formulierung: "Frauen durften nicht schwimmen und auch nicht am Strand liegen." Reisen hingegen durften sie offenbar; und also, wie Perrot etwas sinnleer resümiert, "lernten die Frauen andere Kulturen kennen. Sie wurden schöpferisch tätig."
Überhaupt: die Kreativität. Davon gibt's reichlich. Warum kommt dieser Begriff immer wieder vor? Sollte das Klischee von den Frauen als ewig passiven Opfern tatsächlich so ehern sein, daß gar nicht oft genug gesagt werden kann, daß auch Frauen zu so etwas wie "individueller Kreativität" imstande sind? Es ist wichtig, die im 19. Jahrhundert immens idealisierte Mutterschaft nicht nur als Instrument der Knechtung zu betrachten. Es ist richtig, die beständig anwachsende Präsenz der Frauen im öffentlichen Leben zu betonen. Aber warum das Vorkommen weiblicher Schöpferkraft - an sich ist es doch wohl eine Selbstverständlichkeit - in etwa einem halben Dutzend Texten beschworen werden muß, ist nicht einzusehen.
Im Bemühen, der gigantischen Ausmaße des Themas Herr zu werden, wurde die Geschichte der Frauen nicht so sehr nach Ländern oder zeitlichen Perioden unterteilt, sondern nach Themen. Es gibt Aufsätze über die katholische, die protestantische, die jüdische Frau; über Erziehung und Bildung, die Arbeitswelt; über die kulturelle "Ikonographie" der Frau und über "gefährliche Formen der Sexualität". Daran schließen Texte, die sich dem in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts aufkommenden Feminismus, den Wahlrechtsbewegungen, dem weiblichen Selbstverständnis widmen.
Nur wenige einschlägige Namen und Sujets fehlen. Das spricht einerseits für das Buch. Andererseits ist der Preis für diese Vollständigkeit sehr hoch. Weil der betrachtete Raum - Europa und Nordamerika - so groß ist, können Gedanken, die über das Allereinleuchtendste hinausgehen, nicht entwickelt werden. Alles wird angerissen, wenig problematisiert. Die zwei Texte über die französische und die amerikanische Revolution sind ganz oberflächlich. Drei ungemein detailreiche Aufsätze in der Sammlung (Geneviève Fraisse über das Frauenbild in der Philosophie, Nicole Arnaud-Duc über die Rechtslage, Michelle Perrot über weibliche "Ausbrüche" aus der geltenden Ordnung) sind so vollgestopft mit Daten, daß sie zu hektischen historischen Sightseeingtouren geraten sind, die eigentlich nur durchstehen kann, wer eh schon alles weiß.
Daneben finden sich etliche Beiträge, die wirklich lesenswert sind, Michela De Giorgio über die katholische Frau, Yvonne Knibiehler über "Leib und Seele", Joan Scott über "die Arbeiterin", Cécile Dauphin über "Alleinstehende Frauen". Hier wird Geschichte lebendig erzählt; und die Zeitgenossinnen des 19. Jahrhunderts treten als Personen auf, die mehr sind als nur Personifikationen von Denkmustern. Schön wäre es gewesen, wären alle Beiträge so interessant.
Die "Geschichte der Frauen" ist kein unumstrittenes Projekt. Der Campus-Verlag hat sich bemüht, Schwächen aufzufangen, indem er namhafte deutsche Historikerinnen als Betreuerinnen der einzelnen Bände bestellte. In ihrem kenntnisreichen Nachwort weist Karin Hausen darauf hin, wie sehr die sich entfaltenden wissenschaftlichen Disziplinen in jener Zeit auch dazu benutzt wurden, das Wesen der Frau inhaltlich zu umfrieden. Zu diesem großen Thema findet sich leider in dem Buch gar nichts. Und in ihren Texten über das kulturelle Bild der Frau kommen Anne Higonnet und Stéphane Michaud über die Klischees von der Frau als "Madonna, Verführerin, Muse" kaum hinaus. Wieviel spannender wäre es gewesen, die Idee des Weiblichen in der Anatomie, der Physiologie und der Biologie darzustellen. Am Ende und nachdem man so viel von der Geschichtsmächtigkeit der westlichen Frauen im 19. Jahrhundert gelesen hat, fragt man sich, warum es nötig war, die Geschichte dieser Frauen in ein einziges Buch zu pressen. FRANZISKA AUGSTEIN
Georges Duby/Michelle Perrot (Hrsg.): "Geschichte der Frauen". Band 4: 19. Jahrhundert. Hrsg. v. Geneviève Fraisse und Michelle Perrot. Editorische Betreuung der deutschen Ausgabe: Karin Hausen. Campus Verlag, Frankfurt am Main, New York 1994. 687 S., Abb., geb., 88,- DM.
