Mit der "großen Krise" hat der Übergang von einer finanz- zu einer realkapitalistischen Wirtschaftsordnung begonnen, wie Stephan Schulmeister, einer der profiliertesten österreichischen Wirtschaftsforscher, beschreibt. Dieser wird Jahre dauern: Der in den letzten dreißig Jahren zunehmend dominante Finanzkapitalismus stellt ja eine umfassende "Spielanordnung" dar. Dazu gehören die neoliberale Wirtschaftstheorie, der Vorrang für den Geldwert, die Liberalisierung der Finanzmärkte und die Schwächung des Sozialstaats. Die große Krise wird den Boden für eine Neuordnung des "Spiels Wirtschaft" bereiten: Die Triebkraft kapitalistischer Dynamik, das Profitstreben, wird wieder auf realwirtschaftliche Aktivitäten fokussiert, ergänzt und erweitert um die ökologische und soziale Dimension. Die Länder der EU sind in dieser Situation durch das "Spardogma" und das "Gefangenendilemma" gelähmt: Betreibt jedes einzelne Land eine expansive Politik, so fließt ein Großteil der Impulse ins Ausland. Machen alle EU-Länder dies gemeinsam, so stärken sie sich wechselseitig. Das wäre jener "New Deal" für Europa, der die Talsohle im langfristigen Entwicklungszyklus verkürzen würde. Wie könnte er aussehen, und welches politische "leadership" braucht es zu seiner Durchsetzung?
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Robert Misik hat Stephan Schulmeisters neues Buch "Mitten in der großen Krise" mit großer Zustimmung gelesen. Der Wiener Wirtschaftsforscher ist für ihn ein "wackerer Kämpfer gegen den ökonomischen Mainstream". Überzeugend zeigt der Autor seines Erachtens auf, dass die schwierigste Phase der aktuellen Weltwirtschaftskrise noch vor uns liegt. Schulmeisters Plädoyer für eine Budgetkonsolidierung scheint ihm plausibel, zumal es nicht auf Streichorgien im Staatshaushalt hinausläuft, sondern auf die Idee, den Einkommmenstärksten und Besitzern großer Finanzvermögen Konsolidierungsbeiträge abzuverlangen. Auch Schulmeisters Vorschläge für einen gesamteuropäischen New Deal kann Misik nur begrüßen. Hier kulminiert das Buch für ihn in "einem leisen Utopismus", der ihn an John Maynard Keynes' "Wirtschaftliche Aussichten unserer Enkelkinder" erinnert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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