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Nazi! Nazi! Mit diesem Ruf stürmt Beate Klarsfeld am 7. November 1968 auf dem Bundesparteitag der CDU den Vorstandstisch und ohrfeigt den Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. Kiesinger war 1933 in die NSDAP eingetreten und hatte während des Zweiten Weltkriegs in der Rundfunkpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes gearbeitet. Die Ohrfeige ist der Startschuss für die Lebensaufgabe von Beate Klarsfeld und ihrem Mann Serge: als passionierte Nazijäger verfolgen die Klarsfelds die Schreibtischtäter und die Schlächter des Holocaust - in Deutschland, wo sie straffrei leben, im Nahen Osten und in…mehr

Produktbeschreibung
Nazi! Nazi! Mit diesem Ruf stürmt Beate Klarsfeld am 7. November 1968 auf dem Bundesparteitag der CDU den Vorstandstisch und ohrfeigt den Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. Kiesinger war 1933 in die NSDAP eingetreten und hatte während des Zweiten Weltkriegs in der Rundfunkpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes gearbeitet. Die Ohrfeige ist der Startschuss für die Lebensaufgabe von Beate Klarsfeld und ihrem Mann Serge: als passionierte Nazijäger verfolgen die Klarsfelds die Schreibtischtäter und die Schlächter des Holocaust - in Deutschland, wo sie straffrei leben, im Nahen Osten und in Südamerika, wohin viele geflohen sind. Sie entreißen ihre Opfer dem Vergessen, veröffentlichen ihre Bilder und Namen. Die Erinnerungen des Paares sind Zeugnis ihres lebenslangen Kampfes für die Rechte der Opfer und zugleich bewegendes Dokument einer großen Liebe.
Autorenporträt
Beate Klarsfeld, geboren 1939 in Berlin, lebt in Paris und betreibt dort die "Serge und Beate Klarsfeld Foundation". Sie ist Journalistin und kämpft für die Aufklärung und Verfolgung von NS-Verbrechen.

Serge Klarsfeld, 1935 in Bukarest geboren, ist Rechtsanwalt und Historiker. Zusammen mit seiner Frau Beate Klarsfeld kämpfte er unermüdlich für die Bestrafung von NS-Verbrechern. Es ist vor allem ihnen zu verdanken, dass gegen einige Hauptverantwortliche des NS-Polizeiapparates in Frankreich Strafprozesse geführt wurden, so gegen Lischka, Hagen und Heinrichsohn 1979 in Köln und gegen Klaus Barbie 1987 in Lyon.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2015

Was wir jetzt vom Volk erwarten

So wird man ein besserer Mensch? Im Vollbewusstsein ihrer historischen Leistung blicken Beate und Serge Klarsfeld auf ihr Leben als Politaktivisten.

Von Jürg Altwegg

An manchen Stellen sind die eindrücklichen Erinnerungen von Beate und Serge Klarsfeld die pure Peinlichkeit. Eine erste Zumutung ist das "Vorwort zur deutschen Ausgabe" ihres Sohnes Arno, der sie "so sehr liebt". Die Franzosen, die seine Selbstinszenierungen kennen, hatte man mit seinem Geleitwort verschont: "Sie, lieber Leser, müssen dieses Buch lesen, denn danach werden Sie glücklich, erobert, gestärkt und optimistisch sein. Sie werden als besserer Mensch aus der Lektüre hervorgehen, nachdem Sie sich in dieses einzigartige Abenteuer des 20. und 21. Jahrhunderts gestürzt haben."

Da darf auch ein exklusives Nachwort zur deutschen Ausgabe, die französische war im Frühjahr erschienen, nicht fehlen. Am vergangenen 20. Juli bekamen die Autoren in Paris das Bundesverdienstkreuz. Das Kapitel darüber wurde aus den Reden zusammengeschustert. Und hineingepackt auch Auszüge aus den Hymnen der Pariser Presse auf die "Erinnerungen". Dass dabei der Name einer prominenten Journalistin falsch geschrieben wurde, sei nur als Beleg für die Schludrigkeit dieser Ausgabe erwähnt. Drei Übersetzer waren im Einsatz, aber auch ein Lektor?

So sind sie eben, die unvergleichlichen Klarsfelds, die ihre Eitelkeit stets einem höheren politischen Zweck unterordnen. Die Pressekampagne für ihr Buch war eine "Gelegenheit, gegen den Front National in die Offensive zu gehen". Sie wollen "einen Konflikt zwischen dem Vater Jean-Marie und der Tochter in Gang bringen", den es allerdings längst gibt, seit sich Marine Le Pen von den systematischen antisemitischen Provokationen des Alten, der von den Gaskammern "als Detail der Geschichte" sprach, distanziert.

Eigentlich müssten sich die Vorkämpfer gegen die "Verleugnung des Holocausts" über den Gesinnungswandel freuen: "In vielen Interviews, die die Medien von uns erwarten, greifen wir diese Partei der extremen Rechten, welche die Republik bedroht, schonungslos an. Unsere Angriffe fördern diese Krise, wir erwarten, dass sie den Front National untergraben", ausdrücklich schon "bei den Regionalwahlen im Dezember 2015".

Diese hektische Distanz- und Kritiklosigkeit kennzeichnet merkwürdigerweise auch andere Kapitel dieses Buchs, das von zwei Personen handelt, die durch ihren Umgang mit der Geschichte selbst Geschichte gemacht haben. Es beginnt mit Beates Kindheit und Jugend in Berlin. "Ich wusste nicht, wer ich war, und wollte es auch nicht wissen." 1960 zieht sie als Au-pair-Mädchen nach Paris. Von der Geschichte Deutschlands hat sie keine Ahnung. Serge, der Politikwissenschaften studiert, spricht sie in der Métro an: "Sind Sie Engländerin?" In der Anfangsphase ihrer Beziehung zitiert sie aus seinen Liebesbriefen, die Klarsfeld als liebenden Besserwisser und mahnenden Erzieher ausweisen. Sie ist ganz in dessen französischer Familie aufgegangen.