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Manchmal etwas strapaziös: Die Weiblichkeitsgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts
Feministische Geschichtsschreibung hat zwei typische Ansätze. Entweder schildert sie die Unterdrückung weiblicher Selbstentfaltung oder sie streicht heraus, was Frauen trotzdem alles zuwege brachten. Die "Geschichte der Frauen im 19. Jahrhundert" ist der vierte Band eines prononciert feministisch orientierten Projektes. Die Herausgeberinnen haben sich mit guten Gründen für die zweite der beiden Möglichkeiten entschieden. Das 19. Jahrhundert wird als eine epochale Umbruchphase in der Geschichte der Frauen dargestellt: Die französische und die amerikanische Revolution fanden im Namen der Menschenrechte statt, die zumindest in der Theorie auch für Frauen galten. Und je mehr im Lauf der Industrialisierung auch Frauen in die Fabriken zur Arbeit gingen, desto mehr fühlten sie sich den Männern in Leid und Leistung ebenbürtig. Es ist deshalb sinnvoll, nicht den zumeist schwer erträglichen Ton der Anklage zu wählen, sondern zu zeigen, wie Frauen allmählich zu politischer und gesellschaftlicher Mitsprache fanden.
Obwohl alle hier versammelten zweiundzwanzig Aufsätze (von denen bezeichnenderweise nur zwei von Männern geschrieben wurden) dieser programmatischen Linie folgen, sind einige in einem Jargon verfaßt, der, gelinde gesagt, strapaziös ist. Als wäre der Verzicht auf Sachlichkeit das Entréebillet in die Frauengeschichte, pflegen sie in Worten und Ideen eine Sprache, die der Geschichte nicht gerecht wird. Da ist die Rede vom "Schwachsinn der Diskriminierung", vom "Wunsch, die Frauen wieder einzusperren", von "Napoleons machohaften Tiraden" (Elisabeth G. Sledziewski). Unnütze Worte werden gemacht: "Wagners dürftige dogmatische Erklärungen" zur dienenden Natur des Weibes werden "glücklicherweise . . . von der Musik überwältigt", schreibt Stéphane Michaud. Derselbe Autor wirft Degas vor, daß unter allen Bildern, die er von Berthe Morisot malte, kein einziges sie - die auch malte - vor einer Staffelei zeigt. Sosehr diese Bemerkung an Degas vorbeigeht, so verfehlt ist Michelle Perrots Formulierung: "Frauen durften nicht schwimmen und auch nicht am Strand liegen." Reisen hingegen durften sie offenbar; und also, wie Perrot etwas sinnleer resümiert, "lernten die Frauen andere Kulturen kennen. Sie wurden schöpferisch tätig."
Überhaupt: die Kreativität. Davon gibt's reichlich. Warum kommt dieser Begriff immer wieder vor? Sollte das Klischee von den Frauen als ewig passiven Opfern tatsächlich so ehern sein, daß gar nicht oft genug gesagt werden kann, daß auch Frauen zu so etwas wie "individueller Kreativität" imstande sind? Es ist wichtig, die im 19. Jahrhundert immens idealisierte Mutterschaft nicht nur als Instrument der Knechtung zu betrachten. Es ist richtig, die beständig anwachsende Präsenz der Frauen im öffentlichen Leben zu betonen. Aber warum das Vorkommen weiblicher Schöpferkraft - an sich ist es doch wohl eine Selbstverständlichkeit - in etwa einem halben Dutzend Texten beschworen werden muß, ist nicht einzusehen.
Im Bemühen, der gigantischen Ausmaße des Themas Herr zu werden, wurde die Geschichte der Frauen nicht so sehr nach Ländern oder zeitlichen Perioden unterteilt, sondern nach Themen. Es gibt Aufsätze über die katholische, die protestantische, die jüdische Frau; über Erziehung und Bildung, die Arbeitswelt; über die kulturelle "Ikonographie" der Frau und über "gefährliche Formen der Sexualität". Daran schließen Texte, die sich dem in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts aufkommenden Feminismus, den Wahlrechtsbewegungen, dem weiblichen Selbstverständnis widmen.
Nur wenige einschlägige Namen und Sujets fehlen. Das spricht einerseits für das Buch. Andererseits ist der Preis für diese Vollständigkeit sehr hoch. Weil der betrachtete Raum - Europa und Nordamerika - so groß ist, können Gedanken, die über das Allereinleuchtendste hinausgehen, nicht entwickelt werden. Alles wird angerissen, wenig problematisiert. Die zwei Texte über die französische und die amerikanische Revolution sind ganz oberflächlich. Drei ungemein detailreiche Aufsätze in der Sammlung (Geneviève Fraisse über das Frauenbild in der Philosophie, Nicole Arnaud-Duc über die Rechtslage, Michelle Perrot über weibliche "Ausbrüche" aus der geltenden Ordnung) sind so vollgestopft mit Daten, daß sie zu hektischen historischen Sightseeingtouren geraten sind, die eigentlich nur durchstehen kann, wer eh schon alles weiß.
Daneben finden sich etliche Beiträge, die wirklich lesenswert sind, Michela De Giorgio über die katholische Frau, Yvonne Knibiehler über "Leib und Seele", Joan Scott über "die Arbeiterin", Cécile Dauphin über "Alleinstehende Frauen". Hier wird Geschichte lebendig erzählt; und die Zeitgenossinnen des 19. Jahrhunderts treten als Personen auf, die mehr sind als nur Personifikationen von Denkmustern. Schön wäre es gewesen, wären alle Beiträge so interessant.
Die "Geschichte der Frauen" ist kein unumstrittenes Projekt. Der Campus-Verlag hat sich bemüht, Schwächen aufzufangen, indem er namhafte deutsche Historikerinnen als Betreuerinnen der einzelnen Bände bestellte. In ihrem kenntnisreichen Nachwort weist Karin Hausen darauf hin, wie sehr die sich entfaltenden wissenschaftlichen Disziplinen in jener Zeit auch dazu benutzt wurden, das Wesen der Frau inhaltlich zu umfrieden. Zu diesem großen Thema findet sich leider in dem Buch gar nichts. Und in ihren Texten über das kulturelle Bild der Frau kommen Anne Higonnet und Stéphane Michaud über die Klischees von der Frau als "Madonna, Verführerin, Muse" kaum hinaus. Wieviel spannender wäre es gewesen, die Idee des Weiblichen in der Anatomie, der Physiologie und der Biologie darzustellen. Am Ende und nachdem man so viel von der Geschichtsmächtigkeit der westlichen Frauen im 19. Jahrhundert gelesen hat, fragt man sich, warum es nötig war, die Geschichte dieser Frauen in ein einziges Buch zu pressen. FRANZISKA AUGSTEIN
Georges Duby/Michelle Perrot (Hrsg.): "Geschichte der Frauen". Band 4: 19. Jahrhundert. Hrsg. v. Geneviève Fraisse und Michelle Perrot. Editorische Betreuung der deutschen Ausgabe: Karin Hausen. Campus Verlag, Frankfurt am Main, New York 1994. 687 S., Abb., geb., 88,- DM.
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