Serge Klarsfelds Schilderungen setzen in Nizza ein, wohin Eichmann den Massenmörder Alois Brunner zur Vernichtung der Juden geschickt hat. Der achtjährige Knabe ist in einem Schrank versteckt, als die Gestapo in das Wohnhaus eindringt und seinen Vater Arno mitnimmt, der nach Auschwitz deportiert wird. Bei der Ankunft "wurde er von einem Kapo geschlagen und schlug zurück. Diese Tat kostete ihn das Leben", erinnert sich der Sohn. Dass er nicht von französischen Polizisten, sondern von Deutschen verhaftet worden war, bleibt für Serge Klarsfeld das erste Schlüsselereignis seines Lebens: "Ich war in gewisser Weise privilegiert, weil ich nicht wie andere jüdische Kinder unter dieser Wunde Frankreichs litt, die so schlecht heilt."

Der Verteidigung der Opfer, der Jagd auf die Verbrecher und dem Druck auf die Politiker zur Anerkennung der französischen Schuld hat er sein Leben gewidmet. Diese Ausrichtung bekam es im Jahr 1965, in dem er Auschwitz besuchte (eine "Offenbarung") und sein Sohn Arno geboren wurde, "an ihn würde der Stab weitergegeben". Serge Klarsfelds historisches Lebenswerk beginnt damit, dass er für die Beziehung zu seinem Sohn, dem er den Namen seines Vaters gab, "einen engeren Kontakt zu seinem Vater brauchte". Er beginnt, "die letzte Etappe seines Lebens so genau wie möglich zu rekonstruieren". Daraus entsteht die epochale Dokumentation "Vichy - Auschwitz". Sein Meisterwerk als politischer Aktivist bleiben die Entführung von Klaus Barbie und der Prozess gegen ihn. Mit dessen Verteidiger Jacques Vergès duellierte sich Klarsfeld zur Eröffnung im Männermagazin "Lui".

Schon vor ihm aber wurde Beate weltberühmt. Der Ohrfeige für Kanzler Kiesinger ging eine intensive Aufklärungskampagne über dessen Vergangenheit voraus. Der "Stern" ist dabei, ein Presseausweis wird gefälscht. Die ersten Versuche scheitern. Stolz werden nach der Tat die Reaktionen verbucht. Für die "linke Jugend" habe die Ohrfeige "die Situation grundlegend verändert" - Heinrich Böll schickt Beate Klarsfeld mit diesen Worten einen Strauß roter Rosen nach Paris. Auf drei Seiten wird die Auseinandersetzung zwischen Böll und Günter Grass, der die Ohrfeige damals kritisierte, mit langen Zitaten rekapituliert. Ein Hinweis auf dessen seinerzeit unbekannte SS-Vergangenheit und die spätere Entwicklung ihres Anwalts Horst Mahler wäre für französische Leser keineswegs überflüssig gewesen.

Das Gefängnis bleibt Beate Klarsfeld erspart. Fassungslos nimmt man von ihren merkwürdigen Analogien und ihrer Selbsteinschätzung Kenntnis: "Jedenfalls hatte ich für die Kiesinger-Ohrfeige Risiken auf mich genommen, die die Faschisten, die in jenem Jahr 1968 Robert Kennedy, Martin Luther King und Rudi Dutschke umgebracht hatten, nicht eingegangen waren."

Die Stabübergabe erfolgte beim Papon-Prozess, den "Arno vor einem Freispruch rettete". Er war für die französische Vergangenheitsbewältigung von großer Bedeutung. Der Papa hatte ihn gar nicht wirklich gewollt. Die Art und Weise allerdings, wie ihn die Klarsfelds führten, wurde von Bernard-Henri Lévy bis Claude Lanzmann heftig kritisiert. Als ob es für sie um ein letztes Gefecht "zwischen den Stämmen Kains und Abels" gehen würde, hatte Alain Finkielkraut den Eindruck. Und nannte die Klarsfelds "Fanatiker des Erinnerns". Auch mit dem Anwalt der Terroristen und Tyrannen, Jacques Vergès, wurden sie verglichen.

Dieser Eifer war zweifellos nötig und der Motor einer historischen Leistung, die verdienstvoll ist und mehr als einen Familienzwist bei den Le Pens in Gang gebracht hat. Er mag die Eitelkeit der Autoren erklären, deren Peinlichkeiten und Plattitüden auch auf die wirklich spannenden Schilderungen abfärben. Dass deutsche Leser, denen die Wandlung zu besseren Menschen versprochen wurde, sich am Schluss wirklich verschaukelt fühlen müssen, gehört zur Ironie dieser Erinnerungen: Das Register mit den Verweisen auf alle Nebenfiguren der Handlung führt sie systematisch in die Irre. Nach einem ersten Befund haben sich alle weiteren Stichproben als Fehlanzeigen erwiesen.

"Dieses Buch mündet nicht in ein friedliches Pensionistendasein oder mit der Aussicht auf Ruhe", lautet sein zweitletzter Satz: Auch in sprachlicher Hinsicht ist es stellenweise eine Zumutung.

Beate und Serge Klarsfeld: "Erinnerungen".

Aus dem Französischen von Andrea Stephani, Anna Schade und Helmut Reuter.

Piper Verlag, München 2015. 624 S., geb., 28,- [Euro].

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